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Braucht der Mensch Probleme?

  • Ersteller Ersteller lilith51
  • Erstellt am Erstellt am
@Robin

Es scheint so zu sein, dass Leben gleichzusetzen ist mit Problemlösung.
Ein Reiz von außen gibt den Impuls sich damit auseinander zu setzen. Eine gute Lösung löst ein Glücksgefühl aus: „Ich habe es geschafft“. Findet man keine Lösung, sucht man weiter, bis eine gefunden wird.
Jede gefundene Lösung erweitert das Blickfeld und bringt dadurch neue Impulse.

Diese Sichtweise aus dem rein Persönlichen ins Gesellschaftliche zu verlegen, ist mMn aber die Hauptursache, dass viele Lösungen unbefriedigend ausfallen. Probleme, die ein einzelner hat, weil er arbeitslos ist, werden nicht so einfach gelöst, wenn es arbeitsmarktfördernde Maßnahmen gibt. Da löst irgendwer ein Problem, das er selbst nicht hat und derjenige, der es hat, kann oder darf es nicht so lösen, wie es für ihn stimmig wäre.

Denn es gibt ja nicht einfach die homogene Gruppe der „Arbeitslosen“. So wie es keine einheitliche Gruppe der „Alleinerziehenden“ gibt, oder die Gruppe der „50+“. Doch mit den Lösungen für deren Probleme sollen die dann leben und das schafft zusätzliche Probleme.

Gerade dein Ansatz, den Begriff „Reiz“ statt „Problem“ zu verwenden, zeigt den Unterschied. Ein Reiz kann nur persönlich wahrgenommen werden. Aber der Handlungsspielraum zur Problemlösung wird durch allgemeingültige Richtlinien stark eingeschränkt. Der einzelne wird sogar oft daran gehindert, eigene Ideen zur Lösung beizutragen und dadurch auch des Glücksgefühls aus der Bewältigung seines Problems beraubt.

Eine Anmerkung: So wie alles, was Gemeinschaften oder Gesellschaft betrifft, ist die Betrachtungsweise des Einzelnen die Grundlage. Denn es gibt nur einzelne Menschen, die fühlen und denken und handeln, die wahrnehmen, was geschieht, die entscheiden was zu tun ist. „Die Gesellschaft“ als Handelnde und Entscheider gibt es nicht, das ist eine gedankliche Konstruktion, ein Überbegriff, der für Strukturmodelle und theoretische Erklärungen notwendig ist. Alle Theorien, die in Bezug auf „die Gesellschaft“ (auch wenn eine bestimmte Gruppierung definiert wird) aufgestellt werden, bleiben grau, wenn sie nicht auf die praktische Umsetzung bezogen werden.

Da ist der Einzelne vom Problem entfremdet, nicht bloß weil er etwas produziert, das er nicht braucht.


Deiner These „Das Glück ist nicht unsere Aufgabe“ kann ich insofern zustimmen, weil ich glaube, dass Glück etwas ist, das man nicht bewusst anstreben kann. Glück entsteht, wenn ein Problem gelöst wurde, welches auch immer.
Glückseligkeit und Freude, ein Wohlgefühl von Stimmigkeit und Vollständigkeit entstehen in dem kurzen Moment der völligen Abwesenheit von Problemen.

Der Tod, oder auch die Schönheit nur vor dem Hintergrund eines Problems, dienen mMn nur der Wahrnehmung: Ohne Licht kein Schatten, ohne Tod kein Leben, ohne Hässlichkeit keine Schönheit, ohne Problem kein Glück.

herzlich
lilith
 
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lilith51 schrieb:
Eine Anmerkung: So wie alles, was Gemeinschaften oder Gesellschaft betrifft, ist die Betrachtungsweise des Einzelnen die Grundlage. Denn es gibt nur einzelne Menschen, die fühlen und denken und handeln, die wahrnehmen, was geschieht, die entscheiden was zu tun ist. „Die Gesellschaft“ als Handelnde und Entscheider gibt es nicht, das ist eine gedankliche Konstruktion, ein Überbegriff, der für Strukturmodelle und theoretische Erklärungen notwendig ist. Alle Theorien, die in Bezug auf „die Gesellschaft“ (auch wenn eine bestimmte Gruppierung definiert wird) aufgestellt werden, bleiben grau, wenn sie nicht auf die praktische Umsetzung bezogen werden.

