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Gibt es obszöne Kunst?

P.S. Wahrscheinlich habe ich Adorno unrecht getan, weil die Verbindung von Obszönität und Entfremdung gar nicht direkt von ihm stammt (sondern hier nur konsturiert wurde)? Aber ich weiß es nicht.
 
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Hi Marianne!

@ Lillith
Du machst doch selbst Kunst, wie ich hier im Forum sehe. Welche sprachliche-stilistischen Mittel, auch inhaltliche, wenn es denn sein muss, würdest Du als Mittel sehen, Obszönität im Sprachkunstwerk entstehen zu lassen?

Bislang ist Obszönität in meinem künstlerischen Schaffen kein Thema gewesen. Ich denke, es muss auch eine gewisse Affinität dafür vorhanden sein, dass ich das als Stilmittel einsetzen will.

MMn ist Obszönität NUR eine moralische Kategorie. Über Moral haben wir andernorts schon ausführlich gesprochen. Als Stilmittel bietet sich alles was mit Grenzen und Grenzüberschreitung zu tun hat, hervorragend an, denn da trifft man, wie man so schön sagt, "mitten ins Herz". Erregung ist immer gut, da wird Aufmerksamkeit und Diskussion hervorgerufen. Ideales Betätigungsfeld für Künstler.


Selbst, wenn wir " Eingeweihten" erkennen, dass Kunst an sich nie obszön sein kann, müssen doch ernsthafte Kritiker, die dieses Werturteil an Werke, wie z.B. an die Werke von Elfriede Jelinek, anlegen und die man doch mit Fug und Recht auch als Meinungsbildner bezeichen darf, auch Vorstellungen im Formal-Kriterischen haben, die sie zur Kritik berechtigen.
Hast du da eine konkrete Geschichte im Hinterkopf? Kritiker schätze ich im allgemeinen so ein, dass die einerseits ihre ganz persönliche subjektive Meinung zum besten geben und andererseits ihre "Zielgruppe" (Auftraggeber -> Fernsehen, Rundfunk, Presse) bedienen müssen, gleichzeitig sollen sie noch auf ihren RUF achten, den sie sich durch ihren besonderen Blickwinkel, unter dem sie die zu kritisierenden Werke zu betrachten bekannt geworden sind, geschaffen haben. (Sorry, fürchterlicher Schachtelsatz!)

Ich kann zu den Kritikern von Elfriede Jelinek nur sagen, was ich aus Presseberichten weiß. Dass da so ein gewisser moralinsaurer Geruch verbreitet wurde, der dann durch Beigabe von Süßstoff (=künstliche Süße)nach der Nobelpreis-geschichte zum Zuckerguss verhunzt werden sollte, bestätigt ja meine o.g. Erklärung ganz nett. Die Stimmung der vielzitierten breiten Masse, die mit Urteilen von akzeptabel bis empörend gefüttert wird, bildet ja mit den Stichwortgebern=Kritikern eine untrennbare Einheit. So wird Meinung gebildet. Aber die ist dann nur für die sog. Insider relevant, die damit Munition für Small-Talk-Parties erhalten.

Mehr ist das nicht für mich. Das alles ist weit weg von allem, was ich unter Kunst verstehe.

Sind es nur inhaltliche Kriterien, die ja leicht auf moralische Vorgaben hin zu trimmen sind?
Ist das der Fall, ist meine Frage keine Frage aus dem Bereich der Kunst, sondern aus dem Moralbereich und wäre keiner einhelligen Antwort zuführbar.
Ja, so sehe ich das.

Unter dem Stichwort Kunst gibt es ja schon einige Beiträge in mehreren Threads, da habe ich mich schon ausführlich dazu geäußert. Zuletzt bei Formulierlust-Formulierfrust von wort-schatz im Bereich "Diskussionen über das Denkforum....", #4.

herzlich
lilith
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Hallo, Jacques!

Nun setze ich mich hin, um Dir zu antworten und sehe, dass auch von Robin Interessantes zu lesen ist - wie immer für mich - .

Lillith, Dir danke ich für die Antwort. Ich kann mit allem übereinstimmen. Genaueres müsste man dann wirklich philosophisch betrachten, wozu ich nicht in der Lage bin.

Dass eine gewisse Umkehr des Urteils öbszön ( für mich) zwingend ist, bestätigt mir auch Dein Post.

