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Sozialismus und Individualismus

Zeilinger

Well-Known Member
Registriert
22. Mai 2004
Beiträge
16.501
Kann man gleichzeitig Sozialdemokrat und Individualist sein oder muss man sich für eines von beiden entscheiden ?

Ist man ein schlechter Sozialdemokrat, wenn man individuelle Bedürfnisse hat ?

Oder müssen wir sagen: "Die Frage stellt sich so nicht" und einfach behaupten, ein sozial reifer Mensch denkt immer an seine Umwelt, ohne seine Individualität zu verlieren !?

Ich möchte das zur Diskussion stellen und bitte um Eure Meinung.

Zeili
 
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Zeilinger schrieb:
Kann man gleichzeitig Sozialdemokrat und Individualist sein oder muss man sich für eines von beiden entscheiden ?

Ist man ein schlechter Sozialdemokrat, wenn man individuelle Bedürfnisse hat ?

Oder müssen wir sagen: "Die Frage stellt sich so nicht" und einfach behaupten, ein sozial reifer Mensch denkt immer an seine Umwelt, ohne seine Individualität zu verlieren !?

Ich möchte das zur Diskussion stellen und bitte um Eure Meinung.

Zeili

Lieber Zeili,

Du hast hier einen sehr interessanten Thread eröffnet.

Ich kann nur von meiner Warte aus schreiben und nehme an, dass andere mehr Erfahrungen in dieser Hinsicht gesammelt haben.

Wenn man ein Mitglied der Sozialistischen Partei ist, hat man schon das Gefühl, die eigene Indiviualität zurückstecken zu müssen, denn da gibt es eine strenge Parteidisziplin. Das hält nicht jeder aus, vor allem nicht die Individualisten.

Doch ich kann wohl ein guter Sozialdemokrat ohne den zwingenden Parteiapparat sein und leichter Individualist bleiben.

Ein reifer Mensch, denkt bestimmt an den Nächsten und die Umwelt. Er weiß, dass er seinen Egoismus zurückstecken sollte. Ob er es tut, ist noch immer die Frage. In diesem Punkt könnte eine interessante Diskussion weiterführen.

Dies mein bescheidener Beitrag zu diesem hochinteressanten Thema.

Mit herzlichen Grüßen

suche :trommel:
 
Lieber Zeilinger, ich freue mich, wieder einen Anlass gefunden zu haben (und die Zeit dazu), mit Dir in einen Diskurs zu kommen.
Der Titel Deines Threads ist gut - nicht aber der folgende Satz:
Zeilinger schrieb:
Kann man gleichzeitig Sozialdemokrat und Individualist sein oder muss man sich für eines von beiden entscheiden ?

Zeili
In D - ich vermute Ähnliches für A - gibt es viele Sozialdemokraten, die alles Mögliche sind, nur keine Sozialisten; Hemut Schmidt ist wohl der prominenteste unter ihnen.
Zwischen Sozialismus und Individualimus aber besteht ein Gegensatz. Es gibt viele Unterschiede, ich will mich auf einen beschränken:
Individualismus heißt möglichste Chancengleichheit. Jedes Individuum nimmt diese Chancen mit unterschiedlichen Kräften wahr. Resultat: Ergebnisungleichheit. Der Sozialismus aber will diese Ungleichheit nicht hinnehmen, er versucht eine maximale Ergebnisgleichheit zu schaffen. Idealendziel: Alle haben das gleiche Einkommen und das gleiche Vermögen.
Was aber in Europa, vor allem in Deutschland zu beobachten ist, das fasst man unter "Sozialdemokratisierung" zusammen, und davon ist in D auch die CDU längst ergriffen - ich sage das hier weder bedauernd noch begrüßend.


suche schrieb:
Ein reifer Mensch, denkt bestimmt an den Nächsten und die Umwelt. Er weiß, dass er seinen Egoismus zurückstecken sollte. Ob er es tut, ist noch immer die Frage. In diesem Punkt könnte eine interessante Diskussion weiterführen.

Dies mein bescheidener Beitrag zu diesem hochinteressanten Thema.

