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Gewalt gegen Ausländer und Arbeitslosigkeit

AW: Gewalt gegen Ausländer und Arbeitslosigkeit

Mir hatte das mit den Quasi-Ghettos seinerzeit eine Arbeitskollegin so erzählt, die kurz nach der Wende nach Hamburg rüberkam. Die Vietnamesen ... hätten in eigens für sie vorgesehenen Siedlungen gewohnt und auch in den Betrieben eher in abgesonderten Bereichen gearbeitet, der Kontakt mit der deutschen Bevölkerung sei jedenfalls ziemlich gering gewesen und offiziell jenseits der Parolen von der Völkerfreundschaft auch nicht besonders gefördert worden.

Erzählt wird viel, Thorsten, besonders von Leuten, die sich kurz nach der Wende eine gute Startposition im Westen verschaffen wollten. Deshalb erzähle ich dir auch mal etwas über mein und meiner Frau Verhältnis zu Vietnamesen.

Meine Frau war Lehrmeisterin und unterrichtete in einem Dresdner elektrotechnischen Betrieb Vietnamesen (und andere Ausländer). Zweck des Aufenthalts der Vietnamesen war, in der DDR etwas zu lernen, es vielleicht zum Facharbeiter zu bringen und dann das erworbene Wissen im Heimatland anzuwenden. Vietnamesen und andere Ausländer waren nicht in der DDR, um sich da eine Existenz aufzubauen. Deshalb konkurrierten sie auch nie mit einheimischen Arbeitern. Es gab einfach keine soziale Grundlage für einen Ausländerhass.

Als meine vierköpfige Familie 1977 eine 4-Zimmer-Neubauwohnung in Dresden beziehen konnte, da luden wir auch Vietnamesen ein, die meine Frau ausbildete. Noch heute brummt mir der Schädel, wenn ich an den aus Reis gebrannten Wodka denke, den die Vietnamesen zur Einweihung der Wohnung mitbrachten ...

Gruss vom Altossi
Hartmut
 
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AW: Gewalt gegen Ausländer und Arbeitslosigkeit

Hallo Hartmut,

ich kann mir gut vorstellen, daß die DDR für viele Vietnamesen eine sehr attraktive Möglichkeit der weiteren Lebensgestaltung bot, und sei es, um etwas zu lernen, was man später im Heimatland mit Nutzen (egal ob für sich oder die Gemeinschaft) anbringen kann. PS sprach von "Anpassung"; für mich ist es selbstverständlich, daß man sich anpasst, wenn man in ein anderes Land kommt. Aber er sagte ja auch: sie wären schon vorher angepasst gewesen, um überhaupt herzukommen. Angepasst woran?

Hartmut schrieb:
Zweck des Aufenthalts der Vietnamesen war, in der DDR etwas zu lernen, es vielleicht zum Facharbeiter zu bringen und dann das erworbene Wissen im Heimatland anzuwenden.

Zweck des Aufenthaltes der - ganz entsprechenden - Gastarbeiter der BRD war, den Arbeitskräftemangel auszugleichen und zugleich mittels des erarbeiteten Geldes die Wirtschaft in den Herkunftsländern voranzutreiben, vom Nutzen des erworbenen Wissens, das sie mit zurückbringen, einmal ganz abgesehen. (Bitte nicht vergessen: Griechenland, Italien und die Türkei galten zu Beginn der 60er Jahre noch als halbe Entwicklungsländer.) Daß jemand bleiben wollen könnte, sich in Deutschland eine Existenz aufbaut und seine Familie nachholt, war nicht vorgesehen. Das zumindest wäre also ähnlich.

Hartmut schrieb:
Deshalb konkurrierten sie auch nie mit einheimischen Arbeitern. Es gab einfach keine soziale Grundlage für einen Ausländerhass.
In der BRD gab es gezielte Werbekampagnen, weil man den "Gastarbeitern" feindlich begegnete, sie als Kanaken, Itaker, Knoblauchfresser und was weiß ich titulierte. Im Ruhrgebiet wurde so dagegen geworben: "Sag nichts gegen meinen Kumpel!", weil der Kohlearbeiter eben ein Kumpel ist, egal wo er herkommt. Das war erfolgreich. Viele jener "Gastarbeiter" haben sich später selbständig gemacht, und heute gehört Pizza zum banalsten deutschen Alltag dazu, wie eine Speise ohne Knoblauch den meisten als beinahe ungenießbar gilt. Dem vietnamesischen Reis-Wodka war dieses Schicksal nicht vergönnt, könnte am Gebräu liegen, hehe...

