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Kreuzfahrt: "Frauen sind, was sie sind. Männer...

AW: Kreuzfahrt: "Frauen sind, was sie sind. Männer...

Hmm Corsario. Praxisbeispiele werden in jedem der Texte angeführt, um die Menschen auf die Texte aufmerksam zu machen, stellen die Leser dann jedoch in ihrem entfachten Eifer die Frage der Praxisrelevanz und werfen Detailfragen auf, wird auf „den geeigneten Ort“ verwiesen oder bei Zweifelfragen wird darauf verwiesen, den Text noch genauer zu lesen.

Hmm, mir ist ganz schwindlig. Immerzu hetze ich herum?

Viele Grüße vom schmollenden
Bernd

PS: Meine Zweifel an diesen Ableitungen kommt daher, weil nur irgendwo ein Mammut mit Baströckchen ausgebuddelt werden muss oder eine alte Waschmaschine in Zentralasien, wos doch zu der Zeit nur Reibbretter hätte geben dürfen...und schon verschieben sich die Tatsachen, von denen wir unsere Wahrheiten ableitet, wieder um 6000 Jahre und am Ende des Tages war doch die Papyrusrolle vor den Wikingern in Mittelasien, sodass die Zelluloidsandalen nicht während, sondern nach der letzten Eiszeit gefertigt wurden und es doch keine Hullatänze ostindischer Baströckchen-Mammuths zu Ehren der Totemfeier Shivas gab, sondern sich rausstellt, dass Mammuths ihre Baströckchen im Kondext einer verdrängten Mutter-Kind-Beziehung als Symbol einer erstarkten patriarchalen Entitätsproblematik verwendeten. Und dann ändern wir einfach unsere Texte und das ist dann wahr.

Relevant für mich ist, dass wir heute unser Zusammenleben nach heutigem Erkennen und Mitgefühl einrichten. Eine Theorie über die Vergangenheit errichtet immer wieder nur eine neue Schablone, bei der die Menschen merken, dass sie da nicht rein passen... und sich damit unvollkommen und schuldig fühlen. Ganz unbedenklich finde ich deine Worte deshalb nicht, weil die Menschen heute auf diese Deutungen abfahren, sie mögen das im Moment. Und ein gewisses Öl kann man nicht verleugnen, was da ins Feuer kommen soll, hmm?

Das Hauen und Stechen zwischen den Geschlechtern, der ganze Vorbild- und Rollenunsinn, die vermeintlichen Entwicklungsdefizite, alles was die immer neuen revolutionären Pädagogen den Kindern immer wieder nach einer neuen Mode ins Gehirn drücken....der ist m.E. nicht Teil der Lösung, sondern erschafft das Problem. Und das hat m.E. schon Praxisrelevanz, wenn man zulassen mag, welche Wirkung ein unzufrieden gemacht und gehaltener Mensch auf die Gesellschaft hat.
 
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Der Mann am Herd, oder Die Domestikation des Männlichen

:schaukel: Gute zwei Millionen Jahre lang haben unsere steinzeitlichen Vorfahren in einem ökologischen Gleichgewicht mit ihrer Umwelt zugebracht. Sie haben gejagt und gesammelt, die Anzahl der Menschen war begrenzt durch das vorhandene Angebot an Lebensmitteln. War ein Landstrich abgeweidet, zog man weiter - von einer Nische zur andern. Manchmal geschah eine Katastrophe, bei der eine ganze Population zugrunde gehen mochte. Aber die war unvorhersehbar, man konnte nicht vorsorgen. Wie auch? Viel Vorrat konnten sie auf ihren Wanderungen nicht tragen; und wie sollten sie ihn haltbar machen? Gelegentliche Überschüsse mussten vergeudet werden, im Fest. Der Überfluß war ebenso unvorhersehbar wie die Not.

Denn beide waren Ausnahmen, die die Regel bestätigen: das ökologische Gleichgewicht. Unsere Vorfahren darbten nicht stets am Rande des Untergangs. Sonst hätten sie sich nicht von Ostafrika aus über die ganze Welt verbreiten können. Und nicht in steter Sorge: sonst hätten sie kaum die Muße gehabt, uns jene prachtvollen Zeugnisse ihres künstlerischen Genies zu hinterlassen, die wir in den Höhlen der Dordogne und der kantabrischen Berge bewundern.

