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Einstellung zu psychischer Krankheit

L

lilith51

Guest
In den letzten Wochen bin ich mit einem sehr persönlichen Thema konfrontiert, das durch die Depression meines Sohnes und seine derzeitige Behandlung in einer psychiatrischen Klinik entstanden ist.

Ich möchte gerne mit meinen Freunden und meiner Familie (Geschwister und Cousinen, alles erwachsene Menschen mit eigener Familie) darüber reden, welche Art von Behandlung angeboten wird, wie es ihm damit geht, aber vor allem, wie es mir damit geht, dass er, obwohl er erwachsen ist, immer noch Unterstützung von mir braucht.

In der ersten Zeit erhielt ich sehr viel Verständnis und Mitgefühl, was ich als wohltuend empfand. Gleichzeitig vermisste ich aber das Gespräch über meine Einstellung als Mutter zum erwachsenen Sohn. Obwohl ich dieses Thema immer wieder anschnitt, merkte ich, dass man mir da oft auswich.

Ich bin mir jetzt nicht im Klaren, ob das daran liegt, dass eine psychische Krankheit immer noch als "der soll sich halt zusammenreißen" eingestuft wird, oder ob sie als Makel angesehen wird, über den man lieber schweigen sollte. Vielleicht spielt es auch mit, dass manch die Meinung haben, ich sollte als Mutter meinen Sohn nicht so überbetreuen, er sollte doch allein damit zurechtkommen.

All das ist in vorsichtigen Anspielungen irgendwie spürbar geworden.

Aber ich weiß ja selber nicht, was wirklich das Richtige in so einem Fall ist. Ich fühle mich allein mit dieser Geschichte, ich möchte, dass mein Sohn selbständig leben kann, aber mein Wunsch allein bringt ihn noch nicht dazu, das auch zu tun.
Ich kann mich nicht einfach abwenden und zu ihm sagen, es ist mir egal, was du tust, du bist erwachsen, also schau, dass du dein Leben in den Griff kriegst, wenn er den Weg nicht sieht, wie er das schaffen soll. Er weiß nicht, ob er leben will oder sterben.

Wir führen lange Telefongespräche miteinander, die mich oft sehr anstrengen. (Das erinnert mich manchmal an Aphex Beiträge hier.) Er hat so viel im Kopf und findet nicht die Verbindung zum praktischen Leben. Alle Ratschläge, was er tun könnte, treiben ihn in die Enge, den er empfindet sie als Forderungen, die er nicht zu erfüllen imstande ist.

Ich schreibe das jetzt einmal hierher, denn ich habe schon oft die Erfahrung gemacht, dass ich von irgendjemanden in einer kleinen Bemerkung einen wichtigen Hinweis auf einen Aspekt bekommen habe, den ich bis jetzt übersehen hatte. Vielleicht ist es ja auch diesmal so.

Wenn nicht, dann hab ichs wenigstens versucht.

Also, wenn einer von euch etwas dazu sagen kann, dann bin ich froh darüber.

herzlich
lilith
 
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Hi Lilith51,
Erstmal hast du mein Mitgefühl. :umarm:
Ich habe keine tollen Tipps für dich, aber vielleicht hilft dir meine Erfahrung mit der Depression.
Ich bin mit 25 Jahren in eine depressive Phase abgerutscht, aber dank der psychologischen Ambulanz an der Uni Bochum (Nochmals Danke!) da wieder rausgekommen.
"Wir sind hier damit wir ihnen anderen Resulte und Lösungen ihrer Gedankengänge aufzeigen", ein Satz, der mir bis heute in Erinnerung geblieben ist. Als Depressiver kommt man natürlich immer wieder zu den gleichen negativen Ergebnissen, egal wo man anfängt. Ich will damit sagen, das ich dein Engagement für deine Sohn befürworte und bewundere. Ich kann mir vorstellen, wie schwer es dich belastet. Es raubt einem selber die Lebensenergie. Deshalb mein Tipp: Pass auf dich auf, vergiss nicht für dich Lebensenergie zu tanken.

