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"Natur oder Kultur?"

Eigentlich nur zweierlei:
In deinen oben von mir angeführten Zitaten ist immer dreierlei unterschieden. Aber meinetwegen.

Also geht es dir hier um die Abgrenzung von Instinkt und Kultur und ihr wechselseitiges Verhältnis?
Instinkte haben alle Tierarten, Kulturen dagegen nur einige Arten, darunter der Mensch.
Das lese ich so, dass es zunächst nur Instinkte gab und sich im Laufe der Evolution daraus Kultur entwickelt hat. Diese Kultur kann man nicht mehr durch instinktives Verhalten erklären. Sie ist etwas Eigenes, Neues, aber doch Gewordenes. Dann stellt sich die interessante Frage: wo verläuft bei uns Menschen die Grenze? Welches Verhalten ist instinktiv, welches kulturell? Und kann man das in jedem Fall scharf abgrenzen?
 
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Dann stellt sich die interessante Frage: wo verläuft bei uns Menschen die Grenze? Welches Verhalten ist instinktiv, welches kulturell? Und kann man das in jedem Fall scharf abgrenzen?
Ein Zwischending sind die Affekte, die erstmals bei den höheren Säugetieren auftraten.
Eine vergleichsweise neue Erkenntnis (aus der Objektbeziehungstheorie, das ist grob gesagt die moderne Fassung der Psychoanalyse) ist dabei, dass Affekte die Bausteine der Triebe darstellen, Freud sah die Triebe noch als fundamental an.
Man geht heute von einer immer wieder mal schwankenden Anzahl von Basisaffekten aus, die dem Neugeborenen als Verhaltensdispositionen angeboren sind und die es sofort als Reaktion auf entsprechende Reize der inneren oder äußeren Umwelt ausdrücken kann, in der begründeten Hoffnung, dass die Mutter darauf reagiert. Manche Reize werden als als aversiv bewertet, mit der Tendenz, sie zu meiden, andere lösen Freude oder positive Erregung aus, mit der Tendenz diese wiederholen zu wollen.
Sie Summe dieser Affekte führt zu einem fundamentalen Dualismus, den Freud meisterhaft beschrieb, zu einer Spaltung der Welt in 'nur gute' und 'nur böse/schlechte' Eigenschaften oder Aspekte. Oder eben in Eros oder Libido und Thanatos oder Todes-/Aggressionstrieb, mit selbst- und/oder fremdzerstörerischen Aspekten.
 
Das lese ich so, dass es zunächst nur Instinkte gab und sich im Laufe der Evolution daraus Kultur entwickelt hat. Diese Kultur kann man nicht mehr durch instinktives Verhalten erklären. Sie ist etwas Eigenes, Neues, aber doch Gewordenes. Dann stellt sich die interessante Frage: wo verläuft bei uns Menschen die Grenze? Welches Verhalten ist instinktiv, welches kulturell? Und kann man das in jedem Fall scharf abgrenzen?
Zunächst gab es nicht einmal Instinkte sondern nur Reproduktion, irgendwann sind Instinkte und schließlich auch Kulturen entstanden, aber nicht als Ersatz dessen, was es davor gab, sondern immer als zusätzliche Schicht. Wir als späte Wesen weisen demnach alle diese Schichten auf: sowohl Reproduktion, als auch Instinkte und Kulturen. Wo die Grenzen zwischen den einzelnen Schichten verlaufen und wie scharf sie sich ziehen lassen, ist schwer zu sagen, ist in diesem Zusammenhang auch unwichtig.

Wichtig erscheint mir vielmehr, dass alle diese Schichten Teil der Natur sind und demzufolge den Naturgesetzen unterliegen. Eine Spezies, egal ob Frosch oder Mensch, für ihr Verhalten zu kritisieren, hieße also, sie dafür zu kritisieren, dass sie die Naturgesetze befolgt, was ich als völlig sinnlos betrachte.
 
Eine Spezies kann keine Kulturen bilden, wenn sie nicht zumindest einen Nachahmungs-Instinkt besitzt. Bestimmte soziale Instinkte wie Nachahmungs- und Weitergabe-Instinkt betrachte ich deshalb als Voraussetzung für die Möglichkeit, Kulturen zu bilden. Daher sehe ich Kultur und Instinkt nicht als Gegensätze an.
 
