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Das lustige Zigeunerleben

Pottwal

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4. Juni 2008
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56
Das lustige Leben einer Zigeunerin

Seit etwa zwei Jahren bin ich Mitglied im Verein „Romano Centro“ in Wien, einem Verein, der sich für in Österreich lebende Sinti und Roma einsetzt.
Es ist fragwürdig, weshalb diese Bevölkerungsgruppe überhaupt jemanden braucht, der sich für sie einsetzt, warum sie erst vor wenigen Jahren als Zigeuner anerkannt wurden von der Regierung. Wieso sie bis vor wenigen Jahren als „Ausländer“ bezeichnet wurden, wo sie doch schon drei Generationen zurück hier begraben liegen und hier leben und hier geboren sind.

Zigeuner stehen nicht öffentlich dazu, Zigeuner zu sein. Oftmals geben sie sich als Jugoslawen oder Tschechen aus, um nicht als Zigeuner erkannt zu werden.
Sie haben Angst. Heute noch.
Man darf nicht vergessen: Zigeuner stinken, sie haben Läuse und Flöhe, waschen sich nicht, stehlen natürlich wie die Raben, können nicht schreiben und lesen, und da ist es immer noch besser, ein normaler „Ausländer“ zu sein, als gleich ein Zigeuner.
Und weil sie so schlechte Menschen waren, wollte Hitler sie auch umbringen- genauso wie Alte und Kranke und Behinderte.
Aber da gab es doch jemanden, der Zigeuner als etwas ganz Besonderes sah.
Dr. Mengele in Auschwitz nämlich. Der war total begeistert von den Zigeunern, baute ihnen eigene Baracken, und Kindergärten, weil er die Kinder so mochte, ließ sich sogar manchmal „Vater“ nennen von den hübschen dunklen Zigeunerkindern, die er sogar als intelligent bezeichnete.
Besonders die oftmals unterschiedlichen Augen der Zigeunerkinder zogen ihn richtig magisch an. (Sie haben oftmals ein grünes und ein braunes, oder ein blaues und ein grünes Auge)- und Zwillinge waren auf der Hitliste Mengeles ganz oben.
Er ließ sie vermessen, machte Gipsabdrücke von ihren Gesichtern, zwei Kinder wurden am Rücken zusammengenäht, ihre Arterien miteinander verbunden, er wollte künstlich siamesische Zwillinge aus ihnen machen. Später durfte die eigene Mutter die beiden Kinder mit einem Polster ersticken, weil sie so geschrien haben, dass sie es nicht aushalten konnte.
Die verschiedenen Augen wurden nach der Ermordung vieler Zigeuner eingeschickt und untersucht.
Von etwa 11.000 in Österreich lebenden Zigeunern wurden vorsichtig geschätzt 9000 ermordet.
Die wenigen, die die KZ`s überlebt haben, haben sich nie wieder getraut, öffentlich zu sagen, wer sie sind. Sie verschweigen ihre Geschichte.
Sie geben diese Angst an ihre Kinder weiter, und die Kinder wachsen mit dieser Angst auf.
Da können sie noch so wunderbare Gipsy- Musik spielen und fröhlich tanzen und singen, es schwingt immer ein trauriger Unterton mit.
Wer wusste schon, dass die Zigeuner zwar aus Indien nach Europa kamen, dass sie aber keineswegs ein „Nomadenvolk“ waren, sondern nur deshalb herumgereist sind, weil sie nirgends stehen bleiben durften für längere Zeit? Weil sie gehetzt und gejagt wurden, vertrieben wurden wo immer sie auch aufkreuzten, weil die Österreicher Angst hatten vor diesen dunklen Gesichtern, vor den schwarzen Haaren und vor der fremden Energie, die sie mitbrachten als Scherenschleifer, Kesselflicker, Teppichverkäufer und so weiter…
Dass viele Zigeuner etwas stehlen mussten, weil sie oftmals gar nicht die Möglichkeit bekamen, etwas zu kaufen, aber ihre Familien auch irgendwie ernähren mussten- darüber spricht man nicht, das wird heute noch in Rumänien totgeschwiegen, dass Zigeuner an den Rand der Städte gedrängt werden, in Betonblocks teilweise ohne Strom und Wasser, die bekommen keine Chance, eine normale Arbeit anzunehmen, wegen ihrer Herkunft. Was bleibt übrig? Kriminalität…

