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Mascha Kaléko

Miriam

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26. Juni 2005
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9.722
Erst war ich etwas erstaunt, dass Mascha Kaléko wenig bekannt zu sein scheint - ich entnahm dies den Worten von Céline im Thread der sich mit den Jubiläen befasst.

Jetzt denke ich mir aber, dass es auch eine Frage der Generation ist – und eben deswegen möchte ich einiges über sie schreiben und auch einige ihrer Gedichte hier einfügen.

Es kann aber auch sein, dass der Schriftsteller Horst Krüger Recht hat, wenn er über das Werk Kalékos schreibt:
"Es ist keine große Lyrik. Es ist der frech-sensible, traurige und doch schnoddrige Ton Berlins kurz vor Hitler."

Weiter sagt Krüger über sie:
"Ein schönes Nachtschattengewächs mit Morgenstörungen".

Krüger war Mascha Kalékos Begleiter durch Berlin im letzen halben Jahr vor dem Tod der Schriftstellerin.
Ich bin da nicht ganz seiner Meinung, es kann aber auch sein, dass ihre stets einfache Ausdrucksweise in einer Zeit der oft hermetischen Dichtkunst diesen Eindruck vermitteln könnte.

Was sagt aber dazu Gisela Zoch-Westphal, die profunde Kennerin des Werkes der Dichterin? Sie ist der Meinung, dass die Qualität ihrer Lyrik eben "in der riskanten Einfachheit." liegt.

Auch Kaléko ist sich dessen bewusst – und so schreibt sie:


Gehöre keiner Schule an
Und keiner neuen Richtung,
Bin nur ein armer Großstadtspatz,
Im Wald der deutschen Dichtung.
Weiß Gott, ich bin ganz unmodern.
Ich schäme mich zuschanden:
Zwar liest man meine Verse gern,
Doch werden sie – verstanden.​

Nun, das war ja schon ein Sprung den ich nicht vorhatte – denn erst möchte ich einiges über das Leben der Dichterin schreiben.

Mascha Kaléko wurde am 7.Juni 1907 in Schidlow in einer jüdischen Familie geboren – heute gehört der Ort zu Polen, damals war es eigentlich die Donaumonarchie. Bekannt ist eher der größere Ort in dessen Nachbarschaft Schidlow liegt: Auschwitz.
Ihren Geburtsort Schidlow fasst sie in wenigen Zeilen zusammen:


Als Emigrantenkind geboren
In einer kleinen, klatschbeflißnen Stadt,
Die eine Kirche, zwei bis drei Doktoren
Und eine große Irrenanstalt hat​

Über ihr Leben hat Mascha Kaléko sehr wenig erzählt – und gibt uns auch die Erklärung dafür:

"Anstatt der üblichen Statistik
Gönnt der Autorin etwas Mystik"​

Mit anderen Worten sie möchte, dass man sie über ihr Werk wahrnimmt.
Als der Erste Weltkrieg ausbrach, flüchtete die Familie nach Deutschland. Sie besucht das Gymnasium in Berlin – doch ihre Eltern sind zu arm und so verlässt sie die Schule drei Jahre vor dem Abitur.

Sie macht eine Sekretärinnenausbildung und zugleich fängt sie an Anfang der dreißiger Jahre, Gedichte zu veröffentlichen, die von den Berliner Zeitungen veröffentlicht werden. Ihre Lyrik wird auch von den großen Schriftsteller ihrer Zeit, Thomas Mann, Tucholsky, Alfred Polgar, Erich Kästner, etc... geschätzt – und sie gehört bald zum Kreis der so genannten künstlerischen Bohème. Sie wird gerne als Philosophin der kleinen Leute bezeichnet – oder als das weibliche Pendant von Erich Kästner gesehen. Thomas Mann schätzt bei ihr die "aufgeräumte Melancholie".

Mascha Kaléko sollte aber nirgends mehr wirklich beheimatet sein, sie litt auch lebenslang an dem nicht dazu gehören - wo es sie auch in der Folge verschlug: sie war die Polnische Jüdin in Deutschland, wurde später in Israel die deutsche Jüdin, und in den USA eine nicht ganz integrierte Europäerin.

Doch da es die Zeit des Exils war in der sie lebte, wurde sie auch die Dichterin in deren Gedichte viele der Heimatlosen die ihr Leben durch die Flucht gerettet hatten, sich wieder fanden.


