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Der Fluch der Moderne

Z

zwetsche

Guest
Zitat aus Heinrich Heines ]"Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland", Erscheinungsjahr: 1835; Es wird jetzt ein bißchen lang, aber ich glaube, die Lektüre lohnt sich:

"Laßt Euch aber dessen nicht bange sein, Ihr deutschen Jakobiner; die deutsche Revolution wird darum nicht milder und sanfter ausfallen, weil die Kantesche Kritik, der Fichtesche Transzendentalidealismus und gar die Naturphilosophie derselben vorausging. Durch diese Doktrinen haben sich revolutionäre Kräfte entwickelt, die nur des Tages harren, wo sie hervorbrechen und die Welt mit Entsetzen und Bewunderung erfüllen können. Es werden Kantianer zum Vorschein kommen, die auch in der Erscheinungswelt von keiner Pietät etwas wissen wollen, und erbarmungslos, mit Schwert und Beil, den Boden unseres europäischen Lebens durchwühlen, um auch die letzten Wurzeln der Vergangenheit auszurotten. Es werden bewaffnete Fichteaner auf den Schauplatz treten, die in ihrem Willensfanatismus, weder durch Furcht noch durch Eigennutz zu bändigen sind; denn sie leben im Geiste, sie trotzen der Materie, gleich den ersten Christen, die man ebenfalls weder durch leibliche Qualen noch durch leibliche Genüsse bezwingen könnte; ja, solche Transzendentalidealisten wären, bei einer gesellschaftlichen Umwälzung, sogar noch unbeugsamer als die ersten Christen, da diese die irdische Marter ertrugen, um dadurch zur himmlischen Seligkeit zu gelangen, der Transzendentalidealist aber die Marter selbst für eitel Schein hält und unerreichbar ist in der Verschanzung des eigenen Gedankens. Doch noch schrecklicher als alles wären Naturphilosophen, die handelnd eingriffen in eine deutsche Revolution und sich mit dem Zerstörungswerk selbst identifizieren würden. Denn wenn die Hand des Kantianers stark und sicher zuschlägt, weil sein Herz von keiner traditionellen Ehrfurcht bewegt wird; wenn der Fichteaner mutvoll jeder Gefahr trotzt, weil sie für ihn in der Realität gar nicht existiert: so wird der Naturphilosoph dadurch furchtbar sein, daß er mit den ursprünglichen Gewalten der Natur in Verbindung tritt, daß er die dämonischen Kräfte des altgermanischen Pantheismus beschwören kann, und daß alsdann in ihm jene Kampflust erwacht, die wir bei den alten Deutschen finden, und die nicht kämpft um zu zernichten, noch um zu siegen, sondern bloß um zu kämpfen. Das Christentum - und das ist sein schönstes Verdienst - hat jene brutale germanische Kampflust einigermaßen besänftigt, konnte sie jedoch nicht zerstören, und wenn einst der zähmende Talisman, das Kreuz, zerbricht, dann rasselt wieder empor die Wildheit der alten Kämpfer, die unsinnige Berserkerwut, wovon die nordischen Dichter so viel singen und sagen. jener Talisman ist morsch, und kommen wird der Tag, wo er kläglich zusammenbricht; die alten steinernen Götter erheben sich dann aus dem verschollenen Schutt, und reiben sich den tausendjährigen Staub aus den Augen, und Thor mit dem Riesenhammer springt endlich empor und zerschlägt die gotischen Dome. Wenn Ihr dann das Gepolter und Geklirre hört, hütet Euch, Ihr Nachbarskinder, Ihr Franzosen, und mischt Euch nicht in die Geschäfte, die wir zu Hause in Deutschland vollbringen. Es könnte Euch schlecht bekommen. Hütet Euch das Feuer anzufachen, hütet Euch es zu löschen; Ihr könntet Euch leicht an den Flammen die Finger verbrennen. Lächelt nicht über meinen Rat, über den Rat eines Träumers, der Euch vor Kantianern, Fichteanern und Naturphilosophen warnt. Lächelt nicht über den Phantasten, der im Reiche der Erscheinungen dieselbe Revolution erwartet, die im Gebiete des Geistes stattgefunden. Der Gedanke geht der Tat voraus, wie der Blitz dem Donner. Der deutsche Donner ist freilich auch ein Deutscher und ist nicht sehr gelenkig und kommt etwas langsam herangerollt; aber kommen wird er, und wenn Ihr es einst krachen hört, wie es noch niemals in der Weltgeschichte gekracht hat, so wißt, der deutsche Donner hat endlich sein Ziel erreicht. Bei diesem Geräusche werden die Adler aus der Luft tot niederfallen, und die Löwen in der fernsten Wüste Afrikas werden die Schwänze einkneifen und sich in ihren königlichen Höhlen verkriechen. Es wird ein Stück aufgeführt werden in Deutschland, wogegen die französische Revolution nur wie eine harmlose Idylle erscheinen möchte. jetzt ist es freilich ziemlich still; und gebärdet sich auch dort der eine oder der andre etwas lebhaft, so glaubt nur nicht, diese würden einst als wirkliche Akteure auftreten. Es sind nur die kleinen Hunde, die in der leeren Arena herumlaufen und einander anbellen und beißen, ehe die Stunde erscheint, wo dort die Schar der Gladiatoren anlangt, die auf Tod und Leben kämpfen sollen.