Ich habe mich jedenfalls lange mit diesem Thema beschäftigt, habe mir viele Dokumentationen über Zigeuner im Fernsehen angeschaut, viele Berichte gelesen, viele Zeitungen, Bücher gekauft, usw… Aber ich wollte natürlich auch endlich jemanden kennen lernen, der mir LIVE davon erzählen konnte, was einen Zigeuner ausmacht und was übrig geblieben ist von ihrer Kultur, ihren Bräuchen, ihren Liedern und Tänzen.
Aber wie lernt man Zigeuner kennen, wenn sie sich nicht öffentlich „outen“?
Ich weiß zwar, dass im Burgenland welche wohnen, konnte aber schlecht von Tür zu Tür gehen, anläuten und fragen: „Tschuldigung, san sie zufällig a Zigeina“?

Ich wandte mich also an den Verein Romano Centro in Wien und stellte meine Frage, ob sie jemanden wüssten, der Sinti oder Roma ist, eventuell KZ`s überlebt hat und als Zeitzeuge fungiert, und den ich kennen lernen könnte.
Ich bekam die Adresse von einer Frau aus Wien, mit den Zeilen:“ Frau Ceija Stojka würde ihnen sicherlich weiterhelfen können, sie hat 3 KZ`s überlebt und ist Romni, hat Bücher über ihr Leben geschrieben und würde ihnen sicher genre darüber erzählen.“

Ich habe diese Adresse lange Zeit zu Hause gehabt, habe mich aber nie getraut, ihr zu schreiben, Wien schien so weit weg zu sein, ich wusste nicht wirklich, was ich sie fragen sollte, was ich sie fragen KONNTE- denn man stellt ja nicht einfach so Fragen wie: „Wie schrecklich war es im KZ“?
Ich kannte diese Frau nicht, also kaufte ich erstmal ein Buch über sie.
Auf dem Cover des Buches das Bild von ihr: eine wunderschöne alte Frau mit sehr weisen, wissenden Augen, sehr stolz, sehr mutig sah sie mich an, mit magischen Amuletten um den Hals, der Fatima- Hand und einer Marienfigur, blond gefärbte Haare.
Ich hab das Buch zweimal gelesen. Es ist geschrieben, als hätte es ein Kind geschrieben. Leicht. Locker. Ohne große Ausschmückungen, einfach so, wie sie es erlebt hat. Ravensbrück, Bergen- Belsen, Dachau- die Schornsteine, die Abholung ihres Vaters, seine Vergasung, der Tod des kleinen Bruders an Typhus, die unheimliche Kraft der Mutter „Sidi“, die alles zusammenhielt.
Hunger. Überlebenskampf. Und dann als sie alles überlebt hatte die Rückkehr nach Wien- und wieder kein Dach über dem Kopf, wieder kein zu Hause, wieder umherziehen mit Pferd und Wagen.

Das Buch hat mich sehr berührt.
Ich habe mich dann entschlossen, ihr zu schreiben, und ihr zu sagen, dass ich sie für eine sehr stolze, mutige, schöne Frau halte, die ich sehr bewundere für ihre Kraft und ihren Mut darüber zu reden- immer wieder- und dass ich sie gerne kennen lernen würde.
Lange Zeit bekam ich keine Antwort. Drei Monate später, als ich schon gar nicht mehr damit rechnete, kam plötzlich ein unscheinbarer Brief daher.
Ich schaute auf den Absender und war auf einen Schlag hellwach. Ich öffnete den Brief und das Erste was mir aus dem Kuvert entgegenblinzelte waren bunte Blumen, eine bunte Wiese mit wunderschönen Blumen.
Ich zog das Bild heraus, das dick mit Ölfarbe gemalt war, drehte es um, und da stand in krakeliger Schrift:“ Atmen, Leben Danach“- und daneben ein Hakenkreuz.
Mir standen Tränen in den Augen.
Wie musste es sein, nach 3 KZ`s und all dem Leid und der Not und dem schwarzen klebrigen Rauch und dem Schreien nach drei Jahren zum ersten Mal wieder auf einer Blumenwiese zu stehen, und die Freiheit zu spüren, den Wind, der durch das Gras streift, die Blumen in all ihren wunderbaren Farben zu sehen, und zum ersten Mal nach so langer Zeit wieder reine Luft einatmen zu können, ohne damit die Toten zu inhalieren.

