Chris M
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The mass of men lead lives of quiet desperation
Henry David Thoreau
Denkt ihr, dass das stimmt? Leben wirklich die meisten Menschen in einer stillen Verzweiflung, die sie vor ihren Mitmenschen verbergen? Oder hat Thoreau hier vielleicht von sich selbst auf andere geschlossen? Ich frage mich auch, welche Art der Verzweiflung er hier gemeint hat. Meint er die existentielle Verzweiflung, also die Verzweiflung, die daraus entstehen kann, dass wir uns unserer Sterblichkeit bewusst sind, dass wir nicht wissen, woher wir kommen, wohin wir gehen etc. Oder meinte er damit eher die individuelle Verzweiflung des Einzelnen in seinem persönlichen Schicksal? Oder vielleicht beides?
Falls seine Annahme stimmt, dass dies die meisten Menschen betrifft, stellt sich außerdem die Frage, wieso die meisten Menschen diese Verzweiflung vor anderen verbergen wollen. Denn wenn dies ein so alltägliches Phänomen ist, müsste doch eigentlich niemand ein Geheimnis daraus machen. Was wäre aber andererseits das Resultat, wenn die Menschen offener damit umgehen würden?
Einer, der mit dieser Verzweiflung sehr offen umgegangen ist, ist der Philosoph E.M. Cioran. Einige Zitate von ihm, die dies untermauern:
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„Sein heisst in der Klemme sein.“
„Nur Menschen, die suchen, aber nicht finden wollen, konnten Virtuosen des inneren Dramas werden.“
„Wer keine Demütigungen kennengelernt hat, weiß nicht, was es heißt, auf der untersten Stufe seiner selbst anzukommen.“
„Ich kann nichts unternehmen, wenn ich nicht von dem, was ich weiß, absehe. Sobald ich es ins Auge fasse und daran denke, sei es auch nur eine Sekunde, verliere ich den Mut, löse ich mich auf.“
„Indem die Natur den Menschen zuließ, hat sie viel mehr als einen Rechenfehler begangen: ein Attentat auf sich selbst.“
„Das ganze Geheimnis des Lebens läuft darauf hinaus, dass es keinerlei Sinn hat; dass aber jeder von uns dennoch einen ausfindig macht!“
„Im Pessimisten vereinigen sich eine unwirksame Güte und eine unbefriedigte Bosheit.“
„Von Natur aus bin ich jedem Unternehmen gegenüber abweisend, daß ich, um mich zu einem solchen zu entschließen, zuvor in einer Biographie von Alexander oder Dschingis-Khan blättern muss.“
„Im Grunde sind alle Ideen falsch und absurd. Es bleiben nur die Menschen, so wie sie sind.“
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Also: Wenn Thoreau recht hat, müssten ja die meisten Menschen innerlich so oder ähnlich ticken. Ich habe ein gutes Argument dagegen und ein gutes Argument dafür. Was dagegen spricht, ist die Tatsache, dass es unmöglich scheint, dass Menschen eine solche innere Befindlichkeit auf Dauer verbergen könnten. Alleine, das unsere Zivilisation funktioniert und auch Krisen übersteht scheint zu bestätigen, dass die meisten Menschen doch innerlich solide und einigermaßen zufrieden sind. Was aber dafür spricht, dass tief im Innern der meisten Menschen doch etwas lodert, was eine existentielle Verzweiflung sein könnte, ist der fehlende Fortschritt auf der spirituellen Ebene. Spirituell betrachtet sind wir Kleinkinder und unsere zivilisatorischen und geistigen Fortschritte bleiben weit hinter dem zurück, was sie eigentlich sein könnten. Bezeichnenderweise finden die meisten Fortschritte im technologischen Bereich statt und damit einhergehend im naturwissenschaftlichen Bereich. Was aber auf der Strecke bleibt, sind geisteswissenschaftliche Fortschritte, die sich dann auch im Außen manifestieren würden, so wie der technologische Fortschritt die äußere Manifestation der naturwissenschaftlichen Fortschritte ist. Also, was hält die Menschen im Inneren auf?
The mass of men lead lives of quiet desperation
Vielleicht wollte Thoreau uns mit diesem Satz vermitteln, was der große Bremsklotz für die Menschheit im spirituellen Bereich ist, nämlich diese Orientierungslosigkeit und innere Leere, die zu einer Verzweiflung und somit zu einem inneren Stillstand auf der kollektiven Ebene führt, welcher sich im Außen nur durch einen Mangel - durch das Fehlen von Etwas - bemerkbar macht. Und deshalb ist diese Sache zu schwer zu greifen und zu beschreiben. Wenn es nun aussieht, als ob ich die ganze Zeit um den heißen Brei herumgeschrieben habe, so liegt dies eben daran, dass man einen Mangel nicht wirklich beschreiben kann, weder einen inneren noch einen äußeren Mangel. Man erkennt eben nur das Resultat dieses Mangels, eben diese Verzweiflung, die zum Beispiel Cioran zum Ausdruck gebracht und in der viele Menschen sich wiederfinden. Die Frage bleibt, ob dies, wie Thoreau meinte, die Masse der Menschen betrifft oder nur einige "Auserwählte" im negativen Sinne.
