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Mein Vater

Niemand hat die Absicht, hier eine Mauer des Richtens über andere entstehen zu lassen. Oder? -

Denn was eint uns eigentlich beim Verstehen von Toleranz? Deren Begrenztheit? Und wenn ja, wo liegen deren Grenzen? Wie tolerant sollte ein Einzelner hier sein? Und kann man gar tolerant zur Intoleranz sein? Welche Rolle spielt das Toleranzprinzip in einem Diskurs? Und haben wir vielleicht zu viele Illusionen, was die „Kardinaltugend“ der Toleranz angeht?
....."Schauen Sie"... das "Leben ist zu kurz" um es "ernst zu nehmen" und also... müssen´s wohl alleine "zum Lachen in den Keller" gehen!!.....

meint plotin
 
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Welche Rolle spielt das Toleranzprinzip in einem Diskurs?
Aus Goethes Torquato Tasso
"So fühlt man Absicht, und man ist verstimmt."

Meine Überlegung dazu ist so:
Ein Ausrutsche kann und darf jedem User mal passieren. Wer aber mit seiner Unterstellung und --
oder Beleidigung fortfährt, gewährt uns nur eine klare Sicht zu seiner eigentlich unfairen Absicht!
 
Als er starb und ich die Angelegenheiten für die Trauerfeier erledigt hatte, fuhr ich mit dem Auto stundenlang durch die alte Heimat, um mich abzulenken. Irgendwann machte ich halt, um mir ein wenig die Beine zu vertreten. Mir fiel dann ein, dass in dem Ort meine Oma geboren ist, die Mutter meines soeben verstorbenen Vaters. Sie und Opa heirateten 1926. Ich war aber neugierig, ob es ihr Geburtshaus noch gibt. Der Ort hat 5000 Einwohner. Ich klopfte an ein Fenster, weil von außen sah, dass dort zwei ältere Damen gerade am Kaffee trinken waren. Es stellte sich heraus, dass es Omas Geburtshaus war.
 
Als er starb und ich die Angelegenheiten für die Trauerfeier erledigt hatte, fuhr ich mit dem Auto stundenlang durch die alte Heimat, um mich abzulenken.
„Bedenkt, den eigenen Tod, den stirbt man nur, doch mit dem Tod der anderen muss man leben.“ (vgl. Koléko, Mascha: Memento. In Verse für Zeitgenossen)
 
Als klar war, dass er nicht mehr zuhause bleiben kann, redete ich mit ihm über einen Pflegeheimaufenthalt. Ich fragte ihn, ob er in seiner bayrischen Heimat bleiben will oder zu mir nach Hessen. Im einen Fall käme ich ihn am Wochenende besuchen, im zweiten Fall täglich nach der Arbeit. Er wollte seinen Sohn möglichst täglich sehen. Ich suchte ein Pflegeheim bei mir in der Gegend, besichtigte sie aus strategischen Gründen immer unangekündigt, fragte dann immer nach einer Ansprechpartnerin. Nur einmal wurde ich sehr unhöflich von einer Frau abgewiesen, weil sie keine unangekündigten Besuche wollten. 9 von 10 Pflegeheime waren nicht besser als Schulnote 5. Oft roch es schon nach Urin, wenn ich die ersten 20 Meter im Haus war. Dann fand ich eine Studie der Uni zu mehr als drei Dutzend Pflegeheimen in Frankfurt und Umgebung, wo nur zwei Heime gut abgeschnitten hatten, ein katholisches in Innenstadtnähe und ein anthroposophisches in der Nähe der A661. Das eine hatte unendlich lange Wartelisten, das andere war sehr teuer. Ich wählte dann eines aus, was nicht weit von meinem Arbeitsplatz entfernt war. Bei der Frage, welchen Hausarzt ich für meinen Vater will, lernte ich schon ein wenig fürs Leben. Der zweite Chef des Heimes kam ursprünglich fast aus einer Nachbargemeinde meiner bayrischen Heimat. Er empfahl mir einen Arzt, der nur unweit vom Heim entfernt seine Praxis hat und fachlich und menschlich sehr in Ordnung sei. Die zuständige Stationsleiterin wollte aber partout einen anderen Hausarzt, tat vor mir so, als könne sie den gewünschten nicht erreichen. Es dauerte eine Weile, bis ich den Grund ihrer Widerstände verstand. Der Arzt, den ich wollte, kam ein bis zweimal pro Woche auf Hausbesuch und bestand auch immer darauf, seine Patienten persönlich zu sehen. Der Hausarzt ihrer Wahl war nach 9 Monaten noch kein einziges mal auf Hausbesuch (rechnete das vermutlich aber so ab). Dadurch konnte die Stationschefin alles telefonisch mit der Praxis regeln und bekam dann auch starke Sedativa usw., wenn die Pfleger es ein wenig stressfreier haben wollten. Ich wechselte dann zu dem vom 2. Chef empfohlenen Arzt, der auch tatsächlich sehr gut war. Er ist halt kein deutscher Arzt. Wenn ich medizinisch bei mir selbst nicht weiter weiß, dann gehe ich heute noch selbst zu ihm, obwohl Vater schon lange tot ist.
 