Und dann eine kleine weiße Karte mit wenigen Worten: „Ich lade Dich herzlich ein, mich in Wien zu besuchen; Es wird nie aufklärbar sein, aber nachdem Du da bist, sind wir schon zu zweit. Es freut mich, dass es solche Menschen wie Dich gibt“.

Na, ich bin natürlich gesprungen vor Freude und war den ganzen Tag ganz überdreht. Zweimal haben wir vor unserem Treffen telefoniert, am Telefon erwische ich einmal ihren Sohn, einmal ihre Tochter, einmal ihre Schwägerin, man muss sich durch die ganze Sippe durchkämpfen, wenn man da jemanden bestimmten sprechen will. Das finde ich natürlich alles total aufregend und es wird immer spannender für mich. Ich bin so nervös, dass mir schlecht wird, kurz bevor wir in Wien sind und ihre Haustür suchen.

Als wir (mein Ex-Freund und ich) sie schließlich gefunden hatten und nervös mit einem Geschenk an ihrer Tür läuteten hüpfte mir erstmal ein kleiner wuscheliger Hund die Beine hoch und beschnupperte mich und bellte und wedelte mit dem Schwanz, und dahinter kam eine Frau zum Vorschein, die mir echt die Sprache verschlug.
Vom Buch- Cover her hatte ich mir Ceija etwas rundlich und groß vorgestellt.
Die Frau aber, die da über`s ganze Gesicht strahlte und sich für den Hund entschuldigte und auf Romanes mit kindlicher weicher Stimme mit ihm schimpfte, war sehr zierlich und klein, hatte lange strubbelige blonde Haare, sie trug ein langes schwarzes Samt- Kleid, dazu eine glitzernde goldene Schürze und gestrickte Woll- Socken, war total quirlig und war etwa 70 Jahre alt.
Um den Hals hatte sie jede Menge magischer Amulette die mir vom Buch Cover bekannt vorkamen. Sie bat uns, hereinzukommen.
Als wir durch den Flur Richtung Wohnzimmer gingen sah ich an den Wänden
überall ihre wunderbaren Blumenbilder hängen, sowie Pferdegeschirr, Steine, die beschriftet waren mit „Bergen Belsen“, „Dachau“, „Ravensbrück“ und „Auschwitz“ lagen am Boden. Spiegel und riesige Teppiche zierten die Wände und Böden.
Und dann kam ein riesiger Durchgang, der mit riesigen dicken Teppichen verhangen war. Und als die zierliche Frau davon verschluckt wurde, und ich hinter ihr die Teppiche zur Seite schob um den Raum dahinter zu betreten verschlug es mir gleich zum zweiten Mal den Atem, denn der Raum der dahinter war , war etwa 100 Quadratmeter groß, von der Decke hing ein riesiger Luster, der funkelnd sein Licht verteilte, alle Wände waren voll von wunderbaren riesigen Bildern, Ahnengalerien, Fotos von der ganzen Zigeunersippe, von Ahnen und verstorbenen Familienmitgliedern, von Ceija, usw…
In der Mitte des Raumes stand ein riesiger Tisch, an dem sicher 15 Personen Platz haben, er war gedeckt mit großen Tüchern die aus Thailand oder Bali zu stammen schienen.
In einer Ecke des Raumes stand eine riesige hellblau, weiß und rosa bemalte Marienfigur aus Holz, die mit glitzernden Plastik- Ketten geschmückt war,
(es fehlte meiner Meinung nach nur noch blaues Lametta und eine elektrische Lichterkette)- davor ein Altar mit Kerzen, Engelsfiguren, getrockneten Blumen und einer Wahrsagekugel, die Wohnung war voll mit barocken Sesseln, dick gepolstert mit edlen Stoffen, überall dicke Teppiche…
Und an der Wand ein ungemachtes Bett mit bunter Bettwäsche.

