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Freiheit und Neurobiologie

mwirthgen

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20. Dezember 2002
Beiträge
969
Zum Thema "Philosophie und Naturwissenschaft" mit dem Artikel von Herrn Singer noch eine Ergänzung für Interessierte. Ein Hinweis auf ein Buch, das in diesem Zusammenhang noch lesenswert sein könnte.

John R. Searle (Professor für Philosophie an der Universität Berkeley/Californien.)
Freiheit und Neurobiologie
Frankfurt/Main 2004. 91 S.
Preis: 14,80 EUR
Auszug aus dem "Klappentext" des Buches:
Die aktuelle Debatte zwischen der modernen Hirnforschung und der Philosophie konzentriert sich auf die Frage, ob so etwas wie ein freier Wille nach den Experimenten der Neurobiologen überhaupt noch gedacht werden könne. Auf dem Spiel steht dabei nicht weniger als das traditionelle Menschenbild mitsamt seinen theoretischen wie praktischen, ja sogar politischen Implikationen. Der berühmte amerikanische Philosoph John R. Searle hat sich in zwei an der Sorbonne gehaltenen Vorlesungen den Herausforderungen der Naturwissenschaft gestellt, die Argumente der Naturwissenschaftler aufgenommen und ihnen in luzider Weise geantwortet. Searles philosophische Antwort auf die Angriffe seitens der Hirnforschung ist der Versuch, philosophische Bedingungen dafür zu formulieren, daß wir überhaupt von Freiheit sprechen können. Freiheit ist kein selbstverständlicher Begriff, sondern steht in einer langen philosophischen Tradition, die, wenn man sie genau betrachtet, bereits Antworten auf viele der vorgebrachten Argumente der Gegenseite bereithält. Wichtig ist, so Searle, zwischen unterschiedlichen Konzeptionen von Freiheit und Determinismus zu unterscheiden und diese auf ihre theoretischen Grundannahmen hin zu befragen, um überhaupt einen fruchtbaren Dialog zu ermöglichen. Searles Antwort zielt auf eine Bestimmung des menschlichen Geistes. Entscheidend ist nicht, ob die Freiheit im Menschenbild der Hirnforschung einen Platz hat, sondern vielmehr, wie der menschliche Geist beschaffen sein muß, damit Freiheit möglich ist.

Manni
 
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mwirthgen schrieb:
Wichtig ist, so Searle, zwischen unterschiedlichen Konzeptionen von Freiheit und Determinismus
zu unterscheiden und diese auf ihre theoretischen Grundannahmen hin zu befragen,
um überhaupt einen fruchtbaren Dialog zu ermöglichen
Manni, das erscheint mir als ein sehr guter Literaturtipp.

Ich glaube auch, dass wir uns zuerst einmal darüber klarwerden sollten, was wir denn unter "Freier Wille"
verstehen wollen, bevor wir über seine (Nicht-) Existenz diskutieren.

lg nase
 
Liebe Neugier,

Neugier schrieb:
Ich glaube auch, dass wir uns zuerst einmal darüber klarwerden sollten, was wir denn unter "Freier Wille" verstehen wollen, bevor wir über seine (Nicht-) Existenz diskutieren.


da diskutiere ich gerne mit. Hast du nicht Lust einen entsprechenden Thread unter "Philosophie -allgemein" zu eröffnen?

