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Abtrünnige Regionen

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AW: Abtrünnige Regionen

Hier ein Kommentar von Julia Latynina, Kolumnistin der "nowaja gazeta". Wir erinnern uns an den Mord an ihrer Kollegin Anna Politkowskaja vor zwei Jahren.

Der Konflikt zwischen der abtrünnigen Region Südossetien und Georgien eskaliert. Südossetien fungiert als Zweigstelle der „Silowiki“ – der Kreml-Elite mit Beziehungen zum Geheimdienst, die im Kaukasus ihre eigene Agenda verfolgt. Russland mischt mit, die Frage ist nun, wie.

Die russische Armee griff am Wochenende zahlreiche Ziele in Südossetien und Georgien an. Einige Bomben trafen offenbar auch Wohnblocks und zivile Einrichtung. Ein Georgier hält weinend den Leichnam eines Verwandten in den Armen. Über einem Wohnblock ...

Georgiens Präsident Michail Saakaschwili hat seinem russischen Kollegen Dmitri Medwedjew die Chance gegeben, die „Silowiki“ zu besiegen – die Herrschaft der Teile der politischen Elite Russlands, die dem Geheimdienst nahe stehen, zu brechen. Wenn Medwedjew diese Chance ergreifen kann, wären die Folgen für Moskau bedeutender als für Tiflis. Warum ist das so?

Es heißt, das Regime in Südossetien sei „pro-russisch“. Leider nicht. Alle Handlungen des Führers der abtrünnigen Regierung, Eduard Kokoity, laufen dem Interesse Russlands im Kaukasus zuwider. Er macht uns in den Augen der Weltöffentlichkeit lächerlich und schürt Konflikte in jener Region, wo Russland auseinanderzubrechen droht. Südossetien ist kein Land, kein Territorium, nicht einmal ein Regime. Es ist ein Joint Venture der Silowiki und ossetischer Banditen. Ihnen geht es darum, aus dem Konflikt mit Georgien Geld zu machen. Immerhin beträgt Russlands Geheimbudget für den Kampf um die 800 Millionen Dollar. Ganz zu schweigen von den Angehörigen des aufgeblähten öffentlichen Dienstes, deren Löhne und Pensionen Moskau bezahlt.

Wenn Ossetien überhaupt ein Staat ist, dann ist es ein terroristischer Staat. Wenn von „friedlichen Zivilisten“ die Rede ist, dann sollten wir an die Situation in palästinensischen Flüchtlingslagern denken. Südossetien ist – wie ehedem die PLO – kein Staat mit einem Territorium und einem Ethos. Es ist eine Mutation der Macht, die eine Bevölkerung in militarisierte Flüchtlinge verwandelt. Es ist so etwas wie eine bewaffnete Macht, deren Führung den Menschen nicht erlaubt, sich mit irgendetwas anderem als mit dem Krieg zu beschäftigen – was der Führung die absolute Kontrolle verleiht. Die Hysterie der Menschen ist ein Hauptmittel, die Taschen der Führung zu füllen.

Wenn man das Beschießen der Hauptstadt Tschinwali beklagt, sollte man sich vor Augen halten, dass die Stadt auf drei Seiten von georgischen Dörfern umgeben ist. Die südossetischen Streitkräfte beschießen diese Dörfer, und die Geogier schießen zurück. Wenn sie Zivilisten schützen wollten, müssten die Südossetier nur ihre Positionen ein paar Hundert Meter vorrücken. Aber das ist ja ein Grundsatz von Terroristen in der ganzen Welt – verschanze dich unter Zivilisten, und wenn dein Feuer erwidert wird, zeige genüsslich die Leichen deiner Kinder den Fernsehkameras.

Georgien wird diesen Krieg wohl gewinnen, weil Georgien ein klares Ziel hat. Die russischen Silowiki sind gut, wenn es darum geht, Firmen zu terrorisieren und Fabriken in den Ruin zu treiben, aber im Angesicht einer echten Armee rennen sie und beschweren sich bei den Vereinten Nationen.

Die neuesten Ereignisse zeigen, dass Russland Kokoity nicht unter Kontrolle hat. Hoffentlich begreift Georgien, dass nicht alle im Kreml Kokoity unterstützen wollen. Das Joint Venture der Lubjanka-Tschekisten und der ossetischen Banditen interessiert sich für Russland etwa so, wie sich ein Krebstumor für seinen Wirt interessiert. Wir sollten Saakaschwili für die Chemotherapie danken.

