Ohne Psychotherapien (überwiegend Psychoanalyse und Verhaltenstherapien) wäre ich heute nicht mehr am Leben (oder hätte den Verstand verloren, was im Ergebnis vermutlich keinen großen Unterschied macht).
Als ich endlich erwachsen, mit eigener Wohnung und guter Arbeitsstelle allen Grund zum erleichterten Aufatmen hatte stieg meine Psyche buchstäblich aus.
Ich "funktionierte" in der Arbeit nahezu perfekt, in meiner Wohnung löste "ich" mich auf. Binnen kurzer Zeit war meine Wohnung vermüllt, ich hatte Panikattacken, konnte nur noch bei geschlossenen Jalousien, einer gedämpften Glühbirne, verriegelter Wohnungstür ängstlich auf "Außengeräusche" hören. Irgendwann war ich dann nicht mehr arbeitsfähig. Die Depressionen wurden so massiv, daß ich im Schlaf das Atmen einstellte, bis ich mit Erstickungsanfällen aufwachte. Jede Bewegung war so mühsam als bestünde die Luft aus zähem Gelee. Schlafen konnte ich kaum noch - wenn ich einschlief träumte ich von Blut, Mord, Verfolgung und wachte - wenn nicht durch Luftnot - in Todesängsten auf. Es gab nichts, das mir keine Angst einjagte. In der Zeit war ich mir nicht sicher, ob ich nicht in einem "Irrtum" existierte, ich glaubte oft, daß es "die Welt" gar nicht gäbe, ein Teil von mir konnte sich nicht vorstellen daß es mich gab. Irgendwann gelang es mir zu "fliehen" - ich flüchtete zu einer ehemaligen Schulkameradin, der ich meinen Zustand verheimlichte. Es gelang mir, einige Tage nach außen "völlig normal" zu wirken, während ich wartete. Mir war klar, daß etwas "passieren" würde, wagte aber nicht den Gang zum Psychologen, weil ich davon überzeugt war, daß der mich wegschicken würde, weil mir ja nichts fehlte.
Erst als meine Wohnung von der Polizei aufgebrochen worden war und man mich bei meiner Schulkameradin erreichte konnte ich mich überwinden und suchte einen Psychiater auf. Bei ihm klappte ich zusammen und sagte ihm, daß ich sterben wolle. Er versprach Hilfe, verschrieb mir Schlafmittel und verschiedene Psychopharmaka und schickte mich vorerst nach Hause. Den ersten Termin gab er mir für 14 Tage später.
Was ich dann empfand - kann ich nicht sagen, vermutlich gar nichts mehr, ich war irgendwie betäubt. Ging in ein Cafe, las die Beipackzettel der Medikamente - von Abhängigkeit, Nebenwirkungen ohne Ende und Persönlichkeitsveränderungen war da zu lesen. Ich beschloß, lieber zu sterben als diese Medikamente zu nehmen. Am Arzt zweifelte ich nicht. Ich verzog mich wieder in meine vermüllte Wohnung und wartete, bis der Termin beim Arzt wieder anstand. Zeit existierte damals nur noch punktuell - da gab es einen Termin, den hatte ich einzuhalten - wie die Zeit bis dahin verstrich bekam ich nicht mehr mit.
Als der Arzt erfuhr, daß ich die Medikamente nicht genommen hatte wurde er wütend, nannte mich verantwortungslos und drohte mit Zwangseinweisung in die Psychiatrie. Ich weiß nicht mehr ob ich ihm geantwortet habe - irgendwann befand ich mich inmitten der Fußgängerzone unweit seiner Praxis wieder, meine Wahrnehmungen waren völlig verschoben, ich sah Leute auf mich zu und durch mich hindurchströmen und dachte wieder einmal, daß es mich vermutlich gar nicht gab. Irgendwann war es dunkel und jemand rempelte mich an, das weckte mich auf und ich schaffte es zu einer Telefonzelle und rief eine Ordensfrau an, die früher meine Gruppenschwester im geschlossenen Heim gewesen war. Sie hat gut reagiert, erfaßte wohl, daß ich nicht mehr klar denken konnte und wiederholte wohl so an ein Dutzend mal immer wieder, in welche S-Bahn ich steigen und daß ich sofort zu ihr kommen müsse.
Ich blieb einige Tage in einem Gästezimmer des Klosters, während sie Kontakt mit meiner Vermieterin, dem sozialpsychiatrischen Dienst und einem Jesuitenpater aufnahm - sie half mir die Wohnung wieder instand zu setzen, mich in einer psychotherapeutischen Klinik anzumelden und die Wartezeit mit intensiven Gesprächen beim Psychologen und dem Pater zu überbrücken.
Danach viele Jahre Therapien, viele verschiedene, viele wirklich schlecht und destruktiv, größtenteils ohne Medikation (die hatte ich immer verweigert bis auf knapp 2 Jahre Antiepileptika, die mich so sediert haben, daß ich nicht mehr richtig sprechen konnte und mein Gleichgewichtssinn massiv gestört war - als ich die gegen den Willen meiner damaligen Ärztin absetzte verbesserte sich mein Zustand). Ich habe den Staat bzw. die Solidargemeinschaft wirklich Geld gekostet, nicht zu knapp - inkl. zeitweise Betreuung (früher nannte man das Entmündigung) in Teilbereichen in der Zeit, als ich Stunden und Tage verlor und neben Krampfanfällen unter "Absencen" litt, wie eine Ärztin das nannte. Summa summarum war ich etwas mehr als 3 Jahre arbeitsunfähig, für das Arbeitsamt war ich ein Fall für die Behindertenwerkstatt. Ich entschied mich stattdessen für den 2. Bildungsweg und BAFög (schaffte die Schule allerdings nicht zu Ende) und vor 5 Jahren gelang mir der berufliche Wiedereinstieg - bis hin zu einer bescheidenen Führungsposition heute (daß in dieser Firma heute gemobbt wird liegt an der zu erwartenden Insolvenz und der daraus resultierenden Angst vieler Kollegen und Vorgesetzten).
Die meisten Therapien habe ich überwiegend negativ erlebt (aus verschiedenen Gründen), dennoch hätte ich ohne sie wohl kaum überlebt. Den größten Teil meiner "Therapiegeschichte" (die etwa genauso lange dauerte wie meine Kindheit/Jugend) wünschte ich mir, nie existiert zu haben.
Ich bin heute verdammt froh, daß ich - endlich! - lebe und weiß, was LebenWOLLEN bedeutet. Fühlt sich ziemlich gut an
LG, wirrlicht