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Eristische Dialektik (A.Schopenhauer)

hyperion

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1. März 2011
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ist die Kunst zu disputieren, und zwar so zu disputieren, daß man
Recht behält, also per fas et nefas.2) Man kann nämlich in der Sache selbst objective
Recht haben und doch in den Augen der Beisteher, ja bisweilen in seinen eignen, Unrecht
behalten. Wann nämlich der Gegner meinen Beweis widerlegt, und dies als Widerlegung
der Behauptung selbst gilt, für die es jedoch andre Beweise geben kann; in welchem Fall
natürlich für den Gegner das Verhältnis umgekehrt ist: er behält Recht, bei objektivem
Unrecht. Also die objektive Wahrheit eines Satzes und die Gültigkeit desselben in der
Approbation der Streiter und Hörer sind zweierlei. (Auf letztere ist die Dialektik
gerichtet.)
Woher kommt das? – Von der natürlichen Schlechtigkeit des menschlichen Geschlechts.
Wäre diese nicht, wären wir von Grund aus ehrlich, so würden wir bei jeder Debatte bloß
darauf ausgehn, die Wahrheit zu Tage zu fördern, ganz unbekümmert ob solche unsrer
zuerst aufgestellten Meinung oder der des Andern gemäß ausfiele: dies würde
gleichgültig, oder wenigstens ganz und gar Nebensache sein. Aber jetzt ist es
Hauptsache. Die angeborne Eitelkeit, die besonders hinsichtlich der Verstandeskräfte
reizbar ist, will nicht haben, daß was wir zuerst aufgestellt, sich als falsch und das des
Gegners als Recht ergebe. Hienach hätte nun zwar bloß jeder sich zu bemühen, nicht
anders als richtig zu urteilen: wozu er erst denken und nachher sprechen müßte. Aber
zur angebornen Eitelkeit gesellt sich bei den Meisten Geschwätzigkeit und angeborne
Unredlichkeit. Sie reden, ehe sie gedacht haben, und wenn sie auch hinterher merken,
daß ihre Behauptung falsch ist und sie Unrecht haben; so soll es doch scheinen, als wäre
es umgekehrt. Das Interesse für die Wahrheit, welches wohl meistens bei Aufstellung des
vermeintlich wahren Satzes das einzige Motiv gewesen, weicht jetzt ganz dem Interesse
der Eitelkeit: wahr soll falsch und falsch soll wahr scheinen.
 
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