So heimatlos wie Sand,
Wohin ich immer reise,
Ich komm nach Nirgendland​

Wie es ist wenn man ein Leben lang nicht so ganz dazu gehört, hält Mascha Kaléko auch fest:

Sie sprechen von mir nur leise
Und weisen auf meinen Schorf.
Sie mischen mir Gift in die Speise.
Ich schnüre mein Bündel zur Reise
Nach uralter Vorväter Weise.
Sie sprechen von mir nur leise.
Ich bleibe der Fremde im Dorf​

Muss hier unterbrechen – morgen geht es weiter.

Schönen Abend Euch allen.

Miriam
 
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AW: Mascha Kaléko

Habe neulich an einem Feature über die Kaléko mitgearbeitet.
Sehr sympathisch, anrührende, witzige Gedichte. Untergegangen in der Männerwelt - fast ;)
 
AW: Mascha Kaléko

Erst war ich etwas erstaunt, dass Mascha Kaléko wenig bekannt zu sein scheint - ich entnahm dies den Worten von Céline im Thread der sich mit den Jubiläen befasst.

Jetzt denke ich mir aber, dass es auch eine Frage der Generation ist...

...und bei mir auch der Sprache ;). Aber jetzt weiss ich schon eine Menge über sie. Trotzdem: Danke schön, dass du sich ihrer angenommen hast, ich werde hier sicher auch Neues noch dazu lernen.

:blume1:
 
AW: Mascha Kaléko

Danke Euch dreien, Robin, Ela und Céline, – von dir Robin möchte ich gerne wissen was so ein Feature eigentlich beinhaltet?

Nun versuche ich die Lebensgeschichte von Mascha Kaléko fortzusetzen – ich muss gestehen, dass sie mich wieder voll in ihren Bann zieht, seit ich mich hier erneut mit ihrer Person und ihrem Werk befasse.

Mascha heiratet 1928 den Philologen und Hebräischlehrer Saul Aaron Kaléko. Unter den Namen Kaleko geht sie in die Literatur ein, doch ihr Geburtsname sollte auch erwähnt werden: Golda Malka Engel (oder Aufen) - ich hatte dies in meinem ersten Beitrag versäumt zu erwähnen.

Ihr literarischer Durchbruch findet im Jahr 1933 statt als ihr Gedichtband Das lyrische Stenogrammheft, erscheint. Es folgt dann Kleines Lesebuch für Große und vielleicht wären auch noch andere Höhepunkte ihrer Kariere in diesen Jahren zu vermerken gewesen – doch die Zeiten in Deutschland ändern sich dramatisch.

Das Stenogrammheft, welches ein großer Erfolg war, erschien im Januar 1933 – und fiel schon in Mai der Bücherverbrennung zum Opfer. Es sei hier erwähnt, dass trotz dieses politisch eindeutigem Zeichens, Rowohlt in 1935 von dem Stenogrammheft eine neue Auflage herausgab.

Auffallend hauptsächlich in den ersten beiden Gedichtsbändern ist Mascha Kalékos Bestreben, ihre osteuropäische Herkunft zu verbergen – dazu gehören auch die Berliner Ausdrücke deren sie sich gerne bedient. Doch was Kaléko auszeichnet, ist dieses Nebeneinander oder auch der Wechsel zwischen Melancholie und Heiterkeit. Auch das macht diese nie ins Banale übergehende Alltagslyrik aus, es gelingt ihr wie keinem anderen uns mit ihren wechselhaften Pointen zu überraschen.

Doch eigentlich sind trotz ihrer Anfangserfolge, Abschied und Trennung ihre Leitmotive – sie sollten es auch später in ihrem Leben, auf der tragischsten Weise bleiben.
Der Zug ist eine ihrer Metaphern – doch auch da folgt eine unerwartete Wende, sie schlägt plötzlich ihren ironischen und leicht schnoddrigen Stil ein – was ihr auch den Vergleich mit Heinrich Heine einbrachte. Auf dieser Weise wird sie aber nie billig oder sentimental:


Liebe Elli! – Mal muß mans gestehen.
Und es ist auch schließlich besser so.
– Gestern war mein letzter Ultimo,
Und ab Dienstag darf ich stempeln gehen.

[...]

Du bist schön. Du tanzt gern in Lokalen.
Du paßt in keine Not-Zeit-Ehe 'rein!
– Der Mensch lebt nicht vom Honigmond allein,
Er muß auch ab und zu mal Schulden zahlen.