manni
 
Der Begriff Freiheit zerfällt in zwei Teile, Freiheit wofür und Freiheit wovon.
Als Produkt von Veranlagung und Erziehung begrenzt sich Freiheit ganz natürlich durch den Willen, etwas zu tun oder nicht, der aus diesen beiden Punkten gebildet ist. Dazu kommen die Schranken der Gesellschaft, in die wir hineingeboren wurden. Der Wille als Produkt von Veranlangung und Erziehung und die vorgegebenen gesellschaftlichen Schranken sind die Grenzmarkierungen. Handeln wir permanent dagegen, werden wir entweder im ersteren Fall neurotisch oder landen im letzteren Fall im Knast.
Da alle Punkte Ort- und zeitabhängig sind, gibt es die absolute Freiheit als objektiven real umsetzbaren Begriff nicht, er ist relativ so wie der Wille selbst, einem ständigen Wandel unterworfen.
Ein Mensch ganz alleine auf einer unbewohnten Insel ist theoretisch völlig frei, aber eben auch nur so lange, wie er nicht wünscht, diese Insel zu verlassen. Kann er es nicht, ist die Inselfreiheit zum Gefängnis, also zu Unfreiheit, geworden. (eine Analogie, die auf viele Ehen oder sonstige Abhängigkeitsverhältnisse passt)
 
Manni,

wenn ich mich recht erinnere, wurde der "Freie Wille" schon in anderen Threads thematisiert.

Ich habe mich an diesen Diskussionen nicht beteiligt, weil sie mir als ein Streit um des Kaisers Bart
erscheinen, der aus einer unzulässigen Vermischung von Betrachtungsebenen resultiert.

"Freier Wille" ist ja einer der Begriffe, die infolge vieler Ausschmückungen und Ausdeutungen in sehr vielen
Farben schillern, sodass sich je nach Perspektive und Betrachtungsebene am Gegenstand verschiedene Aspekte
feststellen lassen.
Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass dieser Begriff auch so definiert werden kann,
dass (nach einigen Klimmzügen) Zweifel an der Existenz eines freien Willens aufkommen.


Meiner Meinung nach löst sich der Streitgegenstand bei einer sauberen Trennung der Betrachtungsebenen
in Luft auf, was sich anhand einer Analogie illustrieren lässt.

Betrachten wir meine körperliche Existenz.

Ohne Zweifel ist mein Körper aus einer Vielzahl von Atomen zusammengesetzt.

Wenn jetzt ein Chemiker daherkäme und mir erklärte, dass ich ja gar nicht existiere,
existieren tue vielmehr lediglich eine bestimmte Anordnung von vielen Atomen,
dann hätte dieser Chemiker auf der Betrachtungsebene "chemisch-physikalische Fakten" nicht unrecht.

Für mich wäre diese Feststellung aber dennoch völlig belanglos, weil diese bestimmte Anordnung von Atomen
eben auch so etwas wie ein Ich-Bewusstsein hervorgebracht hat.

Dank dieses Ich-Bewusstseins zweifle ich nicht daran, dass ich derzeit existiere, was immer die Chemiker
und die Neurobiologen gerade mit den Philosophen als "state of the art" ausbaldowern mögen.

Es ergibt also keinen Sinn, die Betrachtungsebene "chemisch-physikalische Fakten" mit der Ebene
meiner Empfindungen und meines Bewusstseins zu vermischen.

Wir könnten diese Sinnlosigkeit auch an einer Reihe anderer Fragestellungen erkennen:
Ist ein Regenbogen wirklich schön ?
Ist Schokolade wirklich wohlschmeckend ?

Jedesmal könnten wir zwar einige Aspekte physikalisch-chemisch erklären,
aber die Empfindungen "schön" und "wohlschmeckend" liegen auf einer anderen Ebene.



"Freier Wille" bedeutet für mich ganz einfach,
dass ICH einen Entschluss als einen eigenständigen Akt EMPFINDE.


Analog zum Zweifel an meiner körperlichen Existenz könnte auch jemand erklären,
dass mein eigener Entschluss ja letztlich nichts weiter sei, als die Resultierende
aus einer Vielzahl von verschieden gerichteten und unterschiedlich starken Wirkungsketten.

Auch eine solche Feststellung wäre nicht notwendigerweise falsch, aber sie wäre für mich ebenfalls
völlig belanglos, weil ich meinen Entschluss eben als einen eigenständigen Akt empfinde.


