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Zwiespalt ist unser Nationalcharakter

AW: Zwiespalt ist unser Nationalcharakter

...und der Charakter spaltet manchmal die Nationen.

Der Deutsche weiss ganz genau wie der Franzose /Elsässer inkl./ ist, oft sogar, was er isst.

Hallo Jérôme,

du lebst ja im Elsass, bist vielleicht sogar eingeborener Elsässer. Mich würde interessieren, welches der Charakter der Elsässer ist, die seit 1870/71 mehrmals die Obrigkeit wechseln mussten. Leben die Elsässer noch in einem Zwiespalt zwischen deutscher und französischer Mentalität oder haben sie sich mental eindeutig auf die französische Seite geschlagen?

fragt
Hartmut
 
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AW: Zwiespalt ist unser Nationalcharakter

Libeur Jérôme,

ganz guenaou weiß isch nischt, was der Elsässer isst, da bin ich immer nur durchgefahren (hab jedoch zum Essen gelegentlich Halt gemacht). Abeur isch 'abe doch ein paar Jahre essend sowohl als auch trinkend en plein milieu de la Grande Nation verbracht, um eine klein' idée von la cuisine francaise zu 'aben: Steak frîtes, Couscous, Cassoulet und äbeun: Choucroute.

Na ja, wenn ich's recht bedenke - hier und da gab's auch schon mal was andres.

- So, liebe Leute, wenn Euch mein Beitrag nur zu derlei - und keinen andern - Reflexionen Anlass gibt, bin ich so frei et prends congé. À un de ces jours - peut-être.
 
AW: Zwiespalt ist unser Nationalcharakter

- So, liebe Leute, wenn Euch mein Beitrag nur zu derlei - und keinen andern - Reflexionen Anlass gibt, bin ich so frei et prends congé. À un de ces jours - peut-être.

Salut!

Bedauerlicherweise hat sich Corsario weitgehend unverstanden verabschiedet. Ich erlaube mir trotzdem eine Art Reflexion. -grins

'Klettere, steige, aber es gibt keine Spitze - einer war vor dir da.'
(K.Tucholsky, Essay: Es gibt keinen Neuschnee)

Dieser Satz ging mir nicht aus dem Kopf als ich den Eingangsbeitrag las. Wenige Tage davor las ich nämlich irgendwo einen deutschsprachigen Zeitungsartikel, der diesem Beitrag verblüfend ähnlich war, aber mit Kritik an der Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht sparend endete. Leider kann ich diesen Artikel nicht mehr finden und muss deshalb auf Klassiker zurückgreifen.

'La Chartreuse de Parma' von Marie-Henri Beyle (Stendhal) ist heute noch ein Meisterwerk der Romankunst.
Seinem Text 'Betrachtungen über die Deutschen' dagegen, in dem er über Sitten und Charakter der Deutschen schrieb, konnte ich bisher so gar nichts abgewinnen. Der Text ist nur im Zusammenhang mit der Geschichte zu lesen, und dabei zu bedenken, dass ihn Beyle als sehr junger Mann, napoleonischer Offizier und kaiserlicher Intendant des Dép. Oker (Niedersachsen) mit der 'dazugehörenden' Arroganz schrieb als er 1806 in Braunschweig ankam und auch dann...aber beurteilt selbst. Der freundlichste Abschnitt lautet:

'Die braven Deutschen essen vier bis fünf Butterbrote, trinken zwei grosse Glas Bier und zuletzt noch einen Schnaps. Diese Lebensweise kann den heftigsten Menschen phlegmatisch machen. Mir raubt sie alles Denken...'

Corsario schrieb:
ganz guenaou weiß isch nischt, was der Elsässer isst, da bin ich immer nur durchgefahren (hab jedoch zum Essen gelegentlich Halt gemacht). Abeur isch 'abe doch ein paar Jahre essend sowohl als auch trinkend en plein milieu de la Grande Nation verbracht, um eine klein' idée von la cuisine francaise zu 'aben: Steak frîtes, Couscous, Cassoulet und äbeun: Choucroute.

Na ja, wenn ich's recht bedenke - hier und da gab's auch schon mal was andres.