Und die Stunde wird kommen. Wie auf den Stufen eines Amphitheaters werden die Völker sich um Deutschland herumgruppieren, um das große Kampfspiel zu betrachten. Ich rate Euch, Ihr Franzosen, verhaltet Euch alsdann sehr stille, und bei Leibe! hütet Euch zu applaudieren. Wir könnten das leicht mißverstehen, und Euch, in unserer unhöflichen Art, etwas barsch zur Ruhe verweisen; denn wenn wir früherhin, in unserem servil verdrossenen Zustande Euch manchmal überwältigen konnten, so vermöchten wir es noch weit eher im Übermute des jungen Freiheitsrausches - Ihr wißt ja selber, was man in einem solchen Zustande vermag, und Ihr seid nicht mehr in einem solchen Zustande - nehmt Euch in Acht! Ich meine es gut mit Euch, und deshalb sage ich Euch die bittere Wahrheit. Ihr habt von dem befreiten Deutschland mehr zu fürchten, als von der ganzen heiligen Allianz mitsamt allen Kroaten und Kosaken. Denn erstens liebt man Euch nicht in Deutschland, welches fast unbegreiflich ist, da Ihr doch so liebenswürdig seid und Euch, bei Eurer Anwesenheit in Deutschland, so viel Mühe gegeben habt, wenigstens der besseren und schöneren Hälfte des deutschen Volks zu gefallen. Und wenn diese Hälfte Euch auch liebte, so ist es doch eben diejenige Hälfte, die keine Waffen trägt und deren Freundschaft Euch also wenig frommt. Was man eigentlich gegen Euch vorbringt, habe ich nie begreifen können. Einst im Bierkeller zu Göttingen äußerte ein junger Altdeutscher, daß man Rache an den Franzosen nehmen müsse für Conradin von Staufen, den sie zu Neapel geköpft. Ihr habt das gewiß längst vergessen. Wir aber vergessen nichts. Ihr seht, wenn wir mal Lust bekommen mit Euch anzubinden, so wird es uns nicht an triftigen Gründen fehlen. Jedenfalls rate ich Euch daher auf Eurer Hut zu sein. Es mag in Deutschland vorgehen was da wolle, es mag der Prinz von Kyritz oder der Doktor Wirth zur Herrschaft gelangen, haltet Euch immer gerüstet, bleibt ruhig auf Eurem Posten stehen, das Gewehr im Arm. Ich meine es gut mit Euch, und es hat mich schier erschreckt, als ich jüngst vernahm, Eure Minister beabsichtigen, Frankreich zu entwaffnen -


Ich weiß nicht, wie es Euch beim Lesen dieses seltsamen Textes aus dem Jahr 1835 geht. Mir persönlich kommt dabei immer noch eine Gänsehaut (ich habe ihn mehrfach gelesen, da ich anfangs glaubte, mich "verlesen" zu haben).
Das was Heine hier - in einer dunklen Weise fast schon prophetisch - ankündigt, hat sich in einer krassen Form bewahrheitet.

Die Frage, die ich anhand dieses Textes aufwerfen möchte, ist, ob der Verlauf der deutschen Geschichte einer Zwangsläufigkeit folgte, die aus dem Eintritt in die Moderne, der Abkehr vom alten Weltbild folgt. Oder ist die "Prophetie" ausgerechnet Heinrich Heines blanker Zufall?

Ich gebe zu, das Thema ist nicht gerade leicht oder beschwinglich und der Einstieg sehr beschwerlich, hoffe aber trotzdem auf große Resonanz und Eure Meinungen.

