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Gibt es obszöne Kunst?

M

Marianne

Guest
Hallo! Diese Frage beschäftigt mich schon lange.

Gibt es Merkmale, um ein Kunstwerk als obszön enzustufen?
Ist es überhaupt legitim, solche Urteile zu fällen?
Beruht diese Bewertung nur auf sexualmoralischen Vorgaben? Kann man dieses Urteil auch auf Themen und Stoffe ausdehnen, die sich nicht unter dem Begriff erotisch einordnen lassen?


Gibt es nur in der Darstellenden Kunst und der Literatur "Öbszönitäten"?



Marianne
 
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da muss zuerst wissen was man "obszön" heißt, allgemein und für einen persönlich.(man hat ja persönliche moralvorstellungen)

Obszönität bedeutet unter anderem Tabu-Bruch.das ist sehr stark gesellschatsabhängig. Als obszön gelten viele dinge die mit sexualität und erotik zu tun haben(von äußerungen bis hin zu kusntobjekten), aber auch gesten, oder handlungen,die das schamgefühl einer person verletzen.(und da hört toleranz für die betrofffene person auf)
 
um zu fragen was obszön ist oder als solches gilt, gerade in der kunst usw. muss man fragen: warum erweckt es den eindruck obszön zu sein. es ist ja gezielt eingesetzt worden. es muss immer wieder als "phänomen der auflehnung" (wikipedia) aufgefasst werden- als provokation. gegen wen richtet sie sich? was will man erreichen?

warum sollte man nicht urteilen können? (das tut man ohnehin ständig)

zu deiner anderen frage: stoffe die nciht unmittelbar erotisch sind/anmuten: naja, überleg mal, zB die (direkte )darstellung einer vergewaltigung (da hab ich einen film in erinnerung der bei den filmfestival in cannes vorgeführt wurde, der offenbar 9 minuten lang eine vergewaltigungsszene brachte in allen details und grausamkeiten, wie hieß der...ach ja "Irreversible")

ixch weiß nciht ob das jetzt noch zum thema passt, aber ich find das obszön und das stößt gegen meine grenzen. gut aber man auch argumentieren, das ist die realität und das sollte man der gesellschaft zumuten können....

lg insti

Ps: marianne,ein interessantes thema das mich jetzt beschäftigen wird,...:)
 
Marianne schrieb:
Beruht diese Bewertung nur auf sexualmoralischen Vorgaben? Kann man dieses Urteil auch auf Themen und Stoffe ausdehnen, die sich nicht unter dem Begriff erotisch einordnen lassen?

Eine sehr interessante Frage, Marianne. Ich habe gemerkt, dass ich mir dazu noch kaum Gedanken gemacht habe. Vielleicht einfach, weil ich bezüglich dem, was mit diesem Prädikat in meiner Gegenwart versehen wurde, wahrscheinlich stets relativ teilnahmslos gegenüber gestanden bin. In Zusammenhang mit den von mir oben zitierten Fragen fällt mir auch der Begriff "Perversion" - und als eine ihrer Ausdrucksformen die "Pornographie" - als etwas der "Obszönität" in gewissem Masse verwandtes ein. Ich würde sagen, dass etwas "Obszönes", "Perverses" oder auch "Pornographisches" etwas ist, das sich durchaus in einer nominalen ökonomischen Ordnung einbeschlossen finden lässt, in der ihm jeweils eine gewisse Bedeutung zukommt, welche das sittliche Gesetz (das die herrschenden Moralvorstellungen verteilen und festlegen) zugleich überbordet und dennoch zu ihm gehört. Ich würde den Begriff des Erotischen insofern für passend halten, als mit diesen Kategorien, von denen wir sprechen, im Grunde implizit eine gewisse Glücksvorstellung verbunden wird, an der alle - im Endeffekt die ganze Gemeinschaft - teilhaben sollen. Das Streben nämlich nach einer sittenlosen Gemeinschaft, in der sämtliche sittlichen Normen nicht mehr gebraucht werden, in dem der nomos, der die Äcker zuteilt, das Gesetz, die Sitten stiftet, nicht mehr benötigt wird. Wir alle wissen aber, dass der Eros, dieses Mittelding, eben nicht tatsächlich zum Glück findet, jedoch aber seine Suggestion als strebendes Prinzip benötigt.