Für Freud ist die Beherrschung der inneren Natur (der Triebe) aber das Zentrum dessen, was Gesellschaft ausmacht. Das Individuum hat (qua Impulskontrolle) auf das unmittelbare Umsetzen seiner Bedürfnisse zu verzichten und diese statt dessen aufzuschieben. Der Lohn dafür sind Anerkennung und Schutz durch die Gesellschaft.
Freud sagt aber auch etwas über den Preis, den der Mensch dafür bezahlt:

"Freud sagt, dass der Mensch in der heutigen Kultur nicht glücklich sein kann. Ständig muss er seine Triebe und Wünsche unterdrücken, ständig muss er Aufgaben erfüllen, die ihm weniger Lust bereiten. Es scheint also nur naheliegend zu sein, dass die Gesellschaft immer mehr aus Kranken und Leidenden bestehen müsste. Freud führte Neurosen, Paranoia oder auch Hysterie auf diese Umstände zurück."


 
Ist das nur Kultur oder auch Natur? Gehört die Kultur nicht zur Natur?

Wenn man Begriffe so weit fasst, dann werden sie bedeutungslos.
Außerdem: Wäre die Kultur Teil der Natur, dann müssten die menschlichen Kulturen durch die Zeiten und Regionen überall gleich sein, das sind sie aber nicht. Zwar haben alle Kulturen von ihren Vorläufern etwas übernommen, die Römer von den Griechen, die Germanen von den Römern usw. usf. Von der ältesten Kultur aber, den Ägyptern, ist überhaupt nichts übrig geblieben.
Deshalb kommt uns die ägyptische Kultur auch immer so fremdartig vor, wie Aliens.
Zu anderen Kulturen haben wir praktisch keine Kontakte gehabt, die chinesische Kultur etwa, und da ergeht es uns ähnlich.

Sicher gibt es auch dennoch Gemeinsamkeiten, weil wir alle Menschen sind, aber bereits bei den Sitten und erst Recht den Religionen und Philosophien gibt es große Unterschiede. Selbst in der Kunst und der Musik ist in den verschiedenen Kulturen alles anders, dabei könnte man doch denken, melodisches oder ästhetisches Empfinden sei überall gleich - ist es aber nicht.
Indische Sitarmusik mag auf uns wie schreckliches Gewimmer klingen. Als ich in Marokko zu Besuch war, sah ich in der Architektur Farbkombinationen, die man hier nicht kombinieren würde: Türkis mit Bordeaux.
 
Wäre die Kultur Teil der Natur, dann müssten die menschlichen Kulturen durch die Zeiten und Regionen überall gleich sein, das sind sie aber nicht.
Zur Definition von Kultur gehört aber gerade, dass sie nicht überall gleich sein darf, sonst wäre es keine Kultur, sondern angeborenes Verhalten.

"Solche Beobachtungen, bei denen verschiedene Populationen derselben Art ganz unterschiedliche Verhaltensweisen pflegen, sind für Biologen viel mehr als nur Anekdoten: Sie sind der Beleg, dass nicht nur Menschen, sondern auch viele Tiere eine Kultur haben."


Würdest du also behaupten, dass die unterschiedlichen Kulturen bei Tieren nicht zu deren Natur gehören? Dass es da draußen Inseln von Nicht-Natur gibt?
 
Freud sagt aber auch etwas über den Preis, den der Mensch dafür bezahlt:
Ja, er war sich dieser Ambivalenz voll bewusst.
Allerdings erleben wir gerade eine Zeit des grassierenden Narzissmus oder zumindest einer kollektiven Regression über mehrrer Jahrzehnte im Westen, in der viele Menschen wieder dazu übergegangen sind ihre Bedürfnisse in oft recht rücksichtsloser Weise auszuleben.
Da stellt sich nun die große Frage, ob diese Menschen glücklicher, weil hemmungsloser sind.

Mein Einwand ist, mit Kernberg (ein großer Freudianischer Psychoanalytiker), dass Freud zwar den Narzissmus aber nicht die narzisstische Persönlichkeitsstörung entdeckte. In dieser ist das 'falsche Größenselbst' eine Kompensation für eine gefühlte Kleinheit und Nichtswürdigkeit, die als solche schwer lange zu ertragen ist. Für eine Zeit gelingt es mit dieser Aura der Großartigkeit zu beeindrucken und die eigene Kleinheit auf Distanz zu halten, aber die innere Leere, die chronische Langeweile, die Unfähigkeit zu tiefen Beziehungen, der Neid, der ewige Drang zur Konkurrenz lassen am Ende des Tages die Rechnung für mich recht eindeutig ausfallen.
 
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Allerdings erleben wir gerade eine Zeit des grassierenden Narzissmus oder zumindest einer kollektiven Regression über mehrrer Jahrzehnte im Westen, in der viele Menschen wieder dazu übergegangen sind ihre Bedürfnisse in oft recht rücksichtsloser Weise auszuleben.
"O tempora, o mores!" Seit zweitausend Jahren dasselbe Lied. :D
 
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