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Der Abschuss eines Passagierflugzeuges als ethischer Konflikt

Sunnyboy

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10. März 2005
Beiträge
542
Hi, ich habe letztes Jahr an einem Phiolosophie-Wettbewerb der Nordrhein-Westfälischen Landesregierung teilgenommen, es standen 5-6 Themen zur Auswahl. Ich habe mich für das vierte Thema Entschieden und es würde mich interessieren, was ihr über meinen Aufsatz denkt. Für eventuelle Antworten bedanke ich mich schonmal im Voraus.
Ach ja, der Aufsatz gehörte überigens nicht zu den Gewinnern. :weinen2:

Mein Aufsatz für den Landes-Essay-Wettbewerb 2005 im Fach Philosophie (des Landes Nordrhein-Westfalen) vom 22.11.2004:

Essay zu Thema 4.:

Ist es moralisch zu rechtfertigen, dass man ein von Terroristen entführtes Flugzeug abschießt, „wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll" (§ 14 Luftsicherheitsgesetz der Bundesrepublik Deutschland)?

Man stelle sich folgendes Szenario vor: Im Sommer 2005, genau in der Zeit, in der die Region um Köln von etwa einer Million Pilgern, unter ihnen hauptsächlich junge Leute, besucht wird, die dem katholischen Weltjugendtag beiwohnen wollen, wird kurz nach dem Start am Flughafen Köln-Bonn ein Flugzeug mit ca. 200 Fluggästen entführt. Nachdem man Kontakt zu den Entführern aufgenommen hat stellt sich heraus, dass es sich bei ihnen um fanatische Terroristen handelt, deren Ziel die Vernichtung der westlichen Welt ist. Nachdem man den Kurs der Maschine analysiert hat, steht eindeutig fest: Die Entführer wollen sich mitsamt der Maschine und den in ihr gefangenen Geiseln auf das Marienfeld stürzen, wo genau in diesem Moment ca. eine Million Menschen einer Rede des Papstes zuhören. Alle Verhandlungsangebote lehnen die Terroristen ab und eine Evakuierung des Feldes ist unter Betrachtung der Massen nicht möglich. Da erkennen Spezialisten im Verteidigungsministerium, dass sich das Flugzeug im Moment über einer unbebauten und unbewohnten Landschaft befindet. Wenn man die Maschine jetzt abschießt, werden zwar die Insassen des Flugzeugs zu Tode kommen, auf dem Boden würde jedoch niemandem etwas passieren, und die Gefahr wäre von den Pilgern abgewendet. Diesen Befehl kann nur der Verteidigungsminister geben. Doch der zögert: juristisch hat er das Recht dazu. Aber ist er moralisch dazu berechtigt die 200 Fluggäste zu opfern, um das Leben der Million Pilger zu retten?


Die Frage, die hinter dieser Problematik steckt, ist meiner Meinung nach Folgende:
Darf man das Leben einiger Menschen opfern, um das Leben anderer zu erhalten?
Diese Fragestellung ist sehr kompliziert, denn letztendlich bedeutet sie, dass man entscheiden muss, welches Leben wichtiger ist. Diese Frage kann man, zumindest mit dem Hintergrund der Werte unserer Gesellschaft, jedoch gar nicht erst stellen, denn nach unseren Wertevorstellungen sind alle Menschen gleich, so steht es sogar in den Menschenrechten. Das Leben eines einzelnen Menschen im Flugzeug ist genauso viel wert wie das Leben eines einzelnen Menschen in der durch die Terroristen gefährdeten Menge.