Mit herzlichen Grüßen

suche
Die Nächstenliebe - gerade die praktizierte - ist kein Zeichen von Sozialismus. Der Christ will dem Schwachen helfen; aber die Verhältnisse nicht umkrempeln. Der Sozialist aber möchte die Verhältnisse so ändern, dass es gar keinen mehr gibt, dem man helfen muss. Christentum und Sozialismus ergänzen (komplementieren) sich allenfalls, aber sie ersetzen (substituieren) einander nicht.
Warum so bescheiden? - Dein Gedanke ist doch ein produktiver!
(By the way: Dein PN-Eingang ist immer noch verschlossen)
Grüße an beide sendet Ziesemann
 
Zeili - eine Gegenfrage

Kann man/frau Christ/In und Individualist/In sein?


Ich halte die Frage glatt für Nonsens.

Jede Bewegung lebt von Individualisten, charismatischen Leitfiguren und denen, die tun, was man ihnen sagt, ohne viel zu fragen.
Neben den Charismatikern gibt es die große Gruppe der Kritiker in jeder Partei und Bewegung, die sehr wohl Anhänger der Grundideen ihrer Bewegung sind, aber nie aufhören, wachsam zu sein.


Franz von Assisi war charismatischer Individualist -- und trotzdem Katholik.


Olov Palme war charismatischer Individualist - und überzeugter Sozialdemokrat.




Es ist doch irgendwie fast anrüchig zu glauben, dass das eine das andere ausschließt.


Glaubst Du, dass ich z:B. als überzeugte Sozialistin von morgens früh an die Internationale singe und nur tue, was Gusi mir anschafft?


Marianne
 
Marianne schrieb:
Glaubst Du, dass ich z:B. als überzeugte Sozialistin von morgens früh an die Internationale singe
Ja. Das glaube ich. Unbesehen. Ich singe sogar mit, wenn ich frühmorgens an Deinem Fenster vorbeikomme. Und ich bring auch frische Brötchen und Milch mit, den Kaffee kochst Du :kuss1: !

Die Diskussion wurde eröffnet mit den Stichworten Sozialismus und Individualismus, sogleich wird jedoch nach dem Verhältnis von Individualismus und Sozialdemokratie gefragt, als wenn sozialistisches und sozialdemokratisches Denken dasselbe wären.

Sozialismus: Alle sind gleich oder werden, weil sie eben nicht gleich sind, gleich gemacht, aber: es gibt eine vorgeordnete oligarchische Herrschaftsinstanz, die dich nach Können und Leistung (in der faschistischen Variante auch nach sozialer und ethnischer Herkunft) einordnet - der Staat leistet nach Zerstörung herkömmlicher Strukturen eine Minimalversorgung = revolutionärer Ansatz, eine Herrschaft wird durch eine andere ersetzt;
Sozialdemokratie: Alle sollen gleiche Möglichkeiten der Entfaltung und Mitbestimmung haben, der Staat zerstört die herkömmlichen Strukturen nicht, sondern versucht, das Bildungsniveau Schwächerer zu heben (sehr erfolgreich hierin: die sozialdemokratischen Arbeitervereine der 1860 / 70er Jahre), um sie besser als Funktionsträger in den Staat integrieren zu können = reformistischer Ansatz, formale Gleichheit aller als Ziel. Was im GG ja auch vorbildlich verwirklicht wurde, und was sich die BRD zum Prinzip machte, lange bevor Deutschland zur treibenden Kraft der Europäischen Union ward.

Ziesemann schrieb:
Was aber in Europa, vor allem in Deutschland zu beobachten ist, das fasst man unter "Sozialdemokratisierung" zusammen, und davon ist in D auch die CDU längst ergriffen - ich sage das hier weder bedauernd noch begrüßend.
Die von vornherein "sozialdemokratische" CDU hat 1949 als reformistische Partei Westdeutschland auf den Weg gebracht - es gab keine Alternative zur staatlich kontrollierten Wirtschaft, die allmählich in halb freie Märkte geführt wurde; die SPD unter Schumacher oder Ollenhauer hätte es anders, langsamer, aber nicht besser gekonnt. (Zur Kritik im einzelnen, z.B. an Adenauers Rentenpolitik bitte ich (Jahrgang 67) jedoch Ältere zu Wort - vielleicht könnt ihr Älteren besser erklären, warum das heutige Desaster des Sozialstaats weniger im System liegt, sondern auf einzelnen frühen Fehlentscheidungen beruht.)

