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KZ Neuengamme

Iwan Krasni

New Member
Registriert
14. Mai 2005
Beiträge
16
Neuengamme war das KZ vor den Toren Hamburgs.
Ich hab gestern eine Führung mitgemacht,
mit einem alten Pfarrer,
der noch mit vielen Überlebenden und Nachbarn gesprochen hat,
und ich will das schreiben, solang es frisch ist.

Geschichte:

Neuengamme wurde erst 1938 eröffnet,
als eines der letzten "Stammlager" in Deutschland vor dem Krieg.
Die Behandlung der Gefangenen war in den später errichteten KZ brutaler
als in den "alten".
Was nicht heisst, dass es z.B. in Dachau human zugegangen wäre,
aber der Horror lässt sich immer noch steigern.

Die ersten Häftlinge mussten einen Stichkanal von der Dove-Elbe zum KZ graben,
ca. 10 Meter breit,
weitgehend nur mit Schaufeln,
bei Wind und Wetter und unzulänglich bekleidet,
und ständig von der prügelnden SS angetrieben.

1942 wurde die Ziegelproduktion begonnen,
mit 4 riesigen Brennöfen,
die Leute mussten zwischen den glühenden Öfen im Brennhaus
und dem witterungsabhängig kalten Aussengelände hin- und herlaufen
- von der SS angetrieben, alle Arbeiten im Laufschritt zu verrichten,
und das bei Mangelernährung.

Im April 1945 wurde das KZ fast komplett geräumt.
Die über lebenden Gefangenen wurden nach Lübeck getrieben
- wer nicht mehr laufen konnte, wurde erschossen -
und auf zwei Schiffe, die Cap Arkona" und die "Thielbeck" verladen.
Es war beabsichtigt, die Schiffe auf See in die Luft zu sprengen.
Dazu kam es nicht mehr,
da britische Bomber die Schiffe bombardierten,
wobei ein Großteil der Leute ums Leben kam.
Die sich an Land retten konnten,
wurden von Marinesoldaten, SS und Hitlerjugend beschossen,
zum Teil noch in den Häusern von Neustandt/Holstein gejagt und ermordet -
insgesamt kamen hierbei ca. 7000 Menschen um.

Insgesamt haben von ca. 106.000 Gefangenen in Neuengamme
etwa 55.000 nicht überlebt.


Das KZ-Gelände nach 1945:

Die britschen Truppen fanden das KZ fast leer.
Die SS hatte lediglich ca. 20 Häftlinge unbewacht zurückgelassen,
um die SS-Wohnanlagen zu pflegen,
denn die Herrschaften rechneten mit einer baldigen Rückkehr,
und da mussten doch die SS-eigenen Rosen noch blühen
(die hatten Sorgen !).
Ein -leider nur kleiner- Teil der SS-Leute kam tatsächlich zurück,
weil das KZ jetzt von den Briten als Internierungslager
für Nazis und Kriegsverbrecher genutzt wurde.

1948 wurde die Anlage an den Hamburger Senat zurückgegeben,
die rissen die meisten Baracken ab,
und bauten auf dem Gelände -
einen Knast.
Der letzte Knastneubau erfolgte 1980
- auf der ehemaligen Tongrube,
in der viele Mensch starben -
und wird noch heut genutzt,
während aufgrund eines breiten Protestes
insbesondere von KZ-Überlebenden,
aber auch seitens der Hamburger Kulturbehörde,
2003 ein Großteil der Knastanlage geräumt
und der Gedenkstätte übergeben wurde.
Der Restknast soll ebenfalls aufgelöst, und die Gefangenen verlegt werden.

