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Klassenlose Medizin - wie real bzw. wünschenswert ist sie ?

Zeilinger

Well-Known Member
Registriert
22. Mai 2004
Beiträge
16.501
Hallo miteinander !

Ich glaube, dass dieses Thema von mehrheitlichem Interesse ist, weil wohl ganz selten ein Mensch ein Leben lang auf die Medizin verzichten kann. Trotz Suche habe ich auch kein ähnlich bzeichnetes Thema im Denkforum gefunden; überschneidet es sich mit einem anderen Thema, habe ich nichts dagegen, wenn walter diese beiden Themen dann zusammenmischt; das müsste aber mMn bald geschehen.

Unsicher bin ich mir darin, ob der thread in "Allgemeine Diskussionen" gehört oder nicht doch eher in "Allgemeine Politik". Nun, walter und/oder seine Moderatoren werden sich früher oder später eine Meinung dazu bilden.

Zuerst ein persönliches Erlebnis: zwischen meinem 20. und 30. Lebensjahr hatte ich cirka für 1 Jahr die Kühnheit, mich bei der Allgemeinen Sozialversicherung (in Österreich) abzumelden und sozusagen meine (eventuellen) medizinischen Kosten privat zu bestreiten. Zu diesem Zeitpunkt kannte ich die Allgemeine Sozialversicherung bereits. Als ich - jetzt sozusagen als Selbständiger - einmal eine Zahnbehandlung brauchte, teilte ich der Ordonanz vorher mit, dass ich privat bezahlen werde. Ich kam ohne Terminvereinbarung zum Zahnarzt, es waren so an die 5 Patienten bereits im Warteraum anwesend und ich kam zu meiner Verwunderung bereits als Zweiter an die Reihe. Ich müsste jetzt lügen, würde ich behaupten, dass mir das damals nicht gefiel. Inzwischen - wieder gute 30 Jahre ein Kassenpatient - würde mich so eine Vorgangsweise eines Arztes sicher stören.

In Österreich hat man oft den Eindruck, die klassenlose Medizin sei natürlich eine Selbstverständlich und jede Bevorzugung, mit Ausnahme der fachlich-medizinischen Dringlichkeit (Unfälle, Frauen in den Wehen, Lebensgefahr) ist natürlich verwerflich.
Doch seien wir uns einmal ehrlich:

Geht es immer der Reihe nach bei den Ärzten ?

Kann man sich als Patient wirklich sicher sein, dass man nur aus wissenschaftlich fundierten Gründen beim Arzt länger warten muss als an einer Theaterkasse ?

Ist die klassenlose Medizin in unserer turbokapitalistisch-geldgierigen Zeit überhaupt real ?

Wenn wir davon ausgehen, dass der (materiell) Reiche auch für Gesellschaft nützlicher ist als der Arme (und ich bin mir sicher, dass das sehr viele, besonders eben die Reichen, auch tun), ist dann die klassenlose Medizin überhaupt wünschenswert ?

Wenn der Reiche wirklich auch in vermehrtem Maße wichtig ist, ist es dann nicht nur recht und billig, dass er auch beim Arzt bevorzugt behandelt wird ?
Bejahen wir das, wer bestimmt, wie wichtig ein Mensch ist ?
Reicht ein (zweifellos sehr nützliches) Medizinstudium für so eine Entscheidung aus ?

Da ich mit meinen 58 Lebensjahren nicht nur fragen, sondern auch antworten will, meine Meinung ist: Nein, die klassenlose Medizin ist (auch in Österreich) nicht hundertprozentig real, sie ist aber als Prinzip und Idealvorstellung wünschenswert. Wird jemand für eine ärzliche Behandlung (welcher Art auch immer) vorgezogen, so soll dies nur aus wissenschaftlich fundierten, genau festgelegten Gründen geschehen.

Was ist Eure Meinung dazu ?

Zeili
 
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AW: Klassenlose Medizin - wie real bzw. wünschenswert ist sie ?

Hallo Zeilinger!
Eine klassenlose Medizin ist im Prinzip wünschenswert, wird allerdings nie Realität werden. Nicht hier in Deutschland. Es ist gar nicht so einfach wenn man sich darüber Gedanken macht, allen gerecht zu werden bei den Überlegungen. Tatsache ist daß ein paar Prozent hier in Germany für einen Großteil der Bevölkerung aufkommt. Es ist nicht immer gesagt daß sie privat versichert sind. Für Alleinstehende, Singles rechnet es sich, doch wer Familie hat kommt meistens finanziell mit der gesetzlichen Krankenkasse besser weg, weil die ganze Familie mitversichert wird. Auch der muß stundenlang im Wartezimmer sitzen und mit ansehen wie einer nach dem anderen Privatversicherter vorgezogen wird. Während es sein kann daß ein Beamter, der gar nicht sooo viel verdient auch privat versichert ist, einer der sein Gedl vom Staat bekommt- vom Steuerzahler. Finde ich teilweise nicht ganz gerecht das System hier. Aber jeder wer es sich einigermaßen erlauben kann, kann sich privat für einen eventuellen Krankenhausaufenthalt zusatzversichern- und das ist meiner Meinung SEHR wichtig. Denn die Zwei oder wieviel auch immer- Klassengesellschaft macht sich dort erst recht bemerkbar. Da kann man dann über die Unngerechtigkeiten in den Arztpraxen drüber weg sehen. Ganz richtig finde ich es allerdings nicht, daß die Halbgötter in Weiß solche Unterschiede machen. Das ist die reine Geldgier und hat mit Menschenhilfe nicht viel zu tun. Aber sie sollen ihr Geld verdienen, ansonsten wandern noch mehr Ärzte ins Ausland ab, das ist hier ein Problem. Denn von den Krankenkassenpatienten scheinen sie nicht genug Geld, bzw. von ihren Krankenkassen, zu bekommen.
Gruß Muckel
 
