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Systemtheorie

_its_not_me_ schrieb:
Ich denke aber, Robin wird in vielen Punkten anderer Ansicht sein und einiges präzisieren können ...

Dein Text ist geradezu ein Musterbeispiel an Präzision und sprachlicher Klarheit, Me.

Ich möchte ganz unpräzise emphatisieren: Me, myself an I sind die Besten und Präzisesten.

Das kann jetzt kein Eigenlob/Fremdlob sein, da dies ja nur eine Kommunikation ist. It's neither Me nor myself.

[Anmerkung: Ich möchte zu dieser launigen Abschweifung keine Kritik, keine grammatikalischen Nachfragen und sonstwas lesen]

Ich hatte auch immer Probleme mit dem Begriff der Metaphysik, daher habe ich (neben der Tatsache, dass ich arbeiten muss und 23 Kinder versorgen) nicht sofort geantwortet.
Jedenfalls ist Metaphysik kein System. Gesellschaftliche Systeme nach Luhmann sind:

Liebe
Recht
Wirtschaft
Massenmedien
Kunst
Macht (Politik)
Religion
Wissenschaft

Ich hoffe, ich habe keins vergessen.
Es ist ein bisschen in Mode gekommen, ein bisschen luhmännisch aufzutreten und alles mögliche als System zu betrachten, was eigentlich keins sein kann. Man kann zum Beispiel seinen Arbeitsplatz als System sehen und behaupten, die Kommunikationen darin haben etwas von selbstreferentieller Geschlossenheit. So als Metapher kann man das ja mal machen, aber Subsystem der Gesellschaft kann nur "werden", was einen generalisierten binären Code hat (und was sollte das bei meinem Arbeitsplatz sein?) entlang dessen es sich entwicklen kann. Außerdem kann man Systeme nicht abschaffen, meinen Arbeitgeber schon.
Metaphysik ist also kein System, sondern, ganz im Sinne Me's (Anmerkung an rechtschreiberische Korinthenkacker: Ich verwende hier ein Genitiv-"s" in englischer Schreibweise, da Me dem Englischen entlehnt ist. Got it?) ein Thema von Kommunikation oder, wenn man es mit Philosophie gleichsetzt, dem Subsystem Wissenschaft zugehörig. Die binäre Unterscheidung in der Wissenschaft lautet: Wahr/falsch. Die Kriterien und Methoden für diese Unterscheidung generiert und modifiziert das System selbst.
Und nun mein Lieblingsausdruck: Einheit der Differenz. Natürlich ist es ein universeller Ausdruck der Menschheit, absolute Wahrheit zu erfahren in einer einheitlichen Erfahrung. Und dies lässt sich selbsterständlich daraus erklären, dass eben alles als Differenz erfahren wird. Die Erfahrung der Differenz (dass also das Bezeichnete nicht mit der Bezeichnung übereinstimmt, die Wahrnehmung nicht mit dem Wahrgenommenen und Mann und Frau kaum je gleichzeitig kommen), sei sie bewusst oder unbewusst ständig präsent, dient m.E. natürlich als Erklärung des Wunsches einer Differenz von der Differenz. Die Differenz Differenz/Einheit aber gibt es sozusagen nicht, da die Differenz selbst die Einheit ist, bzw. die Einheit der blinde Fleck der Unterscheidung, die Einheit eben nur als das wahrgenommen werden kann, was niemals da sein kann. Esoteriker sagen dann eben: Aber sie könnte doch trotzdem da sein und berufen sich dann auf Wahrnehmungsformen, die mir verschlossen sind und mir nichts sagen. Die Einheit ist eine Idee aus einer wahrnehmungslosen Welt. Wo aber wahrgenommen und kommuniziert wird, da ist immer die Differenz.
Als Beispiel: Liebe kann nur wahrgenommen werden vor dem Hintergrund, dass man auch nicht geliebt (abgelehnt) werden könnte. Bei einer absoluten Liebe, bei der die Nicht-Liebe nicht als andere Seite der Unterscheidung existiert, ergibt der Begriff Liebe keinen Sinn. In einem unterscheidungsfreien Raum, den das Bewusstsein womöglich in der Meditation oder Ekstase erreicht, macht überhaupt keine Unterscheidung Sinn. Belassen wir es dabei!
(Es ist ein wenig ähnlich wie im Plasma der Physik, wo zwischen Energie und Materie nicht unterschieden werden kann und daher auch nicht gesagt werden kann, Plasma sei Energie und Materie, sondern Plasma ist eben Plasma.)