Man kann sich also darüber einig sein, dass das Leben aller Menschen gleich viel wert ist. Somit kann man die Entscheidung über Leben und Tod nicht an der Bedeutung der betroffenen Personen messen.
Vielleicht, so könnte man meinen, an dem Nutzen der Leben der Menschen für die Gesellschaft.
Wenn wir also annehmen, in der Maschine säßen 200 Krebsforscher, auf dem Weg zu einer Konferenz zur Heilung von Krebs, wären dann diese 200 Leben mehr wert als die der Pilger? Die Bejahung dieser Frage wäre zwar interessant, lässt sich aber schnell mit dem Argument widerlegen, dass in der Menge vielleicht auch Forscher sind, die nützliche Ideen haben, und deren Tod ein genauso großer Verlust ist.
Außerdem darf man eines nicht außer acht lassen: die Chancen für die Insassen der Maschine stehen so oder so schlecht: entweder wird die Maschine abgeschossen, dann sterben sie durch den Abschuss, oder die Maschine stürzt in die Menge, dann sterben sie durch den Absturz. Somit fällt auch eine auf dem Utilitätsprinzip der Nutzenethik basierende Begründung weg. (Bei diesem Prinzip werden die nützlichen Folgen der Handlung beachtet, das wäre hier die Möglichkeit der Forscher, Leben von Schwerkranken zu retten, indem sie eine Medizin gegen Krebs entwickeln, was sie ja nur dann können, wenn sie am Leben bleiben; dies wäre dann der Nutzen, den die Allgemeinheit hätte).

Eine Rechtfertigung für einen Abschuss aufgrund der Tatsache, dass ein Leben mehr wert ist als das andere, kann man also ebenso ausschließen wie eine Rechtfertigung aufgrund einer größeren Nützlichkeit, die bestimmte Leben gegenüber anderen Leben haben.

Doch was ist dann das Kriterium, durch das man die moralische Rechtfertigung für einen Abschuss eines entführten Flugzeugs erhält?
Das Wichtigste ist die Abwägung der Chancen, die die verschiedenen Beteiligten noch haben. In einer solchen Situation kann es nur noch darum gehen, Schaden zu begrenzen, ihn so minimal wie möglich zu halten; Schaden zu verhindern ist in hier nicht mehr möglich.Die Verantwortlichen müssen genau schauen:
Was muss getan werden, um die größtmögliche Anzahl von Leben zu retten?
Wer ist in dieser Situation überhaupt noch zu retten?

Im geschilderten Fall wird es wahrscheinlich immer darauf hinauslaufen, dass das Luftfahrzeug abgeschossen wird. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass die Passagiere überleben, ist die geringste von allen, wie oben bereits erwähnt. Sie sterben höchstwahrscheinlich so oder so. Die Katastrophe am Boden könnte jedoch verhindert werden.


Um also zu einem Fazit zu kommen:
Ich bin der Ansicht, dass es moralisch richtig ist, das Flugzeug abzuschießen, vorausgesetzt, dass es zum einen keine andere Möglichkeit gibt, die Gefahr eines Terroranschlags zu verhindern (nur dann darf man einen Abschuss überhaupt erst in Betracht ziehen) ; dass des weiteren der Abschuss keine neue Gefahr für Unbeteiligte am Boden verursacht, wie zum Beispiel durch Flugzeugteile, die auf Wohngebiete stürzen; und dass der Abschuss zuletzt wirklich eine Versicherung dafür ist, dass so wenig Menschen wie möglich zu Schaden kommen.



Anmerkung:

1. Ich bin bei meinem Gedankenexperiment davon ausgegangen, dass die Terroristen das Flugzeug benutzen, um sich damit in eine Menge zu stürzen, das Flugzeug also direkt als Waffe benutzen. Ich habe hierbei an den 11. September 2001 gedacht. Man kann ein Flugzeug auch anders für terroristische Zwecke benutzen, zum Beispiel, indem man Waffen in der Maschine schmuggelt oder Terroristen in ein Land einzuschleusen versucht. In diesem Fall darf man das Flugzeug, so denke ich, nicht abschießen, sondern nur dann, wenn durch das Flugzeug selbst eine Gefahr für die Bevölkerung gegeben ist.