Henry David Thoreau
Denkt ihr, dass das stimmt? Leben wirklich die meisten Menschen in einer stillen Verzweiflung, die sie vor ihren Mitmenschen verbergen? Oder hat Thoreau hier vielleicht von sich selbst auf andere geschlossen? Ich frage mich auch, welche Art der Verzweiflung er hier gemeint hat. Meint er die existentielle Verzweiflung, also die Verzweiflung, die daraus entstehen kann, dass wir uns unserer Sterblichkeit bewusst sind, dass wir nicht wissen, woher wir kommen, wohin wir gehen etc. Oder meinte er damit eher die individuelle Verzweiflung des Einzelnen in seinem persönlichen Schicksal? Oder vielleicht beides?
Falls seine Annahme stimmt, dass dies die meisten Menschen betrifft, stellt sich außerdem die Frage, wieso die meisten Menschen diese Verzweiflung vor anderen verbergen wollen. Denn wenn dies ein so alltägliches Phänomen ist, müsste doch eigentlich niemand ein Geheimnis daraus machen. Was wäre aber andererseits das Resultat, wenn die Menschen offener damit umgehen würden?
Einer, der mit dieser Verzweiflung sehr offen umgegangen ist, ist der Philosoph E.M. Cioran. Einige Zitate von ihm, die dies untermauern:
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„Sein heisst in der Klemme sein.“
„Nur Menschen, die suchen, aber nicht finden wollen, konnten Virtuosen des inneren Dramas werden.“
„Wer keine Demütigungen kennengelernt hat, weiß nicht, was es heißt, auf der untersten Stufe seiner selbst anzukommen.“
„Ich kann nichts unternehmen, wenn ich nicht von dem, was ich weiß, absehe. Sobald ich es ins Auge fasse und daran denke, sei es auch nur eine Sekunde, verliere ich den Mut, löse ich mich auf.“
„Indem die Natur den Menschen zuließ, hat sie viel mehr als einen Rechenfehler begangen: ein Attentat auf sich selbst.“
„Das ganze Geheimnis des Lebens läuft darauf hinaus, dass es keinerlei Sinn hat; dass aber jeder von uns dennoch einen ausfindig macht!“
„Im Pessimisten vereinigen sich eine unwirksame Güte und eine unbefriedigte Bosheit.“
„Von Natur aus bin ich jedem Unternehmen gegenüber abweisend, daß ich, um mich zu einem solchen zu entschließen, zuvor in einer Biographie von Alexander oder Dschingis-Khan blättern muss.“
„Im Grunde sind alle Ideen falsch und absurd. Es bleiben nur die Menschen, so wie sie sind.“
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Also: Wenn Thoreau recht hat, müssten ja die meisten Menschen innerlich so oder ähnlich ticken. Ich habe ein gutes Argument dagegen und ein gutes Argument dafür. Was dagegen spricht, ist die Tatsache, dass es unmöglich scheint, dass Menschen eine solche innere Befindlichkeit auf Dauer verbergen könnten. Alleine, das unsere Zivilisation funktioniert und auch Krisen übersteht scheint zu bestätigen, dass die meisten Menschen doch innerlich solide und einigermaßen zufrieden sind. Was aber dafür spricht, dass tief im Innern der meisten Menschen doch etwas lodert, was eine existentielle Verzweiflung sein könnte, ist der fehlende Fortschritt auf der spirituellen Ebene. Spirituell betrachtet sind wir Kleinkinder und unsere zivilisatorischen und geistigen Fortschritte bleiben weit hinter dem zurück, was sie eigentlich sein könnten. Bezeichnenderweise finden die meisten Fortschritte im technologischen Bereich statt und damit einhergehend im naturwissenschaftlichen Bereich. Was aber auf der Strecke bleibt, sind geisteswissenschaftliche Fortschritte, die sich dann auch im Außen manifestieren würden, so wie der technologische Fortschritt die äußere Manifestation der naturwissenschaftlichen Fortschritte ist. Also, was hält die Menschen im Inneren auf?
The mass of men lead lives of quiet desperation
Vielleicht wollte Thoreau uns mit diesem Satz vermitteln, was der große Bremsklotz für die Menschheit im spirituellen Bereich ist, nämlich diese Orientierungslosigkeit und innere Leere, die zu einer Verzweiflung und somit zu einem inneren Stillstand auf der kollektiven Ebene führt, welcher sich im Außen nur durch einen Mangel - durch das Fehlen von Etwas - bemerkbar macht. Und deshalb ist diese Sache zu schwer zu greifen und zu beschreiben. Wenn es nun aussieht, als ob ich die ganze Zeit um den heißen Brei herumgeschrieben habe, so liegt dies eben daran, dass man einen Mangel nicht wirklich beschreiben kann, weder einen inneren noch einen äußeren Mangel. Man erkennt eben nur das Resultat dieses Mangels, eben diese Verzweiflung, die zum Beispiel Cioran zum Ausdruck gebracht und in der viele Menschen sich wiederfinden. Die Frage bleibt, ob dies, wie Thoreau meinte, die Masse der Menschen betrifft oder nur einige "Auserwählte" im negativen Sinne.