Auch den Sadismus etwa, der "obszön" oder "pervers" erscheinen muss, sehe ich ein wenig an diese Bewegung gebunden. Anstatt das Streben nach Verwirklichung des Sittlichen um Glück zu schaffen, der Versuch, die sittlichen Schranken gerade zu verwerfen, um im Grunde auf dasselbe Ziel hinzuwirken. Aber das ist wohl eine Gemeinsamkeit, die dieser auch mit der "Pornographie" teilt.

In meinen obigen Ausführungen begleitete mich der Gedanke, dass nicht das Unbenennbare, das, was sich dem Blick entzieht, als "obszön" bezeichnet wird. Es handelt sich doch meist um etwas, das sich an der Grenze des Bezeichenbaren aufhält, etwas an der Schwelle (und deswegen ist der Eros auch so passend). Etwas, das, wie gesagt, dazugehört und sich dennoch überbordend gebärdet (- d.h. es ist veränderbar).

Marianne schrieb:
Gibt es nur in der Darstellenden Kunst und der Literatur "Öbszönitäten"?

Nein, das denke ich nicht (auch wenn man vielleicht zuerst festlegen müsste, was "darstellende Kunst" und "Literatur" genau sind). Ich glaube, dass der Alltag voller "Obszönitäten" ist. Man müsste sich achten, es ist wahrscheinlich stets das, was sich der Aufmerksamkeit zunächst entzieht (Beispiel: nicht die Fernsehnachrichten sind etwa obszön, sondern eher, dass wir sie zu konsumieren pflegen, ohne auf diesen Gedanken zu kommen; nicht die Kopulation macht den Porno zu einem Porno, viel eher sind es wahrscheinlich die Zeichen des Alltags, die darin karikiert - zu einem Fetisch - werden: etwa die Uniform eines Zimmermädchens, das Häubchen und der Mundschutz einer Krankenschwester...) Wahrnehmung dessen, was gemeinhin (in der herrschenden Ordnung) kaum mehr wahrgenommen wird - als Merkmale der Diskrepanzen, die der herrschenden Ordnung, der Sitte, die Existenz des nomos sichern. So, das war mein spontaner Gedankendünnschiss zu diesem Thema - mehr folgt vielleicht ein anderes Mal. War diese Formulierung jetzt obszön? :schaukel:
 
Ja, wie ich schon sagte, beschäftige ich mich schon länger mit der Frage nach der Obszönität in der Kunst.
Schamlosigkeit, Schlüpfrigkeit wären die deutschen Begriffserklärungen. Beides
sind Bewertungsaussagen- und diese unterliegen gesellschaftlichem Wandel.
Im heutigen alltagssprachlichem Gebrauch fällt auf, dass pornographische Kunst von manchen Kritikern als obszön bezeichnet wird - genau dasselbe Objekt, in der Bildenden Kunst etwa, bezeichnen andere als erotisch. Insti weist aber auf eine Vergewaltigungssentenz eines Filmwerks hin, die genau das “ Überborden” ( Begriff Jacques) von Erotik in “ obszöne” Sexualität beweist. Es gibt Geschlechtsverkehr - warum soll Kunst ihn nicht darstellen . Es gibt Vergewaltigungen - warum soll Kunst sie nicht unter bestimmten Umständen thematisieren - Machismokritik etwa-. Die Darstellung des Geschlechtsverkehres kann ein Loblied auf die Erotik sein - , sie kann Mittel zum Zweck der Sozialkritik sein, sie kann aber durch Missbrauch von Darstellungsmitteln obszön werden. Damit versuche ich Deine Frage, Insti “Warum erweckt es den Eindruck, obszön zu sein”(ZTATENDE) zu beantworten.
So alberne und obendrein zeitgebundene Werturteile, erotisch sei gut, weil den Menschen glücklich machend ,aber Pornographie sei schlecht, weil unmoralisch sind meiner Meinung nicht relevant für die Beantwortung der Frage, ob Kunst ( Musik schließe ich hier eher aus - da müsste man in die Kitschdiskussion einsteigen) obszön sein kann. KINDERPORNOGRAPHIE nehme ich als absolut unmoralisch, weil menschenverachtend aus der Debatte aus. Darstellungen und die realen Handlungen auf dem Gebiet gehören in die Judikatur.
Es sind meiner Meinung nach immer die Mittel, die der Künstler wählt, die bestimmen, ob ein Kunstwerk erotisch, pornographisch oder gar obszön ist. Ein Beispiel sei anfügt: die Übersteigerung .Überverdeutlichung. Hier lauern dann allerdings unter anderen in der bildenden Kunst die “Gefahren “ der Karikatur, in der Literatur die der unfreiwilligen Komik.
Riesige erigierte Skulpturen des erigierten Penis - heute eben als pornographisch oder obszön beurteilt, oder zumindest als lächerliche Sexprotzismen empfunden, hatten in der griechisch-römischen Kultur eine mythologische Bedeutung. Gott Priapus brachte Glück; dem einzelnen und der Gesellschaft , lieber Jacquea, wie Du weißt, da Du ja den Zusammenhang zwischen den Glück - durchaus als erotische Erfüllung gesehen - des einzelnen und der Polis aufzeigst.


