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Systemtheorie

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Robin schrieb:
"

Dazu habe ich bereits weiter oben die Begriffe Irritation und strukturelle Kopplung eingeführt. :rolleyes:
Wenn ein Künstler (in Interaktion mit seinem Kunstwerk) Kunst herstellt und jemand diese Kunst dann betrachtet, so ist dies Kommunikation im Sinne eines SUbsystems KUNST. Wenn er dann mit jemandem um den Preis des Bildes verhandelt, ist dies Kommunikation im Sinne des Subsystems Wirtschaft.
Wenn ich also sage: "Das Bild erinnert mich an Van Gogh - ob es wohl auch so teuer ist?", wechsle ich in der Kommunikation mitten im Satz von Kunst zu Wirtschaft. Das ist das Entscheidende, das Grenzen zwischen den sozialemn Systemen nicht entlang von Personen (Malern oder Bänkern) sondern von Codierungen laufen.
Dies Beispiel war aber eines auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung.
Eine Irritation auf der Ebene der Beobachtung erster Ordnung wäre, wenn in die Schaffung eines Kunstwerks schon kommerzielle Aspekte mit eingehen (was selbstverständlich ständig der Fall ist).
Na, ich weiß nicht, warum Du plötzlich vergisst, mich anzureden, Robin.

Zur Sache: Ich habe schon verstanden, was Du weiter oben gesagt hast - ich habe meine Frage eigentlich auch an Neugier gerichtet, die mit den - na, Du weißt schon was- nach dem Attraktor.

Aber bereits Deine obigen Worte - indirekt an mich gerichtet - beweisen doch sehr wohl, dass die Luhmanntheses fähig ist, im Wittgesteinschen Sinne Sprachspiele zu verdeutlichen - und meine bescheidene Frage an Luhmannkenner - ich hielt halt Neugier auch für eine - , also an Dich und Its-not-me: Wie geht die Systemtheorie mit den Phänomenen des Metaphysischen um. Auch die Vorfindlichkeit all der metapysischen Fragestellungen sind doch " systemimmant", dem Menschen eigen.
Ansonsten halte ich die Luhmanthese von der Instabilität alles Vorfindlichen durchaus für nachvollziebar. Ich möchte da noch ein Zitat von Luhmann anführen, das sich zwar auf die Problematik der Informationsgesellschaft bezieht ( Luhmann:"Entscheidungen in der "Informationsgesellschaft" ), aber eher auf alle immanente Systeme und der Erkenntnis in ihnen anwenden lässt.

" Denn Information ist keine stabile, transportable, aufbewahrbare Entität,sondern ein Ereignis, das mit seiner Aktualisierung seinen Charakter als Information verliert." ( Luhmann aaO)

Das kommt mir doch den Paradoxien, die Du hier immer wieder einfordertest, ganz nahe.

Information ist nach Luhmann die Differenz zwischen dem,wwas der fall sein könnte und dem, was sich ereignet oder mitgeteilt wird.

Ich habe nun naiv gedacht, dass es mit der Beantwortbarkeit metaphysischer Fragen ganz ähnlich beschaffen sei: Die Differenz zwischen dem, was wir glauben wollen und dem, was wir glauben können, macht das System Metaphysik aus.

Verbesser mich, wenn Du das anders siehst.

Marianne
 
Hi Marianne,

ich hatte ein wenig gehofft, dass Robin dein Post bereits beantwortet hat, weil er hier der Luhmannkenner ist. Jetzt steht nichts da. Und ich will diese Leere mit einzwei Sätzen füllen.

Zur Metaphysik. Entscheidend ist, wie man den Begriff begreift :-) Was ist der Gegenstand der Metaphysik? Die „Ganzheit“ der Wirklichkeit. Alle Fragen, die auf „alles“ gehen, sind metaphysisch. So gesehen ist die Systemtheorie auch eine Metaphysik, vor allem, wenn man bedenkt, wie oft Luhmann den Begriff „Welt“ verwendet :-) Außerdem begreift Luhmann seine Theorie als „Supertheorie“, ich denke, damit geht er aufs ganze ... Dennoch wird man mit dieser Antwort der Theorie nicht gerecht. Erstens, gehört die Metaphysik eher zur „alteuropäischen“ Tradition, die Luhmann zwar schätzt, zu der er sich aber nicht mehr rechnet. Zweitens, ist (einer) der zentrale(n) Begriffe Luhmanns die Differenz und eben nicht die „Ganzheit“. Der Urknall der „operativen Logik“ Spencer-Browns, auf die Luhmann sich wieder und wieder bezieht, ist: „Mache eine Unterscheidung.“ Mit dieser Betonung des Differenzbegriffes gehört er zum postmodernen Denken, wenn man, neben anderen, zum Beispiel an Derrida und seine differance denkt. (Auch wenn der Begriff Post-Moderne aus der Mode kommt und Luhmann ihn wohl auch kritisiert hat.)

