Hallo Flora,
eine interessante Überlegung.
Weshalb helfen Menschen einander, auch wenn diese, wie du vorausgesetzt hast, keinen persönlichen oder direkten emotionalen Bezug zueinander haben?
Wie Majanna bereits andeutete, Menschen sind aufeinander angewiesen und gerade in unserer immer größer und komplexer werdenden Gesellschaft, in welcher die Menschen sich kulturell zusehens annähern und die Barrieren zwischen Ethnien und Kulturen langsam aber stetig verflachen, greift jenes menschliche Grundbedürfnis, nämlich anderen Menschen in ihrem Dasein zu helfen, eben soweit wir blicken und wirken können, nämlich weltweit.
Zum einen wäre hier also das Grundbedürfnis der Nächstenhilfe, was meineserachtens vor allem dadurch bedingt ist, dass wir eine offensichtliche Not- und Leidenssituation anderer Menschen auf uns selbst unbewusst/bewusst rückprojizieren und somit das Fremdleiden als vorstellbares eigenes Leiden greifbar wird, was uns dann dazu veranlasst, so zu wirken, dass wir das erfahrene und nachvollzogene Leiden am fremden/anderen Menschen zu mildern suchen, es aber letztlich unsere Vorstellung und Selbstprojektion des Leides ist, der wir entgegenwirken. Voraussetzung hierfür wäre also, dass uns Leiden erfahrbar wird (z.B. durch Medien) und wir dieses auf uns selbst zu spiegeln vermögen und wir darüberhinaus die Möglichkeit haben, direkt zu wirken.
Dies könnte eine Ursache von vielen sein, weshalb wir das Leid, die lebensbedrohenden Notsituationen, anderer Menschen als Grund erachten, zu helfen, obwohl unser eigenes Sein nicht direkt betroffen ist.
Desweiteren sehe ich unsere gesamtgesellschaftliche Werteprägung, wie sie derzeit dominant ist, als wichtigen Faktor. So sehen wir das Leben und die Lebensqualität jedes Einzelnen als wichtige Werte an. Wenn wir aus jenem vorgestellten Ideal dann mit gegensätzlichen Situationen (wie z.B. Hungertod, Armut, Gewalt, Katastrophen) konfrontiert werden, dann geraten wir - bedingt durch den nun aufgeworfenen Gegensatz - in einen Wertekonflikt. Unsere eigene Wertevorstellungen werden durch jene Gegensätze in Frage gestellt, was uns dazu veranlasst, so zu handeln, dass jene eigenen Werte, auf Grund ihres idealisierten Anspruches, weiterhin Gültigkeit und das Recht auf ein Idealbild genießen dürfen. Wir suchen also die eigene Werteordnung, welche mittlerweile zum prägenden Ideal aller modernen Industrieländer geworden, nun aber im Katastrophengebiet nicht mehr gewährleistet sind, wieder herzustellen.
Vermutlich können wir nur dann gegen erfahrenes Leid anderer Menschen vorgehen, wenn wir jenes Leid auch tatsächlich als Leid begreifen und wahrnehmen und darüberhinaus die Sensibilität vorhanden ist, jenes Leid auf die eigene Person zu übertragen, was widerum grundlegende Bedingung für Ersteres - das Leid als solches begreifen - wäre. Wie Majanna bereits erwähnte, hat dies sicherlich viel mit der Fähigkeit zur Eigenliebe zu tun, denn wir können nur dann Leid als negativ und lebensfeindlich erleben, wenn wir uns selbst lebensbejahend und positiv gegenüber eingestellt sind.
Nochwas zum Abschluss. Meinst du nicht, Flora, dass du etwas vorschnelle Schlüsse ziehst wenn du sagst, dass wir, die reichen Industrienationen, nur dann helfen, wenn es durch Medien populär gemacht werde? Schließlich laufen enorm viele Entwicklungshilfeprojekte auch zu Zeiten, in denen das Elend nicht in den Medien thematisiert wird. Es existieren zahlreiche Hilfsorganisationen die nicht über Medien gesteuert werden und unabhängig handeln. Ich glaube, dass du dich selbst zum Medienopfer machst, indem du behauptest, dass nur dort geholfen werde, wo dies in den Medien gerade thematisiert ist. Mein Bild zeigt mir Entwicklungshilfe als omnipräsentes Phänomen, die Medien jedoch als sehr beliebiges und oftmals auch einseitiges Informationsmittel.
Viele Grüße,
Philipp