Das sinnlich Wahrnehmbare kann ja wohl nie öbszön sein, nur die “ Vermarktung” kann obszön sein., wenn Du so willst, die Intention der Rezipienten - natürlich auch des Künstlers.

Auf Gebiete, die nicht die Kunst betreffen aber auf die meine Vermutung zutrifft, hat Jacques ja schon in seinem Umfangreichpost, das ich eigentlich gerade beantworten will, hingewiesen.


Nun aber doch zu Jacques:


Vorbemerkung: Ich kann die Diskussionsmethode” Zitat und Antwort “ Zitat und Antwort” nicht durchhalten: weder technisch noch mental.
Deshalb sei nicht gestört, wenn ich wieder das versuche, was ich bereits oben versucht habe und nur “ de Zuckerln ( für mich) herzitiere.


Selbstverständlich habe ich Dich nicht der Albernheit des Moralisierens bezichtigt. Ich wollt nur eine Gemeinsamkeit zwischen uns beiden herstellen: ist ja offensichtlich misslungen, wobei Du ja implizit schon im ersten Post unsere einander sehr angenäherte Position zum Ausdruck gebracht hast.



Zitat Jacques und Agamben




Zitat:
Zitat von Giorgio Agamben Ähnliches findet sich nur in der Antike, in der Darstellung der Liebesbeziehung zwischen Göttern und Menschen, die für die untergehende klassische Kunst eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration abgab. In der geschlechtlichen Vereinigung mit dem Gott löste der Mensch, besiegt und beglückt, mit einem Schlag die unendliche Entfernung, die ihn von den Himmlischen trennte; aber gleichzeitig wurde diese Distanz, umgekehrt, in der Verwandlung der Gottheit in ein Tier wiederhergestellt. Der sanfte Blick des Stiers, der Europa entführt, der listige Schnabel des Schwans über Ledas Haupt sind Zeichen einer so innigen und heroischen Promiskuität, dass wir sie heute noch kaum zu ertragen vermögen.



Noch kaum zu ertragen heisst wohl: Die Vereinigung mit dem Himmlischen ist die Vollendung des erotischen Strebens und die Erlangung des Glücks. Etwas also, dass nicht ertragen wird, weil die Wahrnehmung an den nomos gebunden ist, der - für die Erfüllung des Glücks - abgeschafft zu werden hätte. ( ZITATENDE)



Dses Buch von Agamben werde ich mir mal im Winter zu Gemüte führen. Auch ich verehre den leichten Umgang der Antike mit dem, was heute immer noch im Procrustesbett der großen religiösen Ideologien liegt.


Mir kommt allerdings vor, dass, wenn sich Zeus z.B. als Stier verwandelt, um Europa zu sich ins Bettchen zu kriegen, das nicht nur die Nähe der Götter dem Sterblichen gegenüber symbolisieren soll, sondern auf das Ursprüngliche der Einheit zwischen Mensch, Trieb und der Triebsublimierung hinweist.
Und die Umkehr, dass Götter - als Moralstifter - zu Tieren werden, also zu Wesen, die mit menschlichen Moralvorstellungen nicht “ in Gewalt” zu bringen sind, wenn sie sich paaren, scheint mir eher ein Paradoxon zu sein.
Gott muss nicht nur Mensch werden, um zu f....., wen er will, sondern zwangsläufig zum Tier, um seinen eigenen Geboten nicht Folge leisten zu müssen.

Du siehst das anders - aber so wie ich es sehe, kann frau es auch sehen.





ZITAT Jacques
„Das rasche, immer abrufbare, Glück der Pornographie ist sehr episodisch. Es ist absolut nicht erfüllend. Deswegen passt es sehr gut in die Welt des Massenkonsums. Die Waren dieser Welt sind Wegwerfwaren, sie verschaffen einen Abglanz von Glück auf kurze Zeit. Das ist für mich - an sich schon - ziemlich obszön. Aber ich sehe schon, die Diskussion ist heikel. „ (ZITATENDE)

Hier sind wir völlig d`accordo! Sex - so wie alles, was den ganzen Menschen umfasst, muss - muss- a u c h - auf der Basis des Anscheins der Dauer, mit Einbezug des ganzen Menschen praktiziert werden. Sonst ist es nur ein Abglanz - der nicht wärmt und strahlt. Robin bringt noch andere Aspekte, denen ich meinen Nachmittag „ weihen „ werde, denn in den nächsten Tagen muss ich mich profaneren Dingen widmen.* ggrr*