2. Ich habe die Terroristen im Text nicht erwähnt, da ich davon ausgehe, dass ihre Tötung Notwehr ist, da sie den Staat und die Bevölkerung angegriffen haben. Ich habe die Problematik der Fragestellung hauptsächlich bei dem Tod der entführten Passagiere gesehen.

3. Die Informationen zu dem Begriff Utilitätsprinip der Nutzenethik habe ich aus dem Heft „Ethisch handeln lernen- Ein Weg zu begründetem Urteilen“ von Jürgen Schwarz aus der Reihe „AOL Kompakt“, erschienen im AOL Verlag.
Das Beispiel mit den Krebsforschern stammt jedoch von mir.
 
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Vorerst einmal meine "objektive" Meinung: Wenn man sich absolut sicher ist, daß dieses Flugzeug in die Menschenmassen hineinfallen wird, wäre ich sogar für einen Abschuß über leicht besiedeltem Gebiet (kleines Dorf oder so). Denn dort wäre die Wahrscheinlichkeit, daß hier irrsinnig viele Menschen durch Flugzeugtrümmer ums Leben kommen, äußerst gering.

Kann es bei solchen Fragen aber überhaupt eine objektive Meinung geben? Man muß sich vor Augen führen, daß die Befehlsgeber ja Menschen mit subjektiven Meinungen und Gefühlen sind. Vor allem dann in ihrer Objektivität gefährdet, wenn sie Bekannte / Verwandte / Freunde entweder am Boden oder in der Maschine haben. Weiters wird auch beitragen zur Entscheidung, wie weit hier tiefer Haß gegen die Terroristen vorhanden ist.

Egal, welche Entscheidung getroffen wird: Die Terroristen haben zumindest einen Teil ihres Zieles erreicht. Einerseits gibt es viele Tote, andrerseits breitet sich unter der Bevölkerung Angst aus.

Friedenspanzer
 
Was wäre wenn...?
Du beschreibst ein Szenario, in dem - bis auf die Terroristen - nur "gute" Menschen vorkommem: Im Flugzeug die Krebsforscher, auf der Erde fromme Pilger und der Papst.
Was wäre, wenn sich an Bord der Maschine Schwerverbrecher befänden, die in ein anderes Zuchthaus verlegt werden sollten, und auf dem Boden rotteten sich Tausende von Neonazis für ihren Marsch durch die Stadt zusammen??
Die Entscheidung, ob Abschuss oder nicht, wäre nicht unbedingt leichter zu treffen, aber u.U. ginge man sie rationaler und emotionsloser an.

Gruß Guido
 
Guido schrieb:
Was wäre wenn...?
Du beschreibst ein Szenario, in dem - bis auf die Terroristen - nur "gute" Menschen vorkommem: Im Flugzeug die Krebsforscher, auf der Erde fromme Pilger und der Papst.
Was wäre, wenn sich an Bord der Maschine Schwerverbrecher befänden, die in ein anderes Zuchthaus verlegt werden sollten, und auf dem Boden rotteten sich Tausende von Neonazis für ihren Marsch durch die Stadt zusammen??
Die Entscheidung, ob Abschuss oder nicht, wäre nicht unbedingt leichter zu treffen, aber u.U. ginge man sie rationaler und emotionsloser an.

Gruß Guido
Was wäre, wenn sich unter den guten Krebsforschern ein paar Schwindler befänden, die ein krebsförderndes Mittel als Krebsheilmittel unterjubeln sollen, weil es die Pharmaindustrie noch reicher machen könnte, die sich diesen Schwindel teuer bezahlen lassen?
Und was wäre, wenn sich unter den Terroristen drei Kinder befänden, deren Vater, der wilde Oberterrorist, sie zur Arbeit mitnehmen musste, weil seine Frau schwer krank mit Krebs im Spital liegt?
Was wäre wenn....