Wenn man den Begriff Metaphysik (etwas) anders versteht, nämlich als Fragen nach den „letzten“ oder „ersten“ Dingen, als Fragen nach dem, was über die „unmittelbare“, alltägliche Erfahrung hinaus geht, gerate ich ins stocken ... Was hat Luhmann hier zu bieten? Ich würde denken, Metaphysik liegt „jenseits“ des Theorieinteresses Luhmanns. Metaphysik kann wohl nur als Thema von Kommunikation in den Blick der Systemtheorie geraten, also nur als Beobachtung zweiter Ordnung. Also etwas, was man mit Hilfe der Theorie beschreiben (beobachten) kann, was aber nicht schon Teil der Theorie ist.

Wenn man unter Metaphysik Transzendenz versteht, kann man klar sagen, dass Luhmann deutlich darauf besteht, dass es keine „überspanndende“ Position gibt. Kein Beobachter sieht alles. Niemand (kein Mensch, kein System, keine Theorie etc.) hat eine privilegierte Position. Alles was gesagt wird, wird von Jemandem gesagt. Von Jemandem mit Eigenschaften. Es gibt keinen interesselosen, eigenschaftslosen Blick aus dem Nirgendwo.

Luhmanns Theorie, darauf hat Robin wiederholt hingewiesen, hat allen normativen Ballast abgeworfen. Sie ist ein Werkzeug zur Beschreibung der Gesellschaft. Er fragt (u.a.), wieso funktioniert das überhaupt, wieso wird das Unwahrscheinliche Wahrscheinlich? (Kommunikationen sind laut Luhmann zunächst sehr unwahrscheinlich und das, obwohl sie uns eigentlich im Alltag recht selbstverständlich erscheinen.) Das Moment der Kritik der Gesellschaft ist nicht (anders vermute ich, als bei der kritischen Theorie) bereits in die Theorie mit eingebaut. Das ist ein ganz anderes herangehen, auch ein anders Interesse. Luhmann fragt nicht, wie ist das Paradies möglich – ich formuliere bewusst überzogen – sondern, wie ist die Gesellschaft, so wie sie ist, überhaupt möglich und wie lässt sie sich am besten beschreiben. Das hat ihm den Vorwurf der Affirmation eingehandelt und das kostet natürlich etliche Sympathiepunkte. Das ist sicher einer der Gründe, warum die Theorie als kalt und distanziert empfunden wird. Das Fehlen metaphysischer Fragestellungen macht das nicht besser :-)

Ich denke aber, Robin wird in vielen Punkten anderer Ansicht sein und einiges präzisieren können ...

Grüße me
 
Hallo, Its-not-me!

Bin mit Deinen Erklärungen ganz einverstanden.

Luhmann kann ja auch alle Metaphysik ausklammern, da er quasi naturwissenschaftliche Methoden der Erkenntnisgewinnung anwendet.
Naturwissenschaften setzen sich immer eine unhinterfragbare Grundposition – natürlich empirisch abgesichert , die dann falsifiziert werden kann ( soll- ist die Meinung Poppers dazu). Das setze ich mit der These Luhmanns gleich, die Welt ist als Summen von Systemen konstituiert.

Deshalb muss Luhmann seine Annahme ja aus dem Differenzbegriff begründen. Nur durch den Begriff der Differenz in der Systemeinheit kann Luhmann ja all die Widersprüchlichkeiten, die in jedem gesellschaftlichen System zu finden sind,erklären.

Also: das unterscheiden sich ja unsere Denkansätze gar nicht.

Und im Lichte dieser quasi naturwissenschaftlichen Methode muss es Luhmann auch gar interessieren, was „ über „ uns und „ in uns“ wirkt.