Bleiben oder wandern, das war die einzige Alternative. Mehr gab es nicht vorzusehen. Mit dem Übergang zum Getreidebau und der Sesshaftigkeit änderte sich das. Das war die „neolithische Revolution“, nach der Erfindung des aufrechten Ganges die zweite dramatische, nämlich selbstgemachte Wendung in unserer Gattungsgeschichte. Sie begann vor etwa zwölftausend Jahren bei Jericho im Tal des Jordan. Von nun an gab es einen regelmäßigen Überschuss - auf den man zählen konnte und mit dem man rechnen musste. Denn dieser Überschuss war haltbar: Man kann ihn akkumulieren. Wozu er dienen soll, muss und darf nicht der unmittelbaren Notdurft überlassen bleiben. Getreide ist seiner natürlichen Beschaffenheit nach nicht nur haltbar, sondern vor allem auch unendlich teilbar. Würde er sogleich verteilt, wird er verzehrt und vergeudet. Es muss aber ein Vorrat angelegt werden für die Zeit bis zur neuen Ernte. Doch was „notwendig“ ist, lässt sich nun nicht mehr mit bloßem Augenschein ermessen. Man muss es errechnen. Aus der Sorge wird Vorsorge. Man braucht einen Plan.

Um zu planen, muss man messen. Muß man kombinieren und schlussfolgern. Logik ist die Ökonomik des Vorstellens. Die Welt ‚ist’ nur, wenn sie gedacht wird. Aber eine logisch konstruierte Welt ist beinahe keine mehr: sondern eine selbstgezimmerte Umwelt mit mondänem Blendgiebel. Die Welt ist vor allem offener Raum. Jene planvolle Unter-Welt oder Über-Nische ist - vor allem andern - knappe Zeit. Denn ab jetzt regiert die Arbeit.

Die grundsätzliche Möglichkeit der Ertragssteigerung setzt das natürliche Gleichgewicht zwischen Nahrungsangebot und Bevölkerungsentwicklung außer Kraft. Die Population kann jetzt ständig wachsen - und so wird die Überbevölkerung endemisch. Jede Missernte und jede äußere Störung macht deutlich, welcher Teil des Volks „weniger wert“ und zur Not entbehrlich ist. Seit die Entscheidung über den Plan von einem Volksteil monopolisiert wird, gibt es eine überschüssige Bevölkerung - der andre Teil! Der Übergang zum Ackerbau ist der Anfang der Politik und der Beginn der Klassengesellschaft. Der Kampf um die Verteilung wird zum Angelpunkt der Condition humaine. Aus der Wirtschaft entspringt die Sorge. Durch das Wirtschaften wird Notdurft zum ‚Gattungswesen’ des Menschen.

Tätige Sorge ist Arbeit. Sie ist das universelle Mittel, die Notdurft zu befriedigen. Nicht Risiko, sondern Befriedigung heißt seither das Entwicklungsgesetz. Was jedermanns und jederfraus Eigenstes ist: ihr Bedürfnis, wird durch Zirkulation zum Spezifikum von Allen generalisiert. Zur Notdurft-an-sich tritt Befriedigung-an-sich: der „Wert“ der Nationalökonomen. Was eine Sache wert ist, misst sich daran, wieviel Arbeit es braucht, um sie zu beschaffen. An diesem Maßstab kann alles miteinander verglichen und gegeneinander getauscht werden. Die Verteilung der Arbeit auf die Bedürfnisse durch den Austausch von Waren wird zum Normalzustand des Homo sapiens. Ihr letztes Wort war die Große Industrie des 19. und 20. Jahrhunderts.

Ausgezeichneter Ort der Sorge und Vorsorge ist der Haushalt - gr. 'oikos', lat. 'familia'. Er ist aber eben eine Nische höherer Ordnung, eine, die Kraft und Ingenium erheischt, denn sie will eingerichtet und ausgebaut sein. Und das Gleichgewicht in ihrem Innern ist nicht ökologisch vorgegeben, sondern wird erst durch Politik jedesmal neu austariert. Im Großen wie im Kleinen: „Die Familie ist die Keimzelle der Gesellschaft“ heißt nichts anderes als dass sich ‚die Gesellschaft’ selber als Ein Großer Haushalt vorkommt. Denn Notdurft ist ihre Klammer, Einsicht in die Notwendigkeit lautet ihre Moral. Und Politische Ökonomie heißt ihre Gesetzestafel. Aus der Welt ist der Mensch in eine Nische zurückgekehrt, die er sich selbst gemauert hat.

*

Dass es der Gattung Homo überhaupt gelang, die Energien der männlichen Population für Ernährung und Aufzucht der Nachkommen zu erschließen, war ein großer Selektionsvorsprung gegenüber konkurrierenden Arten. Indem dabei die spezifisch männliche Tätigkeit - die Jagd - zugleich die elementare Lebensweise prägte - die Vaganz -, wurde die Familie Homo zur gewissermaßen männlichsten unter den Lebewesen.