“Wir alle wissen aber, dass der Eros, dieses Mittelding, eben nicht tatsächlich zum Glück findet, jedoch aber seine Suggestion als strebendes Prinzip benötigt. „ ZITAT Jacques
Da muss ich Dir widersprechen. Ich sehe diese Frage so, wie ich sie oben erläuterte.

Eros, das Erleben und das Gestalten dieses Grundgefühls, ist für mich die Grundlage des Glückes, das Zusammensein ermöglicht,

Obszön wird es dann - in der Kunst - wo durch Verfälschen der Aussagen und „Ausborden“ der künstlerischen Darstellungsmittel die Darstellung des Eros zum Kommerz verkommt. Adorno würde vielleicht sagen, wo sie entfremdet wird.

Und - wir alle wissen, dass die Grenzen zwischen erotischer Kunst und Pornographie sehr sehr fließend sind.
Meiner Meinung nach trifft das Werturteil obszön im Sinne von schamlos allerdings in sexualmoralische Dimensionen.

Doch heute genug - Danke für die Postings.

Marianne
 
Marianne schrieb:
So alberne und obendrein zeitgebundene Werturteile, erotisch sei gut, weil den Menschen glücklich machend ,aber Pornographie sei schlecht, weil unmoralisch

Hallo Marianne,

Ich bin mir nicht sicher, ob du diese Sätze auf meinen Beitrag bezogen hast. Ich teile diese Auffassung natürlich und möchte, falls du meine Sätze so verstanden haben solltest, durchaus nochmals klar machen, um was es mir ging, da dies auch nochmals meine Aussage, die du nicht zu teilen schienst, ein wenig erhellt.

Marianne schrieb:
“Wir alle wissen aber, dass der Eros, dieses Mittelding, eben nicht tatsächlich zum Glück findet, jedoch aber seine Suggestion als strebendes Prinzip benötigt. „ ZITAT Jacques
Da muss ich Dir widersprechen. Ich sehe diese Frage so, wie ich sie oben erläuterte.

Auch der Pornographie wollte ich den Eros zugrunde gelegt wissen. Für mich besteht zwischen der Pornographie und dem Glück ein Zusammenhang. Denn es findet in ihr eine Verklärung dessen statt, was sonst den sittlichen Alltag wie selbstverständlich zusammenhält. So bitter ich dieses Beispiel mit der Kinderpornographie finde, dass du eingeführt hast, umso leichter lässt es sich auch in die von mir beschriebene Logik einordnen. Kinderpornographie - im Internet vertrieben - ist die absolute Verdinglichung des Menschen im Zuge der kapitalistischen Massenproduktion bzw. der Massenkonsumtion. Künstliche (künstlerisch?) Zurschaustellung artifizieller Sexualität, die einem Glücksanspruch genügen muss, der jederzeit einlösbar zu sein hat. Ich entdecke Parallelen zum Sadismus, den ich vorhin angesprochen habe: Der Versuch, das absolut Böse, Verpöhnte gegen die Sittlichkeit ins Feld zu führen, um die Abschaffung der Notwendigkeit des nomos und somit individuelles Glück zu erwirken - zumindest intentional (weder der "guten" Aufklärung noch dem "bösen" Sadismus gelingt dies aber: ich ergreife Partei und sage, dass es Letzterem zum Glück nicht gelingt; die Erkenntnis seines Scheiterns gipfelt in einer Art Masochismus, die zur Selbstzerstörung führt).