Marianne
 
Robin schrieb:
Gar nicht so einfach, das Wort obszön auf seinen Ursprung zu verfolgen. Über den Umweg des Englischen (obscene) kommt man auf die Ursprungsübersetzung von lat. obscenus "unheilvoll". Das hat was mit Vorhersehen zu tun, man sieht etwas kommen, das kein Heil verspricht. Und dieses Sehen von Etwas, das nicht gesehen werden darf, steckt auch in obszön. Man bekommt etas zu Gesicht, was eigentlich Tabu ist, aber nicht weil es schlecht ist, sondern weil es Unheil verspricht. Deswegen können auch nicht-sexuelle Dinge obszön sein, das Zeigen von Leichenbergen etwa. Das Obszöne ist der Vorgang des Aufdeckens. Daher könnte man schließen, dass obszöne Kunst nichts Schlechtes entwirft oder erfindet, sondern nur etwas aufdeckt, was nicht gesehen werden Ein Blick zwischen gespreizte Beine erfindet das nicht neu, was zwischen den Beinen ist." ZITATUNTERBRECHUNG


Gut, Robin, bis jetzt muss ich ja dankbar sein, dass Du so weit in die Wortethymologie reingegangen bist. Sie erhellt m.M.nach wirklich einen Aspekt, den wir hier bisher übersehen haben.

Kleine Nebenbemerkung: selbst wenn wir konzedieren, dass " irgendetwas" von der ursprünlichen Bedeutung eines Begriffes in diesem überbleibt,was ich so nicht überprüfen kann, da ich, auch Jacques und Lillith , von der im Alltag vorherrschenden Begriffsfüllung - Schamlosigkeit - ausgingen, würden Deine Erklärungen ja gerade auf unsere Deutung hinzielen. Das vorhergesehene Unheil - in der Tat nicht nur auf dem Sektor der Sexualität - soll vermeiden werden. Wer Unheil aufdeckt, klagt damit den an, der es verursacht, denke ich. Und das ist im Sinne der materialistischen Geschichtsauffassung immer etwas, was es den Mächtigen schwieriger macht, Macht auszuüben. Macht, die durch Tabus gestützt wird.Und wenn Du an die herrschende Sexualmoral der christlichen Kirchen denkst, ist es offensichtlich, was sie als obszön bezeichnen müssen. Eine sexuell freie Gesellschaft braucht keine Kirche, um von ihren Sünden z.B. g gegen das 6.Gebot oder gegen das Eigentumsgebot freigesprochen zu werden. Und wenn Du dann noch an die Jahrhunderte lange alte Vermischung von Staat und Kirche denkst, scheint mir Jacques und meine Idee, die wir übrigens nur Adorno vermuteten, nicht so abwegig zu sein.


Zitatfortsetzung
Eure Ausflüge in Adorno und Kapitalismuskritik scheinen mir daher übers Ziel hinauszuschießen. Einer Kapitalismuskritik stünde es schlecht an, das Aufdecken von etwas Tabuisierten zu kritisieren - dann übernimmt man selbst schon viel zu sehr die normativ-historische Bedeutung des Begriffs obszön. Schließlich ist er auf alles Mögliche angewandt worden, das in einer Zeit "unheilvoll" galt in anderer aber dann nützlich. Die Degradierung von Körpern zum Sexualobjekt mag obszön erscheinen - aber vermischen sich dort bei Adorno nicht zwei Arten von Unbehagen?
Gaius haben wir es zu verdanken, der darauf hinwies, dass Adorno ein recht zweifelhaftes, vielleicht gar obszönes Sexualleben führte. Vielleicht, wenn man Pornografie also als obszön empfindet, spiegelt sich darin das eigene Unbehagen, dass man durchaus Gefallen darin finden könnte, Körper auf Sexualobjekte zu reduzieren.
Was ich sagen wollte: Man sollte Pornografie natürlich kritisieren, nicht aber mit dem Wort obszön. Denn das Wort obszön verweist auf das eigene Unbehagen, das ausgelöst wird, sei es durch Kunst oder etwas anderes. Und die Gefahr besteht darin, dieses Unbehagen, dieses Unheilvolle, das auf etwas verweist, das man verdrängte, normativ umzudeuten. Und es dadurch zu bändigen, die Schuld auf den Kapitalismus zu schieben, auf die Roheit des MArktes usw.
Und dabei zu übersehen, dass die Roheit wahrlich nicht nur im Markt steckt und in ihm entsteht.