Mit der Sesshaftigkeit trat der weibliche Arbeitstyp, Sammeln und Hackbau, in den Vordergrund: Das lateinische 'cultura' bedeutet ursprünglich Ackerbau und kommt von 'collere', sammeln. Der Ackerbau ist - anders als der Hackbau, aber wie die Jagd - körperliche Schwerarbeit. Er wird Männersache. Er verlangt aber auch - wie der Hackbau, anders als die Jagd - Gleichmut und Ausdauer. Der Mann richtet sich nach der Frau.

Symbolisch ist die Zähmung des Feuers. Zunächst ist das Feuer, quer durch die Kulturen, ein Symbol des Männlichen, es steht für seine Kraft und Gefährlichkeit. Aber gerade darum gehört es in sichere Hände. Der Mann entzündet es, aber die Frau hat es in ihrer Hut. Auch das ändert sich mit der Sesshaftigkeit. Aus der Nutzbarmachung des Feuers entstehen die ersten Berufe - Ofensetzer, Metallurge, Schmied; Männer, die an den heimischen Herd gebunden sind. Das Schmelzen von Kupfererz dürfte als Nebenprodukt beim Glasieren von Keramik entdeckt worden sein. Neugier, Spieltrieb und Erfindungsgeist - dienstbar gemacht für den Innenausbau der Nische. Der Mann am Herd ist das Sinnbild der kommenden Jahrtausende: Homo faber. Er symbolisiert die Einvernahme des Mutwillens durch die Sorge.

Doch Schmiede waren nur die wenigsten. Alle andern waren Bauern und taten mehr oder weniger dasselbe - Ackerbau und häusliches Handwerk. Bis sich die Gesellschaft in Herren und Knechte schied. Dazwischen liegt die Erfindung des Krieges. Auch die Wanderer kannten neben der Jagd schon den Raub. Doch erst die Bauern führen Krieg - seit sie einen Boden zu verteidigen haben: ihre Nische, den Haushalt, den Herd. Und den Krieg führen sie typischerweise gegen die Nomadenstämme - jene Volksgruppen, die die Sesshaftigkeit hochmütig verschmähten und jagend hinter den wilden Tieren herzogen, bis sie zu deren Hirten wurden. Das sind die Herrenvölker - selbst Jahwe zog den Hirten Abel dem Bauern Kain vor.

Die Herren verschmähen die behäbige Lebensart der Bauern, aber ihre Ernten verschmähen sie nicht, und regelmäßig erscheinen sie unter den Mauern, um zu plündern - von Jericho bis Samarkand und Timbuktu. Dem Ansturm der Herren von außen stellen sich die Herren im Innern entgegen. Aus der Kaste spezialisierter Krieger bildet sich, im Bündnis mit den Priesterinnen der Großen Mutter, eine herrschende Klasse. Das sind Herren im Dienste der Frauen. Sie herrschen, aber sozusagen nur "in Kommission". (Das ist der wahre Kern von Bachofens ‚Matriarchat’.)

Und die große Masse sinkt herab zu Fronbauern am Nil, zu Staatssklaven an Euphrat und Tigris. Wo ist das mutwillige Element geblieben, das die Bildung der Gattung Homo einmal hervorgerufen hatte, wo die Freiheit? In der Arbeitsgesellschaft sind die Gelegenheiten, nein zu sagen, ungleich verteilt. Wählen kann der Herr, aber der muss nicht arbeiten. Das Los des werktätigen Knechts ist Sorge. Der wählt nicht frei zwischen den Möglichkeiten, sondern wägt ab zwischen mehr oder weniger Notwendigem. Das Gefühl, gezwungen zu sein, wird er nicht los.

Und wenn er glaubt, anderswo besser dran zu sein, halten ihn Weib und Kinder an der Scholle fest - wenn er eine eigne Scholle hat! Dann bleibt ihm die Hoffnung, durch Mehrarbeit und vorsorgliche Planung einen Überschuss wenn nicht heute, dann vielleicht morgen zu erzielen und auch ein Stücklein Freiheit zu ergattern. Und so jedes Jahr aufs neu. Er ist gar kein faber, sondern ein Haushälter: Homo oeconomicus. Der verhäuslichte, mit Konrad Lorenz zu reden: der verhausschweinte Mann.

Die Vollendung der Arbeitsgesellschaft zur großen Industrie war kein Naturvorgang. Es war ein dramatischer Prozess mit Brüchen und Sprüngen, durch die jeweils das männliche Element wieder freigelassen wird und sich zu neuen Typen stilisiert. Immer nur eine kleine Vorhut aus der großen Masse der Homini oeconomici, aber ein Ferment, das neue Wirklichkeiten schafft. So tritt während der germanischen Wanderungen aus den Trümmern der Sklavenhaltergesellschaft der Fahrende Ritter. Aber schon bald setzt er sich auf der Scholle fest und hält Hof. Die „Idiotie des Landlebens“ (Marx) holt ihn ein. Der Mutwille, das Handeln fristet ein Nischendasein - beim Krämer zwischen den Stadtmauern, beim reisenden Kaufmann zwischen den Städten.