Hallo Lilith,
da bin ich natürlich andere Meinung. Siehe auch den Thread "Systemtheorie".
Aber konkreter gesprochen, ein Beispiel für ein Problem von Gesellschaft: Wenn zum Beispiel das Subsystem Politik durch das System Wirtschaft gestört wird durch Korruption. Wenn ich jetzt deiner Aufforderung folge, mir den Menschen anzuschauen, der geschmiert wird oder schmiert, dann komme ich genau zu einer Null-Aussage. Der Mensch ist schlecht, bestechlich, egoistisch usw. Aber daraus kann ich garnichts folgern. Wenn ich mir aber die Gesellschaftssysteme dazu anschaue, dann kann ich sinnvolle Aussagen über Ursachen des Problems machen, zum Beispiel Anfälligkeit von Politik, Clanwirtschaft, Gesetzeslücken usw. Das beruht nicht auf Eigenschaften von Individuen, sondern ist gesellschaftsstrukturell bedingt.
Bei meiner Sicht geht es nicht darum, gruppen homogen zu machen. In der Systemtgheorie ist Gesellschaft nicht als gruppe von Menschen definiert, sondern als sich selbt reproduzierendes System mit der Gurndoperation "Kommunikation". Gesellschaft ist demnach nicht die Menschen, sondern ihre Kommunikationen, inbes. Massenmedien, aber auch Alltagskommunikation. Nur Kommunikation kann auf Kommunikation antworten!

Das ist "kontraintuitiv" um mein neues Lieblingswort zu gebrauchen, aber wenn man sich damit beschäftigt ein sehr faszinierender Ansatz, der viele Erklärungsmodelle liefert.
Natürlich ist eine solche Gesellschaft eine gedankliche Konstruktion, aber bedenke: Das Individuum ist auch nichts als eine gedankliche Konstruktion (und coeur froid sieht an anderer Stelle schon die Auflösung des "Ich" kommen - aber vorher muss er noch mit aphex fertig werden) :lachen: :spei2:

Ein Beispiel wie ein Reiz von der Gesellschaft aufgenommen wird: Ein Ereignis passiert und soll von der Bild-Zeitung berichtet werden. Ein Schauspieler hat einen Reporter angeblich beschimpft. Dass der Reporter ein blöder Spaßvogel war und gar kein richtiger Journalist, interessiert die Bild-Zeitung nicht. Also dichtet sie: Tom Cruise beschimpft Reporter.
Glaubst du, diese Skandalierung mit dem Menschen begründen zu können, dem Bild-Journalisten, der zufällig den Job macht und diese Schlagzeile dichtet? Nein der Mensch spielt hier keine Rolle. Es geht um Funktion und Problem von Kommunikation (hier der Zeitung). Funktion (vorgeblich): Information geben. Problem (eigentlich): Auflage stärken, Skandal entfachen, Aufmerksamkeit für spätere Berichte sichern. Ob das der Bild-Reporter persönlich will, es vielleicht sogar in Wirklichkeit Mist findet, was er da macht, spielt keine Rolle. Erst war Kommunikation (Tom Cruise schimpft) und Kommunikation "antwortet" darauf (Schlagzeile: Tom Cruise beschimpft Reporter).
Vielleicht konnte ich es dir so näher bringen :)
 
Oja, ich verstehe was du meinst, natürlich funktioniert das so "in der Gesellschaft". Aber das alles dient doch mehr der Unterhaltung und der Erhaltung der Gesellschaft und ihrer Struktur (zu der auch die Wirtschaft gehört), aber nicht der individuellen Entwicklung des Menschen. Berufe und Funktionen sind Rollen, die wir zu spielen haben, wo wir Spielregeln einhalten sollen und wollen. Aber wir sprachen doch vorher von Problemen, die wir zu lösen haben um Erkenntnisse zu gewinnen.