Ceija rannte aufgeregt zwischen Küche und Wohnzimmer hin und her, stellte auf den großen Tisch Schmalz, Wurst, Brot, Semmeln, Wasser, Cola, Kaffee und Käse, Aufstrich und so weiter- obwohl wir ihr versicherten, dass wir gerade gegessen hatten.
Dann übergab ich endlich mein Geschenk für sie, das ich vor lauter staunen noch immer in der Hand hielt.
Als sie das Geschenk sah, stellte sie es vor sich auf den Tisch, stützte ihre beiden Unterarme am Rand des Tisches ab, schaute mich an, schüttelte den Kopf und grinste. Sie freute sich so sehr, dass sie fast weinte.
Dann begann sie mit langsamen, bedächtigen Bewegungen, die Masche der Verpackung zu lösen, sagte mir so nebenher, dass sie meine Briefe ihrer Familie vorgelesen hätte und dass ihre Kinder geweint hätten vor Rührung. Dann bewunderte sie das Verpackungs- Papier, die Masche, und als sie den Inhalt sah, stützte sie sich wieder ab und schüttelte wieder den Kopf, biss sich auf die Lippen, trug die Kerze die darin war zu ihrer Marienfigur und sagte zu ihr: „Siehst Du Maria, was wir bekommen haben? So eine schöne Kerze, die zünden wir morgen an, ja? Und wie die duftet!“
Dann kam sie zurück und schaute sich die anderen Dinge an, die ich ihr mitgenommen hatte- darunter eine gefilzte bunte Decke, die ich mal auf einem Mittelaltermarkt gekauft habe, und die sie ihrer Maria zum Altar legen wollte, und ein Gedicht und zwei gemalte Bilder von meiner Tochter, wobei sie fast zu weinen begonnen hat vor Freude darüber.
Dann setzte sie sich an den Rand ihres Bettes, und wir begannen zu reden. Über mein Leben, über ihr Leben, über ihre Erlebnisse in den KZ`s.
Dabei konnte ich es nicht lassen, auf ihren Unterarm zu starren, der tätowiert war mit der Aufschrift „Z 9600“- die Nummer aus dem KZ- wobei das „Z“ für Zigeuner stand. Diese Tätowierung tat weh in den Augen und sie versuchte nicht, sie zu verbergen, sondern trug sie mit Würde.
Ich wusste, dass sie damals 7 Jahre alt war, als man ihr das tätowierte. Und es war nicht schön tätowiert, so wie meine Tattoos, sondern wild reingestochen in die Haut.

Sie erzählte, dass sie gerade erst vor wenigen Wochen erfahren hätte, dass ihr Vater nicht in Dachau an Lungenentzündung gestorben sei ( so wie damals angeblich ALLE an Lungenentzündung gestorben sind laut Papieren) , sondern in Hartheim in Oberösterreich, und dass die Urne, die sie damals nach Hause bekam nicht die Asche ihres Vaters enthielt, sondern irgendetwas anderes.
Ich habe ihr dann gesagt, dass ich in Hartheim mit behinderten Menschen gearbeitet hatte und viele Bücher darüber hätte und wüsste, dass die Überreste der dort vergasten Menschen per Güterwaggons zur Donau transportiert wurden und dort in den Fluss gekippt wurden.
Daraufhin war sie komplett aufgelöst vor Freude, bedankte sich tausendmal, dass ich ihr das gesagt habe, denn Zigeuner legen Wert darauf zu wissen, wo Verstorbene begraben liegen, und nun wüsste sie, dass ihr Vater in der größten „Ader“ Europas fließt, dass er verdunstete und zu Regen wurde und wieder herunterkommt vom Himmel, dass sie ihn wahrscheinlich schon getrunken hätte, und dass er bei seinem Tod an seine Familie, seine Kinder gedacht hat, und dass er diesen Weg gewählt hat, weil es der einzige und schnellste Weg war, auf direktem Weg zurück nach Wien zu kommen.
Ich war total gerührt, als sie später meinte: „Auschwitz war so grausam, dass sogar der Tod Angst hatte. Denn der Tod kann so viele Seelen auf einmal gar nicht mitnehmen. Der war total überfordert, denn die sind ja nicht normal gestorben, sondern umgebracht worden. Und das war sogar dem Tod zu viel. Der hat richtig Angst gehabt!“