Es geht um Menschen, um Angst und um Terror. Es genügt, dass solche Entscheidungen manchmal wirklich getroffen werden (müssen). Im Ernstfall entscheidet meistens eine Kleinigkeit, die in einem fiktiven Szenario gar nicht in die Überlegung einbezogen werden kann. Wie z.B. der Entscheider hat schlecht geschlafen, das Flugzeug hat einen Triebwerksschaden, es beginnt zu regnen und keiner hat Lust irgenwohin zu pilgern.

Rational und emotionslos könnte man auch einfach zur Kenntnis nehmen, dass Terroristen ein Flugzeug in eine Menschenmenge stürzen lassen. Punkt.
Niemand hat es ihnen befohlen, niemand lässt sich dadurch zu etwas zwingen, sterben müssen wir sowieso einmal, warum regt es jemanden auf, dass es eben die dort befindlichen Leute jetzt erwischt.

Argumente gibt es genug. Für jedes Szenario.

Die Frage ist: Wollen wir "gute Menschen" sein, die wenigstens alles versuchen, um die anderen "guten" Menschen zu beschützen? Bin ich ein "schlechter" Mensch, wenn ich erkenne, dass ich in manchen Fällen meinen Anspruch, "gut" zu sein, nicht erfüllen kann?

herzlich
lilith
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Hi sunnyboy

das Problem ist weniger,
ob das Flugzeug abgeschoßen wird oder nicht
sondern die Frage nach der Zuständigkeit.

wer entscheidet in kurzfristigen Notfällen?

bei einem Terrorakt oder einem Tsunami,
der in ein paar Stunden 'zuschlagen' wird,
kann man schlecht das Parlament einberufen,
welches dann beschließt,
wer zuständig ist,
etwas zu unternehmen.

Ach ja, der Aufsatz gehörte überigens nicht zu den Gewinnern.

Dein Aufsatz ist sehr gut!

Im geschilderten Fall wird es wahrscheinlich immer darauf hinauslaufen, dass das Luftfahrzeug abgeschossen wird.

die USA behaupten bis heute,
daß das dritte Flugzeug allein durch das heroische Eingreifen der Passagiere über dünnbesiedeltem Gebiet abgestürzt ist
 
die USA behaupten bis heute,
daß das dritte Flugzeug allein durch das heroische Eingreifen der Passagiere über dünnbesiedeltem Gebiet abgestürzt ist
Eben !
Das spräche gegen das Abschiessen.
Wenn die dortigen Passagiere (falls die Story überhaupt stimmt)
es geschafft hätten,
das Flugzeug wieder in ihre Gewalt zu bekommen,
dann hätte man durch das Abschiessen diesen guten Ausgang verhindert.
Und der Pilot, der das Flugzeug abgeschossen hätte
bzw. der Politiker, der den Befehl dazu gegeben hätte,
hätt keine ruhige Nacht mehr,
weil er sich womöglich immer denken wird,
dass es auch so hätte kommen können.
 
Was verstehst du unter ethischer Konflikt?!?


Immerhin wissen wir, seid Einstein, dass alles relativ ist! :)

LG, berchen!
:umarm:
 
berchen schrieb:
Immerhin wissen wir, seid Einstein, dass alles relativ ist! :)
Nö, und um bei Einstein zu bleiben. Nach seiner R.-Theorie ist etwa die Lichtgeschwindigkeit ganz und gar nicht relativ sondern eine absolute und definierte Größe.
 
Zuletzt bearbeitet:
dyonysos schrieb:
Nö, und um bei Einstein zu bleiben. Nach seiner R.-Theorie ist etwa die Lichtgeschwindigkeit ganz und gar nicht relativ sondern eine absolute und definierte Größe.

Ich denke, dass ich da eher diese umgangssprachliche Redewendung gemeint hab!
 
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Wer, oder was ist gut, oder böse?

Welches Leben ist mehr wert?

Kann die Anzahl der Opfer das einzige Kriterium sein?


Die Frage, ob Abschuss, oder nicht wird immer eine bleiben.
 
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