Viele Grüße
Zwetsche
 
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AW: Der Fluch der Moderne

Hi Zwetsche!
Ganz spontan fällt mir dazu ein, dass es rückblickend oft so aussieht, als hätte da jemand prophetische Fähigkeiten.
Ich neige eher dazu, dass Heine zu jenen Menschen gehörte, die Zusammenhänge wahrnehmen können und die intuitiv manche leisen Strömungen und Tendenzen einer Gesellschaft aufnehmen.

Was bezeichnest du als "Fluch der Moderne"? Ist das ein Begriff, den Heine verwendet hat? Oder meinst du damit vielleicht das Unbekannte, das erst beweisen wird, was wir jetzt nur als Ahnung oder als Bedrohung sehen?

Etwas prophetisch vorherzusagen kann ja immer nur rückblickend bestätigt werden. Denn viele andere Vorhersagen, die auch aus den Strömungen einer bestimmten Zeit gemacht werden, bewahrheiten sich dann doch nicht.

Ein interessantes Thema jedenfalls.

herzlich
lilith
 
AW: Der Fluch der Moderne

Hi Zwetsche!
Ganz spontan fällt mir dazu ein, dass es rückblickend oft so aussieht, als hätte da jemand prophetische Fähigkeiten.
Ich neige eher dazu, dass Heine zu jenen Menschen gehörte, die Zusammenhänge wahrnehmen können und die intuitiv manche leisen Strömungen und Tendenzen einer Gesellschaft aufnehmen.

Was bezeichnest du als "Fluch der Moderne"? Ist das ein Begriff, den Heine verwendet hat? Oder meinst du damit vielleicht das Unbekannte, das erst beweisen wird, was wir jetzt nur als Ahnung oder als Bedrohung sehen?

Etwas prophetisch vorherzusagen kann ja immer nur rückblickend bestätigt werden. Denn viele andere Vorhersagen, die auch aus den Strömungen einer bestimmten Zeit gemacht werden, bewahrheiten sich dann doch nicht.

Ein interessantes Thema jedenfalls.

herzlich
lilith

Hallo Lilith,

ich danke Dir, daß Du so schnell auf das Thema eingegangen ist. Mit "Fluch der Moderne" meine ich gerade die Kernfrage um die es mir geht, nämlich die Frage der Zwansläufigkeit. Damit meine ich allerdings weniger eine Zwangsläufigkeit im "religiösen" Sinn also im Sinne von Schicksal oder Vorbestimmung als vielmehr die Frage, ob sich bereits anhand der historischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und den Eintritt in das Zeitalter der Moderne die Katastrophe des 20. Jahrhunderts voraussagen ließ. Heine war ja kein biblischer Prophet, sondern ein ungemein aufgeweckter Geist, der die Gabe der Beobachtung hatte. Mir geht es sowohl um die philosophische Ausrichtung (so ja Heines Hintergrund in der im übrigen auch insgesamt sehr lesenswerten Abhandlung (ich wiederhole mich da)) als auch um die historischen Zusammenhänge.

Ich bin allerdings jetzt eine Woche weg (auf der Spur des Weins in die Pfalz), so daß sich erst einmal alle anderen hier - hoffentlich - zu Wort melden.

Liebe Grüße
Zwetsche
 
AW: Der Fluch der Moderne

Lieber Zwetsche,

vorläufig einen herzlichen Dank für das schöne Thema und auch für dieses Werk Heines, das ich nicht kannte.

Hoffe mich morgen in Ruhe damit befassen zu können.

Liebe Grüße

Miriam
 
AW: Der Fluch der Moderne

Was mich bei diesem Text gestört hat, war eigentlich meine eigene Leseart - aber ich konnte nichts dagegen tun. Denn unwillkürlich liest man ihn ständig mit dem vergleichenden Blick in Heines Zeit und in unsere Gegenwart hinein.
Und so faszinierte und erschrak mich zugleich, dass ich abwechselnd: „hat sich nicht groß was geändert“ dachte, um mich bei dem nächsten Abschnitt zu fragen wie in so kurzer Zeit so große Änderungen stattfinden konnten. Aber es überwiegt bei weitem letzteres – es hat sich enorm viel geändert.
Eines der Beispiele dafür:

so wird der Naturphilosoph dadurch furchtbar sein, daß er mit den ursprünglichen Gewalten der Natur in Verbindung tritt, daß er die dämonischen Kräfte des altgermanischen Pantheismus beschwören kann, und daß alsdann in ihm jene Kampflust erwacht, die wir bei den alten Deutschen finden, und die nicht kämpft um zu zernichten, noch um zu siegen, sondern bloß um zu kämpfen.