Aber konkreter gesprochen, ein Beispiel für ein Problem von Gesellschaft: Wenn zum Beispiel das Subsystem Politik durch das System Wirtschaft gestört wird durch Korruption. Wenn ich jetzt deiner Aufforderung folge, mir den Menschen anzuschauen, der geschmiert wird oder schmiert, dann komme ich genau zu einer Null-Aussage. Der Mensch ist schlecht, bestechlich, egoistisch usw. Aber daraus kann ich garnichts folgern.
Ja genau, diese Art der Betrachtung habe ich gemeint, als ich sagte, so werden die Probleme eines einzelnen von jemanden gelöst, der dieses Problem nicht hat.
In deinem Beispiel geht es um gesellschaftliche Werte, die von einzelnen Mitgliedern dieser Gesellschaft nicht eingehalten werden, weil sich eine Verschiebung dieser Werte durch Tolerieren von Fehlverhalten eingeschlichen hat. Das geschieht, wenn für ein persönliches Problem (ein Ziel auf dem "richtigen" Weg zu erreichen funktioniert nicht) von einer übergeordneten privilegierten Gruppe (wer schmiert oder geschmiert wird, gehört einer solchen Gruppe an) ein Lösungsvorschlag gemacht wird, den der Einzelne nicht mehr selbst verantworten muss. "Das machen ja alle so".

Damit hat sich das individuelle Problem verschoben, der Einzelne kann sich abputzen, obwohl er sein Problem damit keinesfalls gelöst hat. Ich glaube auch nicht, dass er damit ein Glücksgefühl entwickeln kann, weil er ja weiß, dass es nicht ok ist und er auch irgendwann erwischt werden kann.

Den einzelnen Menschen zu betrachten heißt ja nicht, ihn mit einem Stempel "schlecht", "bestechlich" o.ä. zu versehen. Der Mensch könnte wirklich gesehen werden, mit seiner Verführbarkeit, seinem Neid, seiner Bedürftigkeit, seiner Machtgeilheit, seinem Geltungsbewusstsein, seinen finanziellen Nöten, seiner Einsamkeit und seiner Gier. Lauter menschliche Eigenschaften, die in fast allen von uns mehr oder weniger vorhanden sind. Und dort liegt auch die Ursache des Problems der Korruption.

Wenn ich mir aber die Gesellschaftssysteme dazu anschaue, dann kann ich sinnvolle Aussagen über Ursachen des Problems machen, zum Beispiel Anfälligkeit von Politik, Clanwirtschaft, Gesetzeslücken usw. Das beruht nicht auf Eigenschaften von Individuen, sondern ist gesellschaftsstrukturell bedingt.
Eh klar, du hast ganz recht. Aber die Gesellschaftsstruktur wird nun mal von Einzelmenschen gebildet.

Ich glaube nicht, dass wir uns etwas ersparen können, wenn wir die Problemlösung auf der gesellschaftlichen Ebene suchen, ohne auch die individuellen Probleme direkt mitzuberücksichtigen. Wir als Individuen sind immer mitbeteiligt, unsere subjektiven Probleme sind immer unser Motor, egal um welche übergeordneten Systeme und darin vorhandene Probleme es sich handelt.

Ursachen zu finden, indem Strukturen hinterfragt und untersucht werden, ist natürlich ein wichtiger Ansatz. Aber das allein genügt mMn nicht.

(Den Systemtheorie-Thread muss ich erst noch einmal lesen, das hab ich heute nicht mehr geschafft. Werde ich aber demnächst nachholen. Da hab ich sicher noch Informationsbedarf.)

herzlich
lilith
 
Liebe Lilith,

es wäre ja fast zu viel verlangt, den ganzen Systemtheorie-Thread zu lesen - bei über 70 Antworten!
Interessant aber, wie ich gestern beim Überfliegen feststellte, dass "unsere" Frage darin schon auftaucht, nämlich in Beitrag 44 von its_not_me:
Licht kann nicht direkt ins Gehirn dringen. (Und wenn doch, wäre es eine Katastrophe :-) Aber Licht kann das System reizen, irritieren, pertubieren. (System-)Geschlossenheit ist die Bedingung für Offenheit. (Schwanitz hat als Merkregel: Systeme brauchen Probleme.)

Das hat mich damls abr noch gar nicht so irritiert.
Ich will überigens das Individuum nicht ausklammern. Auf das Individuum bezogen lautet meine Frage von Interesse:
Wenn der Mensch Probleme braucht: Was hat diese Einsicht dann für Auswirkungen für seine Glückserwartungen, bzw. auf die Heilswerwartung der Gesellschaft?
 
_its_not_me_ schrieb:
Zufällig schaue ich vorbei, sehe den Threadtitel, denke an Schwanitz, will ihn zitieren... zu spät :-)

:lachen:

Hi, me!

Hätte dich aber nicht daran hindern müssen, dennoch deinen Senf hier zu hinterlassen. Kann ja nicht alles für dich übernehmen...;)
 
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