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Versuch über das Bildungswesen

Joachim Stiller

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9. Januar 2014
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Versuch über das Bildungswesen

Die Schulen, und mit ihnen das gesamte Bildungswesen, sind in die Krise geraten. Diese Krise des Bildungswesens konstatieren wir nun schon seit Jahrzehnten, ohne dass sich etwas Nennenswertes geändert hätte. Die Symptome der Krise liegen klar auf der Hand: Der Unterricht findet ausschließlich als Frontalunterricht statt, der Lehrer steht frontal vor der Klasse und doziert – Nur einer spricht, meistens der Lehrer – Nur einer stellt Fragen, ebenfalls der Lehrer, und nicht etwa die Schüler – Es herrschen Notenzwang und Ellenbogendenken – Schüler dürfen nicht von den Leistungen ihrer Mitschüler profitieren, das gilt als Täuschungsversuch – Das pädagogische Konzept ist oftmals immer noch die sogenannte „Kübeltheorie des Geistes“ (Kopf auf – Wissen rein – Umrühren – Fertig). Dass diese „Zustände“ zum Aufstand der Schüler mit einem immensen Aggressionspotential führen, ist leicht verständlich. Die Gewalt an den Schulen – und neuerdings kommen sogar noch Amokläufe mit Dutzenden Toten hinzu – spricht eine deutliche Sprache. Verzichten wir auf eine weitere Charakterisierung und konstatieren die allgemeine Bildungskatastrophe. Versuchen wir einmal, uns den Ursachen der Krise zu nähern. Grundsätzlich hat jeder Mensch ein Recht auf Bildung. Aber er hat auch ein Recht auf Erziehung, denn Erziehung ist Menschenrecht. Die Schule hat somit einen emminenten Erziehungsauftrag, der m.E. bis hinein in die Verfassung geregelt werden muss. Zu den pädagogischen Aufgaben der Schule gehört vor allen Dingen die Entwicklung „sozialer Kompetenzen“ der Kinder und Jugendlichen. Diese sozialen Kompetenzen, wie:
- Zuverlässigkeit
- Teamfähigkeit
- Kooperationsfähigkeit
- Selbständigkeit
- Toleranz
- Ehrlichkeit
- Aufrichtigkeit
- Pünktlichkeit, usw.
werden heute schon verstärkt von der Wirtschaft als selbstverständlich eingefordert. Sie müssen aber erst in der Schule erworben werden. Ganz neue pädagogische Konzepte, wie „handlungsorientierter Unterricht“ oder die von mir selber entwickelte „sozial-ästhetische Erziehung“ (Förderung der Kreativität zur Erlangung sozialer Kompetenz), neue Bildungsinhalte und Schwerpunkte, und neue Formen der Wissensvermittlung sind unbedingt erforderlich. Grundsätzlich wird man auf die Dauer auch die schlimme Praxis des Notenzwangs überdenken müssen. In der Waldorfpädagogik beispielsweise gibt es bereits heute keine Noten mehr. Die Schüler können sich frei und ungezwungen entfalten. Der Notenzwang kommt im Grunde einer Vergewaltigung von Kinderseelen gleich. Doch es naht Rettung. Ein Umdenken setzt bereits ein. In Basel in der Schweiz hat es einmal ein Grundschulexperiment gegeben, bei dem ganz neue Wege beschritten worden sind. Jede Klasse der Grundschule erhielt als Pflichtausstattung ein Regal mit Bilder- und Sachbüchern, einen Computer, sowie eine Turnmatte, wo die Kinder sich jederzeit austoben konnten, um Aggressionen abzubauen. Dies allein schon führte da zu, dass die Streitigkeiten zwischen den Kindern deutlich zurückgingen. Die Kinder der ersten Klasse lernten das Lesen und Schreiben nach einer ganz neuartigen Methode die von Montessori