Die französische Küche wurde erst durch ihre Kargheit berühmt. Aber trotzdem mundet mir Choucroute besser als Sauerkraut -grins.

In meiner beinahe jungfräulichen Agenda 2008 fanden nun zwei kulinarisch-kulturelle Daten Aufnahme. Der Tag des deutschen Bieres am 23. April und Der Tag des deutschen Butterbrotes am 28. September.
Hier wurde zwar die nationale Karte gezogen und ein Franzose käme daran sonst mit Sicherheit unberührt vorbei, jetzt bleibt ihm keine Wahl, er muss Marie-Henri Beyle gleich zweimal gedenken.

Ein drittes Datum, Corsario, gesellt sich noch dazu für Dein freundschaftlich-bilingual abgefasstes Schlusswort. Am 19. September werde ich ein Glas -nein, nicht Rotwein- meines gut gehüteten 25-jährigen Malts 'Glenmorangie' auf Dein Wohl trinken. Es ist aber kein so gut gehütetes Geheimnis, dass dieser Tag zu den skurrilsten aller Gedenktage gehört. Es ist der Sprich wie ein Pirat-Tag.

Yarr!
 
AW: Zwiespalt ist unser Nationalcharakter

Hallo Jérôme,

du lebst ja im Elsass, bist vielleicht sogar eingeborener Elsässer. Mich würde interessieren, welches der Charakter der Elsässer ist, die seit 1870/71 mehrmals die Obrigkeit wechseln mussten. Leben die Elsässer noch in einem Zwiespalt zwischen deutscher und französischer Mentalität oder haben sie sich mental eindeutig auf die französische Seite geschlagen?

fragt
Hartmut

Hallo Hartmut

Ja, ich betrachte mich als eingeboren in Elsass oder als Franzose mit enger regionaler Bindung, obwohl ich beinahe in Buenos Aires auf die Welt gekommen wäre. Es reichte dann gerade noch in die Bourgogne, nach Dijon -grins. Aber da ich bis zum 18. Lebensjahr nicht über die Landesgrenze kam und die Kindheit und die ganze Schulzeit bis zum Abitur in Elsass verbrachte, hoffe ich, Dir die Frage beantworten zu können.

Es gibt keinen Zwiespalt der Mentalität. Wir sind Franzosen und werden es bleiben.
Elsass hat eine bewegte Geschichte, war ein Teil des Mittelreiches, durch die Völkerwanderung und alemannische Besiedlung 870 dem Deutschen Reich angegliedert, unter Barbarossa gar Kernland der Macht, später Mittelpunkt des deutschen Humanismus, aber nach der franz. Revolution bildete sich eindeutig das Zugehörigkeitsgefühl zu Frankreich.
Das deutsche Kaiserreich musste gemäss Versailler-Vertrag 1919 das Reichsland Elsass-Lothringen zurückgeben und auch das Dritte Reich wurde 1945 zur Rückgabe gezwungen. Heim ins Reich gibt es für uns nicht mehr. Wozu auch? Die EU ist doch Reich genug!

Elsässer, die die Annektierung 1940 als Kinder erlebten, mussten Deutsch lernen, nach 1945 mussten sie Französisch lernen, was ihnen zwar sprachlich schwer fiel -ihre Eltern kannten grösstenteils kein Französisch, da aber Deutschland im Elsass nach dem Krieg zum Tabu wurde, wurde es auch die Sprache weitgehend. Es ist sicher verständlich, dass das Ansehen Deutschlands und somit auch das Ansehen der deutschen Kultur in dieser Zeit auf dem Nullpunkt war. Als diese Menschen (zweisprachig) in den 60-70ern selber Eltern wurden, sollten die Kinder die Sprache der Grosseltern meist nicht mehr lernen. Die einstige geographische Sprachgrenze existiert somit höchstens noch innerhalb der Generationen. Die Grosseltern bzw. Urgrosseltern sprechen die Dialekte alsacien, francique oder platt, aber es ist kaum als Bekenntnis über die Grenze zu verstehen, obwohl diese Dialekte natürlich eindeutig deutsche Dialekte sind. Als Zugehörigkeitsgefühl oder gar -drang sind sie keinesfalls zu werten, es sind lediglich regionale sprachliche Besonderheiten.