Das "Individuum" als politische Kategorie verschwindet dabei natürlich, es bleibt aber der Vorzug der Sozialdemokratie, daß sie ihm alle Rechte einräumt und es nicht im abstrakten Nirwana des Kollektivs verschwinden läßt!

Die möglichen politischen Gegenkräfte sind bis heute die echten Konservativen, die als wohlhabende Minderheit jedoch keine Schwierigkeiten haben, sowohl sich selbst zu erhalten als auch politisch Einfluß zu nehmen; und - kaum nennenswert - die Handvoll Menschen, die individuelle Freiheit nicht mit dem Gedanken an "Staat" verbinden wollen. Aber: beide haben sich bestens mit der waltenden Sozialdemokratie arrangiert und sind weit entfernt, am bestehenden Zustand etwas ändern zu wollen.

Gaius
 
Gaius schrieb:
Die Diskussion wurde eröffnet mit den Stichworten Sozialismus und Individualismus, sogleich wird jedoch nach dem Verhältnis von Individualismus und Sozialdemokratie gefragt, als wenn sozialistisches und sozialdemokratisches Denken dasselbe wären.
Genau, das versuchte ich auch darzulegen.
Deine weiteren Ausführungen dazu sind zwar ein wenig überspitzt formuliert, aber im Kern wohl zutreffend. Es ist der ewige Traum der Sozialisten, eine Gesellschaft der Gleichen und nicht (nur) der Gleichberechtigten, das ist ja etwas anderes, zu schaffen.

Die von vornherein "sozialdemokratische" CDU hat 1949 als reformistische Partei Westdeutschland auf den Weg gebracht - es gab keine Alternative zur staatlich kontrollierten Wirtschaft, die allmählich in halb freie Märkte geführt wurde; die SPD unter Schumacher oder Ollenhauer hätte es anders, langsamer, aber nicht besser gekonnt.
Als Zeitzeuge sehe ich das ein wneig anders. Die SPD hat die Einführung der Marktwirtschaft zehn Jahre lang erbittert und zunehmend - da erfolglos - verbittert bekämpft. Der "Vater des Wirtschaftswunders", Ludwig Erhard, war für sie geradezu eine Unperson. Erst mit dem Programm von Bad Godesberg 1959 schloss sie ihren Frieden mit dem marktwirtschaftlichen System und stellte 1966 mit Karl Schiller einen geradezu neoliberalen Wirtschaftsminister. Ein brillanter Kopf.
(Zur Kritik im einzelnen, z.B. an Adenauers Rentenpolitik bitte ich (Jahrgang 67) jedoch Ältere zu Wort - vielleicht könnt ihr Älteren besser erklären, warum das heutige Desaster des Sozialstaats weniger im System liegt, sondern auf einzelnen frühen Fehlentscheidungen beruht.)

Gaius
Gern, zumal die Antwort auf Deine Frage relativ leicht ist. - Es war die Einführung der sog. Dynamischen Rente mit dem sog. Generationenvertrag. Sie basierte stillschweigend auf der Annahme annähernd gleichbleibender Geburtenzahlen. Als Mitarbeiter Adenauers (auch Ludwig Erhard gehörte zu den Kritikern!) auf das Risiko hinwiesen, wischte er die Einwände vom Tisch: "Kinder kriegen die Leute immer." - Eben nicht!
Schon ab 1972 sank die Geburtenrate unter die magische Zahl von 2,13 Kinder je Frau und nahm danach kontinuierlich weiter ab; z.Zt. 1,34. Damit war das Desaster programmiert und seit über 30 Jahren vorhersehbar.
Und nur einmal braucht man zu raten, warum die Politik erst so spät - im Grunde zu spät - reagiert.
Gruß - Ziesemann
 
imho gibt es einen fließenden Übergang zwischen extrem kommunistischen (Maoistischen) Gesellschaftsvorstellungen und eher liberalen (new labor, Tony Blair) sozialdemokratischen.

Fast jede Spielart dazwischen ist oder war schon mal irgendwo auf dem Globus verwirklicht.
Und alle einschlägigen Parteien und Gruppierungen fühlen sich als die wahren Heilsbringer.