(Aus: Zeitgemäßer Liebesbrief)


Sogar in den Gedichten in denen im Mittelpunkt ihre Traurigkeit steht, wechselt sie ganz plötzlich die Tonlage und erlaubt uns eben durch ihre Leichtigkeit, vergleichbar einer Brücke die sie dem Leser dadurch baut, ihr zu folgen:


Möblierte Melancholie

(Melancholie eines Alleinstehenden)

Wenn ich allein bin, ist das Zimmer tot.
Die Bilder sehn mich an wie fremde Wesen.
Da stehn die Bücher, die ich längst gelesen,
Drei welke Nelken und das Abendbrot.

Grau ist der Abend. Meine Wirtin tobt.
Ich werde irgendwo ins Kino gehen.
- Mit Ellen konnte ich mich gut verstehen.
Doch vorgen Sonntag hat sie sich verlobt.

... Das letzte Jahr ist so vorbeigeweht.
Mitunter faßt mich eine schale Leere.
Der Doktor sagt, daß dies neurotisch wäre.
Ob das wohl ändern Leuten ähnlich geht

Ich träume manchmal, daß der Flieder blüht.
(Ich kann zuweilen ziemlich kitschig träumen.)
Erwacht man morgens dann in seinen Räumen,
Spürt man erst recht, wie es von draußen zieht.

Dann pflückt man statt der blauen Blümelein
Die ewig-weißen Blätter vom Kalender
Und packt die noch zu frühen Sommerbänder
Und seine Sehnsucht leise wieder ein.

Vorm Fenster friert der nackte Baum noch immer,
Und staubgeschwärzter Schnee taut auf den Beeten.
Der Ofen raucht. Und mein möbliertes Zimmer
Schreit schon seit Herbst nach helleren Tapeten.

Mein bester Freund ist nach Stettin gezogen.
Der Vogel Jonas blieb mir auch nicht treu.
Die Winterlaube hat der Sturm verbogen.
-Nun sitz ich da und warte auf den Mai ...



Nachdem sie sich scheiden lies von Kaléko, heiratet die Dichterin 1938 ihre große Liebe, den Musikwissenschaftler und Dirigenten Chemjo Vinaver. Im gleichen Jahr emigriert die Familie in den USA, mit ihrem Sohn Evjatar, der sich später in den USA Steven nennen wird, ein hochbegabtes Kind, welches schon mit zwölf Jahren bemerkenswerte Gedichte und auch andere Texte schreibt.
Hauptsächlich wegen des Sohnes lebt die Familie in Greenwich Village - sie möchten die Emigrantenviertel New Yorks meiden.

Vinaver kann sich in den USA beruflich nicht durchsetzen und Mascha Kaléko ist diejenige die für den Unterhalt der Familie sorgt indem sie Reklametexte schreibt.

Hier setze ich wieder eine Pause ein – Ihr werdet es wohl selber bemerkt haben: es gelingt mir nicht über Mascha Kaléko zu schreiben – und dabei Vieles wegzulassen.

Doch erst noch eine Gedicht von Mascha Kaléko (ich habe es auch gewählt weil es im Internet nicht zu finden ist, also meinerseits Fleißarbeit erfordert):


Onkel Fritz

Onkel Fritz hält nichts vom Sparen
Dabei wünscht er sich seit Jahren,
In die weite Welt zu fahren.

Reisen in die weite Welt
Kosten aber schönes Geld.
Doch statt Geld hat Onkel Schulden.
Darum muß er schweigend dulden.

Meistens duldet er recht leise.
Doch zur Zeit der Ferienreise
Duldet er zuweilen laut.

"...Fahren andre nach Italien",
Sagt er, "oder nach Australien,
Fahr' ich höchstens aus der Haut!"

(Aus: Heute ist morgen schon gestren")


Bis später - liebe Grüße

Miriam
 
AW: Mascha Kaléko

Wie man Butter macht

aus Heute ist morgen schon gestern

Wer sagt mir wie man Butter macht?
Man muß den Milchrahm schlagen.
Nun hört, was sich in letzter Nacht
Bei Huberts zugetragen.

Zwei Frösche fielen, bumsjuchhe!
In einen tiefen Zuber
Und staken fest, ojemine!
Im Rahmtopf der Frau Huber.