Nein, diese Kampfeslust bloß um zu kämpfen kann ich nicht mehr feststellen.
Ist es das Christentum welches diese Kampfeslust besänftigt hat – so wie Heine es behauptet? Meines Erachtens keineswegs. Und auch deswegen ist es gerechtfertigt den Text ständig in die Gegenwart zu transponieren.
Die Kampfeslust wurde durch den zweiten Weltkrieg nicht nur besänftigt, sondern im Sinne von Kampf, kriegerischer Auseinandersetzung, Einteilung in Sieger und Besiegten, so sehr ad absurdum geführt, und diente dadurch als bitterer, schmerzhafter,tragischer Lernprozess.

Prophetisch klingen dabei Heines Worte:

Der deutsche Donner ist freilich auch ein Deutscher und ist nicht sehr gelenkig und kommt etwas langsam herangerollt; aber kommen wird er, und wenn Ihr es einst krachen hört, wie es noch niemals in der Weltgeschichte gekracht hat, so wißt, der deutsche Donner hat endlich sein Ziel erreicht.[…] Es wird ein Stück aufgeführt werden in Deutschland, wogegen die französische Revolution nur wie eine harmlose Idylle erscheinen möchte.

Du, zwetsche stellst die Frage:

ob der Verlauf der deutschen Geschichte einer Zwangsläufigkeit folgte, die aus dem Eintritt in die Moderne, der Abkehr vom alten Weltbild folgt. Oder ist die "Prophetie" ausgerechnet Heinrich Heines blanker Zufall?

und ich kann darauf nicht antworten – weil wie jede Prophetie(?) sind auch die Worte Heines in unterschiedlicher Weise auszulegen. Was er aber sicherlich richtig erkannt hat, ist eine gewisse Konsequenz oder Gradlinigkeit in der Verfolgung eines Ziels, die oft als Tugend betrachtet, alles andere als eine solche ist. Denn es ist die selbe Konsequenz und dieser große Ordnungssinn ohne denen die Vernichtungsmaschinerie des Dritten Reiches gar nicht denkbar gewesen wäre.

Vorläufig so viel zum Text – ich habe dies sehr schnell und spontan geschrieben, es ist der Eindruck den dieser Text als erstes bei mir erweckt.

Traurig hat mich aber dieser zutiefst verbitterte Heine gemacht, und auch die schöne respektlose Art in die er über die absolut heiligen Ochsen Deutschlands reflektiert, kann diesen Eindruck nicht verwischen.

Danke, denn ich habe den Text erst durch dich entdeckt - liebe Grüße

Miriam
 
AW: Der Fluch der Moderne

Ist es das Christentum welches diese Kampfeslust besänftigt hat – so wie Heine es behauptet? Meines Erachtens keineswegs. Und auch deswegen ist es gerechtfertigt den Text ständig in die Gegenwart zu transponieren.
Die Kampfeslust wurde durch den zweiten Weltkrieg nicht nur besänftigt, sondern im Sinne von Kampf, kriegerischer Auseinandersetzung, Einteilung in Sieger und Besiegten, so sehr ad absurdum geführt, und diente dadurch als bitterer, schmerzhafter,tragischer Lernprozess.

Guten Morgen, Miriam,

Dank dir, daß Du Dich dieses sicherlich nicht gerade leichten threads angenommen hast. Ich werde etwas Zeit brauchen, um auf Deinen Beitrag genauer einzugehen, der viele interessante und wie ich finde richtige Gedanken enthält.

Hier nur spontan die Frage, ob Du vielleicht in dem o.g. zweiten Satz ein Wort vergessen hast, denn wenn ich Dich richtig verstanden habe, so kann der Text gerade nicht bis in die Gegenwart transponiert werden.
So würde ich es sehen, in der Tat fand am 8.Mai 1945 der große Schnitt in der deutschen Geschichte statt und auch ein - in meinen Augen zumindest insgesamt positiver Lernprozeß - und seitdem erst hat sich in Deutschland die bürgerliche Gesellschaft wirklich etabliert. Dies mit Verspätung gegenüber den anderen Nationen wie zB. England oder Frankreich.

Ich muß gestehen, wenn ich vom "Fluch der Moderne" rede, meine ich damit tatsächlich eher die Zeit bis zum 8.Mai 1945, allerdings nicht erst seit 1933. Allerdings soll dieser thread nicht allein rückwärtsgewandt sein, Geschichte dient ja nicht dazu, die Toten wieder lebendig zu machen (leider nicht), sondern die Perspektiven unter Berücksichtigung der Erfahrungen zu beleuchten. Jeder, der über einen Fernseher verfügt, weiß über die Geschehnisse, wenn er nicht blind oder ignorant ist, bei uns inzwischen recht gut Bescheid. Heines Sichtweise als Fazit ausgerechnet der Philosphiegeschichte Deutschlands war für mich allerdings ein völlig neuer inhaltlicher Ansatzpunkt, abgesehen von seiner Sprachgewalt. Mal sehen, ob und ggf. wie der thread sich entwickelt.