stammt. Sie lernten nicht zuerst Lesen, und dann erst Schreiben, wie sonst üblich, sondern zuerst Schreiben, und dann Lesen. Der Erfolg war er staunlich – die Kinder konnten nach nur vierzehn Tagen Schreiben und auch Lesen, wenn auch zunächst nur Druckschrift. Aber sie konnten nun die Kinderbücher, die Zeitung usw. lesen, und sie schrieben nach nur drei Wochen ihre ersten Aufsätze. Die Tatsache, dass die Kinder zunächst nur Druckschrift lernten, und erst später die Schreibschrift, verhalf ihnen zu einem erheblich verbesserten Schriftbild. Gelernt wurde mit verteilten Rollen. Jeder Schüler war sozusagen „Schirmherr“ einer gestellten Lernaufgabe, und hat dann zusammen mit dem Lehrer die anderen Schüler zensiert. Der Lehrer war nunmehr nur noch Lernberater, und konnte sich verstärkt um seine pädagogischen Aufgaben kümmern. Solche Schulversuche, von denen es viele gibt, stimmen zuversichtlich, auch wenn es in diesem Beispiel „nur“ um den „handlungsorientierten Unterricht“ ging. Das Grundproblem ist ein ganz anderes. Der Staat hat nach wie vor kein Interesse an wirklichen Reformen. Er hat an pädagogischen Konzepten ebenfalls kaum ein Interesse. Daher ist auch die Lehrerausbildung in diesem Punkt so schwach. Dem Staat geht es um bloße Wissensvermittlung, um Elitebildung, um eine technische Intelligenz, die die Wirtschaft und die Gesellschaft lediglich aufrecht erhält. Staat und Schule stehen in einem eklatanten Widerspruch zueinander. Und hier liegt denn auch der eigentliche Grund für die ganze Misere. Die Gesellschaft gliedert sich in Wirtschaftsleben, Rechtsleben und Geistesleben. Diesen Zusammenhang nennen wir nach Rudolf Steiner „soziale Dreigliederung“. Schulen gehören aber nicht mit zum Rechtsleben, sondern zum freien Geistesleben. Der Staat hat sich das Bildungswesen nur unzulässiger Weise angeeignet. Es handelt sich um eine Übergriffigkeit des Staatsprinzips auf das des freien Geisteslebens. Daraus können wir nun auch eine grundsätzliche Lösung des Problems ableiten. Die ganze „Verstaatlichung des Bildungswesens“ muss rückgängig gemacht werden. „Es gibt keine größere Versündigung wider den menschlichen Geist, als die Verstaatlichung des Bildungswesens. Eine generelle Entstaatlichung des Bidlungswesens ist Punkt eins eines jeglichen politischen Programms.“ (Joseph Beuys) Viel hängt von einer solchen Entstaatlichung des Bildungswesens ab. Das bedeutet aber auch, dass die fürchterliche Kultusministerkonferenz umgehend aufzulösen und abzuschaffen ist. Lerninhalte dürfen nicht länger von oben diktiert werden, die Schulen nicht länger bevormundet werden. Sie gehören einzig und allein in den Verantwortungsbereich der mit der Erziehung beauftragten Lehrerkollegien. Nur eine selbstverwaltete Schule kann funktionieren. Das bedeutet aber auch, dass jeder eine Schule wird gründen können dürfen, wenn das pädagogische Konzept politisch gewollt ist. Natürlich sind alle Schulen staatsfinanziert, sie tragen sich ausschließlich durch Subventionen vom Staat. Das berechtigt den Staat aber eben gerade "nicht" zu einer Mitsprache. Aber grundsätzlich gilt natürlich Lehrmittelfreiheit. Bildung und Erziehung sind Allgemeingut und somit kostenlos, denn alles andere führt nur zu sozialen Verwerfungen. Investieren wir in ein funktionierendes Schul- und Hochschulwesen. Investieren wir in die Zukunft dieser Gesellschaft.
 
