Marianne schrieb:
Beruht diese Bewertung nur auf sexualmoralischen Vorgaben? Kann man dieses Urteil auch auf Themen und Stoffe ausdehnen, die sich nicht unter dem Begriff erotisch einordnen lassen?
Eine sehr interessante Frage, Marianne. Ich habe gemerkt, dass ich mir dazu noch kaum Gedanken gemacht habe. Vielleicht einfach, weil ich bezüglich dem, was mit diesem Prädikat in meiner Gegenwart versehen wurde, wahrscheinlich stets relativ teilnahmslos gegenüber gestanden bin. In Zusammenhang mit den von mir oben zitierten Fragen fällt mir auch der Begriff "Perversion" - und als eine ihrer Ausdrucksformen die "Pornographie" - als etwas der "Obszönität" in gewissem Masse verwandtes ein. Ich würde sagen, dass etwas "Obszönes", "Perverses" oder auch "Pornographisches" etwas ist, das sich durchaus in einer nominalen ökonomischen Ordnung einbeschlossen finden lässt, in der ihm jeweils eine gewisse Bedeutung zukommt, welche das sittliche Gesetz (das die herrschenden Moralvorstellungen verteilen und festlegen) zugleich überbordet und dennoch zu ihm gehört. Ich würde den Begriff des
Erotischen insofern für passend halten, als mit diesen Kategorien, von denen wir sprechen, im Grunde implizit eine gewisse Glücksvorstellung verbunden wird, an der alle - im Endeffekt die ganze Gemeinschaft - teilhaben sollen. Das Streben nämlich nach einer sittenlosen Gemeinschaft, in der sämtliche sittlichen Normen nicht mehr gebraucht werden, in dem der
nomos, der die Äcker zuteilt, das Gesetz, die Sitten stiftet, nicht mehr benötigt wird. Wir alle wissen aber, dass der Eros, dieses Mittelding, eben nicht tatsächlich zum Glück findet, jedoch aber seine Suggestion als strebendes Prinzip benötigt.
Auch den Sadismus etwa, der "obszön" oder "pervers" erscheinen muss, sehe ich ein wenig an diese Bewegung gebunden. Anstatt das Streben nach Verwirklichung des Sittlichen um Glück zu schaffen, der Versuch, die sittlichen Schranken gerade zu verwerfen, um im Grunde auf dasselbe Ziel hinzuwirken. Aber das ist wohl eine Gemeinsamkeit, die dieser auch mit der "Pornographie" teilt.
In meinen obigen Ausführungen begleitete mich der Gedanke, dass nicht das Unbenennbare, das, was sich dem Blick entzieht, als "obszön" bezeichnet wird. Es handelt sich doch meist um etwas, das sich an der Grenze des Bezeichenbaren aufhält, etwas an der Schwelle (und deswegen ist der Eros auch so passend). Etwas, das, wie gesagt, dazugehört und sich dennoch überbordend gebärdet (- d.h. es ist veränderbar).
Marianne schrieb:
Gibt es nur in der Darstellenden Kunst und der Literatur "Öbszönitäten"?
Nein, das denke ich nicht (auch wenn man vielleicht zuerst festlegen müsste, was "darstellende Kunst" und "Literatur" genau sind). Ich glaube, dass der Alltag voller "Obszönitäten" ist. Man müsste sich achten, es ist wahrscheinlich stets das, was sich der Aufmerksamkeit zunächst entzieht (Beispiel: nicht die Fernsehnachrichten sind etwa obszön, sondern eher, dass wir sie zu konsumieren pflegen, ohne auf diesen Gedanken zu kommen; nicht die Kopulation macht den Porno zu einem Porno, viel eher sind es wahrscheinlich die Zeichen des Alltags, die darin karikiert - zu einem Fetisch - werden: etwa die Uniform eines Zimmermädchens, das Häubchen und der Mundschutz einer Krankenschwester...) Wahrnehmung dessen, was gemeinhin (in der herrschenden Ordnung) kaum mehr wahrgenommen wird - als Merkmale der Diskrepanzen, die der herrschenden Ordnung, der Sitte, die Existenz des
nomos sichern. So, das war mein spontaner Gedankendünnschiss zu diesem Thema - mehr folgt vielleicht ein anderes Mal. War diese Formulierung jetzt obszön?