Mir kommt es komisch vor, dass gedade akademisch gebildete Menschen noch immer davon ausgehen, dass man nur etwas kritisieren darf, was man selbst nicht tut. Das ginge im Zeitalter der Globalsierung gar nicht mehr. Unsere Waren sind sehr häufig unter Bedingungen produziert, die gerade der linken Kritik nach als inhuman aufgedeckt werden.
Um noch einmal auf Adorno zurückzukommen. Gerade er weist darauf hin, dass in der Kunst die Entfremdung des Menschen - also seine Vermarktung als Ware - am ehesten aufgehoben werden kann.

Und deshalb erlaubte ich mir die Bemerkung, dass er vielleicht - ich weiß keine Stelle, wo er sich zu diesem Problem äußert - als Obszönitätszeichen von Kunst die Produktion von Kunst als reine Vermarktung - Kommerzialisierung anprangern könnte.

Das ist keine Roheit, das ist das, was man als unheilvoll, schamlos bezeichnen kann, wenn Kunst zum Reagieren auf Angebot und Ware verkommt.
Um Pornographie oder erotische Kunst oder solche Fragen ging es mir gar nicht, sondern nur um die Beantwortung der Frage,ob Kunst öbszön sein kann.
Und mit meinem Lippenbekenntnis, dass Kunst als freies Asszoziieren mit intrapersonellen und interpersonellen Wirklichkeiten nie obszön sein kann, ist es nicht getan.
Das führt nämlich zur Frage, was ist Kunst - und das hatten wir nicht nur in diesem Forum schon oft.

Außerdem geht es mir mit meiner Frage darum, aufzudecken, ob es formale Mittel gibt, Kunst als obszön zu bezeichnen.

Liebe Grüße

Marianne
 
Hallo zurück.

Zur Wortetymologie: Ich stimme zu und wollte auch nicht die Bedeutung von schamlos entkräften sondern nur ergänzen; schamlos deutet ja auf das selbe hin: Etwas ist ohne Scham, mithin dem Beschützenden, Verdeckenden beraubt.

Dennoch glaube ich nicht, dass Kunst oder irgendetwas anderes dadurch obszön wird, indem es kommerziell wird. Denn wirtschaftlich verwoben ist einerseits alles Handeln, nicht nur das der Kunst; auf der anderen Seite war Kunst immer abhängig: Wom Wohlwollen der Kirchenoberen, von der Gunst der Fürsten, schließlich von den Gesetzen des Marktes; dennoch gelang es Kunst mehr und mehr, eigene Kriterien zu entwickeln, was a) Kunst sei und b) gute Kunst sei. Das geschah immer auch, obwohl (oder gar weil?) Kunst käuflich war.
Schließlich konnte sich Kunst zur Käuflichkeit an sich bekennen (Pop Art) und selbst dann noch zum "Klassiker" werden (Warhol). Die Kunst selbst hat also Möglichkeiten gefunden, sich der Adorno-Kritik zu entwinden...

Zur Pornografie: Die Pornografie ist da zu kritisieren, wenn etwa Abhängigkeitsverhältnisse von Darstellerinnen ausgenutzt werden, sie gegen ihren Willen gezwungen werden oder sie bewusst aus armen Ländern rekrutiert werden, weil sie dort sonst "keine Chance" haben.
Dort wo aber die Pornografie aus freien Stücken stattfindet, kann sie sich sogar der Kunst annähern: Etwa der Aktionskunst/Performance. Ein Darsteller/Künstler kann dann behaupten, sich extremen Praktiken hinzugeben, um seine Grenzen auszuloten, zum Beispiel Lust durch die Umkehr von Lust zu gewinnen.
In Berlin stieg neulich ein Typ auf einer Verkehrsinsel auf eine Leiter. 6 Stunden am Tag. Sein Handeln befremdet uns zunächst; dann scheint es uns unheilvoll, weil wir uns Entsagung und Schmerzen desjenigen vorstellen; und nicht wenige werden sich durch diese Performance drangsaliert vorkommen und sie als obszön empfinden. Er setzt ein Zeichen des Unheils, was immer er uns damit noch sagen will und was immer er dabei für Gewinn für sich heraus zieht.
Hierfür, wie für die freiwillige "Performance" von Pornografie gibt es keine allgemeine Kriterien (um meiner Meinung nach deine Frage zu beantworten) für Obszönität. man kann nur allgemein die Gesellschaft kritisieren in der so etwas möglich (Porno) oder "nötig" (Kunst) ist.
Für mein ganz persönliches Empfinden, könnte ich auch dezidiert unkommerzielle Kunst als obszön empfinden; sei es der Performer, der mich nervt, seien es egozentrische, eitle und selbst überschätzende Künstler, die den Selbstzweck schlicht übertreiben. Aber auch hier: Keine allgemeinen Kriterien.