Damit er in Gestalt des Unternehmers noch einmal ganz nach vorn treten konnte, brauchte es nicht weniger als die industrielle Revolution - die zugleich die breite Masse der Ackerleute aus ihren Nischen jagt und ins Elend der Lohnarbeit „frei setzt“. Im selben Maß, wie sich dann der Proletarier zum Angestellten zurichtet, verhäuslicht der Unternehmer zum Manager - Funktionär und Verwalter des Kapitals. „Die Sicherheit ist der höchste soziale Begriff der bürgerlichen Gesellschaft“, ahnte Marx. Die ehedem Weite Welt als Bedürfnisbefriedigungsanstalt, die Große Industrie ganz ohne Unternehmer, der Große Plan ganz ohne Freiheit: das war dann der realexistierende Wie-hieß-er-doch-gleich, die feudalbürokratische Hyper-Nische. Sie ist untergegangen wie Ninive und Babylon.

Welche die männlichsten Männer sind, haben durch Zuchtwahl noch immer die Frauen bestimmt, und der domestizierte Mann lässt sich’s gefallen. Der Mutwille konnte durch all die Jahrtausende nur an den Rändern überleben. Als Kondottiere und Konquistador, als Seefahrer, Pirat und Entdecker; als Erfinder, Spinner und Philosoph, und schließlich als Künstler und Revolutionär. All diese Ausreißer und Grenzgänger der Arbeitsgesellschaft müssten sich rechtfertigen, und das könnten sie nur durch den Erfolg; der ist aber den wenigsten vergönnt.

>>>folgt: Öffentlichkeit - eine männliche Dimension
 
AW: Kreuzfahrt: "Frauen sind, was sie sind. Männer...

Du meinst Leute, die ein "Denkforum / Philosophie allgemein" anklicken? Ja, ich denke schon.
Für Dich habe ich eine extra Quasselecke eingerichtet. Du bist nicht allein.
 
AW: Der Mann am Herd, oder Die Domestikation des Männlichen

Sag mal, glaubst Du, dass den sich irgendwer reinziehen wird?
Ich setze Dich mal auf die [Ignore-Liste

Eine interessante Stilblüte, die sich hier aufzublühen gedenkt.

Nicht nur, daß du dich abfällig über mich, der ich diesen Text sehr wohl mir "reingezogen" habe, äußerst, vielmehr ist es schon seltsam anmutend zu lesen, wie du eher zum Ignorieren aufzurufen scheinst, denn ihn einfach nur stillschweigend zu ignorieren.

Ignorieren setzt... ignorieren voraus. Du rufst zur Beachtung zwecks Ignorierens, bzw. möchtest du, daß deine Ignoranz Beachtung findet.

Ich habe hier schon manchen, wie du es nennst, Erguss gelesen. Dieser reiht sich lediglich in eine lange Reihe ein.
 
AW: Kreuzfahrt: "Frauen sind, was sie sind. Männer...

Na darum geht's doch beim Quasseln: dass Ignoranz Beachtung findet! Daher ja auch der Name: "Denkforum / Philosophie allgemein"...
 
AW: Kreuzfahrt: "Frauen sind, was sie sind. Männer...

All dem entgegen steht der Augenschein einer männlichen Vorherrschaft überall dort, wo Öffentlichkeit herrscht. Das kann auch gar nicht überraschen: Öffentlichkeit ist eine „welt-hafte“, mundane Dimension im Innern der selbstgezimmerten Nische Arbeitsgesellschaft. Sie ist gewissermaßen „das Außen nach innen gekehrt“. Ist sie eine männliche Erfindung? Jedenfalls konnte es nicht ausbleiben, daß sich Männer dort stets wohler gefühlt haben als die Frauen.

Allerdings ist die Öffentlichkeit erst ein Produkt der letzten zwei, dreihundert Jahre - mit der bürgerlichen Gesellschaft. Sie ist nicht zu verwechseln mit der politischen Macht. Die ist vor vielen tausend Jahren entstanden mit den Priesterköniginnen im Zeichen der Großen Mutter. Dabei ist semantische Vorsicht geboten. Politisch ist Herrschaft immer, wenn sie Macht von wenigen über die Vielen (polys) ist. Aber darum ist sie noch nicht öffentlich; das ist sie erst, wenn die Vielen selber untereinander in Verbindung stehen; denn dann kann die Idee aufkommen, daß die Wenigen sich zu rechtfertigen hätten. Politische Herrschaft wird erst unter der Prämisse des Repräsentativstaats "öffentlich". Zu feudalen Zeiten haben die Familien der Großen die politische Macht wie ihre Privatsache behandelt - im Krieg, der von Männern durchgeführt, aber nicht nur von ihnen geführt wurde.