Insgesamt zeigt der Umgang mit diesem Teil seiner Geschichte
des - lange Jahre SPD-geführten - Senats
eine unglaubliche Pietätlosigkeit.
Das fängt damit an,
dass Bergedorfer Strafgefangene ab 1948 die Brennöfen abreissen mussten.
Der Stichkanal, den die Häftlinge gegraben hatten,
wurde dann zunächst zu Bauschuttabfuhr genutzt
und später an einen Jachtclub vermietet,
mitsamt eines Teils des Brennhauses,
damit der Jachtclub seine schönen Boote unterstellen
und am direkt daneben liegenden Stichkanal zu Wasser lassen konnte.
Danach interessierte sich eine Günzburger Landmaschinenfirma
für das Brennhaus, um dort ihre Maschinen auszustellen,
und hätte auch beinahe den Zuschlag bekommen.
Der Name der Firma:
Mengele.
Grad noch rechtzeitig bekam der Senat gesteckt,
was er eigentlich selbst hätte wissen müssen,
nämlich dass das die Familie des Mörders
und KZ-Arztes von Auschwitz, Josef Mengele, war -
mitschuldig u.a. an den Misshandlungen und dem Mord
an den Kindern in der Schule am Bullenhusener Damm -
und zog das Angebot zurück.

Infos über Neuengamme:

Auf der HP des Dorfes Neuengamme www.neuengamme.de
ist ein Link zur KZ-Gedenkstätte,
dort ein weiterer u.a. zu Fuhlsbüttel.

Die Führung, veranstaltet vom AK Kirchliche Gedenkstättenarbeit,
findet sonntags um 12 und um 14h30 statt,
Treffpunkt Plattenhaus Nähe Haus der Gedenkens.
Der Weg, den man dann zu Fuss zurücklegt, ist ziemlich lang,
Führungsdauer ca. 3 Stunden.
 
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Vielen Dank für deinen Beitrag. Ein paar Worte sollte ich noch erwähnen, da ich in der KZ Gedenkstätte häufiger war und auch mit Verantwortlichen bzgl der Grabungen der 80ziger reden durfte.
Daher etwas "Relativierung" für die Senatspolitk in Hamburg.

Die ersten Jahrzehnte hatten die Hamburg wirklich andere Probleme. Die Stadt war größtenteils zerbombt. Viele Hamburger tot, die Stadt überfüllt mit Flüchtlingen aus dem Osten (wo noch Jahrelang ein Zustrom erfolgte). Die Infrastruktur, Nahrungsversorgung blieb bis weit in die 50ziger nicht einfach.

Wegen den zerbombten Wohnungen wurden auf großen Flächen riesige Barackensiedlungen hochgezogen, die für Ordnungskräfte zum Teil Nachts nicht begehbar waren, wegen entsprechenden Gefahren seitens der kriminellen Strukturen die sich da schnell entwickelten.

Erst mit der massiven Abschottung der DDR und dem Bau der "Ghettos" Willhelmsburg, Mümmelmannsberg, Steilshoop's, usw. in den 60/70er konnte dieses Problem wirklich gelöst werden.

Kurz gesagt: Bis diese Riesensiedlungen gebaut wurden (ich wohne in Steilshoop) lebten sehr viele "einfache" Leute in Baracken, Schrebergärten, usw. Es wurde halt jeder Platz gebraucht.

Die für das Gedenken an die NaziZeit errichtenen "Symbole" bildeten sich um den Versammlungsplatz der Juden (an der Uni) bzgl des Holocausts und um die Geschwister Scholl (Widerstand).
Dabei dürfte das KZ Neuengamme aus dem Blickfeld gerutscht sein.

Ein weiterer Grund, zu dem oben genannte dürfte eine gewisse Mentalität der Hamburger sein. Neuengamme liegt südlich der Elbe und bei uns in der Stadt heisst es grob "Südlich der Elbe ist es nicht mehr weit bis zur Weisswurstgrenze", sprich südlich der Elbe ist eigentlich nicht mehr Hamburg.
Das kommt daher, das erst mit dem Groß-Hamburg Gesetz (1936) grosse Teile dieses Gebietes (bis auf den rein industriellen Hafenbereich) zu Hamburg kamen.

Erst verstärkt in den 70ziger haben sich engagierte Personen dafür eingesetzt und das KZ durch diverser Veröffentlichungen (und aufgrund der veränderten öffentlichen Meinung seit 68) zu einem Thema gemacht. Daraus folgten einige Aktivitäten (unter anderem das Jugendlager mit den Grabungen Anfang der 80ziger, Der Bau des Gedenkgebäudes, die Errichtung von Erinnerungstafeln an einigen Aussenstellen des KZ's, usw.) bis hin zu den Ereignissen in jüngster Zeit.


Das meine 2Cent falls es jemanden interessiert ;)

Coki
 
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