Aus meiner damaligen Depression habe ich noch folgendes für mich mitgenommen. Es ist wichtig zu fühlen, zu leben, zu tun. Ich weiss, das ist bei einem depressiven leichter gesagt als getan, aber ich denke, man muss den depressiven überlisten. Er muss aufhören zu denken und einfach etwas tun, arbeiten, musizieren, lachen , ... ach keine Ahnung. Ich denke, der erste Schritt aus der Depression muss ein physischer sein, weil das Problem ein geistiges ist, glaube du verstehst was ich meine.

Hoffe dir ein wenig geholfen zu haben.:kuss2:

Seit wann hat er die Depression? Was war der Auslöser?
ähm, ich bin davon Ausgegangen das keine biologischen Ursachen vorliegen, oder?
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo fusselhirn!
Danke! :umarm:

Mein Sohn ist seit rund fünf Jahren depressiv, mal mehr mal weniger, seit einem Jahr sind die "guten" Zeiten immer kürzer geworden, er kam mit den einfachen Anforderungen des Alltags nicht mehr zurecht.
Ursache war mMn der Unfalltod seines Vaters, als er gerade 4 Jahre alt war, jedoch machte sich seine Angst vor dem Leben erst so richtig bemerkbar, als er selber erwachsen werden sollte.

Ich habe noch zwei Töchter, er ist also in einer richtigen Weiberwirtschaft aufgewachsen, wahrscheinlich fehlte ihm da ein männliches Vorbild, oder wie immer man das nennen soll.

Vor drei Jahren beging mein Bruder, den mein Sohn sehr gern hatte, auch noch Selbstmord. Da ist wohl einiges zusammengekommen.

herzlich
lilith
 
Halöchen !
Ursache war mMn der Unfalltod seines Vaters, als er gerade 4 Jahre alt war, jedoch machte sich seine Angst vor dem Leben erst so richtig bemerkbar, als er selber erwachsen werden sollte.
Vielleicht gibt es doch mehr parallelen als ich erst dachte.
Mein Depression zeugte ebenfalls von dem Tod meines Vater. Ich war 11 als mein Vater zu hause neben mir an einem Stromschlag starb. Meine Trauer kam erst in der Pubertät mit 16. Meine Depressionen fingen an als mich von meiner ersten großen Liebe trennte und ich auf einmal alleine war und für mich selber sorgen musste.

wahrscheinlich fehlte ihm da ein männliches Vorbild, oder wie immer man das nennen soll.
Wahrscheinlich. Zumindest kann ich sagen, mir fehlte ein Objekt der Rebellion und ein Vorbild.

Aargh, ich habe schon tausend Sätze geschrieben und wieder gelöscht. Ich will nicht das falsche schreiben. Kein blöden Floskel und doch helfen. Das kennst du bestimmt von deinen Gesprächen, oder? *Seufz*Schweres Thema.
 
Was, glaubst du, ist sein Problem das er nicht lösen kann????

Er weiß nicht, ob er leben will oder sterben.
Ist das Resultat, nicht das Problem.

Die Todefälle sind vielleicht die Ursachen, aber noch kein Problem.
Verstehst du mich ein bisschen?
 
fusselhirn schrieb:
Was, glaubst du, ist sein Problem das er nicht lösen kann????

Die Todefälle sind vielleicht die Ursachen, aber noch kein Problem.
Verstehst du mich ein bisschen?

Er hat keine Freundin, bzw. keine Partnerin und hat deshalb keine Motivation, irgendetwas zu tun. Er findet allein keine Orientierung. Das Leben an sich erscheint ihm sinnlos, wenn er es nicht mit jemandem teilen kann.

Es erscheint mir sehr interessant, dass auch bei dir das Ende deiner ersten Liebe der Auslöser für die Depression war. Denn auch mein Sohn hatte sich verliebt, die Auserwählte spielte eine Weile die Spröde und ließ ihn zappeln um sich dann mit einem anderen aus dem Staub zu machen. Übrigens mit einem ehemals guten Freund meines Sohnes. Es dauerte zwar ein paar Monate, aber dann kam er drüber weg. Nun hat er aber eine ähnliche Beziehung wieder, wo die Freundin immer wieder in Frage stellt, ob das etwas werden kann oder nicht.
 
lilith,

mir gefällt die Formel der Bochumer Therapeuten
"Wir sind hier damit wir ihnen andere Resulte und Lösungen ihrer Gedankengänge aufzeigen" recht gut,
und würde getreu nach diesem Motto die zwei Themen Sinngebung und Selbstvertrauen anschneiden.