Im ersten Pflegeheim bugste Vater viel aus. In den zwei Jahren waren das 40-50 Fluchtversuche. In Mutters Geburtstagswoche allein dreimal. Die Heimleiterin mochte er. Ich fragte sie irgendwann, ob ich nicht irgendwann Probleme mit der Polizei bekäme, weil die dauernd zum Suchen meines Vaters ausrückt. Die Frau sagte mir, dass ich mir da keine Sorgen machen solle. Die Polizei suche lieber verwirrte alte Menschen als Drogenabhängige, die es hier im Rheinmaingebiet sehr häufig gebe. Man rief mich immer im Büro an, wenn er ausgebugst ist und ich kam dann gefahren, um mit zu suchen. Einmal kam ich an, als gerade die Polizei am Heim vorfuhr. Vater durfte am Beifahrersitz Platz nehmen und stieg stolz wie ein kleiner Junge aus, weil er mit dem Polizeiauto fahren durfte. Einmal erzählte mir eine Pflegerin, dass sie außerhalb ihres Dienstes meinen Vater auf einer Wiese unter einem Apfelbaum sitzen sah. Sie ging zu ihm hin und sprach ihn an: "Herr L, was machen Sie denn hier?" Seine Antwort: "Ich bin ausgerissen. Die sollen mich suchen." Einmal hatten wir ihn nach drei Stunden noch nicht gefunden und machten uns ernsthaft Sorgen. Ich fuhr schließlich zurück ins Büro, als plötzlich der Anruf vom Heim kam. Vater war diesmal fast 3 km gegangen, kam an einem Hotel vorbei, setzte sich dort ins Café und bestellte Kaffee und Torte. Als später der Kellner mit der Rechnung kam, sagte Vater zu ihm: "Ich habe kein Geld, das zahlt der Martin." Der Kellner schien ursprünglich nicht gemerkt zu haben, dass mein Vater dement ist. Er konnte sich teilweise gut verstellen. Die Hotelbesitzerin hatte ihre demente Mutter gepflegt und erkannte schnell, dass Vater vom Pflegeheim sein musste. Ich rief sie an und fragte, was ich ihr schuldig sei. Sie sagte, das spendiere sie ihm. Sie habe sich lange nicht mehr so herzlich mit jemandem unterhalten wie mit meinem Papa. Als ich mal bei seinem Hausarzt war, erzählte ich ihm von Vaters vielen Fluchtversuchen. Er meinte, ich müsse mir da keine Gedanken machen, weil die anderen, mobilen Bewohner auch oft ausbugsen, wenn die Stimmung im Heim mal wieder gereizt ist, weil sich die Pflegerinnen gegenseitig angiften. Denn jede will die Oberhenne werden. Da musste ich lachen.
 
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Eines Tages stürzte er im ersten Heim stark: Oberschenkelhalsbruch, Pneumonie. Er war mehrere Wochen im Klinikum, das weder zur Nahrungsversorgung, noch zur Therapie in der Lage war. Vater nahm stark ab. Man meinte, er sei nicht reha- fähig und schickte ihn zurück ins Heim, mit 15 Kilo weniger (Vater war vorher schon kein Dickerchen gewesen) und bettlägerig. Am dritten Tag passte mich die Pflegedienstleitung auf dem Weg zu seinem Zimmer ab. Sie führte mich in ein Zimmer, wo eine andere Frau saß. Ernährungsberaterin. Sie sagte mir, Vater würde nichts mehr essen. Ob ich ihm noch eine Magensonde legen lassen wolle. Ich kündigte dem Pflegeheim, nahm kurzfristig unbezahlten Urlaub und nahm ihn mit nach Hause. Am zweiten Tag kochte ich für uns beide Schweinebraten mit Salat und drei Kartoffelklößen. Er aß alles alleine auf. Ich machte täglich Mobilisierungsübungen, anfangs nur zwei Tippelschritte, täglich ein wenig mehr. Nach zwei Wochen ging er in meiner Begleitung bis Hausnummer 2 und wieder zurück (ich bin Nr 22), hin = Steigung, zurück = Gefälle. Vater lebte noch 5 Jahre.
 