Schöne Grüße
 
Robin schrieb:
Hi, Robin!

Da ich nicht beim Zitieren teilen kann, zitiere ich Dich jetzt zur Gänze und paraphrasiere. OK? Ich muss mich doch noch mal schlau machen, wie das geht, den zu zitierenden Text in die Klammer oben hineinzubringen. Es kann doch nicht sein, dass man alles mit Tastatur abtippen muss.


----Dennoch glaube ich nicht, dass Kunst oder irgendetwas anderes dadurch obszön wird, indem es kommerziell wird. Denn wirtschaftlich verwoben ist einerseits alles Handeln, nicht nur das der Kunst; auf der anderen Seite war Kunst immer abhängig: Wom Wohlwollen der Kirchenoberen, von der Gunst der Fürsten, schließlich von den Gesetzen des Marktes; dennoch gelang es Kunst mehr und mehr, eigene Kriterien zu entwickeln, was a) Kunst sei und b) gute Kunst sei. Das geschah immer auch, obwohl (oder gar weil?) Kunst käuflich war. ----- R.

Das erscheint mir alles sehr nachvollziebar -

ich denke und denke


Könnte es sein, dass Kunst dadurch total enrfremdet wird, wenn sie NUR aus Kommerzzwecken ERZEUGT wird?

Aber diese Bestimmung schließt ja eigentlich nicht aus, so wie Du andeutest - dass nicht auch solche Sachen an sich den strengsten Formakriterien entspricht, die "gute" Kunst ausmachen....?! M.



------Schließlich konnte sich Kunst zur Käuflichkeit an sich bekennen (Pop Art) und selbst dann noch zum "Klassiker" werden (Warhol). Die Kunst selbst hat also Möglichkeiten gefunden, sich der Adorno-Kritik zu entwinden...---- Robin



Und so gesehen, hast Du wieder Recht.

Aber das würde dann bedeuten, worüber wir alle, die hier diskutieren, uns einig sind, dass es das Urteil öbszön über ein Kunstwerk gar nicht gibt. Man kann nur - von jeweiligen Wetlanschauungsstandpunkt - transportierte Inhalte so bewerten.

Und *ggrr* - Du hast es Adornon wieder einmal gegeben. M.




-------Zur Pornografie: Die Pornografie ist da zu kritisieren, wenn etwa Abhängigkeitsverhältnisse von Darstellerinnen ausgenutzt werden, sie gegen ihren Willen gezwungen werden oder sie bewusst aus armen Ländern rekrutiert werden, weil sie dort sonst "keine Chance" haben.
Dort wo aber die Pornografie aus freien Stücken stattfindet, kann sie sich sogar der Kunst annähern: Etwa der Aktionskunst/Performance. Ein Darsteller/Künstler kann dann behaupten, sich extremen Praktiken hinzugeben, um seine Grenzen auszuloten, zum Beispiel Lust durch die Umkehr von Lust zu gewinnen.
In Berlin stieg neulich ein Typ auf einer Verkehrsinsel auf eine Leiter. 6 Stunden am Tag. Sein Handeln befremdet uns zunächst; dann scheint es uns unheilvoll, weil wir uns Entsagung und Schmerzen desjenigen vorstellen; und nicht wenige werden sich durch diese Performance drangsaliert vorkommen und sie als obszön empfinden. Er setzt ein Zeichen des Unheils, was immer er uns damit noch sagen will und was immer er dabei für Gewinn für sich heraus zieht.
Hierfür, wie für die freiwillige "Performance" von Pornografie gibt es keine allgemeine Kriterien (um meiner Meinung nach deine Frage zu beantworten) für Obszönität. man kann nur allgemein die Gesellschaft kritisieren in der so etwas möglich (Porno) oder "nötig" (Kunst) ist.
Für mein ganz persönliches Empfinden, könnte ich auch dezidiert unkommerzielle Kunst als obszön empfinden; sei es der Performer, der mich nervt, seien es egozentrische, eitle und selbst überschätzende Künstler, die den Selbstzweck schlicht übertreiben. Aber auch hier: Keine allgemeinen Kriterien.---- Robin