Da schrie der erste Frosch: "O weh!
Ersaufen muß ich in dem Schnee."
Und während er von Milchrahm troff,
Krakelte er nur und ersoff.

Der zweite Frosch hingegen sprach:
"Quark, Quark! So leicht geb ich nicht nach.
Ist erst einmal die Nacht vorbei,
Entrinn ich schon dem weißen Brei."

Er schlug um sich, anstatt zu greinen,
Mit Vorder- und mit Hinterbeinen.
Und weil er hungrig war, so fraß er
Vom leckern Milchrahmfutter.

Und sieh, am andern Morgen saß er
Vergnügt und fett
Und höchst adrett
…Auf einem Berg von Butter!​

Wenn ich mit diesem Gedicht von Mascha Kaléko meinen nächsten Beitrag beginne, hat dies zwei Gründe: so weit wie möglich bemühe ich mich hier Gedichte einzubringen die im Internet noch nicht zu finden sind – der zweite Grund aber ist ihr so spezieller Stil: mit Leichtigkeit und viel Humor uns eigentlich einfache Gedanken einer Lebensphilosophie mitzuteilen.

Natürlich ist die Umstellung für Mascha Kaléko besonders schwierig: sie schreibt nun Texte die ihr überhaupt nicht liegen um die Existenz der Familie zu sichern – und war in Berlin eine sehr bekannte und auch beliebte Dichterin. Wer weiß noch in New York, dass sie die Dichterin ist, die neben ihrer Lyrik sich in allen Genres erfolgreich versucht hat – Texte fürs Kabarett verfasst hat, aber auch für Chansons, Couplets und Parodien?

Auch ihre zweite Ehe erweist sich als sehr schwierig – sie, die doch in der Liebe einen Heimatersatz zu finden hoffte:


Zur Heimat erkor ich mir die Liebe.
Ich bin ein Blatt, zu früh vom Baum gerissen.
Ob alle Liebenden so einsam sind?

Ihrem Tagebuch, welches übrigens in Jiddischer Sprache geschrieben ist und für ihr Kind gedacht war, vertraut sie schon 1938 an:

"Ich habe keine Heimat gefunden, und keinen Frieden.[…]Aber leider ist er nicht der Mann für mich. Neben ihm sterbe ich täglich einen neuen Tod. […]Er ist ein Mensch, der für das Zusammenleben im Alltag nicht geschaffen ist."

Mascha Kaléko wird Vinavar nicht verlassen, obwohl sie auch mit dem Gedanken spielt, alleine mit dem Kind nach Palästina auszuwandern. Sie sagt auch was sie vermisst: sie braucht nicht nur Leidenschaft, sondern sehnt sich nach "väterliche, ritterliche Zärtlichkeit".

Das Paar bemüht sich auf ihren Gemeinsamkeiten zu bauen und diejenigen die sie in dieser Zeit erleben, sprechen von einer seltenen tieferen Verbindung die sie eint. Und doch empfindet Mascha Kaléko, zurückblickend, sich und ihren Mann so:


Ich und Du

Ich und Du wir waren ein Paar
Jeder ein seliger Singular
Liebten einander als Ich und als Du
Jeglicher Morgen ein Rendezvous.
Ich und du wir waren ein Paar
Glaubt man es wohl an die vierzig Jahr
Liebten einander in Wohl und in Wehe
Führten die einzig mögliche Ehe
Waren so selig wie Wolke und Wind
Weil zwei Singulare kein Plural sind.

Später wird Kaléko schreiben:

Post Scriptum
Anno Fünfundvierzig

Inzwischen bin ich viel zu viel gereist,
Zu Bahn, zu Schiff, bis über den Atlantik.
Doch was mich trieb, war nicht Entdeckergeist,
Und was ich suchte, keineswegs Romantik.

Das war einmal. In einem anderen Leben.
Doch unterdessen, wie die Zeit verrinnt,
Hat sich auch biographisch was ergeben:
Nun hab ich selbst ein Emigrantenkind.

Das lernt das Wörtchen "alien" buchstabieren
Und spricht zur Mutter: "Don't speak German, dear."
Muß knapp acht Jahr alt Diskussionen führen,
Daß er "allright" ist, wenn auch nicht von hier.