Entstanden ist Öffentlichkeit als Exklave an den Rändern der Kunstnischen. In Gesellschaften auf der Stufe einfacher Reproduktion sind die „getrennten Hauswirtschaften“ (Marx-Engels) die ökonomischen Grundgegebenheiten. Arbeitsteilung gibt es nur im Innern. Die Macht liegt im Haus. Und ob die Männer dort mächtiger sind als die Frauen, ist eine heikle Frage - weil keiner sagen kann, worauf sie sich bezieht. Im Haushalt wiegt die Scheidung zwischen den Generationen schwerer als die zwischen den Geschlechtern, selbst im antiken Rom, wo die Mater familias politisch überhaupt keine Rechte hatte - wohl aber kultisch, was im Alltag der vom Politischen ausgeschlossenen Masse viel wichtiger war.

Im alten Europa besteht (selbst in den Städten) zwischen den Haushalten so wenig Kontakt wie in Asien zwischen den Dorfgemeinschaften - nämlich nur zufällig, beim Verprassen der Überschüsse, beim Spiel, beim Kult, beim Fest. ‚Das Politische’ greift nur gelegentlich ins Leben ein, als Krieg und Plünderung (und danach als Steuer). Doch nicht immer werden Überschüsse verpraßt. Manchmal tauscht man, was man übrig hat, gegen das, was der andere übrig hat. Das kann man ritualisieren. Dabei waren Männer aktiver. Wenn dann zum Zweck dieses Austauschs produziert wird, entsteht Arbeitsteilung zwischen den Haushalten, und die Männer gewinnen gesellschaftliche Macht - weil so Gesellschaft erst entsteht.

Der Handel schafft Öffentlichkeit - und durch verallgemeinerte Arbeitsteilung eine erweiterte Reproduktion. Die Frauen bleiben bei Kindern, Küche, Kirche. Solange sie sich's leisten können: Denn mit der großen Industrie verlagert sich der wirtschaftliche Elementarprozeß nach außen, in den Markt, und die Öffentlichkeit greift in die Haushalte ein: Arbeit wird Lohnarbeit. Die Proletarierfrauen geraten in den Sog einer Arbeitsteilung, auf die sie gern verzichtet hätten. Gegenüber von Proletariern und Proletarierinnen stehen jetzt freilich fast nur Männer. Daß das Sprachgebaren des modernen Feminismus so reichlich aus dem Wortschatz des proletarischen Klassenkampfs schöpft, hat hier seine Ursache.

Aber keinen Grund. Mit der Öffentlichkeit hatten die Männer bei Spielen, Kult und Festen ‚die Welt’ in ihr sorglich gemauertes Loch zurückgeholt. In der Öffentlichkeit hatten sie sich eine mundane Art von Reife anerfunden. Der öffentliche Mann, der Welt-Bürger, ist der Erwachsene. Die große Masse wurde es nicht als Unternehmer, sondern als Lohnarbeiter, das ist wahr, aber besser so als gar nicht. Dies war die größte zivilisatorische Leistung der bürgerlichen Gesellschaft: die Schaffung eines offenen Raumes, zu dem prinzipiell Jeder Zutritt hat. Er ist aber ungewiß und fraglich - weil jeder dort vor jedem andern bestehen muß, denn sein Medium ist (wechselseitige) Anerkennung, und die ist problematisch. Sie versteht sich nicht von selbst, man muß sie rechtfertigen. Dort muß er, anders als in den agrarischen Umwelten, wo Blut und Boden gelten, etwas tun, um wer zu sein - konkurrierend. In der Öffentlichkeit gilt Keines an und für sich, sondern Alle nur vermittelt durch einander.

Und seither ist das Politische öffentlich schlechthin. Anerkennung findet es nur durch seine Leistung. Die bürgerliche Welt verdoppelt einen Jeden zu einer privaten und einer öffent-lichen Person. Aber er ist das eine als das andere: Ob er sich öffentlich hat rechtfertigen können, macht gerade auch privat den entscheidenden Unterschied. (Man erkennt es an der Hinterlassenschaft der DDR. In einer Kultur, wo keine Öffentlichkeit war, wuchsen Men-schen auf, die nicht meinten, sich rechtfertigen zu sollen.) Die Verdoppelung hat ihm eine kritische Instanz selber eingebaut - "forum" internum. Das ist es, was ihn erwachsen macht. Und es ist die sachliche Bedingung politischer Freiheit.