nun, da sind wir wieder völlig dàccordo. Wobei ich das Berliner "Kunsstückerl" noch nicht kannte.

Besonders schließe ich mich auch Deinen letzten Sätzen an. Wir dürfen uns und unsere aktuelle und stete Befindlicheit nie aus dem Vorgang des Wertens ausschließen. Mir grauste immer vor dem Kommunemaler Otto Mühl, der seine Bildnisse als "Gesamtkunstwerke" verstanden wissen wollte, wobei ihm als "göttliche" Inspirition nicht einmal Kindermissbrauch zu "unobszön" war.


Und am meisten bin ich bei Dir,wenn Du sagst: ( ich forme um): wo es keine Anleitungen gibt, kann das Erstellte nicht gemessen werden.

Schöne Grüße

schöne Gegengrüße

Marianne
 
Hier habe ich noch zwei Belegstellen für meine ( und Jacques) Meinung über ein wesentliches - zumindest inhaltliches - Merkmal “ obszöner”, weil inhumaner Kunst gefunden. Wen wundert`s, dass sie aus dem linken Lager kommen. Zunächst Brechts berühmtes Gedicht.
Bertolt Brecht: An die Nachgeborenen
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht
Nur noch nicht empfangen.

Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
Der dort ruhig über die Straße geht
Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde
Die in Not sind?
Dann - Robin,lies weg! Adorno...
“Dem Dritten Reich ist kein Kunstwerk, kein gedankliches Gebilde gelungen, das auch nur der armseligen liberalistischen Forderung nach “ Niveau” hätte Genüge tun können. Der Abbau der Humanität und die Konservierung der Geistesgüter waren so wenig vereinbar wie Luftschutzkeller und Storchnest, und die kämpferische erneuerte Kultur sah schon am ersten Tag aus wie die Städte an ihrem letzten, ein Schutthaufen. Ihr wenigstens hat die Bevölkerung passive Resistenz entgegengesetzt. Keineswegs aber sind die vermeintlich frei gesetzten kulturellen Energien vom technischen, politischen und militärischen Bereich aufgesogen worden. Barbarei ist wirklich das Ganze und triumphiert noch über ihren eigenen Geist.” Adorno
Meinung des Dilettanten - 70
In: Theodor Adorno MINIMA MORALIA, Surkamp S. 192


An beiden Texten sehen wir, dass das Werturteil - obszön” vor allen an Kriterien der Humanität als Vorstellung von der Würde des Menschen abgemacht werden muss.. Menschlichkeit, das deutsche Wort, hat für mich irgendwie den Beigeschmack von “menscheln”, von der Darstellung des Allzumenschlichen.- damit ich gleich Vorwürfen begegne: auch das kann nie als obszön zu sehen sein, a u ß e r eben, das Humane, die Würde des Menschen wird angegriffen.

Dieses zu entscheiden, ist jedem Kunstrezipienten gegeben - dem der U - und dem der Hochkultur.

Und bei Adorno wird es mir auch immer deutlicher, dass Kunst obszön sei kann, wenn die Künstler
Handlanger von inhumanen Systemen ( Faschismus) oder menschenverachtenden Ideologien sind.
So formvollendet “niveauvoll” das Handwerkliche am Kunstwerk gelungen sein mag!

So revidiere ich mein Urteil ein wenig: das Kunstwerk an sich kann nur im Zusammenhang mit der Intention und Funktion als Gesamtwerk gesehen werden.