Was wird Russland jetzt unternehmen? Eine Möglichkeit ist die Verwicklung in einen richtigen Krieg. Darauf drängen die Silowiki seit Monaten. Ihnen ist es gleich, wer gewinnt, oder wie viele Opfer es gibt. Die bloße Tatsache eines Krieges sichert ihnen die Kontrolle über Russland. Ja, eine Niederlage Russlands käme den Silowiki durchaus gelegen: Es gäbe Gejammer, Vorhaltungen, Hysterie – und am Ende noch mehr Geld.
Die andere Möglichkeit bedeutet eine Chance für Medwedjew und für Russland. Kann sich Russland aus dem Konflikt heraushalten oder zurückziehen, bedeutet das eine Niederlage für die Silowiki. Und möglicherweise den Bankrott nicht nur ihres Zweiggeschäfts in Südossetien, sondern auch der Zentrale in der Moskauer Lubjanka.

Aus dem Englischen von Alan Posener

http://debatte.welt.de/kommentare/84081/dieser+krieg+ist+nicht+russlands+krieg
 
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AW: Abtrünnige Regionen

wir wissen derzeit noch nicht,
welchen Schaden Georgien mit seinem Angriff in Südossetien (90 Prozent russische Bevölkerung) angerichtet hat
(ob also Rußland sauer sein darf)

wir wissen nicht einmal,
ob Georgien tatsächlich als erster angegriffen hat
(da es den ganzen Sommer bereits Reibereien gegeben haben soll)

und ob das Folgende stimmt, wissen wir auch nicht
Südossetien ist kein Land, kein Territorium, nicht einmal ein Regime. Es ist ein Joint Venture der Silowiki und ossetischer Banditen.
 
AW: Abtrünnige Regionen

nachdem Gorbatschow den USA Heuchelei vorgeworfen hat,
gehe ich mal davon aus,
daß der amerikanische Geheimdienst bzw. die geheime Außenpolitik
dem georgischen Präsidenten einen Floh ins Ohr gesetzt hat
(die USA wollen das Öl unter Kontrolle haben,
deshalb ist Bush auch so scharf darauf,
die dortigen Länder, z. B. Georgien, in die Nato aufzunehmen)
 
AW: Abtrünnige Regionen

nachdem Gorbatschow den USA Heuchelei vorgeworfen hat,
gehe ich mal davon aus,
daß der amerikanische Geheimdienst bzw. die geheime Außenpolitik
dem georgischen Präsidenten einen Floh ins Ohr gesetzt hat
(die USA wollen das Öl unter Kontrolle haben,
deshalb ist Bush auch so scharf darauf,
die dortigen Länder, z. B. Georgien, in die Nato aufzunehmen)

Hi scilla,

da stimme ich mit dir vollkommen überein.
Wäre ja nicht zum ersten Mal, dass die USA so etwas anzettelt aus eigenem Interesse.

Und die CIA ist ja bekannt dafür, dass unter der Hand Vereinbarungen gemacht werden, die dann später - je nach Bedarf der USA - wieder bestritten werden (und Beweismaterial rechtzeitig vernichtet oftmals zusammen mit Menschenleben!), weil ja eh nicht mehr beweisbar.

lb Gr sartchi
 
AW: Abtrünnige Regionen

Grüß Gott.

Ich denke, dass uns Spekulationen überhaupt nicht weiter bringen- ob das CIA, der KGB, Putin oder der Teufel persönlich dahintersteckt- wer versteht schon die Weltpolitik!

Mich wundert nur eines: Was hat der georgische Präsident sich gedacht, jetzt mal rein strategisch, wie die Russen auf seinen Angriff auf Südossetien reagieren werden?

Hat er geglaubt, die Russen werden sich ein bisschen ärgern lassen?

Oder hat er geglaubt, was ich am ehesten vermute, Amerika und der Rest des Westens würde ihm militärisch oder zumindest politisch, beispringen?

In beiden Fällen zweifel ich an der Intelligenz dieses Mannes, der immerhin an einer Elite-Uni in den USA studiert hat.

Mich erinnert das Ganze an die Versicherungswerbung, in der ein Mann an einem Zaun entlang geht und einen sich dahinter befindenden wilden Hund ärgert- darauf bauend, dass der Zaun ihn von dem Hund trennt. Bis er feststellt, dass der Zaun irgendwo einfach aufhört.

Der Depp am Zaun, dass ist Sakaschwilli, der wilde Hund ist Russland und der überschätzte Zaun, dass sind wir, der Westen (insbesondere die USA- ich halte wirklich nichts von plattem Anti-Amerikanismus, aber wer hat den groß rumgetönt, Georgien müsse in die NATO? Und tut jetzt nichts?).

Russland und die USA sind nach wie vor die einzigen Staaten, die in der Lage sind, einen Weltkrieg vom Zaun zu brechen, und ich kann nur, mit einem, leicht abgeänderten Text von Sting sagen: I hope the Americans love their children, too. Wenn dieser Konflikt nicht bald gelöst wird- und zwar effizient- dann gute Nacht...