Das musste unbedingt auch einmal gesagt werden.

lg nase
 
Neugier,

es war sehr erfreulich, dein erfrischend klares Statement zum freien Willen zu lesen. Ich teile deine Einschätzung, dass es nicht darauf ankommt, was andere über einen sagen, sondern darauf, was man selbst einsieht. Auch ich gehe davon aus, dass ich einen freien Willen besitze.

Die Argumente, die von Seiten der Neurobiologie dagegen vorgebracht werden, liegen m.E. nach auch ausschließlich auf der neurobiologischen Seite und sind nicht zwangsläufig Aussagen über das, was meine Selbsterkenntnis mir zeigt, nämlich etwas ganz und gar Unbiologisches: mein Bewusstsein.

In der Tat werden in ganz undifferenzierter Weise, nicht nur Betrachtungsebenen, sondern unterschiedliche Wirklichkeitsbereiche vermischt und es wird sogar der Eindruck erweckt, als gäbe es diese unterschiedlichen Seinsbereiche überhaupt nicht. Wenn renommierte Wissenschaftler behaupten, sie könnten mit ihren Apparaten dem Gehirn beim Denken zuschauen, dann ist das - harmlos gesagt - eine falsche Behauptung. Immerhin bietet sich im Hinblick auf solche sich selbst und andere täuschenden Aussagen die Neurobiologie z.B. als Wissenschaft an, bei der beispielsweise auch Pädagogen lernen können sollen, wie sie Schüler unterrichten müssen. Lehrer werden bundesweit dazu aufgefordert, entsprechende Bildungsveranstaltungen zu besuchen. Mit der Folge, dass unser ohnehin gefährlich einseitiges naturwissenschaftlich-lastiges Wissenschafts- und Selbstverständnis neuen Schub erhält und gesellschaftliche und individuelle Lern- und Entwicklungsprozesse zunehmend mehr unter diesen Aspekten betrachtet werden. Schon aus diesen kurzen Hinweisen wird ersichtlich, dass es so verkehrt gar nicht ist, sich um des "Kaisers Bart" zu streiten, zumal wenn einflussreiche Institutionen wie das Max-Planck-Institut solche Texte, wie sie Herr Singer verfasst, auch noch als neuesten philosophischen Beitrag zur Anthropologie anbietet. Dies beeinflusst schließlich Politik und Gesellschaft!

manni
 
mavaho schrieb:
Der Begriff Freiheit zerfällt in zwei Teile, Freiheit wofür und Freiheit wovon.
Als Produkt von Veranlagung und Erziehung begrenzt sich Freiheit ganz natürlich durch den Willen, etwas zu tun oder nicht, der aus diesen beiden Punkten gebildet ist. Dazu kommen die Schranken der Gesellschaft, in die wir hineingeboren wurden. Der Wille als Produkt von Veranlangung und Erziehung und die vorgegebenen gesellschaftlichen Schranken sind die Grenzmarkierungen. Handeln wir permanent dagegen, werden wir entweder im ersteren Fall neurotisch oder landen im letzteren Fall im Knast.
Da alle Punkte Ort- und zeitabhängig sind, gibt es die absolute Freiheit als objektiven real umsetzbaren Begriff nicht, er ist relativ so wie der Wille selbst, einem ständigen Wandel unterworfen.
Ein Mensch ganz alleine auf einer unbewohnten Insel ist theoretisch völlig frei, aber eben auch nur so lange, wie er nicht wünscht, diese Insel zu verlassen. Kann er es nicht, ist die Inselfreiheit zum Gefängnis, also zu Unfreiheit, geworden. (eine Analogie, die auf viele Ehen oder sonstige Abhängigkeitsverhältnisse passt)

Mavaho, ich kann dem, weitestgehend zustimmen. Doch scheint es mir nicht vollständig. Unvollständig ist z.B. Freiheit dadurch erklärt, dass man ihr die Aspekte "wofür" und "wovon" zuordnet. Das ist so ähnlich, als wenn man versuchte, das was mit dem Wort "Kaninchen" gemeint ist, dadurch zu erklären, dass es wilde und zahme Kaninchen gibt! Damit weiß niemand, der nicht weiß, was Kaninchen sind, worum es sich da handelt. Genauso wenig weiß man, was du unter "Freiheit" verstehst, wenn du ihre Grenzen und Bedingtheiten erwähnst! Was also ist Freiheit?