Marianne
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Hallo Marianne,

ich stimme dir zu, dass vom Faschismus instrumenatalisierte Kunst natürlich eine eigene Dimension der Verworfenheit besitzt. Obszön scheint mir aber eher die Anbiederung des Künstlers an die Ideologie, als das Kunstwerk selbst. Beziehungsweise, Kunstwerke, die überhaupt als Kunstwerke und gleichzeitg als intrumentalisert diskutabel sind, werden eher selten sein. (Berühmteste Ausnahme: Wahrscheinlich Riefenstahl)
Mir gefällt (unbesehen seines berechtigten Engagements) Adornos Formulierung nicht, dem "dritten Reich sei ...kein Kunstwerk gelungen." Sie verdeckt nämlich die einfache Tatsache, wer Kunst macht. Und so gibt es sicher eine Menge Kunstwerke, die im dritten Reich entstanden sind, die dann in späterer Zeit als Kunstwerke dikutiert wurden. Aufnahmen Furtwänglers. Die Filme Leni Riefenstahls. Und sicher noch einige andere. Bei Adorno siegt das "es darf nicht sein" über die differenzierte Reflexion. Vielleicht subjektiv verständlich, aber er verdeckt damit die Ambivalenz des Themas. Nun liegt es mir fern und es wäre auch relativ uninteressant, Kunst aus dem dritten Reich auf Wert zu überprüfen, um Adorno eventuell zu widerlegen.
Interessanter schon das Gedicht von Brecht, das, wie ich finde, aus heutiger Sicht eine neue Ambivalenz kommt, einmal durch die ambivalente Person Brechts, zweitens durch das inhumane System, das er unterstützte und zwar meines Wissens bis zum Schluss relativ unkritisch.
Dennoch wird das Gedicht von Brecht überleben. Also ich mag es nicht besonders. Bei mir blinkt immer das Warnzeichen "selbstgerecht" im Hinterkopf auf. :confused:
 
Robin schrieb:
Beziehungsweise, Kunstwerke, die überhaupt als Kunstwerke und gleichzeitg als intrumentalisert diskutabel sind, werden eher selten sein. (Berühmteste Ausnahme: Wahrscheinlich Riefenstahl)
Aktuellstes Beispiel: Das Berliner "Holocaust-Mahnmal".
 
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Was ich damit meinte: Das Stelenfeld in seiner abstrakten Allgemeinheit könnte für sonst etwas stehen, meinetwegen für die anonyme Ausgesetztheit des Subjekts in den großen Städten; schon die einseitige inhaltlich-politisierende Beziehung auf die Shoah bedeutet so gesehen eine Instrumentalisierung. Oder man müßte interpretieren, die Shoah selbst sei bloß allgemein und abstrakt gewesen. Diesen Gedanken empfände ich nun wiederum als zynisch, ja, warum nicht: als obszön.

Woraus sich schließen läßt, daß ich dieses Monument in seiner jetztigen Realisation für bedenklich halte, aber vielleicht tut das weniger zur Sache; was kann schließlich Eisenman für die Rezeption seiner Arbeit - oder muß ein Kunstwerk versuchen, sich gegen öffentliche Mißgriffe abzudichten?

Riefenstahl hingegen hat in ihren damaligen Filmen den Monumentalismus und die ästhetische Säuberung des sog. 'Dritten Reichs' begleitend orchestriert, in naiver Verehrung für den 'Führer' und die von ihm propagierte Ästhetik - wo liegt da denn eine Instrumentalisierung ihrer Arbeiten z.B. zu Zwecken der Propaganda? Ihre Arbeiten sind selbst Teil dieser Propaganda, alles andere zu behaupten, wäre Ausflucht und Rechtfertigung der Ästhetik des Hitlerfaschismus. Ähnlich argumentierten die Gegner Furtwänglers: dadurch, daß er das 'Heil' des 'Dritten Reich' mit unvergänglichen, ewig 'heilen' Symphonien beschallte, hat er ihm auch durch die klassische Musik hindurch eine Rechtfertigung ermöglicht: Seht her, so schlimm kann es nicht sein, wenn im Reich eine derart hochstehende Musikkultur betrieben wird. Der Vergleich mit Aufnahmen Furtwänglers aus den Jahren vor '33 zeigt allerdings, daß die Berliner Philharmoniker nach '33 beständig im Niveau gesunken sind, auch weil viele der besten Musiker aus 'rassischen' Beweggründen aus dem Orchester ins Lager verwiesen wurden. Und: Es ließ sich im Angesicht des permanenten latenten und offenen Terrors nicht länger unbefangen konzentriert musizieren. Als zeitgeschichtliche Dokumente hingegen sind die beklommenen Furtwängler-Aufnahmen von '33 bis '45 von sehr großer Bedeutung, auch wenn dem Meister selbst der Gehalt, der seinen Interpretationen zuwuchs, kaum zu Bewußtsein gekommen sein dürfte.