Liebe Grüße
Zwetsche
 
AW: Der Fluch der Moderne

zwetsche schrieb:
Hier nur spontan die Frage, ob Du vielleicht in dem o.g. zweiten Satz ein Wort vergessen hast, denn wenn ich Dich richtig verstanden habe, so kann der Text gerade nicht bis in die Gegenwart transponiert werden.

Lieber Zwetsche,

wahrscheinlich von mir misverständlich ausgedrückt. Ich meinte, dass ich den Text in die jetzige Zeit versuchte zu versetzen, um dann festzustellen, dass manches da nichtmehr hineinpasst.

In jedem Fall ist es aber ein Text der einem in seiner Komplexität nicht beim einmaligen lesen aufgeht. Und noch etwas stellt man fest wenn man ihn mehrmals liest: er hat tatsächlich so etwas wie eine prophetische Dimension, auch wenn wir nicht genau wissen was Heine sich unter "wie es noch niemals in der Weltgeschichte gekracht hat", vorgestellt hat.

Liebe Grüße

Miriam
 
AW: Der Fluch der Moderne

Lieber Zwetsche,

wahrscheinlich von mir misverständlich ausgedrückt. Ich meinte, dass ich den Text in die jetzige Zeit versuchte zu versetzen, um dann festzustellen, dass manches da nichtmehr hineinpasst.

In jedem Fall ist es aber ein Text der einem in seiner Komplexität nicht beim einmaligen lesen aufgeht. Und noch etwas stellt man fest wenn man ihn mehrmals liest: er hat tatsächlich so etwas wie eine prophetische Dimension, auch wenn wir nicht genau wissen was Heine sich unter "wie es noch niemals in der Weltgeschichte gekracht hat", vorgestellt hat.

Liebe Grüße

Miriam

Liebe Miriam,

nein, wissen können wir es natürlich nicht, aber ich vermute, Heine hatte tatsächlich aufgrund seiner - wie ich anhand dieses Textes finde: fast schon erschreckenden - Beobachtungsgabe eine ungefähre Ahnung davon, daß sich das kommende Jahrhundert als das "deutsche Jarhundert" darstellen würde. Daß er dabei sicher nicht die Einzelheiten prognostizieren konnte, ist klar, ist aber auch unwesentlich, denn daß das Ganze auf etwas Fürchterliches herausläuft, schien ihm bewußt zu sein. Ob er also den Holocaust voraussehen konnte, wage ich zwar zu bezweifeln. Allerdings hat er für die Grundtendenzen ein feines Gespür entwickelt. Davon gehe ich schon aufgrund seiner Biographie aus, denn als er zum prostestantischen Glauben übertrat, mußte er die gesellschaftlichen Grenzen der Assimilation schon zum damaligen Zeitpunkt zumindest gespürt haben. Er ließ sich - als ausgebildeter Jurist - ja nicht zuletzt deshalb taufen, um in den Staatsdienst zu gelangen, was ihm aber trotzdem verwehrt wurde...

Liebe Grüße
Zwetsche
 
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AW: Der Fluch der Moderne

ein "schöner" text.
ich will mich der frage einmal anders zuwenden und zwar ohne berücksichtigung dessen, was wirklich eingetreten ist. denn ich denke, dass etwas eingetreten wäre, die moderne musste so enden, wie sie sich uns gezeigt hat.es gibt menschen, die haben ein feines gespür für das, was passiert und können daraus die richtigen schlüsse ziehen, allerdings ist das eine natürliche eigenschaft des menschen, denn er kennt die vergangenheit, lebt die gegenwart und sieht daraufhin in die zukunft. ich glaube die menschen unterscheiden sich in diesem sinne nur in ihren aufgenommenen einflüssen (von "ideologien" bis zu empathie) und heine scheint mir hier einfach ganz krass seine emphatische fähigkeit, aber auch seine logischen fähigkeiten zu offenbaren und sie zu koppeln, so dass er die geschichte vorwegnehmen konnte, wenn auch nicht in ihrer genauen ausprägung. in einigen jahrzehnten werden wir feststellen, dass es das auch für unsere zeit gibt.
 
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