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Die Schulen, und mit ihnen das gesamte Bildungswesen, sind in die Krise geraten.

An alle Leute, die - meist recht unbedarft - von "Bildungswesen", "Bildungssystem" und überhaupt "Bildung" schwadronieren, immer diese erste Frage: Was genau ist damit gemeint?

Diese Begriffe sind dermaßen unscharf, dass jeder, der sie nutzt, zuerst einmal klarstellen sollte, in welcher Bedeutung er sie verstanden wissen möchte.

Diese Krise des Bildungswesens konstatieren wir nun schon seit Jahrzehnten, ohne dass sich etwas Nennenswertes geändert hätte. Die Symptome der Krise liegen klar auf der Hand: Der Unterricht findet ausschließlich als Frontalunterricht statt, der Lehrer steht frontal vor der Klasse und doziert –

Das wird ständig und überall behauptet. Fakt ist: Der Lehrer steht vor der Klasse (frontal), aber was er da macht, wie er sich den Schülerinnen und Schülern gegenüber verhält, das steht auf einem gänzlich anderen Blatt.

Ich verstehe ehrlich gesagt wirklich nicht, weshalb öffentliche Kritik an Lehrern diese wie selbstverständlich auf stupide Pauker reduziert. Das ist so, als ob ich jeden Schlüsseldienst (blödes Beispiel, aber mir fällt im Moment kein besseres ein) pauschal als Abzocker oder jeden Koch als Fertigtüten-Aufwärmer bezeichne - Leidenschaft für ihren Beruf ist ihnen qua Definition abzusprechen.

Nein mein Freund. So einfach ist die Wirklichkeit ZUM GLÜCK nicht geartet. Ich hatte eine schwere Schulzeit durchzustehen und musste erst selbst vor Klassen stehen, um zu begreifen, dass dort keine programmierten Pinguine stehen, sondern Menschen wie du und ich, mit allen Stärken sowie Schwächen.

Noch zum Frontalunterricht:

Das ist ein Kampfbegriff aus der Reformpädagogik. Tatsächlich weiß NIEMAND genau, was damit eigentlich gemeint ist. Dass der Lehrer vor der Klasse steht und nicht auf dem Boden liegt oder an der Decke hängt, das sollte aus rein pragmatischen Gründen nachvollziehbar sein. Ein Koch steht ja auch vor dem Herd, ohne dass deshalb ein Begriff wie Frontalkochen irgend einen Sinn ergeben würde.

Die ganzen selbsternannten Bildungsreformer haben in der Regel eines gemeinsam: Keine Ahnung, wie alltäglicher Unterricht an Schulen heute aussieht. Und glaub mir eines: Viele Schülerinnen und Schüler wissen einen guten Lehrervortrag sehr zu schätzen! Als kleines Bonus zwischen all dem Stationenlernen, Gruppengearbeite, Projektunterricht und Lerngezirkele...

"Och nöööö, nicht schon wiiiieder Gruppenarbeit!!!"

Grundsätzlich hat jeder Mensch ein Recht auf Bildung. Aber er hat auch ein Recht auf Erziehung, denn Erziehung ist Menschenrecht. Die Schule hat somit einen emminenten Erziehungsauftrag, der m.E. bis hinein in die Verfassung geregelt werden muss.

Die Frage ist doch gar nicht die, ob "Erziehung" stattfinden sollte oder nicht. Schwerwiegender ist der Umstand, dass die Inhalte derselbigen - abgesehen von Plattitüden - von Interessen abhängig sind, die schwerlich per Gesetz geregelt werden können. Dass die Schule einen "Erziehungsauftrag" hat, ist ein alter Hut und überall nachzulesen.

Reformpädagogische Ansätze behaupten stets, dass das Kind ein Recht auf Selbstentfaltung/Selbsterziehung etc. haben müsse. Auf die Idee, dass man auch mal die Kinder fragen könnte, dass vielleicht nicht jedes Kind gleichermaßen mit offenen Lernformen zurecht kommt und dass hier vor allem erwachsene Kinder ihre privaten Bildungsideale am Kind ausprobieren möchten (und zwar auf deren Kosten), kommen die wenigsten Vertreter dieser weltverbessernden Zunft.

Ganz neue pädagogische Konzepte, wie „handlungsorientierter Unterricht“ oder die von mir selber entwickelte „sozial-ästhetische Erziehung“ (Förderung der Kreativität zur Erlangung sozialer Kompetenz), neue Bildungsinhalte und Schwerpunkte, und neue Formen der Wissensvermittlung sind unbedingt erforderlich.

"HOT" (handlungsorientierter Unterricht) ist ein alter Stiefel aus den 70er Jahren, der sich alles in allem in der Praxis nicht bewährte (die großen Versprechungen bis heute nicht einlösen konnte) und des Weiteren theoretisch nach wie vor mangelhaft fundiert ist. Man kann nicht einmal sagen, was "Handlung" überhaupt bedeuten soll. Das ist Fakt - ist in einschlägiger pädagogischer Literatur (z.B. Gudjons) nachzulesen.

Ein verantwortungsbewusster und professioneller Lehrender zaubert heute keine pädagogische Methodenneuheit mehr aus dem Zylinder hervor, sondern beschäftigt sich mit empirischer Unterrichtsforschung und nimmt am fachdidaktischen Diskurs teil. Von selbigem haben Bildungsrevolutionäre freilich auch keinen Schimmer, da sie die vermeintlich einzigen sind, die Missstände erkennen und Lösungen zu bieten haben.