Es gibt, wie in so mancher Region, eine kleine Autonomie-Bewegung, die von den jungen Elsässer+Franzosen nicht gross wahrgenommen wird.
Und es gibt auch Bestrebungen, die Dialekte zu erhalten, weil sie ein Teil unserer Geschichte und unserer Kultur sind. Obwohl sogar Universitäten entsprechende Kurse anbieten, interessiert sich Paris kaum dafür und so wird evtl. sollte sich auch jeder deutsche Politiker, der vielleicht für das Erhalten des Deutschsprachlich-Kulturellen in Elsass eintreten möchte, hüten, das Thema nur laut anzudenken. Was ihm im eigenen Land passieren würde, könntest Du Dir sicher vorstellen -grins.

Das Elsass(-Lothringen) kennt seine Wurzeln und hat kein Problem damit. Die Deutschen haben als freundliche Touristen auch keine Ressentiments zu erwarten, aber sie müssen wissen, dass es mehr gibt als Deutsche und solche, die gerne Deutsche wären ;).
Trotzdem gibt es zum Glück wieder immer mehr Eltern, die ihre Kinder bilingual aufwachsen lassen, bereits in den Vorschulen.

Beantwortet das Deine Frage?

Grüsse
Jérôme
 
AW: Zwiespalt ist unser Nationalcharakter

Beantwortet das Deine Frage?

Aber ja, Jérôme! Es ist viel mehr, als ich gehofft hatte. Denn Beiträge von Dir sind seit geraumer Zeit (leider) recht selten und meist knapp gefasst. Danke vielmals, merci!

Es gibt keinen Zwiespalt der Mentalität. Wir sind Franzosen und werden es bleiben.

Das sind klare Worte von einem, der im Elsass verwurzelt ist.

Heim ins Reich gibt es für uns nicht mehr. Wozu auch? Die EU ist doch Reich genug!

Mit einer solchen Antwort hatte ich insgeheim gerechnet, und ich schliesse mich ihr deshalb gern an. "Die EU ist Reich genug" – auch ohne die kleine widerspenstige Schweiz –grins.

Herzliche Grüsse
Hartmut
 
AW: Zwiespalt ist unser Nationalcharakter

(Ich geb's zu, heimlich schau ich doch noch ab und zu vorbei.

Die EU ist reich genug? Mir nicht.

Die Elsässer haben keinen Zwiespalt? Das sind keine Deutschen. Als ich weiland unter der schönen France weilte, sagte ich oft: Wartet nur ab, das nächste Mal kommen wir nur, um das Elsass an die Schweiz anzuschließen.

Da war jedes Mal was los!)
 
AW: Zwiespalt ist unser Nationalcharakter

An Hartmut (jetzt erst bemerkt): "ich bin bereits über den ersten Satz gestolpert: Gibt es überhaupt so etwas wie einen Nationalcharakter? Innerhalb einer Nation sind doch die provinziellen Unterschiede erheblich. Die Mentalität etwa der Norddeutschen kann man wohl kaum mit derjenigen der Bayern, Schwaben oder Sachsen vergleichen."

Dass die deutschen Landsmannschaften dauerhaft so SEHR unterschiedlich sind, trägt nicht unerheblich zu der Zwiespältigkeit des deutschen "National"-Charakters bei. Es gibt kein anderes europäisches Land, wo sich die landsmannschaftlichen Partikulitäten so stark behauptet haben wie bei uns; was nichts mit dem genetischen Pool zu tun hat, sondern mit unserer Geschichte seit dem 30jährigen Krieg (der auch nicht von Himmel gefallen ist). Christian Graf Krockow ("Die Deutschen") schreibt sinngemäß: Der "deutsche Sonderweg" war im Wesentlichen darin angelegt, dass nirgendwo sonst in Europa die Besonderheiten der Milieus und der Provinzen sich so siegreich gegen "die Reichshauptstadt" gewehrt haben wie bei uns.
 