Ort der Vermittlung zwischen Privat und Öffentlich - zwischen individuellem Bedürfnis und gesellschaftlichem Wert - ist die große Industrie; für die Masse der Proletarier ein durchaus prekärer Boden der Anerkennung, nämlich nur für die, die Arbeit haben. Indem die Frauen dem Sog des Arbeitsmarkts folgten und sich von Kindern, Küche, Kirche lösten, sind auch sie erwachsen geworden. Anerkennung ist auch ihnen nicht zugefallen, sie mußten sie recht-fertigen. Es reichte nicht, wer zu sein, man und frau muß etwas tun, um was zu werden.

*

Das war die Moderne. Die Postmoderne hat die Öffentlichkeit stattdessen zum Showplatz allgemeinen Infantilismus’ verflacht. Sie ist nicht mehr Forum der Rechtfertigung, sondern ein Brettl bloßen Auftritts. Da muß man nix können, nix wissen, da will man in Erscheinung treten. Küblböck, Westerwelle, Wowereit - ich bin, was ich bin, und muß mich nicht genieren. Das Politische wird zur Privatnummer. Daß das an der Medialisierung des Öffentlichen selber läge, ist eine optische Täuschung. Es liegt am Niedergang der industriellen Zivilisation; aber anders, als man denkt.

Begonnen hat es '68 mit der Revolte gegen das „Leistungsprinzip“. Gegen das Prinzip, daß man etwas tun müsse, um was zu sein. Descartes’ Ego mußte zu dem Behuf immerhin denken. Das emergierende postmoderne Selbst rechtfertigte sich schon durch seine Notdurft, mal ökonomisch, mal triebökonomisch. Bedürfen setzt Identität, Zehren ersetzt Leistung. "Das Private ist politisch" ist in der Tat ein weibliches Prinzip; der moderne Feminismus hat nur auf die Spitze getrieben, was im Zug der Zeit lag, und das erklärt, warum er, minoritär wie sonstwas, dennoch ganz korrekt die öffentliche Meinung modelliert. Jedefrau ist schön, jedefrau ist klug, jedefrau ist begehrenswert (sogar Eva Mattes).

Das hat seine Vorgeschichte im wirklichen Leben. Die Arbeitsgesellschaft hat sich von innen überholt - durch die Überformung der produktiven Arbeit von der Verwaltung. An die Stelle des Arbeiters, dessen Handgriffe zusehends die Maschine übernimmt, tritt der Angestellte, der die Realprozesse vermittelnd begleitet. Und an die Stelle der Unternehmer treten die Vollzugsbeamten des Kapitals. Ob man es, mit James Burnham, als the managerial revolution beschreibt oder, mit Bruno Rizzi, als la bureaucratisation du monde - es ist derselbe Prozeß der Ersetzung lebendiger Arbeit durch fixes Kapital. Es ist gar nicht mehr das Individuum, das hier ‚leistet’, sondern die in die Maschinen eingebaute Intelligenz ihrer Konstrukteure.

„In dem Maße aber, wie die große Industrie sich entwickelt, wird die Schöpfung des wahren Reichtums abhängig weniger von dem Quantum angewandter Arbeit, als von der Macht der Agentien, die während der Arbeitszeit in Bewegung gesetzt werden und die selbst wieder in keinem Verhältnis steht zur Arbeitszeit, die ihre Produktion kostet, sondern vielmehr abhängt vom allgemeinen Stand der Wissenschaft und dem Fortschritt der Technologie. Was Tätigkeit des Arbeiters war, wird Tätigkeit der Maschine“, heißt es bei Karl Marx. „Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des Reichtums zu sein, hört auf und muß aufhören, die Arbeitszeit sein Maß zu sein und daher der Tauschwert das Maß des Gebrauchswerts.“ Das Wertgesetz verfällt, die Teilung der Arbeit erübrigt am Ende die Arbeit.

Wird die Arbeit von der intelligenten Maschine besorgt, verlieren die Werte ihr angestammtes Maß. Alles Maß verliert auch das Bedürfnis. Aber das macht ihm nichts. Es erhält sich als Esse a se, Causa sui, Begründung seiner-selbst. In einer Kultur, wo reduzierter Luxus wie Notdurft wirkt, muß es gar nicht erst als Leiden, sondern darf gleich als Selbstverwirklichung in die Welt treten. Wer oder was ist aber ein Selbst? Es ist, was es braucht. Sein Grund ist reinziehn, was Spaß macht, und darauf hat es seinen anteiligen Anspruch. Quote erübrigt Rechtfertigung - in den öffentlichsten Berufen, die es gibt: Staatsdienst und Medien.

