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Ist GLÜCK ERLERNBAR ? Kapitel 2

eric_flausen

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17. April 2004
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Die guten Gefühle als Kompass

Weshalb haben wir eigentlich Gefühle? Als Mensch, der nicht mehr fühlen kann, wurde Elliot bekannt. Er war ein erfolgreicher Jurist, ein guter Ehemann und Vater, bis ein Tumor sein Stirnhirn oberhalb der Nasenhöhle zerstörte. Das Geschwür wurde entfernt und die Ärzte fanden bei Elliot keine Anzeichen einer Störung, er hat die Operation unvermindert überstanden. Seine Intelligenz war nicht beeinträchtigt, alle Reflexe funktionierten normal, er war genauso charmant, aufmerksam und witzig wie vorher – nur immer etwas unterkühlt. Trotzdem: Er war jetzt ganz anders. Er ließ sich nie aus der Ruhe bringen.

Der Mann ohne Gefühle
In vielen psychologischen Tests fand man heraus, dass Elliot durch die Operation ein Mann ohne Gefühle geworden war. Zeigte man im Bilder mit schlimmen Szenen, wusste er, daß das schlimm sein müsse, aber er fühlte es nicht mehr. Er konnte im Beruf seine Arbeit nicht mehr organisieren. Er grübelte an seinem Schreibtisch stundenlang, nach welchem Prinzip er die Akten sortieren sollte: Elliot konnte sich nicht mehr entscheiden, er hatte den Blick für das Wesentliche verloren, er konnte Informationen nicht mehr bewerten. Seine Intelligenz allein half ihm nicht, wenn er sich z.B. zwischen zwei scheinbar gleich guten Varianten entscheiden musste. Er musste sämtliche möglichen Folgen einer Entscheidung bis ans Ende durchdenken. Das dauert viel zu lange, auch weil wir nicht alles voraussehen können. Deshalb braucht der Verstand Hilfe durch die Gefühle. Elliot verlor seinen Job, sein Geld in finanziellen Abenteuern, seine Ehe zerbrach und er konnte nur in der Obhut seiner Schwester mit einer Invalidenrente überleben. Alles nur deshalb, weil er keine Gefühle mehr hatte.

Gefühlsblindheit (Alexithyme)
Quasi über Nacht wurden Gefühle zu einem der heißesten Themen der Neurowisssenschaft. Wohl kaum ein psychologisches Phänomen erschüttert das menschliche Miteinander so, wie die Gefühlsblindheit. Jeder zehnte kennt weder Glück noch Trauer. Der Grad der Gefühlsverarmung ist sehr unterschiedlich. Da es nicht so wie bei Elliot immer eine körperliche Funktionsstörung ist, ist diese Gefühlsverarmung nach den neuesten Erkenntnissen durchaus therapierbar.

Gefühlsforscher vermuten, dass Gefühlsarme einfach nie gelernt haben, ihre Körpersignale als Gefühle zu deuten. Typisch ist z.B. vor einer Prüfung, statt Angst zu haben, Durchfall zu bekommen. Gefühlsarme müssen lernen, dass Gefühle haben, nichts Schlimmes ist. Diese Erkenntnisse haben in jüngster Zeit die Behandlung von Gefühlsblinden dramatisch verändert.

Die Erkenntnis ist, dass Gefühlsblinde durchaus Gefühlsinformationen haben, diese aber abblocken, bevor es das Gehirn vollständig verarbeiten kann. Wie im vorherigen Kapitel erläutert, macht sich der Mensch ständig ein Bild seiner selbst und baut sich im Gehirn eine Art Karte seines Körpers zusammen. Wenn diese Gefühlsinformationen nun nicht in das Bewusstsein vorgelassen werden, können keine Gefühle empfunden werden.


Gefühle machen uns flexibel
Wo der Kopf lange Ketten von Für und Wider bildet, hat der Bauch ohne Angabe von Gründen längst entschieden. Urteile aus dem Gefühl speisen sich nicht aus logischen Schlüssen, sondern aus zwei Quellen, die beide aus der Vergangenheit entspringen: Intuition und Erfahrungen.

Emotionen entstanden im Lauf der Evolution, um auf einfache Fragen eine schnelle Antwort zu finden: soll ich vor den Angriff einer Schlange fliehen oder zum Gegenschlag ausholen. Die meisten Probleme, die wir Tag für Tag zu lösen haben, sind verwickelter. Eine schnelle Antwort aus dem Bauch macht viele zwischenmenschliche Schwierigkeiten nur noch schlimmer.

Erstaunlicherweise benötigen wir aber Gefühle, um überhaupt vernünftig handeln zu können. Das Gehirn trifft eine Entscheidung unter Berücksichtigung, wie wir uns in diesem oder jenen Fall wahrscheinlich fühlen würden. Wenn nun Gefühle fehlen, kann das Gehirn nicht vernünftig entscheiden. Selbst, wenn wir mit unserem Wissen Regeln durchschauen, nutzen wir dieses Wissen nicht, wenn die Gefühle nicht mit beteiligt sind. Obwohl Elliot alles mit seiner Intelligenz durchschaut hatte, die mangelnde Risiko-Furcht durch fehlende Gefühle hat seinen finanziellen Ruin bedeutet.