Zum Thema Sinngebung wurde in diesem Forum ja schon viel geschrieben, unter anderem auch,
dass man nicht lange nach dem Sinn fragen soll, den irgendeine geheimnisvolle Instanz in sein Leben
hineingelegt hat, sondern nach dem Sinn, den man selbst seinem Leben geben will.

Zum Selbstvertrauen würde ich daran erinnern, dass es sich am ehesten entwickelt,
wenn man das macht, was man gerne macht und deshalb irgendwann einmal auch gut kann.

Der Sohn sollte deshalb zuallererst einmal ermutigt werden, das zu machen, was er selbst gerne machen will,
unabhängig davon, ob das irgendjemandem nun gefällt, oder nicht.
Die Mutter kann ihn darin bestärken, dass er selbst das Mass seiner Dinge ist,
dass er den Weg, den er einschlagen will, nur vor sich selbst zu rechtfertigen braucht.

Und er sollte mit einfachen Aufgaben anfangen und sich in kleinen Schritten an immer schwierigere
Aufgaben herantasten. So kann sich Schritt für Schritt sein Selbstvertrauen aufbauen.


Viel mehr kann ich dazu nicht schreiben, aber vielleicht trägt das ja doch irgendwie dazu bei,
neue Gedankengänge zu stimulieren.

lg nase
 
Hallo Lilith,

ich kann mir in etwa vorstellen, was da alles in dir vorgeht, denn ich war auch schon mal als Mutter in der gleichen Situation. Mein Sohn, damals Anfang 20, litt auch immer öfter unter Depressionen, nachdem er einige Niederlagen hatte einstecken und verarbeiten müssen – weil er vieles nicht so umsetzen konnte, wie er es gewollt hätte. In guten Phasen war er voller Ideen und Vorhaben und hat sich immer wieder selbst unter Druck gesetzt, in dem Versuch alles auch umsetzen zu können. Aber es ging oft nicht so wie er es sich vorgestellt hatte – vor allem nicht schnell genug. Eines Tages musste ich ihn in die Psychiatrie begleiten und da brach für mich, als Mutter, erst mal eine Welt zusammen – nicht weil wir in einer sogenannten „heile“ Welt gelebt hatten, aber ich war total erschüttert. Ich ging zunächst aus der Klinik heraus mit einem Gefühl wie „plötzlich ist alles anders“. Ich suchte nach Gründen, nach Ursachen, dass es soweit hatte kommen können – fragte mich, was ich falsch gemacht hatte, hätte ich es verhindern können, würde er jemals wieder gesund werden, würde ich in der Lage sein ihn zu unterstützen usw.

Die Klinik war in der Nähe und ich habe ihn jeden Tag besucht, wir haben endlose Gespräche geführt, die mich, wie du auch schreibst, aber zum Teil auch irgendwann sehr erschöpft haben. Ich hatte schon länger eine Woche Urlaub geplant, gerade in der Zeit und wollte den Urlaub erst absagen. Die Therapeuten haben mir aber zugeraten, ich sollte mir die Woche nehmen – es wäre wichtig, dass ich auch für mich selbst sorgen würde, sonst würde ich mich erschöpfen und ich können ihn dann auch nicht „richtig“ unterstützen. Ich bin dann auch schweren Herzens weggefahren und habe die „Fürsorge“ anderen überlassen.

In dieser ganzen Zeit während des Klinikaufenthalt und auch danach musste ich lernen einzusehen, dass ich als Mutter, oder andere Angehörige, auch nur bedingt unterstützen und „helfen“ kann. Letztendlich konnte ich „nur“ begleiten... Das habe ich spätestens dann verstanden, als er nach der Entlassung einen Selbstmordversuch unternahm. Aber nach der Genesung sprudelte er wieder vor Gedanken und Plänen, was er nun machen möchte – versuchte das Eine nach dem Anderen und hatte schnell wieder neue Pläne. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich mich nicht mehr so einfach auf diese widerkehrende Gespräche einlassen konnte. Ich hatte das meiste schon immer wieder mal gehört und ich hatte keine Worte mehr – ich hatte das Gefühl, alles schon gesagt zu haben. Und das habe ich ihm dann auch eines Tages gesagt.

