AW: Was wäre, wenn...
von Miriam:
Hängt Vieles von dem was du analysierst nicht auch mit Kontrollverlust zusammen? Diese ewige Kontrolle die wir fast schon automatisch einschalten und die zum Teil unsere Wahrnehmung negativ beeinflusst.
Hallo Miriam.
Leider gibt das ICH die Kontrolle nicht freiwillig ab. Seine Schutzmechanismen wirken nicht nur als Schutz gegen äußere Angriffe oder als Rückhaltemechanismen von Impulsen, sondern es wehrt sich auch dagegen, dass man es nicht mehr braucht. (Leider ist es ja auch nicht wirklich existent, es ist m.E. eine Fiktion des Denkens. Vielleicht auch deshalb muss es sich ständig an Formen und Namen (Bauwerke, Titel, Geld...) erleben.)
Fühlt sich der Mensch im Leben geborgen, nicht nur anfangs im Mutterleib (im Fruchtwasser, im Meer, im ganzen), und bedingen es die Umstände, dass sich sein ICH so entwickeln kann, dass es auch später im Leben noch ein Grundgefühl des Aufgehobenseins spürt, wird es leichter zurücktreten können, als bei Menschen, denen diese Ur-Sicherheit verlorenging. Die Unsicherheit, in der Welt ausgesetzt zu sein, sollte vermutlich von uns mehr oder weniger gebeutelten Menschen irgendwie ausgehalten werden können und ins Leben eingebaut werden.
Wenn eine Landschaft voller Ungewissem vor mir liegt, kann ich die Schultern heben, den Kopf einziehen und in gestrecktem Galopp da durch rennen. Angst. Ich seh dabei aber nicht viel (selektive Wahrnehmung) ...und wenn diese Landschaft nun mal das einzige ist, was da ist, dann wäre es doch schade drum, sie nicht zu bemerken und sich Zeit für sie zu nehmen. Das was die Weisen immer so unklar als Liebe bezeichnen, ist m.E. nichts anderes, alsdass man das Ungewisse „herein“ lässt.
Sich auch beeinflussen lässt, ohne Gegenmaßnahmen. Wenn der von mir nicht ohne Kritik geschätzte Sai Baba sagt „ich bin Liebe“, meint er m.E. dass er die Unsicherheit soweit in sich eindringen lässt, sich dem Leben ergibt, dass er in gewisser Weise handelt, ohne einzugreifen (siehe Laotse). Nun fragen wir uns natürlich, wo dann unsere Individualität unser Wille unser besonderes bleibt, wenn wir uns völlig dem Leben öffnen (Liebe) und mit der Welt verbinden würden, den Speicher, auch den des kollektiven Unbewussten löschen würden. Darauf hab ich keine Antwort. Ich will beides.
Wie man aber dem ICH klarmacht, dass es sich hin und wieder zurückziehen kann, das ist wohl ein Kapitel für sich. Ein schweres. Eins, wo ich von jeglicher Gewalt (du musst, ich muss) abstand nehmen mag. Ich möchte das Unbewusste durch das Bewusste ersetzen lassen, die Nacht durch den Tag, indem ich aufwache, wie an einem Morgen, an dem ich ausschlafen kann. Klingt bestimmt komisch. Ich bleibe so lange in meinen kuscheligen Kissen, bis ich von selber, gern und ganz beschwingt aufstehen mag. Und manchmal bleib ich lange liegen, manchmal steh ich auch 4.30 auf. Bin ein unberechenbarer Faulpelz. Vielleicht sollten wir das dem anderen auch gönnen, auch im Hinblick auf sein Bewusstwerden.
Ich behaupte, es hat für jeden Menschen einen gewissen Reiz, diese Kontrolle hin und wieder aufgeben zu können. Nicht nur beim Sex oder auf dem Rummel oder beim Einschlafen, oder als Beifahrer *lächel * . Wir kennen tausend Formen davon, wobei ich es für sinnvoll halte, die Kontrolle nicht einer Person, einer Idee, einem Ziel, einem Gott usw. zu überlassen, sondern dem Leben als Ansammlung von Unsicherheiten. Vielleicht experimentierst du, liebe pappelne Freundin, einfach mal ein bisschen mehr mit diesem „sich dem Leben hingeben“. Ich bin da auch erst vollkommen am Anfang.
Die Liebe der Eltern zu ihren Kindern sehe ich als einziges, was dieses Ur-Vertrauen aus dem Mutterleib noch ein Stückchen weitertragen kann. Ich sehe es als einziges, was ich als Vater einem Kind mitgeben könnte...wenigstens versuchen könnte.
Ein sehr beglückendes Erlebnis - nur habe ich es auch erlebt, dass die Rückeroberung der Kontrolle mit Aggressivität gepaart stattfindet. Man(n) nimmt sich zurück quasi mit Gewalt.
Ich kann nur vermuten, dass das so ähnlich wie in einem Traum ist, wo man an einer bestimmten Stelle aufwachen will. Ich weiß nicht, ob du das kennst. In solchen Momenten greift das ICH ein. Wahrscheinlich ist es sinnvoll, den bewussten Teil des ICHs soweit zu vergrößern, dass es von sich aus, nur dann wirklich eingreift, wenn es unterstützend gebraucht wird. Nicht dominierend! . Wenn ich den ganzen Tag grüble und mir Sorgen mache, behindert mich das irgendwann. Ich dreh mich im Kreis. Gedankenspiralen. Und ähnlich sehe ich es bei der Wahrnehmung. Wahrscheinlich braucht das Denken immer wieder neue Impulse, um wirklich zu denken, nachzudenken. Andererseits scheint es eine Schallplatte.
Und indem das Denken sich mittels dieser öffnenden Einstellung der Unsicherheit annimmt, neues spielerisch aufnimmt, kann es auf Gegenwärtiges auch erst adäquat reagieren und dem (selbständig ablaufenden und unwillkürlichen!) natürlichen Wachstum von Leben nicht entgegenstehen.
Wenn das Denken das begreift,
vielleicht behindert es sein wachsen weniger, indem es seine Wahrnehmung weniger behindert.
Sich auch der Wahrnehmung mal überlässt.
So, ich mus jetzt langsam mal an den Herd.

Schönen Abend.
Bernd