Grad wie das Flüchtlingskind beim Rektor May!
Wenn ich mir dies Dacapo so betrachte . . .
Er denkt, was ich in seinem Alter dachte:
Daß, wenn die Kriege aus sind, Frieden sei

Wie sehr sich die Inhalte aber auch der Tonfall ihrer einst wenn auch nachdenklichen trotzdem eher heiteren Gedichten geändert hat, beweit vielleicht noch am ehesten Mascha Kalékos Gedicht Enkel Hiobs – welches mit den Worten anfängt:

"Wie tief entbrannte über uns dein Zorn!"

und so endet:

Mit Tränen säten wir das erste Korn,
Und sieh, der Halm ist leer, den wir geschnitten.
Was willst du, Herr, noch über Hiob schütten?

Fortsetzung folgt - hoffentlich dann die letzte.
 
AW: Mascha Kaléko

Einzug der Revoluzzer

Fragment

Dem philiströsen Krämergeist, der muffigen >guten Stube< entrinnend, kamen die Söhne und Töchter aus besserem amerikanischen Hause. Sie wollten es den Banausen und Geldsäcken zeigen. Bewaffnet mit Staffelei und Spirituskocher, handgewebtem Wandbehang und wackliger Matratze, überfielen sie Dachkammern und Keller, und beides ward zum >Atelier<.
Die irischen Nachbarn und die ortsansässigen Italiener in den halbverfallenen rosa Bachsteinhäuschen guckten und staunten. Aber, Mamma mia, diese verrückten Yankees brachten Trubel in die Gegend - und business dazu. Umgängliche Revoluzzer waren sie, trotz ihrer sonderbaren Sitten und Sandalen. Von überallher kam man, sie anzugaffen. Die Tea Shops schossen aus dem Pflaster wie Pilze, und die kleinen Pizzerias füllten sich mit Ravioli schmatzenden Künstlern und solchen, die es scheinen wollten. Dann kam der Krieg, und dann noch einer – und in der Zwischenzeit gab’s die große Alkohol-Prohibition, und das große Geldverdienen ging los.

Aus den kleinen Imbissstuben wurden illegale Speakeasies, aus denen wiederum berühmte Weinrestaurants, und eines Weekends war der erste Nightclub da. Und dann kam, of course, die Presse, die Publicity; der Rest war ebenso unvermeidlich wie willkommen, das Village ward Mode – und zuletzt kam Hollywood.
So wuchs das Village allmählich heran, aber ganz erwachsen ist es zum Glück auch jetzt noch nicht. Und das ist gut so. In dieser Stadt der allzu vielen Allzutüchtigen ist eine Handvoll Träumern wohl angebracht.


Diese Schilderung habe ich dem Prosabuch von Mascha Kaléko: Der Gott der kleinen Webefehler entnommen. Wie bei anderen Texten auch, habe ich mich erst vergewissert, dass er noch nicht im Internet zu finden ist.
Der Text soll auch signalisieren, dass ich das Thema fortsetze – die Unterbrechung habe ich mir selber zuzuschreiben, weil ich mich zwischendurch mit anderen Themen befasst habe.

Bis bald und liebe Grüße

Miriam
 
AW: Mascha Kaléko

Den Text aus dem Band "Der Gott der kleinen Webefehler" habe ich ausgewählt weil er zeigt wie sehr sich Mascha Kaléko nun mit ihrer neuen Umgebung auseinandersetztund wie gut sie die Beschreibung des Ortes, Greenwich Village, und seine Entwicklung in einer relativ kurzen Zeitspanne trifft.

Das bedeutet aber nicht, dass sie sich in ihrer neuen Umgebung zuhause fühlt. Immer wieder ist ihren Gedichten oder Prosatexten die große Sehnsucht nach der eigentlichen Heimat zu entnehmen. Noch eine große Umkehr ist aber festzustellen: Mascha, die bewusst versucht hatte sich zu assimilieren, setzt sich nun mit ihrer jüdischen Identität auseinander – überhaupt ihr Gedicht "Hiob" das ich schon erwähnte, zeigt uns auf dramatischer Weise ihre klagende Auseinadersetzung mit dem jüdischen Gott. Doch nicht nur religiöse Themen sind Inhalt ihrer Gedichte, sondern auch die jüdische Geschichte.

Zum Jom-Kippur-Fest (Versöhnungsfest) 1942, schreibt sie ihr Gedicht Kaddisch (Kaddisch ist das Totengebet im Jüdischen Glauben)


Kaddisch


Rot schreit der Mohn auf Polens grünen Feldern,
In Polens schwarzen Wäldern lauert Tod.
Verwest die gelben Garben.
Die sie gesät, sie starben.
Die bleichen Mütter darben.
Die Kinder weinen: Brot.