Dann erzählte sie mir von ihrem Sohn, der mit 23 Jahren an Drogen gestorben ist. Sie sagte, dass Zigeuner ihre Angst weitergeben, ungewollt. Dass die Kinder damit aufwachsen und dass kein Zigeuner öffentlich sagen würde, dass er Zigeuner ist, weil dann sofort ein Schritt zurück gemacht wird und die alten Vorurteile- dass Zigeuner stehlen würden und Läuse hätten, sich nicht waschen würden und stinken- wieder zu Tage kämen.
Dass am Nachbarhaus ein Schild hängt, auf das jemand geschrieben hat: „Tötet alle Roma- Kinder!“ Und dass am Gehsteig vor dem Haus jemand ein Hakenkreuz auf den Asphalt gesprüht hat.
Ich bin nicht mehr schockiert über diese Dinge, ich kenne die Szene und weiß, dass sie es oftmals gar nicht aus wirklicher Bosheit machen, sondern aus Unwissenheit, aus Minderwertigkeitskomplexen und Rudelverhalten. Sie denken nicht darüber nach, wen sie treffen, Hauptsache, es lenkt von ihren eigenen Problemen ab. Auch Ceija weiß das. Aber sie ist schockiert darüber, dass es nie aufgehört hat, obwohl alle wissen, was geschehen ist. Sie ist schockiert darüber, dass es noch immer Leute gibt, die behaupten, KZ`s hätte es nicht gegeben.

Sie erzählte, dass sie mit ihrer Familie auf Kriegsfuß stehen würde, seit sie ihr Buch veröffentlicht hat, weil die eine Hälfte der Familie neidisch ist, weil bei ihr täglich hohe Leute aus und ein gehen, Interviews gemacht werden und sie dadurch auch Geld verdient hat, sich zu outen. Die andere Hälfte der Familie hat einfach Angst, dass dadurch Hass erzeugt wird, oder dass Rechtsradikale aufmerksam werden auf sie.

Außerdem will niemand von den Roma oder Sinti über ihre Erfahrungen in den KZ`s reden, das wäre ein Thema, das totgeschwiegen wird.
Sie aber hätte das nicht ausgehalten, und sie würde immer wieder darüber reden, denn die Seelen der Toten begleiten sie und sie sähe es als ihre Aufgabe in diesem Leben, darüber zu reden, und ihr Volk mit Stolz und Würde zu vertreten.

Die ganze Zeit während sie redet bin ich wirklich fassungslos über ihre wunderbare Ausstrahlung, das Licht, das sie versprüht trotz ihrer vielen schrecklichen Erlebnisse. Sie lacht und dann scheint es wieder als würde sie beinahe weinen, wenn sie nachdenklicher wird- und sie redet und strahlt und spricht über Geister und Seelen und Wiedergeburt, über Karma und den Tod ihres Vaters als wäre das total normal und überall üblich.
Sie schaut sich meine Mappe die ich ihr zur Ansicht mitgenommen habe mit einer kindlichen Freude an, lobt meine Bilder die ich gemalt habe, sagt mir zu jedem Bild, was sie denkt und trifft JEDESMAL genau auf den Punkt des Bildes- sie spürt einfach, aus welchem Grund ich es gemalt habe, wie es entstanden ist. Auf keiner Vernissage hab ich so was bisher erlebt, dass jemand anstatt zu fragen: “Was bedeutet es ?“- es einfach anschaute und fühlte- und auch noch so treffend erklären konnte.
Als sie alles durchgeblättert hat sagt sie, dass sie mich mit einem Herrn N. bekannt machen würde, und der würde sich bei mir melden und ich müsste mit meinen Bildern raus und dürfte nicht so feige sein.
Sie schenkt mir ein Video über ihr Leben, ein Buch, in dem sie Gedichte schreibt, die meinen sehr ähnlich sind, sowie eine CD, auf der sie Roma- Lieder singt, und ein mit ihren typischen Blumenmustern bemaltes Marmeladeglas, gefüllt mit Marillenmarmelade.
Sie erlaubt mir, Fotos zu machen, und als sie erfährt, wie lange mein Freund um mich kämpfen musste, sagt sie lachend: „Mädel, Du bist ja ärger wie 10 Zigeuner zusammen“- worüber wir lange lachen müssen, denn ich empfinde das als größtes Kompliment aus dem Munde einer Zigeunerin.
Sie nennt mich die ganze Zeit „Mädel“- sagt mir mit kopf schütteln: “ Mädel, Du musst ein Buch schreiben!“ rennt weiterhin zwischen Wohnzimmer und Küche hin und her, wird immer wieder von den dicken Teppich- Vorhängen verschluckt, um dann wieder daraus hervorzukommen als würde ein riesiges Wurmloch sie ausspucken.