Zur Unterscheidung von Systemen: Luhmann unterscheidet auch (im Gegensatz zu Roth) zwischen Bewusstseinssystem und dem Gehirn als biologischen System. Daraus ergeben sich leicht unterschiedliche Ansichten, die nun aber wirklich sehr speziell sind.
Ich vermute auch (na, wer hat aufgepasst?) auf dieser Unterscheidung gründet auch spitze Bemerkung von Nieda-Rühmelin in besagtem Interview: "Das Gehirn kann nicht unterscheiden" (zitiert sinngemäß aus Gedächtnis)
 
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majanna schrieb:
All das weist darauf hin, dass im Ich kein Sollipzismus möglich ist: dass das Ich im Input - Outputmodell sich und Umwelt erfährt, dass "es" und unsere Gedanken in uns eben nicht autopoietisch ablaufen.

Du hast den Begriff Auopoiesis immer noch nicht verstanden bzw. nicht den Unterschied von selbstreferentiellen Operationen und der Interaktion mit der Umwelt mittels Irritation und strukturellen Kopplungen. Strukturelle Kopplungen sind sozusagen geordnete, schematisierte Irritationen.
Operationen sind kognitive Vorgänge (Aktualisierung von Gedächntis, Wahrnehmung, Denken) bzw. in der Gesellschaft Kommunikationen.

Kein Mensch bestreitet, dass es für Kommunikation Individuen geben muss. Auch brauchen wir die Luft zum Atmen, die Luft ist aber weder Bestandteil von uns, noch von Kommunikation, auch wenn der Luft unser Wille durch Sprachsignale manchmal aufgedrückt wird.
 
Das hast Du wieder einmal

elegant formuliert, Majanna. Das einzige, was ich "Unstudierter" Dir diesbezüglich bieten kann, ist eine Erklärung von "System" aus meinem Philosophielexikon:



System (griech. systema, die Zusammenstellung, das Zusammengesetzte). 1. Komplex von Elementen, die miteinander verbunden und voneinander abhängig sind und insofern eine strukturierte Ganzheit bilden (vgl. Struktur); ein geordnetes Ganzes, dessen Teile nach bestimmten Regeln, Gesetzen oder Prinzipien ineinandergreifen. In dieser allgemeinen Bedeutung steht S. in den Einzelwissenschaften für eine Vielzahl unterschiedlichster Zusammenhänge. Eine besondere Rolle spielt das S. in der strukturalen Linguistik (vgl. Strukturalismus). S. meint hier eine Ganzheit von Elementen, die sich zueinander in einem inneren Abhängigkeitsverhältnis befinden, und zwar so, daß ein einzelnes Element nicht durch sich selbst, sondern nur durch die Unterschiede zu anderen Elementen definiert ist. 2. Die Wissenschaft besteht nicht aus einer Anhäufung von Erkenntnissen; vielmehr läßt sich nach Kant erst dann von Wissenschaft sprechen, wenn ihre verschiedenen Erkenntnisse ein S. ausmachen. S. bedeutet hier die "Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee" oder einem Vernunftprinzip. In dieser systematischen Einheit, die Erkenntnis zur Wissenschaft erhebt, liegt das eigentlich Wissenschaftliche (Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 860ff.). Das S., als Begründungszusammenhang verstanden, ist das Ziel der wissenschaftlichen Arbeit. 3. In der neueren Philos. mit und seit Descartes steht das Problem im Vordergrund, wie sie sich selbst, wie sie ihren eigenen Ausgangspunkt begründen könne. In diesem Rahmen wird der Begriff des S. als Begründungszusammenhang aufgenommen. Philos. ist Streben nach S. in einem radikalen Sinn: Sie soll einen letzten Grund oder eine begründende Instanz für das menschliche Wissen aufzeigen. Damit will die Philos. zugleich das Fundament der Einzelwissenschaften freilegen. Descartes und seine Nachfolger entdecken den letzten Grund der Erkenntnis im Selbstbewußtsein (vgl. Bewußtsein).