AW: Klassenlose Medizin - wie real bzw. wünschenswert ist sie ?

S.g. Zeilinger
Nein, die klassenlose Medizin ist (auch in Österreich) nicht hundertprozentig real, sie ist aber als Prinzip und Idealvorstellung wünschenswert. Wird jemand für eine ärzliche Behandlung (welcher Art auch immer) vorgezogen, so soll dies nur aus wissenschaftlich fundierten, genau festgelegten Gründen geschehen.
Das wäre aus moralischer oder humaner Sicht der erstrebenswerte Idealzustand.
Die Menschen haben aber doch immer das Bedürfnis das Beste für sich oder für Menschen in ihrem unmittelbaren Umfeld zu wollen und wenn sie es sich leisten können auch zu bekommen.
Wenn aber eine allgemeine medizinisches Versorgung nicht die Beste ist, dann einsteht Nachfrage nach noch besserer Versorgung. Und das Angebot für noch bessere Versorgung wird von den Menschen die dafür bezahlen können natürlich angenommen.
Jeder der ein Kind mit einer Krankheit hat, die im Rahmen der Krankenkassenbehandlung nicht geheilt werden kann, wird für eine entgeltliche angebotene wirksame Behandlung selbstverständlich bezahlen. Und damit entsteht 2 Klassen Medizin.
Also die Bedürfnisse der Menschen stehen irgendwie im Gegensatz zu moralischen oder humanen
Idealbedingungen. Es wäre interessant ob es Lösungsvorschläge für dieses Problem gibt ?

L.G.
Belair57
 
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AW: Klassenlose Medizin - wie real bzw. wünschenswert ist sie ?

Auf meinen Raubzug durch eine Süßwarenabteilung, erzählte mir neulich eine Verkäuferin, dass ihr noch nie so viele Menschen begegnet seien, wie heute, die sich als Patienten zu erkennen geben und „etwas anspruchsvolles“ für ihren Arzt suchen. Sie kaufen massenweise kostbare Pralinenschachteln. Glatt wird man die Schwellenwerte für Blutfett wieder korrigieren müssen.

Wahrscheinlich, lieber Zeili, erkaufen sich die Menschen damit einen vorderen Rang im Wartezimmer.Ich bin der Meinung, dass die Menschen damit tun, was sie ihr ganzes Leben lang taten. Sie schleimen sich bei denen ein, von denen sie etwas wollen. Sie stellen sich gut mit „Autoritäten“. Gegen dieses Verhalten, auch gegen scheinbar zunehmende Geldgeschenke oder vom Arzt angebotene Nahrungsergänzungsmittelchen zum „wos derzuverdienen“ habe ich nichts, auch nichts gegen das geschickte Locken von jungen Menschen in private Versicherungen. Sicher arbeiten die zum Wohle der Einzahler.

Mir tun lediglich junge Menschen leid, die brav ihre 8 Stunden im Büro und am Band absitzen und noch 30-40 Jahre vor sich haben...die Kassen und Ärzte zu füttern...und eigentlich schon voraussehen können, dass sie, bis sie soweit sind und von der Gesellschaft zermürbt, auch mal im Wartezimmer mit was ernstem sitzen, dann lediglich mit einer Grundversorgung abgespeist werden. Möglichst ambulant, möglichst kostengünstig. Die Grundversorgung wird m.E. in Abhängigkeit von den Wahlterminen und Wahlmodalitäten soweit zurückgefahren werden, dass man bis man soweit ist, als normales „Beitrags-Einzahl-Vieh“ mit Wund- und Unfallversorgung und Infektionsbehandlung zufrieden sein muss. Allerdings geht auf eine Kuhhaut bekanntlich sehr viel drauf, bis sie sich schickt, mit einem Satz über den Weidezaun zu hüpfen.

Wenn man auf einer Weide mal die Ohren spitzt, wird man hören, dass die Kühe viel viel Muuuuuh machen. Das debattieren hilft ihnen, alles zu ertragen.

Frohes Fest
Bernd
 
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