Verzückt hört siemeinem Freund zu, der über vergangene Leben und seine Ansichten zu Spiritualität redet, schüttelt lachend den Kopf, schaut mich an und sagt:“Mädel, wo hast Du denn DEN aufgegabelt?“
Die Stimmung ist total locker, so als wäre sie eine alte Schwester, die wir seit Jahren kennen. Alle Fragen die ich vorbereitet hatte waren vergessen, die ganze Nervosität ist in dem Moment verflogen, wo sie die Türe geöffnet hatte.
Ich erzähle ihr, dass ich bei einer Geistreise ein Mädchen getroffen habe, die mit ihr im KZ gewesen sein soll und JOBST hieß.
Nachdenklich sagt sie: Ja, ich kenne eine Familie, die hat Jobst geheißen, und die wurden alle auf einem Fleck erschossen. Da war ein Mädchen dabei“
Sie erzählt mir, dass der RABE ihr Tier wäre, zu dem sie eine starke Beziehung hätte- und ich zeige ihr mein Raben- Tattoo und erzähle ihr von den indianischen Krafttieren.
Sie freut sich und erzählt mir über eine Indianerin, mit der sie eine Zeremonie in Auschwitz machte, mit Trommel und Tanz, und dass die Indianer ein verwandtes Volk mit den Roma wären, die wären sehr ähnlich.

Sie sagt uns auf die Frage, warum sie ihre Haare immer blond gefärbt hatte, dass sie als Teppichverkäuferin am Wiener Markt gearbeitet hat und dass die Leute bei dunklen Menschen Angst haben. Dann hat sie ihre Haare blond gefärbt und konnte viel mehr verkaufen. Und irgendwann hat sie sich daran gewöhnt und so ist es bei blond geblieben.

Wir rauchen Zigaretten und reden und vergessen die Zeit um uns herum, und irgendwann sagt sie uns, dass sie uns jetzt verabschieden muss, weil sie schlafen geht. Sie umarmt uns herzlich, nicht ohne uns zu sagen, dass sie sich freuen würde, wenn wir bald wieder kommen würden.

Wir verlassen das Haus mit vielen, vielen Eindrücken, sind ganz stumm und jeder denkt für sich nach über alles, was sie gesagt und erzählt hat.
Wir fahren noch in ein kleines Lokal, wo wir uns an einen Tisch setzen, eine Kerze anzünden, stumm die Leute an den Nachbartischen beobachten, das Buch von Ceija lesen und nachdenken.
Wir sind gleichzeitig tief beeindruckt von der lichtvollen Ausstrahlung dieser Frau, schwer betroffen von der Art, wie sie über die KZ`s redet und die vielen Toten in ihrer Familie, über das schreckliche Leid und die Bilder, die sie im Kopf hat- und die man auf anderen Bildern von ihr findet, die sie in einem Zimmer hinter einem dicken Teppich versteckt hat. (Ihre Malerein sind in zwei Bereiche zu teilen, einmal die Blumenwiesen, immer wieder, Blumen in allen Farben- dazu Pferde und Planenwagen und Menschen mit langen dicken schwarzen Zöpfen und bunten Kleidern. Und der andere Bereich zeigt Schornsteine, durch die Seelengesichter fliegen, nackte Menschen die brennen, SS- Uniformen, Hunde und Gewehre, schreiende Kinder, schwarze Wolken, den Tod und Stacheldraht.)