Marianne schrieb:
Eros, das Erleben und das Gestalten dieses Grundgefühls, ist für mich die Grundlage des Glückes, das Zusammensein ermöglicht,

Wie du vielleicht siehst, stimme ich dieser Aussage zu. Es ist die Grundlage, die Glück überhaupt erst erahnbar macht und zu etwas Strebenswertem erklärt. Aber Eros ist nicht das Glück oder der Glückszustand selbst, denn dieser bedeutete ja stille Seligkeit jenseits des Strebens. Im Glück (oder zumindest der Begriff) suggeriert wohl so etwas wie ein Einssein mit sich selbst, das den nomos aufhebt, genau den nomos, der das Zusammenleben mit den anderen reguliert (der Sadismus etwa ist eine Art Individualismus und verlangt Loslösung vom Gesetz).

Marianne schrieb:
Obszön wird es dann - in der Kunst - wo durch Verfälschen der Aussagen und „Ausborden“ der künstlerischen Darstellungsmittel die Darstellung des Eros zum Kommerz verkommt. Adorno würde vielleicht sagen, wo sie entfremdet wird.

Auch hier sind wir mit unseren Standpunkten nahe beisammen. Die Rechtfertigung der Pornographie, des obszönen Künstlertums, findet dort statt, wo das Alltägliche fetischisiert wird (ich verweise auf meine Äusserung in meinem vorigen Beitrag zur Pornographie). Man könnte sagen, dass genau diese Fetischisierung alltäglicher Zeichen die Kommerzialisierung der menschlichen Lebenswelt darstellt (meine Beschreibung desjenigen, was sich der Wahrnehmung zunächst entzieht, einem aber plötzlich affiziert, ist genau das, was durch die Pornographie als Obszönes die Entfremdung erzeugt).

Marianne schrieb:
Und - wir alle wissen, dass die Grenzen zwischen erotischer Kunst und Pornographie sehr sehr fließend sind.

Ja, auch hier würde ich dir zustimmen. Ich möchte noch ein Zitat von Giorgio Agamben anbringen, das ich mittlerweile in seinem Buch "Idee der Prosa" gefunden habe. Ich konnte mich erinnern, dass er an einer Stelle etwas über die Pornographie schreibt. Und weil wir immer wieder mal auf die alten Griechen stossen:

Giorgio Agamben schrieb:
Ähnliches findet sich nur in der Antike, in der Darstellung der Liebesbeziehung zwischen Göttern und Menschen, die für die untergehende klassische Kunst eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration abgab. In der geschlechtlichen Vereinigung mit dem Gott löste der Mensch, besiegt und beglückt, mit einem Schlag die unendliche Entfernung, die ihn von den Himmlischen trennte; aber gleichzeitig wurde diese Distanz, umgekehrt, in der Verwandlung der Gottheit in ein Tier wiederhergestellt. Der sanfte Blick des Stiers, der Europa entführt, der listige Schnabel des Schwans über Ledas Haupt sind Zeichen einer so innigen und heroischen Promiskuität, dass wir sie heute noch kaum zu ertragen vermögen.

Noch kaum zu ertragen heisst wohl: Die Vereinigung mit dem Himmlischen ist die Vollendung des erotischen Strebens und die Erlangung des Glücks. Etwas also, dass nicht ertragen wird, weil die Wahrnehmung an den nomos gebunden ist, der - für die Erfüllung des Glücks - abgeschafft zu werden hätte.

Das rasche, immer abrufbare, Glück der Pornographie ist sehr episodisch. Es ist absolut nicht erfüllend. Deswegen passt es sehr gut in die Welt des Massenkonsums. Die Waren dieser Welt sind Wegwerfwaren, sie verschaffen einen Abglanz von Glück auf kurze Zeit. Das ist für mich - an sich schon - ziemlich obszön. Aber ich sehe schon, die Diskussion ist heikel.
 
Gisbert Zalich schrieb:
Oh ja!

Und ob die szön is'! :hase:

:D :teufel:

"Obszön" ist ein Wort aus der Moralisier-Kiste. Es drückt den Stempel der Unmoral auf etwas, das Schamgefühle in einem auslöst. So wie Moralisieren generell die eigenen "Sünden" nach außen projiziert, so wird auch ein Werk oder ein Verhalten, je nach innerer Erregung (und den damit verbundenen Schuld- und Schamgefühlen) als obszön bezeichnet.

herzlich
lilith
 
@ Altmeister Gysi


Na, bei Fragen, ob Schlüpfrigkeiten "szön" sind oder nicht, würde ich mal sagen: alles zu seiner Zeit und seiner Stunde.
Aber - da Dein Post ja nur mal so ein Bonmot ist, lasse ich es so gelten, wie es steht.
Nur keinen Bierernst - ist auch meine Devise.