Der metaphysische Ansatz, die Welt zu erklären, geht immer vom Ganzheitsbegriff aus.
Wo christliche und andere Denker früher von Einheit, nämlich der Einheit der Sichtbaren und Unsichtbaren, der Annahme, es gebe eine so genannte Gegenwelt ( das Immanenz- Transzendenzproblem), spricht man heute von Indifferenz.
Noch Meister Eckehard ( ein Mystiker) ist der Meinung, dass die radikale Einheit ( von oben und unten – bildlich ausgedrückt) auch nicht durch das radikal Unentschiedene destruiert werden könne.

Und so kann eben meiner Meinung nach Luhmann und andere Systemtheoretiker nicht aus der ( beweisbaren) Annahme der Differenz in den geschlossenen Systemen Schlüsse auf das ( psychologisch ebenso beweisbare ) Sehnen der Menschheit nach radikaler Einheit ziehen.

Freundliche Grüße

Marianne

/Verzeih, wenn sich meine Replik stellenweise wie eine Paraphrase Deines Posts liest. - Aber wenn zwei das Selbe meinen, ( oder ungefähr das Gleiche) wird die Argumentation ähnlich.
 
Zeilinger schrieb:
Kann mir bitte wer diesen Satz näher erklären oder - Robin - ist er etwa anders zu formulieren ?

Nach Aufklärung lechzt

Zeili

Ich habe mal wieder WIKEPEDIA bemüht und innerhalb eines langen Artikels
zum
Radiaklen Konstruktivismus folgendes gefunden:

Nun zur zweiten Frage, nämlich nach der Verläßlichkeit der Funktion dieser intern generierten kognitiven Welt. Das Gehirn läßt sich als ein funktional und semantisch selbstreferentielles oder selbst-explikatives System auffassen. Unter funktionaler Selbstreferentialität eines Systems verstehe ich die Eigenschaft des Gehirns, mit den eigenen Zuständen rekursiv oder zirkulär zu interagieren, so daß jeder Zustand aus der Interaktion früherer Zustände resultiert. Selbstreferentielle Systeme sind in ihren Zustandssequenzen selbstbestimmt oder autonom. Ihre Zustandssequenzen sind nicht von außen steuerbar (wg. fehlender Umweltoffenheit. Heyer). Wichtig ist, daß Selbstreferentialität nicht Isoliertheit bedeutet: selbstreferentielle Systeme sind i. a. R. durchaus von außen beeinflussbar oder modulierbar. Die Wirkungen dieses Einflusses, seine Quantität und Qualität, sind aber vollständig durch das selbstreferentielle System bestimmt. D. h. ob ein externes Ereignis überhaupt auf das System einwirken kann und, wenn ja, in welcher Weise und Stärke, legt das System fest.“ (240/241)

Dann stellt Roth die Frage: "Wie kann aber ... ein derart selbstreferentielles und selbst-explikatives System überlebensfördernde Kenntnis über die Umwelt erlangen, in der sein Organismus und es selbst überleben müssen?" (241)

Roth fand drei Möglichkeiten:

1. Die Evolution hat eine Grobverdrahtung des Gehirns bewirkt, die das Überleben sichert.
2. Die parallele Konsistenzprüfung. Das Gehirn vergleicht die Informationen der unterschiedlichen Sinnesorgane und setzt aus ihnen eine plausible Welt zusammen. Abweichungen werden aus der Wahrnehmung herausgefiltert.
3. Die konsekutive Konsistenzprüfung: Prüfung der Sinneswahrnehmungen an den gespeicherten Erinnerungen.

Das Gehirn sei hier unglaublich flexibel; Widersprüche werden ausgeblendet oder geglättet. An Experimenten konnte gezeigt werden, dass das Gehirn beispielsweise über die räumliche Orientierung der visuellen Welt frei verfügen kann, um eine intern konsistente Wahrnehmung zu erlangen. (242-244)

"Warum aber, so müssen wir fragen, ist das Gehirn überhaupt ein selbstreferentielles System. Warum verschafft es sich nicht direkten Zugang zur Welt? Dann wären alle Probleme der Überprüfbarkeit gelöst." (245) Roths Antwort: "Bewußte Wahrnehmung, geplantes Handeln und erfolgreiche Bewältigung sehr komplexer Umwelten (auch sozialer Umwelten) sind nur durch ein semantisch selbstreferentielles und selbst-explikatives System möglich, wie es das menschliche Gehirn ist.