Alle anderen sind offenbar unterbelichtet und fristen eben ihr jämmerliches Dasein, anstatt einfache Lösungen für offensichtliche Probleme zu wählen.

Der Notenzwang kommt im Grunde einer Vergewaltigung von Kinderseelen gleich.

Notengebung ist ein notwendiges Übel und nur Resultat gesamtgesellschaftlicher Verhältnisse. Nicht Noten gilt es abzuschaffen, sondern den Leistungsvergleich innerhalb der Gesellschaft. Löse dieses "Problem" und die Noten verschwinden umgehend von selbst.

Doch es naht Rettung. Ein Umdenken setzt bereits ein. In Basel in der Schweiz hat es einmal ein Grundschulexperiment gegeben, bei dem ganz neue Wege beschritten worden sind. Jede Klasse der Grundschule erhielt als Pflichtausstattung ein Regal mit Bilder- und Sachbüchern, einen Computer, sowie eine Turnmatte, wo die Kinder sich jederzeit austoben konnten, um Aggressionen abzubauen.

"Ganz neue Wege beschritten"?
In welchem Klassenzimmer steht heute kein Sofa+Bücherecke? Das hatten wir vor über 20 Jahren schon in der Grundschule. Ich wurde auch von der Lehrerin gelobt, da ich mir dicke Bücher mit nach Hause nahm. Trotzdem war ich damals kein guter Schüler. Das Lesen von dicken Abenteuerbüchern ersetzt die Lernmotivation nicht. Ich sehe da keinerlei Zusammenhang zwischen echter Lernhilfe und Sofaecke+Bücherregal etc.

Das Grundproblem ist ein ganz anderes. Der Staat hat nach wie vor kein Interesse an wirklichen Reformen. Er hat an pädagogischen Konzepten ebenfalls kaum ein Interesse.

Das ist schlicht falsch.
Bildungspolitik hat immer wieder reformpädagogische Ideen (die zahlreich vorhanden sind und wortreich vertreten werden) aufgegriffen und z.T. massiv unterstützt. An mangelnder staatlicher Unterstützung liegt es definitiv nicht, dass wir heute keinen idealen reformpädagog. Unterricht flächendeckend im Einsatz finden. Grund ist: Mangelhafte Effektivität und Übertragbarkeit, da nicht empirisch fundiert.

Daher ist auch die Lehrerausbildung in diesem Punkt so schwach. Dem Staat geht es um bloße Wissensvermittlung, um Elitebildung, um eine technische Intelligenz, die die Wirtschaft und die Gesellschaft lediglich aufrecht erhält. Staat und Schule stehen in einem eklatanten Widerspruch zueinander.

Das nennt sich auch - fachbegrifflich - "gesellschaftliche Reproduktion". Wenn Schule ein Ort sein soll, der nicht ideologisch (von religiösen Vorstellungen und lebensphilosophischen Idealismen) durchsetzt ist und den Lernenden also einen freien "Geist" ermöglicht, dann ist es sogar wichtig, dass "Wissen" im Sinne von intersubjektiv nachvollziehbaren Inhalten die Lehrpläne bestimmt und nicht vage Ideen von "Lebenskunst", "Potentialentfaltung" oder was weiß ich. Das klingt nur hübsch und nett, ist aber praktisch von beliebiger Gestalt und also gefährlich.

Bildung und Erziehung sind Allgemeingut und somit kostenlos, denn alles andere führt nur zu sozialen Verwerfungen. Investieren wir in ein funktionierendes Schul- und Hochschulwesen. Investieren wir in die Zukunft dieser Gesellschaft.

Und woher wissen wir, was funktioniert?
Sicherlich nicht aus genialen Einfällen einzelner Berufener, sondern aus seriöser und nachhaltiger empirischer Forschung. Alles andere ist unseren Kindern gegenüber schlicht VERANTWORTUNGSLOS!

Leute, wacht endlich auf!

Ein leidenschaftlicher Lehrer
 
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Lobektomie,..

Erstens operative Entfernung eines Lungenlappens.

Zweitens partielle Leberresektion.


Endlich:der komplette Pschyrembel als Hörbuch!:hamster::ironie:
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