Daß Philos. S. sein müsse, diese Forderung erhebt der dt. Idealismus (Fichte, Schelling, Hegel) ausdrücklich zum Programm, und zwar auf dem Hintergrund einer Zweideutigkeit innerhalb der kritischen Philos. Kants. Für Kant liegt es im Charakter der Vernunft, nach systematischer Ganzheit zu streben; ob eine umfassende systematische Erkenntnis der Wirklichkeit überhaupt möglich sei, stellt er aber in Frage. Die Idee eines solchen umfassenden Zusammenhangs ist für ihn nur regulativ.
Der philos. S.begriff des dt. Idealismus hat zwei Seiten: Zum einen wird das S. als umfassende Begründung aus einem einzigen absoluten Prinzip entfaltet. Zum anderen gilt die Wirklichkeit selbst als S., insofern das Ganze das Wahre oder Wirkliche ist. Dieser S.begriff besagt also, daß die Wirklichkeit ein zusammenhängendes sinnvolles Ganzes darstellt und, weil sie von einem einheitsstiftenden Prinzip durchdrungen oder geformt ist (dem Absoluten), nur im Zusammenhang verstanden werden kann (s. auch Fichte, Schelling und Hegel).

Seiner Doppelung entsprechend wird der radikale philos. S.begriff des dt. Idealismus in der nachhegelschen Zeit in zweifacher Weise in Frage gestellt. Einerseits weist man die Forderung und die Behauptung zurück, Philos. solle und könne zum S. werden. Wohl bildet die Wirklichkeit für Gott ein S., nicht aber für den Menschen in seiner endlichen Existenz (Kierkegaard). Auf der anderen Seite wird der Begriff der Wirklichkeit als S. gänzlich aufgegeben, und das S. verliert jeden ontologischen Stellenwert. Die Frage nach dem S. wird zur Frage nach systematisierenden, klassifizierenden Verfahrensweisen und nach einem methodischen Prinzip.
S.theorie ist eine Theorie über die gemeinsamen S.prinzipien in den verschiedenen Wissenschaften, wobei S. als Komplex von wechselseitig wirkenden Elementen verstanden wird. S.theorie hat insbesondere in der Analyse der Gesellschaft als ganzer ein fruchtbares, aber nicht unumstrittenes Anwendungsfeld gefunden (N. Luhmann u. a.).


Lit.: A. Diemer (Hg.): S. und Klassifikation in Wissenschaft und Dokumentation, 1968. J. Habermas/N. Luhmann: Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie - Was leistet die S.forschung?, 1971. I. G. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, 1794. G. W. F. Hegel: Enzyklopädie der philos. Wissenschaften im Grundriß, 1830, §§ 1-18. F. Kambartel: "S." und "Begründung" als wissenschaftliche und philos. Ordnungsbegriffe. In: Ders.: Theorie und Begründung, 1976. I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, 2. Abt., 3. Hauptstück. H. Lenk: S.theorie. In: Handbuch wissenschaftstheoretischer Begriffe III, 1980. O. Ritschl: S. und systematische Methode in der Geschichte des wissenschaftlichen Sprachgebrauchs und der philos. Methodologie, 1906.

Philosophielexikon/Rowohlt-Systhema
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>Its_not_me: Nochmals Dank für die zusätzliche Erklärung. Du bist viel zu selten hier !

Liebe Grüße

Zeili
 
@ majanna:

Folgendes bitte mit Vorbehalt zu betrachten, da ich nur vage Kenntnisse habe: Ich glaube, gerade das Input-Output-Modell genügte in der Biologie nicht mehr, da Lebewesen eben keine triviale Maschinen sind und nicht jeder Output allein durch den Input zu erklären ist.

Ab hier bin ich etwas sicherer :-) Systeme sind aber nicht solipsistisch. Autopoesis ist kein Solipsismus. Das Gehirn (als ein Beispiel) reagiert immer nur auf einen vorhergehenden Gehirnzustand. Es ist ein geschlossenes System. Dennoch kann (nein muss) es Umweltinformationen verarbeiten. Wenn in ein Auge Licht fällt, wird dieses Licht dort sofort in die systemeigene Sprache, die Einheitssprache des Gehirns übersetzt. Licht kann nicht direkt ins Gehirn dringen. (Und wenn doch, wäre es eine Katastrophe :-) Aber Licht kann das System reizen, irritieren, pertubieren. (System-)Geschlossenheit ist die Bedingung für Offenheit. (Schwanitz hat als Merkregel: Systeme brauchen Probleme.)
 