Betrachtet man die Evolution des Wirbeltiergehirns von den sogenannten 'primitiven' Wirbeltieren bis hin zum Menschen, so läßt sich feststellen, daß die Größe des Gehirns ziemlich streng mit der Fähigkeit zum Lernen und zu komplexem Handeln und damit zur Bewältigung einer immer komplexeren Umwelt korreliert ist. Ich möchte hier die Frage offenlassen, ob die Größenzunahme des Gehirns innerhalb der menschlichen Evolution das Produkt des Selektionsdrucks einer zunehmend komplexeren Umwelt war, oder ob, wofür es inzwischen viele Anhaltspunkte gibt, das Gehirn aus internen Wachstums- und Differenzierungsgründen größer und komplizierter wurde und der Mensch erst sekundär dadurch in die Lage versetzt wurde, immer komplexere Umwelten zu bewältigen." (246)
 
_its_not_me_ schrieb:
Nur nebenbei: Luhmann unterscheidet eigentlich drei Systemtypen: Physische Systeme, psychische Systeme und soziale Systeme.
Endlich einmal ein klarer, kurzer und trotzdem aussagekräftiger Satz, danke its-not-me.
-----------------------------
Leider ist der Satz:

Zitat Robin

Er überführte Maturnas Vorstellungen von selbstreferentiellen, autonomen Systemen in die Soziologie ein und ging von insbesondere zwei wichtigen Systemen aus.
noch immer nicht erklärt:

Jemand überführt irgendjemanden eines Fehlers oder sonst etwas

oder

er (sie) führt irgendetwas ein

Beides ist wohl gleichzeitig nicht möglich.

Viele Grüße

Zeili
 
Was heißt überführt?

Nach allem, was ich weiß, heißt das: der Systembegriff kommt ursprünglich aus der Biologie. Begriffe wie System und Autopoesis holt Luhmann häufig aus anderen Fachgebieten, übernimmt sie aber nicht 1:1, sondern baut sie erst nach entsprechenden Änderungen in "seine" Systemtheorie ein. Den Begriff der Autopoesis hat sich Luhmann aus der Biologie "geholt". Überführen heißt, dass es den Begriff etwas weiter oder abstrakter definiert. Kommunikationssysteme (also Gesellschaften) bestehen aus Kommunikationen. Sie erschaffen die Elemente, aus denen sie bestehen, die Kommunikationen nämlich, selbst. Auf diese Weise sind sie "selbsterschaffend", also auto-poetisch. Das steckt hinter der kryptischen Formulierung: "Nur die Kommunikation kommuniziert."

Besonders das Autopoesiskonzept ist natürlich nicht unumstritten. Maturana, wenn ich mich recht entsinne, ist der Ansicht, es ließe sich nicht auf Gesellschaft übertragen (überführen). Habermas geht noch viel weiter. Er sagt: Alles Quatsch, aber auf hoehem Niveau (oder so ähnlich).
 
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_its_not_me_ schrieb:
Besonders das Autopoesiskonzept ist natürlich nicht unumstritten. Maturana, wenn ich mich recht entsinne, ist der Ansicht, es ließe sich nicht auf Gesellschaft übertragen (überführen). Habermas geht noch viel weiter. Er sagt: Alles Quatsch, aber auf hoehem Niveau (oder so ähnlich).

Na - da haben wir es ja. Das ist es, was ich von Anfang an in unserer Debatte zur Frage stellte.

Schon der Begriffwert des Verbs " überführen" weit auf physische und soziale Systeme.

Intrapersonelles "Wahrnehmen" - Wahrnehmungen cognitiv und emotional verarbeiten - über dieses Gewonnene zu kommunizieren und sich damit wiederum in den Prozess der kulturellen Übereinkunft begeben !

All das weist darauf hin, dass im Ich kein Sollipzismus möglich ist: dass das Ich im Input - Outputmodell sich und Umwelt erfährt, dass "es" und unsere Gedanken in uns eben nicht autopoietisch ablaufen.

Gibt es da nicht die philosophische Binsenweisheit der Empiristen: Nichts ist im Kopf, was nicht vorher hineingekommen ist.

Und jetzt quäle ich weiter: Robin, Its-not me, Baerliner, Zeili, Insti ( Du hast schließlich angefangen zu fragen).

Wie erklärt die Systemtheorie metaphysische Gedanken?


Marianne
 
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