Hoch lebe die Eigenverantwortlichkeit!
Auf einen Beitrag von Lidania soll jetzt noch eingegangen werden.
Lidania schrieb:
Ich wehre mich aber auch dagegen,
mit solchen Vorstellungen von "Krankheit" jemand die Verantwortung für sein Tun abzunehmen.
Zu wissen, was die Auslöser für eine Tat waren, sollte nicht vor Konsequenzen (Strafe oder Wiedergutmachung)
schützen - aber möglicherweise helfen, Wiederholungen entgegenzuwirken.
In der Diskussion über den freien Willen im Lichte der neurobiologischen Erkenntnisse kristallisiert sich
ebenfalls deutlich die Position heraus, dass die Verantwortung für das eigene Verhalten völlig unberührt davon
bleiben muss, wie gut oder wie schlecht die Arbeitsweise unseres Gehirnes verstanden wird.
Das ganz einfach deshalb, weil Eigenverantwortlichkeit ja nicht das Ergebnis eines naturgesetzlichen Prozesses
ist, sondern eine Zuschreibung, eine gesellschaftliche Konvention, eine Setzung, ein Grund-Satz.
So wie jedem menschlichen Individuum eine Menschenwürde zugeschrieben wird, und zwar nicht als Belohnung
für ein wünschenswertes Verhalten, sondern a priori, einzig und allein aufgrund seiner Zugehörigkeit zur
Spezies Homo sapiens, genauso werden ihm ab einem bestimmten Reifegrad auch das Selbstbestimmungsrecht,
die Zurechnungsfähigkeit, die Mündigkeit, die Geschäftsfähigkeit zugeschrieben, ...
und als Kehrseite dieser Medaille eben die Eigenverantwortlichkeit.
Es wird zwar ein ständiger Diskurs über einen Katalog von Ausnahmebedingungen geführt, unter denen auch ein
erwachsener Mensch entmündigt werden kann, für die Realisierung des akzeptierten gesellschaftlichen Werdebildes
erscheint es aber wünschenswert, den Umfang dieser Ausnahmen möglichst klein zu halten.
Würde dieser Ausnahmenkatalog nämlich so umfangreich gestaltet, dass kaum noch jemand für sein Verhalten
verantwortlich wäre, so führte das nicht nur das Konzept der Eigenverantwortlichkeit ad absurdum,
es ginge damit konsequenterweise auch das Selbstbestimmungsrecht verloren.
Das würde aber einen Schritt zurück in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft bedeuten, in Sklaven und Herren.
Die vielen unmündigen und für nichts verantwortlichen Menschen bildeten die Sklaven-Klasse,
die wenigen Mündigen und Verantwortlichen die Herren-Klasse.
Ein solcher Rück-Schritt wäre nicht mit dem Werdebild der neuzeitlichen Gesellschaft vereinbar.
Das musste auch einmal in aller Klarheit gesagt werden.