Vom Nest verscheucht, die kleinen Vögel schweigen.
Die Bäume klagen mit erhobnen Zweigen,
Und wenn sie flüsternd sich zur Weichsel neigen,
In bärtger Juden betender Gebärde,
Dann bebt die weite, blutgetränkte Erde,
Und Steine weinen.

Wer wird in diesem Jahr den Schofar blasen
Den stummen Betern unterm fahlen Rasen,
Den Hunderttausend, die kein Grabstein nennt,
Und die nur Gott allein bei Namen kennt.

Sass er doch wahrlich strenge zu Gericht,
Sie alle aus dem Lebensbuch zu streichen.
Herr, mög der Bäume Beten dich erreichen.
Wir zünden heute unser letztes Licht.




Ihr Emigrantenmonolog erinnert sehr stark an Heinrich Heine – mit dem sie sich ja oft identifiziert:


Emigranten-Monolog

Ich hatte einst ein schönes Vaterland,
So sang schon der Refugee Heine.
Das seine stand am Rheine,
Das meine auf märkischem Sand.

Wir alle hatten einst ein (siehe oben!)
Das frass die Pest, das ist im Sturm zerstoben.
O, Röslein auf der Heide,
Dich brach die Kraftdurchfreude.

Die Nachtigallen wurden stumm,
Sahn sich nach sicherm Wohnsitz um,
Und nur die Geier schreien
Hoch über Gräberreihen.

Das wird nie wieder wie es war,
Wenn es auch anders wird.
Auch wenn das liebe Glöcklein tönt,
Auch wenn kein Schwert mehr klirrt.

Mir ist zuweilen so als ob
Das Herz in mir zerbrach.
Ich habe manchmal Heimweh.
Ich weiss nur nicht, wonach…​

Mascha Kaléko kehrt erst 1956 wieder nach Deutschland zurück – Ernst Rowohlt, der auch wieder ihre ersten zwei Bücher neu herausbringt, hat für sie eine Lesereise organisiert. 1956 ist zugleich auch das Heine-Jahr (Jahrestag seines Todes) und das veranlasst sie ihr Gedicht "Deutschland, ein Kindermärchen" zu schreiben:

Da kam der böse Wolf und fraß
Rotkäppchen." – weil sie nicht arisch.
Es heißt: die Wölfe im deutschen Wald
sind neuerdings streng vegetarisch.

Jeder Sturmbannführer ein Pazifist,
So lautet das liebliche Märchen,
Und wieder leben Jud und Christ
Wie Turteltaubenpärchen.

Man feiert den Dichter der "Loreley".
Sein Name wird langsam vertrauter.
Im Lesebuch steht "Heinrich Heine" sogar,
– Nicht: "unbekannter Autor".
[...]
Wie gesagt, es soll ein erfrischender Wind
In neudeutschen Landen wehen.
Und wenn sie nicht gestorben sind ...
– Das mußte ich unbedingt sehen!​
 
AW: Mascha Kaléko

Im Jahr 1956 also als sie nach Deutschland zurückkehrt der Einladung von Rowohlt folgend, wird Mascha Kaléko auch für den Fontane-Preis nominiert. Doch trotz der großen Bedeutung dieser Auszeichnung, verzichtet sie auf den Preis als sie erfährt, dass in der Jury die dies bestimmt hatte ein ehemaliges Mitglied der Waffen-SS, jetzt Direktor der Sektion für Dichtung der Akademie, Hans Egon Holthusen saß der ihr auch den Preis überreichen soll.
So wurde Mascha Kaléko nie mit einem deutschen Literaturpreis ausgezeichnet.

Berlin wird auch für sie nie mehr die Heimat die es einst war.
Auf die Frage wie sie nun die Stadt findet, antwortet sie:


"Wie ich es finde? Ach, ich such es noch"[…] es bleibt "Ein wunder und ein guter Punkt in meinem Leben".

Da ihr Mann, der Musiker Chemjo Vinaver sein großes Werk, ein Standardwerk der chassidischen Synodallmusik nur in Israel vollenden und veröffentlichen kann, übersiedeln beide nach Jerusalem.
Doch Lesereisen führen sie immer wieder zurück nach Deutschland und in die Schweiz.