Ähnlich unvollständig ist auch deine Beschreibung des Willen, der ganz sicher in seiner Ausprägung von Umwelt und Veranlagung abhängig ist. Was aber meinst du, wenn du das Wort "Wille" benutzt? Auf welchen "Sachverhalt", welches "Etwas" weist du damit hin?

manni
 
Wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort sogleich sich ein !

mwirthgen schrieb:
Wenn renommierte Wissenschaftler behaupten,

sie könnten mit ihren Apparaten dem Gehirn beim Denken zuschauen, dann ist das ......
.... zunächst einmal eine blumig-bildhafte Kurzbeschreibung dessen, was mit modernen Untersuchungsmethoden
möglich ist.

Gemeint ist damit, dass sie in groben Umrissen mitverfolgen können, in welchen räumlichen Bezirken des Hirnes
bei bestimmten Hirnleistungen eine erhöhte neuronale Aktivität stattfindet. Vielleicht sollte auch noch extra
dazugesagt werden, dass diese ungefähre Verortung der signifikantesten Leistungsbeiträge um Lichtjahre von
einem "Gedanken-Mitlesen" entfernt ist.


Wenn Wolf Singer an der Existenz eines freien Willens zweifelt, so basiert dieser Zweifel vermutlich
auf einem Begriffsverständnis von "Freier Wille", das sich mit meinem Verständnis nicht deckt.

Ich muss hier "vermutlich" schreiben, weil ich Singers Begriffsverständnis nicht kenne.

Damit wären wir thematisch wieder beim Einstiegsbeitrag dieses Threads, in dem auf die notwendige
Abklärung des Begriffsverständnisses vor einer Diskussion über die Existenz hingewiesen wird.


lg nase
 
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Freier Wille ....

Neugier schrieb:
.... Damit wären wir thematisch wieder beim Einstiegsbeitrag dieses Threads, in dem auf die notwendige
Abklärung des Begriffsverständnisses vor einer Diskussion über die Existenz hingewiesen wird.

Nun will ich einen Versuch starten.

Zum einen Freiheit: Ich erkenne Freiheit als Grundstruktur meines Bewusstseins, die es mir ermöglicht aus der Distanz die vergangenen Aktivitäten meines Bewusstseins (z.B.Denken, Erkennen) zu betrachten. Da ich davon ausgehe, dass jedes menschliche Bewusstsein diese Grundstruktur besitzt – wir wären z.B. sonst nicht in der Lage sinnvoll „Ich“ zu sagen – erkenne ich diese Grundstruktur jedem menschlichen Bewusstsein zu. In welchem Maße davon Gebrauch gemacht wird, bzw. gemacht werden kann, was sie einschränkt bzw. fördert, bleibt dabei noch ungeklärt.

Bei der Betrachtung z.B. eigener Denkakte ist erkennbar, dass solchen Akten auch eine gewisse Zielgerichtetheit, Zielstrebigkeit inne wohnt bzw. unterlegt ist, sonst würde sie vermutlich nicht entstehen können. Diese Zielstrebigkeit kann als Willen bezeichnet werden, der auch ein Bestandteil der reflexiven Beobachtung vergangener Aktivitäten meines Bewusstseins ist. Auch hier bleiben wie schon bei der Freiheit, die Bedingungen des Vermögens und Beschränkt - Seins außer Acht.

Freier Wille wäre daher, die aus der Distanz zu Eigenem gewonnene Einsicht zielstrebig zu verfolgen.

Gruß
manni
 
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