Bernd,
im zentralen Punkt, der Notwendigkeit eines angemessenen Umganges mit starken Gefühlen,
scheinen wir ja mit unseren Einschätzungen übereinzustimmen.
Dennoch lassen sich einige Unterschiede aufzeigen.
Bernd schrieb:
Die Wut ist in meinen Augen ein Grundgefühl, was nicht wegzudressieren ist.
Wenn das Kind z.B. durch böse Blicke oder verbale Vernachlässigung merkt,
dass es mit seiner Wut nicht angenommen wird, wird es seinen Impuls
(bei Wut z.B. schlagen, schreien, beißen) unterdrücken müssen.
Wie schon in meinem vorigen Beitrag erwähnt, halte ich Wut nicht für ein Primärgefühl,
das uns schicksalshaft und unabänderlich überkommt.
Meiner Meinung nach entsteht Wut vielmehr in einem Prozess, der durch viele Faktoren moduliert werden
kann, bis hin zur völligen Vermeidung.
Wenn Wut schon einmal entstanden ist, dann betrachte ich sie als einen starken Antrieb, mit dem
der Mensch genauso umzugehen lernen muss, wie mit anderen starken Antrieben, z.B. der Sexualität.
Erzieher sollten nicht diese Antriebe als schlecht hinstellen, sondern schlecht ist der unangemessene Umgang
mit diesen Antrieben. Deshalb sollte mit dem Kind der angemessene Umgang eingeübt werden.
Wir stimmen wohl darin überein, dass es nicht der richtige Umgang mit Wut ist, einfach nur wild drauf los
um sich zu schlagen, zu beissen, und zu schreien, wie es ja auch nicht akzeptabel erscheint,
einen aufreizenden Geschlechtspartner zu vergewaltigen.
Das Zusammenleben in einer Gemeinschaft bringt eben die zwingende Notwendigkeit einer wechselseitigen
Rücksichtsnahme, d.h. einer Beherrschung, mit sich. Ohne einem Minimum an Beherrschung wäre ein Mensch
schlichtweg nicht gemeinschafts-fähig und könnte nur allein im Urwald oder auf einer einsamen Insel leben.
Bei rund 6 Milliarden Erdenbürgern ginge sich das aber rein platzmässig nicht aus.
Die Eltern müssten dem Kind meiner Meinung nach klar machen, wie es die Wut ausdrücken kann,
Ja, ungefähr so meine ich das auch.
Ich würde jedoch neben dem "Wut ausdrücken" auch noch das Ziel "Wut abbauen" einsetzen.
Wenn es schon nicht gelungen ist, das Aufbauen einer Wut zu verhindern,
so sollte doch zumindest das Abbauen gekonnt werden.
Ich glaube nicht, dass man dauerhaft gesund in friedfertiger Stimmung sein kann,
wenn man die Wut nicht abführen kann.
Dort seh ich die Gefahr, sich selbst zu betrügen und irgendwann furchtbar abzustürzen
(,weil man sich selbst für unzureichend empfindet)
Bei dieser Überlegung wurde für meinen Geschmack etwas zu schnell von "Wut empfinden"
auf "unzureichend sein" geschlossen.
Unzureichend für das Leben in einer Gemeinschaft machen nicht bestimmte Handlungsantriebe,
sondern die Unfähigkeit, mit diesen Antriebskräften angemessen umzugehen.
Diese Unfähigkeit dürfte denn auch das gemeinsame Merkmal der Insassen von Strafanstalten sein.
Ich finde Wut ist kein gefährliches Gefühl...
Genausowenig gefährlich wie Angriffslust, Sexualität, Hunger und Durst, Geltungsbedürfnis, ....
die ganze Motivationenlitanei rauf und runter eben.
lg nase