Ein großer Schicksalsschlag sollte die letzten Lebensjahre des Ehepaares zeichnen. Ihr hochbegabter Sohn Evjatar, den sie in den USA dann Steven nannten, der schon als junger Mensch mit einigen amerikanischen Literaturpreisen ausgezeichnet wurde und in New York ein erfolgreicher Dramatiker und Regisseur geworden war, stirbt plötzlich im Jahr 1968 nach kurzer Krankheit.
Für beide Eltern ist es ein unüberwindbarer Schicksalsschlag, der Sohn war der Mittelpunkt ihres Lebens.


Elegie für Steven

Kein Wort vermag Unsagbares zu sagen,
Drum bleibe, was ich trage, ungesagt.
Und dir zuliebe will ich nicht mehr klagen,
denn du, mein stolzer Sohn, hast nie geklagt.

Und hätt ich hundert Söhne, keiner wäre
Mir je ein Trost für diesen, diesen einen!
Sagt ich: hundert? Ja, ich sagte hundert
Und meinte hundert. Und ich habe keinen.

Das man doch lernte, sich vor im zu neigen,
der grausam nimmt, was er so zögernd gab.
Solange mein Herz schlägt, ist darin dein Grab.
Ich setze dir ein Mal aus purem Schweigen.

Kein Wort. Kein Wort. Gefährte meiner Trauer!
Verwehte Blätter, treiben wir dahin.
Nicht das ich weine, Liebster, darf dich wundern,
Nur das ich manchmal ohne Träne bin.



VOR MEINEM TOD IST MIR NICHT BANG ...


Vor meinem Tod ist mir nicht bang,
nur vor dem Tod derer,
die mir nah sind.
Wie soll ich leben,
wenn sie nicht mehr da sind?

Der weiß es wohl,
dem Gleiches widerfuhr,
Und die es trugen,
mögen mir vergeben.

Bedenkt, den eignen Tod,
den stirbt man nur,
doch mit dem Tod des andern
muss man leben.

Noch ein Gedicht zeigt wie sehr sie es versteht auch ihre traurigsten, dunkelsten Gedanken so mitzuteilen, dass sie doch noch genug Distanz zum Leser bewahrt:

Angefangene Gedichte
Aus einem aufgehörten Leben


Wer doch den Mut zur Feigheit hätte,
Denn Feigheit nennt man jenen Mut,
Der die zu schwer gewordne Kette
Des Daseins leise von sich tut.

Wer doch den Mut zur Feigheit hätte,
Dem allen aus dem Weg zu gehn
Und unerkannt, an fremder Stätte
Allein im Nachtwind zu verwehn.

Es fragt sich nur, geht es nicht drüben weiter?
Dann bleibt man auch im Tod noch Außenseiter.

(Aus "Heute ist morgen schon gestern")

1973 stirb auch Chemjo Vinaver - Mascha Kaléko bleibt in Zürich da sie auch schwer krebskrank ist und in ihrem Jerusalemer Haus (sie wohnt im siebten Stockwerk) noch immer der Aufzug fehlt.

Es erfüllte sich Mascha Kalékos Prophezeiung nicht:


Kleine Zwischenbilanz

Was wird am Ende von mir übrig bleiben?
- Drei schmale Bände und ein einzig Kind.
Der Rest, es lohnt sich kaum, es aufzuschreiben.
Was ich zu sagen hab, sag ich dem Wind.


Ihr Sohn den sie so sehr geliebt hatte, starb Jahre vor ihr. Doch sie hinterließ sehr viel mehr als die drei schmale Bände über die sie spricht – für mich bedeuten ihre klaren Verse deren Tiefe man bei jedem Lesen neu entdeckt, eine ganz besondere Lyrik.

Ein Foto dieser wunderbaren Dichterin die Mascha Kaléko war, sollte meinen Versuch sie hier ein wenig vorzustellen um auf sie neugierig zu machen, ergänzen:

http://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/frauenarchiv/exil/kaleko/images/kaleko.jpg


Mascha Kaléko starb am 21. Januar 1975 in Zürich wo sie auch begraben ist.

 
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AW: Mascha Kaléko

Liebe Miriam,
vielen Dank, dass du uns diese wunderbare Frau auf eine so einfühlsame Art nähergebracht hast. Ich bin sehr berührt von den Gedichten, die Du uns vorgestellt hast aber auch von ihrem Lebenslauf.
Herzlich :kuss1:
Ela
 
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