>>>folgt: Das Kind ist der Vater des Mannes
 
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AW: Kreuzfahrt: "Frauen sind, was sie sind. Männer...

Das Kind ist der Vater des Mannes

"Das war die Moderne. Die Postmoderne hat die Öffentlichkeit stattdessen zum Showplatz allgemeinen Infantilismus’ verflacht" - so hieß es oben über die gegenwärtige Krise des Öffentlichen.

Das erfordert nun eine Erläuterung.

Infantil nennen wir das zur Schau gestellte Bedürfnis. Aber die KINDER könen gar nichts dafür.

Als der Mann aus seiner häuslichen Botmäßigkeit in die Öffentlichkeit floh und zum Weltbürger erwuchs, hat er Weib und Kinder als Unerwachsene zurückgelassen. Und so, wie es sich bei dem substantivierten Partizip ‚der Erwachsene’ deutlich hörbar um eine verlegene Spätschöpfung handelt, ist auch das Kind ein semantischer Neuerwerb. Ursprünglich bezeichnet 'daz kint' ein Verwandtschaftsverhältnis, nämlich Söhne und Töchter, unabhängig vom Alter.

In Wolframs Parzival kann dann jeder Jüngere gegenüber jedem Älteren als 'kint' erscheinen. Als Angehöriger eines definierten gesellschaftlichen Standes ist das Kind allerdings eine Kreation der bürgerlichen Gesellschaft. Denn weil die Frau ihre öffentliche Anerkennung schließlich durch Arbeit rechtfertigen konnte, bleibt das Kind in seiner Unerwachsenheit alleine übrig. Und jetzt sieht es so aus, als bilde es den bestimmten (bedürftigen) Gegensatz zur Erwachsenheit. Es ist aber kein Gegensatz, sondern ein Residuum. Als solches steht es nicht nur dem gemeinsamen Ursprung, sondern ironischer Weise auch der gemeinsamen Zukunft näher als manche andern.

Ernsthafte Leute halten das Kindliche nämlich für die wahre Bestimmung des Menschen. „Neotenie“: so heißt die These, wonach sich der Evolutionsprozess von Homo sapiens dadurch auszeichnet, dass er im Lauf der Generationen zu solchen Gestaltformen zurückkehrt, die im Tierreich die spezifisch kindlichen waren. Die auffälligsten (aber nicht einzigen) Kennzeichen dieser „ewigen Unreife des Menschen“, wie sie der polnisch-amerikanische Philosoph Leszek Kolakowski nennt und die der Beitrag seines männlichen Anteils ist, sind die relative Übergröße des Kopfes, der Verlust des Haarkleids und die Überlänge der Gliedmaßen bei verkürztem Rumpf.

Doch wäre das Morphologische alles - es wäre nur ein naturgeschichtliches Kuriosum. Ihren Sinn erhält die Kindlichkeit unserer Körperformen aber durch unsere spezifisch kindliche Zugewandtheit zur Welt: die Neugier. „Nur der Mensch behält - neben den körperlichen Merkmalen der Jugendlichkeit - auch die kindliche Neugier bis ins hohe Alter. Unsere permanente Wissbegier ist ein persistierendes Jugendmerkmal, unser exploratives Forschen ist dem Spiel des Kindes verwandt“, sagt Konrad Lorenz. „Dieses Kind im Manne ist ein echter Lausbub. In der Brust des normalen Erwachsenen leben zwei Seelen, eine, die den hergebrachten Traditionen treu ist, und daneben die Seele des Revolutionärs.“

Und dass der Volksmund das Kind im Manne ansiedelt und nicht in der Frau, hat einen offenbaren guten Sinn. Mutwille, Vergeudung von Material und Lebenskraft, Unrast und Ungeduld, ewiges Streben nach Lob und Anerkennung, Größentraum und der Blick in die Sterne - kaum ein Merkmal des spezifisch Kindlichen, das sich nicht auch als „typisch Mann“ verlästern ließe.

Ein rein humaner Neuerwerb ist die charakteristische Nähe der Männlichkeit zum Kindlichen übrigens nicht. Sie ist in der Naturgeschichte vorgezeichnet. Quer durch die Tierwelt, mindestens jedoch bei den Säugern, scheint das Leistungsschema der weiblichen Organismen auf eine konstante, durchschnittliche Dauerbelastung angelegt zu sein, ohne dabei den kritischen Punkt zu erreichen. Dagegen strebt das männliche Individuum, wie es scheint, immer wieder bis an die Leistungsgrenze, aber „von Natur“ fehlt ihm die Ausdauer; er braucht Muße. Und das ist ein spezifisch kindlicher Zug - nämlich das energetische Prinzip eines Organismus, der noch wächst. Womöglich sind also Neotenie und Selbstbehauptung des Männlichen in der Gattungsgeschichte von Homo sapiens zwei Seiten desselben Vorgangs (und man verstünde, wie Michael Jackson zum Größten Star Aller Zeiten werden konnte).