Wir sind voller Freude darüber, dass sie uns als „Gadje“ (so nennen die Zigeuner uns „Weiße“) so voller Liebe und Gastfreundschaft, Offenheit und Herzlichkeit aufgenommen hat. Und wir sind überrascht über die tiefe Spiritualität dieser Frau, denn für eine Frau ihres Alters ist das wirklich unglaublich wie sie damit umgeht und wie sie darüber redet, wie sie sie LEBT…

Heute hab ich ein kleines Paket an sie geschickt, darin enthalten ein Buch über Hartheim, ein kleines Heiligenbildchen der Maria- aus Russland, und ein langer Brief, sowie meine Gedichte und das Versprechen, dass wir sie bald wieder besuchen, und dann bekommt sie das schönste Bild, das ich gemalt habe, und das ihr so gut gefallen hat, mein grünes Chamäleon.
Ich denke nämlich, dass dieses Bild auch ganz gut zu ihr passt, denn das Chamäleon passt sich seiner Umgebung optimal an, kann sich je nach Situation verändern, bleibt aber doch immer ein Chamäleon.
So, wie sich Ceija in ihrem Leben an sehr viele Situationen anpasste um zu überleben, aber innerlich doch immer eine Zigeunerin blieb und nie ihre Sprache, ihre Lieder und ihre Werte vergessen hat.

Wir sind dann am nächsten Tag am Vormittag zur russisch- orthodoxen Kirche im dritten Bezirk gefahren, haben eine russische Messe angehört, haben Kerzen gekauft, die wir dann zu einer Mutter Gottes- Ikone stellten und für Ceija, sowie für unsere Ahnen und Familien angezündet haben.

Pottwal
 
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hallo pottwal,

danke für deinen schönen beitrag, er stimmt mich hoffnungsfroh!

Lg Johanna
 
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Ich finde diese "politisch korrekte" Redeweise *Sinti und Roma* diskussionswürdig ......

Und ihr?
 
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Sinti und Roma - sind das nicht zwei verschiedene Volksgruppen?

Da fällt mir noch ein: ich kenne hier in Wien eine Familie die von sich (ungefragt) behaupten, Zigeuner zu sein und bereits seit mehreren Generationen hier zu wohnen - Vater, Mutter, 4 Söhne, 2 Töchter - bis auf die jüngste, sie ist 18, sind bereits alle mehrfach vorbestraft. Selbst die Mutter kann nicht anders, als ab und zu im Supermarkt klauen zu gehen.
Nette Menschen sind sie aber alle, leider klauen sie halt gerne...
 
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Sinti und Roma - sind das nicht zwei verschiedene Volksgruppen?

..


Genau so ist es.

Und daneben gibt es noch Zigeunergruppen, die weder Sinti noch Roma sind.

Der Begriff "Sinti und Roma" ist also nicht nur schwerfällig, sondern auch noch diskriminierend gegenüber jenen Zigeunern, die keine Sinti oder Roma sind.
 
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Sinti und Roma finde ich auch schwerfällig.
Man müsste also korrekt von "Sinti, Roma und Sinti-Roma-Ähnliche" sprechen?
:nudelwalk
Lustig finde ich das auch mit manchen Afrikanern. Eien Freundin von mir, die in Südafrika aufgewachsen ist, meinte dort sein das Wort "Schwarzer" eine Beleidigung. Die dortigen Schwarzen bennenen einander mit "Nigger". Hierzulande würde ich mich aber nicht trauen, das Wort "*****" in den Mund zu nehmen.
:clown2:
Beim Wort "Negerkuss" reiss ich mich halt am Riemen. In Österreich heisst das Ding ja auch "Schwedenbombe"...
 
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Hier sind einige sehr lesenswerte Punkte zum Begriff "Zigeuner" aufgelistet:

Immer wieder wird darüber diskutiert, welches denn nun die „korrekte“ Bezeichnung für die im deutschen Sprachraum „Zigeuner“ genannte Bevölkerungsgruppe sei/ sein müßte. Zuletzt war es die Inschrift auf dem geplanten Mahnmal für die Opfer des Naziterrors, die diese Diskussion nicht zuletzt auch unter Sinti-Organisationen erneut entbrennen ließ.

Da ein zu dem Thema begonnener Aufsatz noch nicht abgeschlossen werden konnte, jedoch von verschiedener Seite das Bedürfnis zu solch einem Beitrag geäußert wurde, soll hier zunächst eine kurze Zusammenfassung einiger Argumente f ü r den Gebrauch der Bezeichnung „Zigeuner“ präsentiert werden.

http://www.rbenninghaus.de/zigeuner-begriff.htm
 
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Sinti und Roma - sind das nicht zwei verschiedene Volksgruppen?