Zuletzt bearbeitet:
AW: Zwiespalt ist unser Nationalcharakter

Christian Graf Krockow ("Die Deutschen") schreibt sinngemäß: Der "deutsche Sonderweg" war im Wesentlichen darin angelegt, dass nirgendwo sonst in Europa die Besonderheiten der Milieus und der Provinzen sich so siegreich gegen "die Reichshauptstadt" gewehrt haben wie bei uns.

Hallo Corsario,

ich leg dir mal diesen thread ans Herz:

https://www.denkforum.at/forum/showpost.php?p=112352&postcount=1

Gruß
Zwetsche
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
AW: Zwiespalt ist unser Nationalcharakter

(Ich geb's zu, heimlich schau ich doch noch ab und zu vorbei.

Die EU ist reich genug? Mir nicht.

Die Elsässer haben keinen Zwiespalt? Das sind keine Deutschen. Als ich weiland unter der schönen France weilte, sagte ich oft: Wartet nur ab, das nächste Mal kommen wir nur, um das Elsass an die Schweiz anzuschließen.

Da war jedes Mal was los!)

Verstehe, Corsario. Bezüglich der EU gehen die Meinungen natürlich noch ziemlich auseinander, selbstverständlich auch in Frankreich. Deinen Satz verstehe ich dann doch nicht. 'Die EU ist reich genug? Mir nicht.' Ist das jetzt monetär zu verstehen, auf die Vielfalt bezogen...? Ich schrieb: Die EU ist Reich genug! Hätte ebenfalls 'Die EU ist mir 'Reich' genug!' schreiben können, aber ich gehe a priori davon aus, dass alles was ich schreibe als subjektive Meinung zu verstehen sei, ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit.
Und auf Dich eingehend: Die EU ist ebenfalls in jeder Beziehung reich genug...ist sie mir!

Deinen zweiten Absatz kann ich nur deuten. Unter Deiner deutschen Führung -grins wollte sich also, nur mal als eine kleine 'Drohung' spasseshalber, Deutschland in die inneren Angelegenheiten zweier souveräner Staaten einmischen... und das sorgte in Frankreich (nehme an in Südfrankreich, habe mich bei 'Dir' etwas umgesehen) für heisse Köpfe? Meine Erklärung wird Dich vermutlich enttäuschen. Die Franzosen sind für gewöhnlich einem Gast gegenüber sehr höflich und wollten Dich nicht enttäuschen. Die Entrüstung war nur gespielt, um Dir und dem grossen Eroberer in Dir eine Freude zu machen. Sie rechneten nicht damit, dass du diese Plattitüde auch noch mehrmals wiederholen wirst. Das hat man davon. Pardon!, aber in diesem Fall kann ich nicht freundlicher.



Hartmut schrieb:
Mit einer solchen Antwort hatte ich insgeheim gerechnet, und ich schliesse mich ihr deshalb gern an. "Die EU ist Reich genug" – auch ohne die kleine widerspenstige Schweiz –grins.

Hallo Hartmut

Bezüglich der widerspenstigen Schweiz bin ich übrigens der Auffassung, es ist nur eine Frage der Zeit, bis die nächste Volksabstimmung fällig wird und ebenfalls nur eine Frage der Zeit, bis die Schweiz ihr Insel-Dasein aufgibt.
Mir ist die 'Insel' übrigens trotzdem, vielleicht sogar auch ein wenig deshalb -grins sehr sympathisch und neben Frankreich und noch vor Kanada -grins nicht nur als Urlaubs- und Erholungsland sehr willkommen.

Grüsse ins freundliche Nachbarsland
Jérôme
 
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AW: Zwiespalt ist unser Nationalcharakter

Ah non mon vieux, en pleine Île de France, und da war ich lange genug, um vom Freund weder noch vom Feind länger für einen Gast gehalten zu werden. Höfliche Leute? Ich erzähl Dir une anecdote. Als ich grad etwa ein Jahr dort war, stellten mir Kollegen einen jungen Mann aus l'Alsace vor, und kamen sogleich miteinander lebhaft ins Gespräch. Der Alsacien und ich standen dabei. Nach einer Weile sagt er zu mir: "Ist Dir das auch schon aufgefallen? Immer, wenn Franzosen einen Deutschen und einen Elsässer beisammen sehen, reden sie über Krieg."
 
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