„Zweierlei will der echte Mann: Gefahr und Spiel“, heißt es in Friedrich Nietzsches 'Zarathustra'. „Besser als ein Mann versteht das Weib die Kinder“, geht es zwar weiter, und nach nichts ringt (sagt Schiller) die weibliche Gefallsucht so sehr wie nach dem Schein des Kindlichen. „Aber der Mann ist kindlicher als das Weib. Im echten Manne ist ein Kind versteckt, das will spielen.“ Denn das Kind ist eben keine reine Bedürftigkeit: Es will ja auch Gefahr und Spiel. Körperkraft und biologische Fruchtbarkeit teilt es wohl nicht mit den Männern - aber dieses, worauf es viel mehr ankommt: das bestimmte Gefühl, dass etwas fehlt. „Ich bin, was ich bin“ ist so unkindlich wie unmännlich. Denn es gibt Eines, was das Kind auf jeden Fall will: größer sein. 'L'enfant est le père de l'homme', sagt der Franzose; der des Menschen sowieso, und der des Mannes erst recht.


"Ein Mann kann nicht wieder zum Kind
werden, oder er wird kindisch. Aber muss er
nicht selbst wieder auf einer höheren Stufe
bestrebt sein, seine Wahrheit zu reproduzieren?"
Karl Marx

Natürlich sind nicht Frauen so und Männer so. Sondern manche Neigungen wurden durch das Spiel von Auslese und Anpassung unter den Geschlechtern ungleichmäßig verteilt. Es ist keine Sache von entweder-oder, sondern von mehr oder weniger, und auch das nur im breiten Durchschnitt. Was im einzelnen zutrifft, muss sich im einzelnen erweisen. Wieviel daran Natur ist und wieviel bloß Kultur, ist interessant, aber nicht wichtig, denn über Wert und Unwert sagt es nichts.

Allerdings gibt es historische Momente, da sind gewisse Neigungen mehr gefragt als andere. Der aktuelle Moment ist die Ablösung der Wirtschafts- und Arbeitsgesellschaft durch... was? Immerhin ist es, nach dem aufrechten Gang und der Erfindung der Arbeit, unser dritter großer Sprung. Da wird es noch einige Generationen brauchen, bis sich die Konturen des Werdenden abzeichnen. Es ist aber das erstemal, dass wir in vollem Bewußtsein springen. Darum wissen wir immerhin, was nicht wieder werden wird: ein Reich von Kreislauf und Gleichgewicht. Es wird eine Zeit der Umbrüche. Und dafür wird das Genügen am eignen Hiersein und seinen Notdürften weniger taugen als der Mutwille mit dem eingewachsenen Stachel, dass er seine Werke rechtfertigen muß.

Ob auch die neue Welt aus sich heraus eine ‚Substanz’ generiert, die sich zum ‚Maß’ ihrer Werte eignet, steht in den Sternen. Die Emergenz neuer Werte ist gar nicht abzusehen, aber die alten verfallen. Was in der Zwischenzeit immer Geltung beansprucht, wird sich 'foro publico' selber rechtfertigen müssen, jedes auf eigne Faust. Anders gesagt, an die Stelle der unter der Verkleidung von 'ökonomischer Notwendigkeit’ um Befriedigung wetteifernden Notdurften treten politische Entscheidungen im eminenten Sinn. Ob sich die weltliche Öffentlichkeit von der viralen Infektion durch nischige Privatismen reinigen kann, wird dabei zur Existenzfrage.

Das postmoderne Bedürfnisbefriedigungs- und Selbstverwirklichungssyndrom ist das Caput mortuum einer schon verflossenen Zeit. Freiwillig wird es nicht abtreten. So wird es nötig, im öffentlichen Raum eine Zulassungsordnung einzuführen: Öffentliches Auftreten lässt sich nur rechtfertigen durch die Abenteuer des Selberdenkens und den Stolz, für seine Resultate gradezustehn - immer eingedenk, dass noch was fehlt. Es ist eine Bildungsaufgabe; DIE Bildungsaufgabe. Da trifft es sich gut, daß unsre Spezies darauf nicht erst wieder durch einen jahrtausendelangen Domestikationsprozess schmerzhaft zugerichtet werden muss. Die Neigung dazu ist ihr doppelt gattungsgeschichtlich eingepflanzt, indem wir unter allen Lebensformen nicht nur die männlichste, sondern eben auch die kindlichste sind.

Sie muss nur freigesetzt werden.
 
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