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Am Tisch im Pflegeheim, wo die Frau beim Essen saß, die mich an meine Mutter erinnerte, saß auch eine Frau H. Sie sagte nie etwas, sang nur gelegentlich Lieder, aber eher leise und sanft. Sie wirkte im hohen Alter noch sehr anmutig, hatte eine sanfte Ausstrahlung. Man konnte sich gut vorstellen, dass sie in ihrer Jugend eine sehr schöne Frau war. Sie hatte etwas Aristokratisches, im positiven Sinne. Der Zimmerbewohner meines Vaters saß mit ihm am Essenstisch. Jeder und jede hatten seinen/ ihren festen Platz, worüber die Pflegerinnen entschieden. Welche Kriterien von den Pflegerinnen für die Platzzuordnung angelegt wurden, war für mich schwer zu erkennen. Gegenseitige Sympathie von Bewohnern konnte es nicht gewesen sein. Denn das wussten die Pflegerinnen nicht. Wenn sie ihre formellen Pflichten erfüllt und ein wenig Zeit hatten, dann gingen sie entweder rauchen oder sie setzten sich zum Solitär Spiel in das Pflegerzimmer. Für die soziale Betreuung kamen zweimal die Woche extra ausgebildete Betreuerinnen, die wussten wie man singt und bastelt. Herr A. saß mit meinem Vater am gleichen Tisch, obwohl beide nichts miteinander anfangen konnten und auch nie ein Wort miteinander redeten. Er war in Frau H. verliebt. Obwohl ich wegen der weiten Anreise nur einmal pro Woche ins Heim kam, wusste ich das, während es dem Pflegepersonal noch nicht aufgefallen war. Denn dafür werden die Pflegerinnen nicht bezahlt. Eines Tages fuhr Herr A. nach dem Essen mit seinem Rollstuhl zum Tisch, wo Frau H. saß. legte seine Hand auf den Tisch und bewegte diese immer näher in Richtung der Hand von Frau H., die sich die Annäherungsversuche von Herrn A. ohne Widerstände gefallen ließ. In dem Augenblick, als seine Hand ihre Hand berührte, kam zufällig die diensthabende Pflegerin in den Speisesaal, nahm den Rollstuhl und fuhr ihn wieder zum Tisch meines Vaters: "Herr A., das hier ist ihr Tisch." Herr A. motzte kurz ein wenig angepisst und wurde dann wieder ruhig. Die Pflegerin verließ irgendwann den Aufenthaltsraum, wo alle unbetreut herumsaßen, so wie es in fast allen Pflegeheimen Deutschlands ist. Irgendwann ging das gleiche Prozedere wieder los. Herr A. fuhr wieder an den Tisch zu Frau H. Wie es der Teufel will, kommt die gleiche Pflegerin wieder just in dem Moment ins Zimmer, wo Herr A. Frau H. berührt. Sie schiebt Herrn A. mit etwas lauterer und autoritärer Stimme zum Tisch meines Vaters. Herr A. tobt jetzt, schreit, wird sehr aggressiv. Die Pflegerin geht zum Medikamentenraum, um die passende Chemie für Herrn A. zu holen. Sie hat in ihrer Ausbildung natürlich gelernt, dass Demente gelegentlich aggressiv sind, aber nicht, warum. Ich laufe ihr hinterher, erkläre ihr die Situation und bitte sie, die Chemiekeule nicht auszupacken. Ein paar Wochen später bin ich wieder im Heim, füttere meinen Vater, als ich plötzlich laute Hilfeschreie derselben Pflegerin höre. Ich verlasse den Raum und sehe Herrn A. am Eingang der Küche mit seinem Rollstuhl stehen, in der rechten Hand ein langes Messer, das drohend auf die Pflegerin gerichtet ist, die ihm ein paar Wochen vorher sein Liebesspiel mehrmals zerstört hatte. Ich nahm ihm das Messer ab, was gar nicht schwer war.
 
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