Aber ist "Konkurrenz um Arbeit" wirklich das Problem? Die Wirtschaft der DDR litt doch eher unter Materialmangel als an Mangel an Arbeitskraft? Die meisten ausländerfeindlichen Übergriffe geschehen an Orten, wo es kaum Ausländer gibt; wem genau nehmen die paar Inder in Mügeln genau was weg? Werden sie etwa sogar wegen ihrer "Tüchtigkeit" - einer deutschen Tugend! - zusammengeschlagen, so wie man früher am Gymnasium den Streber vermöbelte?

Wo ich jetzt wohne, in einem Stadtteil von Hamburg, der so unterschicht ist, daß es keine Edeka-Filiale gibt (sehr wohl aber äußerst gepflegte Aldi- und Penny-Märkte), wird die Stadtteilschule von Kindern und Jugendlichen aus nicht weniger als fünfundsechzig (65!) Nationen besucht. Zu offener Strassengewalt kommt es kaum. Paar deutsche Jungs und Mädels gucken komisch. Aber: hier ist es (noch?) im Gleichgewicht. In Großstädten nimmt die Gewalt immer da zu, wo eine einzelne ethnische Gruppe das Quartier dominiert. Und da sind es - Robin wird das bestätigen - meist nicht die Deutschen, die den meisten Terror verbreiten.

Aber auf dem Lande, oder einer isolierten, frustrierten Kleinstadt, wo kaum ein Ausländer hinkommt, tja... da dominieren halt die Deutschen als ethnische Gruppe... und weil das so schön ist, dominieren halt am Ende noch die nationalradikalsten die anderen Deutschen...
 
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Aber ist "Konkurrenz um Arbeit" wirklich das Problem? Die Wirtschaft der DDR litt doch eher unter Materialmangel als an Mangel an Arbeitskraft? Die meisten ausländerfeindlichen Übergriffe geschehen an Orten, wo es kaum Ausländer gibt; wem genau nehmen die paar Inder in Mügeln genau was weg?

Da habe ich vor kurzem eine bedenkenswerte Erklärung gelesen:

Nach Marshall McLuhans Ausführungen sind Medien die Erweiterung unserer menschlichen Sinne. Das Radio sind meine Ohren, TV meine Augen und das Internet (welches er noch gar nicht kannte) mein ganzes Nervensystem. Wenn ich über diese "Sinnesorgane" permanent mit Informationen von Immigrantenflut in Italien, Schlägereien von Türkischen Kindern in Hauptschulen, Schiesserei einer Mafiabande in Duisburg etc. informiert werde, kann der Kopf zwar rational sagen, dass dies nicht das eigene Leben betrifft, das Gefühl sagt aber etwas anderes. Die Augen sehen ja, dass es passiert, die Ohren hören es. Wo ist egal. Muss in der Nähe sein, wenn man darüber berichtet. Wer die Bildzeitung durchliest muss der Meinung sein, die Welt geht unter, und zwar permanent.
Man vermischt diese Infos von "weit weg" mit persönlichen Erlebnissen und die Leute "wissen", dass Gefahr droht.
Und wenn Gefahr droht muss man sich wehren. Ist so. Und dann, weil der Immigrant aus Italien, die Mafiabande in Duisburg, die Türkenkids von der Hauptschule in Berlin in Sachsen nicht fassbar sind, muss der herhalten der fassbar ist. Es ist so einfach und so verblüffend direkt. Translokale Informationen aus den demokratischen Medien laden die Stimmung auf, die dann lokal entladen wird.
Was wäre die Lösung? Keine. Die Infos sind nun einmal draussen und jeder Versuch der Relativierung wird als Versuch der Manipulation gewertet. Zusätzlich kommt der Umstand, dass es die Imigranten in Italien wirklich gibt, die Mafiaüberfälle in Duisburg, die türkischen Schlägerkids in Berlin.
Und, nicht zu vergessen: die Mügelner, die, den Medien zufolge ja in ihrer Gesamtheit eine Bande von Nazischlägern sind.
Also Leute: Vorsicht, wenn ihr einen aus Mügeln trefft. Oder überhaupt einen Ossi.
Und nicht vergessen: die Medien haben immer Recht und neigen nie zu Pauschalierungen und Vorverurteilungen.
 
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