AW: Reflexion oder Projektion?
Reflexion oder Projektion?
Meinem "Gefühl" nach, sind Reflexionen sind augenblickliche
Erl(g)ebnisse von Projektionen (und deren deren Nachwirkungen).
Ich denke, es ist eher umgekehrt.
Wir strahlen Signale aus, die andere wahrnehmen.
Aber vor dem dran steht unsere Sichtweise,
die uns auf ganz bestimmte, persönliche Art schauen lässt.
Wir bringen jede Menge Voreinstellungen mit,
die unsere Sinne so ausrichten, wie sie dann wahrnehmen.
Das steht noch vor allem anderen.
So, wie wir draufschauen, leuchtet unser Blick aus.
Und spiegelt entsprechend zurück -
angereichert durch das, was sich uns zeigt.
Danach bildet sich die Vorstellung.
Und daraus die Projektion.
Ich erlebe das dieser Zeit sehr intensiv
sowohl mich wie andere betreffend.
Und dabei prallen zwei sehr unterschiedliche Wahrnehmungswelten aufeinander.
Ich lebte lange Zeit sehr zurückgezogen.
Und habe in dieser Zeit sehr vieles durchdacht.
Natürlich auf dem Hintergrund meines Werdegangs und Seins.
Ich stimme der dissidentin zu:
Man kann nur im eigenen Rahmen denken.
Viele Themen, die anderen am Herzen liegen,
sind für mich weniger Diskussions-
als hausinterne Reflexionsanlässe.
Ich betrachte sie sehr distanziert.
Natürlich betreffen mich einige sehr akut.
Aber irgendwas in mir sagt mal um mal:
Die Menschen sind wie sie sind.
Sie tun das, was sie für richtig halten.
Und es steht mir nicht zu, über sie zu urteilen,
nur weil es mich betrifft.
Das Gegenteil zu tun empfand ich immer als sehr inkonsequent.
Dieser Tage war ich viel unterwegs.
Und hab sehr viel gesehen.
Ja, auch sehr viel Schönes erlebt -
das ich erst jetzt, da ich hier ins Forum schaute,
mit Dreck beworfen sehe.
Was mich mehr überrascht als entsetzt.
Weil ich nicht nachvollziehen kann,
wie Menschen so denken und handeln können,
wie sie es offenbar tun.
Es ist mir völlig schleierhaft,
wie jemand Lebenszeit damit verplempern kann,
sich an ausländerfeindlichem Gedankenmüll hochzuziehen.
Die Frage nach Juden und Nationalitäten
stellt sich mir gar nicht.
Ich sehe überall Menschen.
Leider nicht eben wenige, die sich sehr viel Mühe geben,
ihr Menschsein zu verleugnen.
Da können einem schon mal Zweifel daran kommen,
dass der Mensch grundsätzlich Ebenbild Gottes ist.
Es fällt mir schwer, auf Themen einzugehen,
die ich selbst als bizarres Theater empfinde.
Was soll man denn dazu sagen,
wenn jemand es für nötig hält,
sich in Vorurteile zu verrennen?
Ihn aufklären? Womöglich noch in seinem Sinn?
So wie früher belegen müssen,
dass man arisch genug für was auch immer ist?
Oder so tun, als sei man tatsächlich jüdisch
und darum heldenhaft verpflichtet,
Stellung zu Antisemitismus zu beziehen?
Ich tu weder das eine, noch das andere.
Denn ich empfände es als würdelos,
auf solches Niveau einzugehen.
Meine Projektion nach erfolgter Reflexion
sah also bislang so aus:
Nur das soll sich abzeichnen, was mir wichtig ist.
Also mir selbst - nach durchdachtem Prozess.
Oder auch mal grade aktuellem solchen.
Was ich dabei übersehen habe:
Bei einer Schattenprojektion spielen
auch die umgebenden Flächen eine Rolle.
(Entsteht eine Form durch die Linien,
die sie zeichnen oder durch die, welche sie umgeben.
Beides. Ähnlich wie Licht Partikel
und Welle ist.)
Ich weiß nicht, wodurch Hass entsteht.