@ Lillith


Das steht außer Frage, dass das Werturteil öbszön aus der " moralischen Mottenkiste" kommt. ich dachte, ich hätte das gleich zu Beginn meines Themas klar gestellt.Jaques vermutet sogar, dass ich ihm unterstelle, dass er von mir als Moralist gesehen würde.


Du machst doch selbst Kunst, wie ich hier im Forum sehe. Welche sprachliche-stilistischen Mittel, auch inhaltliche, wenn es denn sein muss, würdest Du als Mittel sehen, Obszönität im Sprachkunstwerk entstehen zu lassen?

Meine Vorstellungen davon habe ich weiter oben geschrieben.



Selbst, wenn wir " Eingeweihten" erkennen, dass Kunst an sich nie obszön sein kann, müssen doch ernsthafte Kritiker, die dieses Werturteil an Werke, wie z.B. an die Werke von Elfriede Jelinek, anlegen und die man doch mit Fug und Recht auch als Meinungsbildner bezeichen darf, auch Vorstellungen im Formal-Kriterischen haben, die sie zur Kritik berechtigen.
Sind es nur inhaltliche Kriterien, die ja leicht auf moralische Vorgaben hin zu trimmen sind?
Ist das der Fall, ist meine Frage keine Frage aus dem Bereich der Kunst, sondern aus dem Moralbereich und wäre keiner einhelligen Antwort zuführbar.


@ Jaques

Ich war in den letzten Tagen sehr beschäftigt, so dass ich Deine umfangreiche Antwort zwar gelesen habe, aber noch keine Zeit fand, mich mit ihr auseinander zu setzem.

Kommt - kommt bald. Freue mich schon auf den Diskurs.



lbg

Marianne
 
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Gar nicht so einfach, das Wort obszön auf seinen Ursprung zu verfolgen. Über den Umweg des Englischen (obscene) kommt man auf die Ursprungsübersetzung von lat. obscenus "unheilvoll". Das hat was mit Vorhersehen zu tun, man sieht etwas kommen, das kein Heil verspricht. Und dieses Sehen von Etwas, das nicht gesehen werden darf, steckt auch in obszön. Man bekommt etas zu Gesicht, was eigentlich Tabu ist, aber nicht weil es schlecht ist, sondern weil es Unheil verspricht. Deswegen können auch nicht-sexuelle Dinge obszön sein, das Zeigen von Leichenbergen etwa. Das Obszöne ist der Vorgang des Aufdeckens. Daher könnte man schließen, dass obszöne Kunst nichts Schlechtes entwirft oder erfindet, sondern nur etwas aufdeckt, was nicht gesehen werden sollte/dürfte. Ein Blick zwischen gespreizte Beine erfindet das nicht neu, was zwischen den Beinen ist.
Eure Ausflüge in Adorno und Kapitalismuskritik scheinen mir daher übers Ziel hinauszuschießen. Einer Kapitalismuskritik stünde es schlecht an, das Aufdecken von etwas Tabuisierten zu kritisieren - dann übernimmt man selbst schon viel zu sehr die normativ-historische Bedeutung des Begriffs obszön. Schließlich ist er auf alles Mögliche angewandt worden, das in einer Zeit "unheilvoll" galt in anderer aber dann nützlich. Die Degradierung von Körpern zum Sexualobjekt mag obszön erscheinen - aber vermischen sich dort bei Adorno nicht zwei Arten von Unbehagen?
Gaius haben wir es zu verdanken, der darauf hinwies, dass Adorno ein recht zweifelhaftes, vielleicht gar obszönes Sexualleben führte. Vielleicht, wenn man Pornografie also als obszön empfindet, spiegelt sich darin das eigene Unbehagen, dass man durchaus Gefallen darin finden könnte, Körper auf Sexualobjekte zu reduzieren.
Was ich sagen wollte: Man sollte Pornografie natürlich kritisieren, nicht aber mit dem Wort obszön. Denn das Wort obszön verweist auf das eigene Unbehagen, das ausgelöst wird, sei es durch Kunst oder etwas anderes. Und die Gefahr besteht darin, dieses Unbehagen, dieses Unheilvolle, das auf etwas verweist, das man verdrängte, normativ umzudeuten. Und es dadurch zu bändigen, die Schuld auf den Kapitalismus zu schieben, auf die Roheit des MArktes usw.
Und dabei zu übersehen, dass die Roheit wahrlich nicht nur im Markt steckt und in ihm entsteht.
 
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