Zu fragen wäre nun nochmals, ob die im nationalsozialistischen Zusammenhang erzeugten Kunstwerke selbst etwas Obszönes gewinnen, allein schon dadurch, daß man weitermacht wo man verstummen müßte und dadurch das Unheil affirmiert, oder ob nur die Umstände, unter denen diese Kunst entstand, als obszön zu bezeichnen wären. Ich tendiere zu ersterem. 'Käuflich' (und sei es im metaphorischen Sinne) waren diese Künstler allemal: nun eine vorgebliche Reinheit der vom Künstler ablösbaren Werke zu postulieren, führt in die Irre, zumindest solange man von der gesellschaftlichen Zweckgebundenheit bzw. Abhängigkeit der Kunst sich überzeugt hält.

Robin schrieb:
Mir gefällt (unbesehen seines berechtigten Engagements) Adornos Formulierung nicht, dem "dritten Reich sei ...kein Kunstwerk gelungen." Sie verdeckt nämlich die einfache Tatsache, wer Kunst macht. Und so gibt es sicher eine Menge Kunstwerke, die im dritten Reich entstanden sind, die dann in späterer Zeit als Kunstwerke dikutiert wurden.
Ein paar weitere Beispiele wären sicher hilfreich. Die Frage ist natürlich, von wem und wofür damals 'Kunst' gemacht wurde; völlig eindeutig ist jedoch, daß avanciert reflektierte Kunst und ihre Vertreter im Nationalsozialismus sämtlich liquidiert wurden, das Arbeitsverbot war noch das mindeste. Ob Skulptur, Roman, Musik oder Film: das einzig Geduldete war das Nazisystem als Ganzes affirmierender, geistfeindlicher Kitsch. Eine kritische, ja auch nur krud subjektivistische Haltung in der Kunst war bei Androhung der Todesstrafe untersagt.

Bei Adorno siegt das "es darf nicht sein" über die differenzierte Reflexion. Vielleicht subjektiv verständlich, aber er verdeckt damit die Ambivalenz des Themas.Nun liegt es mir fern und es wäre auch relativ uninteressant, Kunst aus dem dritten Reich auf Wert zu überprüfen, um Adorno eventuell zu widerlegen.
Genau das letztere wäre jedoch angebracht! Wir alle wissen, daß Adorno gerne aus der Zuspitzung heraus argumentiert, um etwas sichtbar zu machen, was sonst im Relativismus verschwände: genau daran entzündet sich die Reflexion.
Die verordneten Verfahrensweisen der 'Kunst' des 'Dritten Reiches' jedoch waren nicht ambivalent, konnten es nicht sein - damit wird dieser Versuch einer Kritik an Adorno hinfällig. Das, was das Kunstwerk zu allen Zeiten zu einem solchen machte: das, worin es vom allfällig Bekannten sich abhebt und die Freiheit des Künstlers, nach unausgetretenen Wegen zu suchen, wurde von den Nazis systematisch und konsequent unterdrückt. Einige wenige Werke, die in irgendwelchen Nischen der "inneren Emigration" entstanden sein mögen, vermögen daran nichts zu ändern. Auch sie sind - negativ, wie etwa die Spätwerke Anton Weberns - von der falschen Wahrheit des obszönen Ganzen affiziert.

Das von Adorno hierzu wiederum in einer Übertreibung formulierte Gegenbild wäre die 'Autonomie' der Kunst. Daß Kunst sich ihre Gesetze ausschließlich ganz und gar selbst geben könne, ist auch mit Adorno allzu leicht zu widerlegen, schon aufgrund der vermittelten Beschaffenheit der ästhetischen Materialen: allerdings bleibt für mich nur, an Adornos Begriff der Autonomie der Kunst festzuhalten, als das, was sein könnte, als negative Utopie, als unmögliche Möglichkeit, in der dann auch die Tatsache verschwände, daß die bloße Existenz von Kunst in einer nur auf Zweck und Interesse zugerichteten Welt dieser ein notwendig obszön anmutendes Fanal setzen muß.
 
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