Stelle es mir aber furchtbar vor.
Ich weiß auch nicht, was Menschen bewegt,
das Leben anderer kontrollieren zu wollen -
ganz so, als hätten sie nicht genug
mit eigenem Dasein zu tun.
Für einen Freygeist ist das eine undenkbare Haltung.
Wird er intensiv mit dieser konfrontiert,
steht er in erster Linie vor einem mächtigen Denkproblem.
Ich mein, einfach zurückschießen kann jeder.
Aber ich steh nicht auf sowas.
Ich will Frieden, nicht mich auf solche Machtspielchen einlassen.
Ich sah mir die Links zu den jüdischen Kabarettisten an.
Und staunte nicht schlecht,
als ich vom jüngeren genau das Argument hörte,
das ich auch gern anführe:
Ich bin Jude - ich darf das sagen.
Ich bin keine Jüdin, auch sonst niemand in der Familie.
Dafür haben die Nazis gesorgt.
Nur der Name blieb erhalten.
War vor Jahren - kurz nach der Grenzöffnung -
für einige sehr engreflektierende,
dafür um so stärker projezierende Zeitgenossen Grund,
uns gelben Stern ans Haus zu sprühen.
Leute, mit denen mich nichts verband,
als ihre Vorstellung von mir,
stülpten mir genau die über den Kopf.
Ziemlich beängstigend, wenn man sowas erlebt -
der Stern als Verkünder drohender Katastrophe.
Gegen die man nicht wirklich viel tun kann,
sofern sie beabsichtigt ist.
Türlich kann man aufpassen lernen.
In jedem einzelnen Moment des Tages und der Nacht.
Ziemlich sicherer Weg in die Psychose.
In eigene und solcher der Familie.
Man kann sein Kind mit der Angst vergiften,
bis die ihm in Fleisch und Blut übergeht
und es sich seinerseits entsprechende Feindbilder aufbaut.
Man kann den Stern auch diskret überpinseln
und so tun, als hätte es ihn nie gegeben.
Diesen Weg schlugen damals erschrockene Nachbarn vor.
Sie wollten uns nicht derart gezeichnet sehen,
ebensowenig jeden Tag vor Augen haben,
dass irgendwer aber genau das getan hatte.
Ich wählte nach reiflichem Überlegen anderen Weg:
Der Stern blieb, wo er war.
Und diente in den Jahren danach als Wegweiser
für neue Besucher. Running Gag - für alle.
Ich habe das Thema nie problematisiert,
allenfalls mal die Stern-Anekdote erzählt.
Erstens reicht das sensiblen Menschen als Impuls,
zweitens ändern Jammern und Schuldzuweisung nichts.
Nicht dort, wo genau das erwartet wird jedenfalls.
Im eigenen Ich ändert es dafür umso mehr.
Nicht zum Besseren.
Ich weiß, dass es Menschen gibt,
die sich wider alle Vernunft sperren.
Und auch, dass einige mich dazu zählen.
Aber ich sehe nicht, dass jene, die sich um mich sorgen,
(ohne etwas zu unternehmen),
in eigenen Belangen besser gefahren sind.
Und die, die Kontrolle und Gewalt befürworten -
die sind doch mit sich selbst eh gestraft genug.
Was ist denn das für ein Leben,
das sich selbst verkauft?
Soll ich sie dafür auch noch schlagen?
Wäre ich Freyfrau, wenn ich mich so nötigen ließe?
Wehren muss ich mich trotzdem.
Denn es geht um mein Wohlbefinden.
Und wichtiger noch um das meiner Familie.
Und ganz nebenbei auch darum,
langjähriges Schweigen zu brechen.
Ich hab keine Lust mehr,
auf immer dieselbe Art zu Reflektieren
und in der Folge zu Projezieren.
So wenig, wie ich Lust habe,
auf dumpf emotionaler Ebene zu reagieren.
Also werde ich reden - über das, was ich weiß.
In der Hoffnung, dass das Netz,
welches sich dadurch gemeinsam mit anderen bildet,
mehr als nur mich tragen wird.
Soweit erstmal.