Eine Vorliebe für Tragik
Glück und Unglück sind Lehrmeister, mit denen die Natur uns erzieht. Das Vergnügen ist umso stärker, je mehr wir vorher Mangel gelitten haben. Diese Steuerung aus Lust und Unlust strebt aus biologischen Gründen danach, den Organismus im optimalen Betriebszustand zu halten. Deshalb überwiegt Schmerz fast immer alle anderen Affekte. Generell erleben wir negative Gefühle intensiver als positive und die unangenehmen Affekte werden auch leichter ausgelöst. Es ist leichter, uns mit einer traurigen Geschichte zu rühren, als uns mit einem lustigen Film zum Lachen zu bringen. Der Mensch hat eine Vorliebe für Tragik. Wir scheuen das Risiko stärker, als wir das Glück suchen.

Weshalb es das Glück nicht gratis gibt
Weil wir Glück oftmals nur noch als angenehmen Zustand verstehen, fällt es vielen nicht leicht, zu verstehen, was Glück wirklich bedeutet. Wir neigen dazu, Glück als Genuss ohne Vorgeschichte und ohne Kosten zu begreifen, nicht als einen Prozess. Das ist unrealistisch, wie die Wissenschaft jetzt belegt. Nach allem was wir heute über unsere Seele wissen, kann es positive Emotionen nicht gratis geben. Gute Gefühle sind kein Schicksal, man kann und muss sich darum bemühen.

Das Unglück kommt von allein, um das Glück müssen wir uns bemühen. Viele Menschen heute sehen das Glück als etwas Schicksalhaftes, als etwas, das von außen über uns kommt oder eben nicht. Aber schon Aristoteles schrieb: „Glück ist die Folge einer Tätigkeit“. In einem aktiven Leben liegt das Geheimnis von Freude und Erfüllung. Die Neurowissenschaft bestätigt also unsere alten Denker.


So, das war das Kapitel 2.
Als nächstes folgt „Das Glückssystem“.

Literatur: Der Spiegel 1.12.03: „Blind für Wut und Freude“ von Veronika Hackenbroch. „Die Glücksformel“ von Stefan Klein mit den aktuellen Erkenntnissen aus den Wissenschaftslabors dieser Welt. Stefan Klein studierte Physik und Philosophie und promovierte über Biophysik. 1998 erhielt er den Holtzbrinck-Preis für Wissenschaftsjournalismus.
 
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Ok, schon wieder ein Irrtum. "Glücklichsein" - wer das für ein Gefühl hält, hat sich bereits geirrt. Glücklichsein oder von mir aus Zufriedensein ist eine Geisteshaltung und kein Gefühl. Gefühle kommen und gehen, ganz wie es ihnen passt. Auf Gefühle hat der Mensch einen relativ geringen Einfluss, auf seine Geisteshaltung einen sehr grossen.

Wenn Glück tatsächlich ein Gefühl wäre, so würde das konsequenterweise heissen, dass wir dauernd ein Gefühl aufrechterhalten müssen um glücklich zu sein. Sobald dann "negative" Gefühle aufkommen, können wir nicht mehr glücklich sein, es ist unmöglich. Das würde zum Beispiel implizieren, dass man nicht gleichzeitig traurig und glücklich oder nicht gleichzeitig wütend und glücklich sein kann.
Da sagt mir meine Erfahrung was ganz anderes. Es ist eigentlich ein Leichtes, gleichzeitig traurig und trotzdem zufrieden und glücklich zu sein, dasselbe gilt für Wut und sogar für Gefühle der Frustration. Warum? Dostojewski gibt die Antwort. Wir brauchen nur einzusehen, dass eigentlich alles schon gut ist, so wie es ist. Das setzt aber einen sehr, sehr grossen Reifegrad im Menschen voraus, dass er auch noch in der übelsten Situation sein Zufriedensein bewahren kann. Ich auf jeden Fall kann es nicht immer.
 
fckw schrieb:
Ok, schon wieder ein Irrtum. "Glücklichsein" - wer das für ein Gefühl hält, hat sich bereits geirrt. Glücklichsein oder von mir aus Zufriedensein ist eine Geisteshaltung und kein Gefühl. ...

Wenn Glück tatsächlich ein Gefühl wäre, so würde das konsequenterweise heissen, dass wir dauernd ein Gefühl aufrechterhalten müssen um glücklich zu sein. Sobald dann "negative" Gefühle aufkommen, können wir nicht mehr glücklich sein, es ist unmöglich. Das würde zum Beispiel implizieren, dass man nicht gleichzeitig traurig und glücklich oder nicht gleichzeitig wütend und glücklich sein kann.
Da sagt mir meine Erfahrung was ganz anderes. Es ist eigentlich ein Leichtes, gleichzeitig traurig und trotzdem zufrieden und glücklich zu sein, dasselbe gilt für Wut und sogar für Gefühle der Frustration. ...

Hallo FCKW,

nein, kein Irrtum. Du hast schon Recht: Man kann gleichzeitig traurig und glücklich sein. In einem der späteren Kapitel wird das auch erläutert, daß der Mensch zwei getrennte Systeme für negative und positive Gefühle hat.

Ja, ein Irrtum: Glücklichsein ist keine Geisteshaltung. Da wird Ursache und Wirkung durcheinander gebracht. Aber wer interessiert und offen ist, kann es ja in den folgenden Kapiteln lesen, es sind ja noch mehr als 10 Kapitel (das war eine Drohung).

Viele Grüße
Eric
 
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