Wenn es gelänge, einen Sozialismus auf die Beine zu stellen, in dem jeder die gleichen Chancen auf Bildung hat (keine Schulgebühren und Stipendien für alle!),
wo aber der Fleißige und Qualifizierte wesentlich mehr Geld bekommt als die Dummen, Faulen und Schmarotzer,
und wo sicher gestellt ist, daß zur Leistung Unfähige (Kranke und Behinderte) einen menschenwürdigen Mindestlebensstandard haben,
dann wäre ich ein begeisterter Sozialist.
aber:
Fleiß und Bildung müssen sich lohnen,
keine Chancen für Schmarotzertum und Faulheit !

meint Claus
 
Claus schrieb:
Fast jede Spielart dazwischen ist oder war schon mal irgendwo auf dem Globus verwirklicht.
Und alle einschlägigen Parteien und Gruppierungen fühlen sich als die wahren Heilsbringer.
Die Einsicht in die Geschichte gibt uns Skepsis gegenüber den Heilsverkündern menschheitsbeglückender Ideen, deren schon so viele gescheitert sind.

Wenn es gelänge, einen Sozialismus auf die Beine zu stellen, in dem jeder die gleichen Chancen auf Bildung hat (keine Schulgebühren und Stipendien für alle!),
Also auch Studienfreiheit für den Chefarztsohn und den Langzeitstudenten im 25. Semester? - Das ist genau jene Art von Gleichmacherei, die teuer kommt und neue Ungleichheit schafft.
wo aber der Fleißige und Qualifizierte wesentlich mehr Geld bekommt als die Dummen, Faulen und Schmarotzer,
und wo sicher gestellt ist, daß zur Leistung Unfähige (Kranke und Behinderte) einen menschenwürdigen Mindestlebensstandard haben,
dann wäre ich ein begeisterter Sozialist.
aber:
Fleiß und Bildung müssen sich lohnen,
keine Chancen für Schmarotzertum und Faulheit !
meint Claus
Wenn das alles dann so wäre, würde ich, lieber Claus, der dann von Dir hoffentlich gegründeten Sozialistischen Partei beitreten.
Ziesemann
 
Also auch Studienfreiheit für den Chefarztsohn und den Langzeitstudenten im 25. Semester? - Das ist genau jene Art von Gleichmacherei, die teuer kommt und neue Ungleichheit schafft.
Studiengebührenfreiheit für jeden.
Damit auch der Chefarztsohn persönlich unabhängig ist.
Ich empfinde es als ungerecht, wenn besserverdienenden durch höhere gebühren an allen Ecken ein Teil ihrer höheren einkünfte wieder weggenommen werden.

Und wenn jeder Student keine Gebühren zahlen muß
und für die Regelstudienzeit ein Stipendium (kein zurückzuzahlendes Bafög!) bekommt,
kann sich auch niemand darauf berufen, daß seine Studienzeit wegen Zwang zum Geldverdienen zu lange dauert.

Lieber Ziesemann, das alles fällt doch nicht unter Gleichmacherei sondern unter Chancengleichheit!

meint claus
 
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Claus schrieb:
Lieber Ziesemann, das alles fällt doch nicht unter Gleichmacherei sondern unter Chancengleichheit!

meint claus
LIeber Claus, das Thema Studiengebühren hatten wir erst jüngst diskutiert.
Meine Argumentation lautet so:
"Wesentlich Ungleiches muss auch ungleich behandelt werden" - Der Chefarztsohn hat gegenüber dem Arbeitersohn schon so viele Wettbewerbsvorteile - Papa bezahlt Studienaufenthalte im Ausland, kann sich leicht Uni-Wechsel leisten, jedes beliebige Fachbuch kann er kaufen, statt auzuleihen, fährt mit Auto zur Uni usw.usw. - , dass er nicht auch noch in den Genuss der Gebührenfreiheit kommen muss.
Gebührenfreies Studium heißt: Über seine Steuern zahlt der Arbeiter das Studium eben jenes Sohnes.
Mit genereller Studienfreiheit wird gleich gehobelt, was ungleich ist.
Ziesemann
 
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