Da fällt mir noch ein: ich kenne hier in Wien eine Familie die von sich (ungefragt) behaupten, Zigeuner zu sein und bereits seit mehreren Generationen hier zu wohnen - Vater, Mutter, 4 Söhne, 2 Töchter - bis auf die jüngste, sie ist 18, sind bereits alle mehrfach vorbestraft. Selbst die Mutter kann nicht anders, als ab und zu im Supermarkt klauen zu gehen.
Nette Menschen sind sie aber alle, leider klauen sie halt gerne...

Das passt ja wunderbar zur Bestätigung eines uralten Vorurteils ;)

Aber im Ernst, in Supermärkten klauen auch andere. Oder etwa nicht?

Was nun die Vorurteile und die Ausgrenzung jener Volksgruppe angeht, bietet das Buch "Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker" von Franz Irsigler eine schöne Ergänzung zu diesem Thema. Kann ich nur empfehlen.

http://www.amazon.de/Bettler-Gaukler-Dirnen-Henker-mittelalterlichen/dp/3423300752/ref=pd_ys_iyr10
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Sinti und Roma - sind das nicht zwei verschiedene Volksgruppen?

Da fällt mir noch ein: ich kenne hier in Wien eine Familie die von sich (ungefragt) behaupten, Zigeuner zu sein und bereits seit mehreren Generationen hier zu wohnen - Vater, Mutter, 4 Söhne, 2 Töchter - bis auf die jüngste, sie ist 18, sind bereits alle mehrfach vorbestraft. Selbst die Mutter kann nicht anders, als ab und zu im Supermarkt klauen zu gehen.
Nette Menschen sind sie aber alle, leider klauen sie halt gerne...

Mir fällt grad ein: ich kenne hier im Norden eine Ossi-Familie, die auf der Baustelle nebenan arbeitet. Einer arbeitet, 3 schauen dabei zu. Waren alle mal Stasis, das ist ja bekannt. Eigentlich nette Menschen, aber das Arbeiten haben diese Ossis halt nicht erfunden.

Stimmt doch so, oder Wolfgang ? :)

Achja, die "deutschen" Nachbarn um mich rum sind auch alle ziemlich nett. Trotzdem können sie halt nicht anders als andauern kleine Kinder zu missbrauchen. So ist ein "typischer Deutscher" eben gestrickt, oder liege ich falsch ?

Und zum Thema "Sinti & Roma"...es ist nicht diskriminierend vom "Zigeuner" zu sprechen, aber verallgemeinernt, wenn man mal betrachtet, daß Sinti nur aus Deutschland, Frankreich und Holland stammen (seit 1406) und Roma aus allen anderen Ländereien um den Balkan und Persien herum. Folglich haben fast 90% dieser Gruppe eine islamische, die Sinti zu fast 100% eine christliche Konfession. Auch Sitten, Brauchtum und Sprache haben so gut wie nichts miteinander zu tun. Natürlich möchte es sich der Laie schön bequem machen, die "Schublade der Völkerlosen" einfach weit aufreissen und alle Grüppchen wo er meint auf die das zutrifft da reinschaufeln, zuknallen, Problem gelöst. Aber so einfach ist es nunmal nicht. Wir Sinti nehmen auch nicht einen Sack, packen Deutsche, Ösis, Schweizer, Polen, Russen, Lettländer, Skandinavier, Schweden, Holländer und Liechtensteiner rein, binden ihn zu und nennen alle "Kartoffeln" oder "Weissbrote"

...warum eigentlich nicht ? Sehen doch alle irgendwie gleich aus, oder ? Da kann sich doch keiner beschweren, finde ich...

Ich BIN übrigens einer dieser Sinti (ohne Roma), meinetwegen auch ein deutscher Zigeuner, die bekanntlicherweise die langen Finger nicht stillhalten können. Wenn wir uns mal im Elektro-Fachhandel über den Weg laufen sollten, lasst euch bitte nicht täuschen: ich arbeite dort nur unter dem Vorwand irgendwann einen 40-Zoll-Flatscreen mitgehen zu lassen...

...armselig, armselig...
 
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