In den Jahren danach hat er immer wieder Neues versucht – hatte mal Erfolg aber auch Misserfolge bei seinen Vorhaben, hatte Phasen in denen er sich zurückzog, aber er kam immer wieder selbst auf die Beine. Die depressiven Phasen ließen immer mehr nach. In mir blieb noch nach Jahren eine gewisse Angst, dass wieder etwas „passieren“ könnte, aber das habe ich im erst später erzählt. Es war meine Angst, nicht seine.

Ich habe auch, wie du, mit Freunden und Familie geredet, aber irgendwie ist man doch allein damit. Andere, die das gleiche nicht erfahren haben, können sich nun mal nicht so hineinversetzen und einem wirklich „helfen“. Jeder Betroffene geht auch unterschiedlich mit solchen Situationen um, je nach Lebenserfahrungen und Lebensumstände. Diese Zeit liegt nun fast 10 Jahre zurück und er lebt nun seit einigen Jahren eigentlich recht zufrieden mit dem was er macht. Er scheint erst mal einen Weg gefunden zu haben, auf dem er sich wohl fühlt.

Lilith, das alles hilft dir nun sicher auch nicht weiter – ist nur einen, nun doch zu lang gewordenen, Erfahrungsbericht und alles doch verkürzt erzählt. Ich kann aber auch als Betroffene keine wirklichen Ideen und Ratschläge an Andere geben. Dafür sind die jeweiligen Hintergründe und Umstände einfach zu unterschiedlich von Fall zu Fall. Aber ich denke, es ist wichtig, dass man sich mit anderen Menschen austauscht. Ich habe damals auch eine Weile an einem Gesprächskreis für Angehörige teilgenommen, was mir aber nur in der ersten Zeit etwas geholfen hat. Dort konnte ich nur feststellen, dass ich zwar nicht allein war – aber doch allein ;-)

Ich wünsche dir auf jeden Fall viel Kraft – und ich kann Fusselhirn nur Recht geben, achte auch auf dich selbst!

Viele Grüße,
Britt
 
Lillith,

da du mich nicht kennst, weder vom Forum her noch sonst, möchte ich sicherheitshalber hinzufügen: was ich geschrieben habe ist wahr, wenn es dir auch hier im Forum auch niemand bestätigen kann. Beim Schreiben gestern habe ich auch gemerkt, dass Einiges wieder hoch kam. Wahrscheinlich wurde mein Beitrag deshalb auch so lang – und vielleicht auch zu persönlich. Aber ich hoffe, du hast meinen Beitrag nicht „falsch“ aufgenommen.

Es war eben nur ein Erfahrungsbericht von einer Mutter, die mal in ähnlicher Situation war – eine Erzählung von einer Mutter, die in der Zeit auch vieles neu reflektieren musste und sich auch der Tatsache stellen musste, dass auch ein erwachsene „Kind“ manchmal wieder neu laufen lernen muss. Wie beim kleinen Kind können Eltern dann nur (unter)stützen, aber die Schritte müssen die Kinder schon selbst machen – ob groß oder klein. Aber das ist schon wieder so einen „Sch...klugen“ Satz und ich höre auch schon auf damit ;-) Im Nachhinein ist die Sicht der Dinge immer anders...
 
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Britt, Fussel, Neugier,
euch lieben Dank.

Britt, dein langer Beitrag hat mir sehr geholfen, mich mit meinen Gefühlen und Gedanken nicht so allein zu fühlen.

Die Erkenntnis, nichts tun zu können, auch wenn mein Sohn die Kraft zum Leben nicht mehr aufbringen will und lieber sterben möchte, ist zwar für mich notwendig, aber dadurch nicht weniger schmerzhaft.

Ein kleiner Lichtblick tauchte gestern auf. Eine Praktikantin aus der Ergotherapie lud ihn ein, mit ihr ins Kino zu gehen. Und er hat es sogar getan!

herzlich
lilith
 
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