Me, aufgrund erneut erhellender Erklärungen deinerseits musste ich mich flugs auf deine Webseite begeben und durfte da lesen:

Was immer du verstehst - es war nicht so gemeint.

Das ist natürlich äußerst beautyfull. :)

Mein entprechendes Paradoxon wäre dann:

Die Realität ist auf die Wirklichkeit nicht vorbereitet.

Vielleicht nicht ganz so toll, aber immerhin.
 
Robin schrieb:
Me, aufgrund erneut erhellender Erklärungen deinerseits musste ich mich flugs auf deine Webseite begeben und durfte da lesen:

Was immer du verstehst - es war nicht so gemeint.

Das ist natürlich äußerst beautyfull. :)

Mein entprechendes Paradoxon wäre dann:

Die Realität ist auf die Wirklichkeit nicht vorbereitet.

Vielleicht nicht ganz so toll, aber immerhin.


Jetzt stünde ich völlig auf dem Schlauch, wenn ich einen hätte. I kenn mi net aus....

Für mich möchte ich festhalten - und Du weißt es, Robin, dass das stimmt, dass mich meine Fragen wirklich interessieren - und ebenso die Antworten darauf.

Marianne
 
Jetzt stünde ich völlig auf dem Schlauch, wenn ich einen hätte. I kenn mi net aus....

Das waren nur kleine Insiderwitze, moralisch natürlich verwerflich.

Der Satz "Was immer du verstanden hast, es war nicht gemeint" beschreibt genau den Unterschied zwischen Kommunikation und kognitiven Prozessen, bzw. deren Inkombatibilität.
Oder wie Luhmann sagt: Kommunikation ist immer Mißverstehen ohne Verstehen des "miß". Da klopfen sich Systemtheoretiker auf die Schenkel.

Den Spruch mit Realität und Wirklichkeit würde ich auf Welt und Weltkonstruktion münzen. Wir müssen froh darüber sein, dass wir ständig Weltkonstruktionen mit Weltkonstruktionen abgleichen müssen, denn dass hält die Autopoiesis am Laufen (natürlich völlig unwissenschaftliches Werturteil). Die Welt bliebt da natürlich außen vor.
 
Robin schrieb:
Der Satz "Was immer du verstanden hast, es war nicht gemeint" beschreibt genau den Unterschied zwischen Kommunikation und kognitiven Prozessen, bzw. deren Inkombatibilität.
Oder wie Luhmann sagt: Kommunikation ist immer Mißverstehen ohne Verstehen des "miß". Da klopfen sich Systemtheoretiker auf die Schenkel.
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Na gut: und im übrigen frage ich: wie erklärt Luhmann ( und mit ihm die Systemtheoretiker, die seiner Schule anhängen) , wie kognitive Prozesse als selbststeuernde Systeme überhaupt mit sich kommunizieren können, wenn sie nicht von anderen Systemen INputs bekommen?

Weiche jetzt bitte nicht aus. ( Ich will meine Frage beantwortet haben keinen gelehrten Kommentar über etwas, in das Du eingelesen bist und um das ich nicht gefragt habe.)


Marianne
 
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wie kognitive Prozesse als selbststeuernde Systeme überhaupt mit sich kommunizieren können, wenn sie nicht von anderen Systemen INputs bekommen?
Nun sag mal!
Ist doch schon zigmal beantwortet. Sie bekommen Input über Irritation und Wahrnehmung. Wahrnehmung verarbeiten bedeutet aber systeminterne Information verarbeiten. Nämlich das, was über die Sinnesrezeptoren über chemische Umwandlung und was weiß ich letzendlich als kognitiver Reiz dort ankommt.
In Me's Beitrag ist das doch alles schon drin. Das System braucht Irritation zur Differenzierung und zum "Selbsterhalt".
Man muss sich nur an den Gedanken gewöhnen, dass Kommunikationen für Bewusstsseinssysteme Irritationen darstellen (sie können nicht direkt wahrgenommen werden, sondern als das, was nach reziptativer Umwandlung im Bewusstsein ankommt).
 
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