Ach ja: Völkerrecht war ja das Thema:

Ich stimme Hartmut zu: Was ist das für ein Völkerrecht, in dem ein Volk kein recht hat, über sein Schicksal zu verfügen? Wie viele waren es? 96%, glaube ich, der Osseten wollen Unabhängigkeit (Ist das eine schlaue Idee? Nein, denn dieses Land wird bettelarm sein, aber das ist eine andere Frage). Warum gilt das Völkerrecht für die Georgier, aber nicht für die Osseten?

Und warum dann Unabhängigkeit für das Kosovo? Weil da ein Völkermord war?

Die Georgier haben in Südossetien bereits in den Neunzigern so hart militärisch zugeschlagen, dass es für nahezu ALLE Osseten unvorstellbar ist, jemals wieder in Frieden mit Georgien zu leben- als Teil Georgiens. Es ist die nahezu gleiche Situation wie im Kosovo. Warum respektiert man das nicht?

Aber wahrscheinlich wäre das Problem schon lange gelöst wenn Moskau, Washington und Brüssel nicht ständig für ihre jeweiligen Lieblinge einspringen würden. das gleiche gilt auch für den Nahen Osten: Wären Israel und Palästina auf sich alleine gestellt, wie schnell würden sie merken, dass sie sich ihren Konflikt gar nicht leisten könnten?

Übrigens, politische Fragen hin oder her: Mich widert es an, dass wieder einmal auf Kosten Zehntausender, einfacher Menschen egal ob Georgier, Osseten oder Russen, politische Grundsatzdiskussionen mit Gewalt ausgetragen werden. Die Menschheit lernt einfach nichts dazu. Ich frage mich: Wie viele Russen (außerhalb des Kremls) interessiert es wirklich, dass Ossetien beschützt wird. Und wieviele Georgier wollen um jeden Preis an Ossetien festhalten?

Wir haben einen Freund in Tiflis, ich hoffe es geht ihm gut, und er ist nicht unter die Mobilmachung gekommen. Er ist genau an dem Tag aus Spanien zurück nach Georgien gekommen, als der Krieg ausbrach.
 
AW: Abtrünnige Regionen

Kosovo, Südossetien und Abchasien:
Was ist hier Völkerrecht? Es scheint so, dass die westlichen Industrienationen bestimmen, was völkerrechtlich ist!

Oder seid ihr anderer Ansicht?
Nein, ich zumindest bin nicht anderer Ansicht. Eine Volksgruppe soll selbst bestimmen können, unter welcher staatlicher Hoheit sie lebt; alles andere wäre ein soziologischer Rückschritt. Gibt es allerdings verbriefte Schulden gegenüber dem Staat von dem man sich lösen will, sind diese zurückzuzahlen, was aber die Loslösung nicht verhindern muss. Georgien ist mMn, was Südossetien und Abchasien betrifft, nicht im Recht.

Liebe Grüße

Zeili
 
AW: Abtrünnige Regionen

M. Gorbatschow in der "Rossiyskaya Gazeta":

Was in der Nacht zum 7. August geschah, ist einfach unbegreiflich.
Das georgische Militär nahm die südossetische Hauptstadt Zchinwali mit Mehrfach-Raketenwerfern unter Beschuss, die dafür konzipiert sind, ein Gebiet weiträumig zu verwüsten. Russland musste reagieren. Es deswegen der Aggression gegen das "kleine, wehrlose Georgien" zu bezichtigen, ist nicht nur verlogen, sondern zeigt auch einen Mangel an Menschlichkeit.


http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,571584,00.html
 
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Über den Kaukasus wird vielleicht zu sehr schwaz-weiß gesehen: Zu unübersichtlich für uns und zu vielfältig sind die russischen, westlichen Machtansprüche (Stützpunkte, Erdöl) und die vielen autonomen Interessen dieser Region seit dem Zerfall der UdSSR.

Man schaue mal auf der Karte nach (Süd- und Westgeorgien):
http://images.derstandard.at/2008/08/11/Georgia and Russia - Clashing over Abkhazia.pdf (S. 24 und 25)

Autonomierechte in Abchasien im Westen Georgiens und in Adscharien im Südwesten Georgiens,
Konfliktherd in Südossetien im Norden Georgiens,
Tschetschenienkrieg an der nördlichen Grenze,
in Dagistan daneben befürchtet man bald ähnliche Zustände,
Armenien und Aserbaidschan führten einen brutalen Krieg um Bergkarabach (Nagornyj Karabach), wo derzeit ein international nicht anerkanntes Regime an der Macht ist (nur von Armenien anerkannt), geschlossene Grenzen in Armenien zu As. und Türkei,
enormes Eskalationspotenzial in Moldawien und Ukraine (Sevastopol - Konflikt mit Russland um die Schwarzmeerflotte).

Völkerrechte, Menschenrechtsappelle, Vereinbarungen sind da nur „Nebenerscheinungen“ und Hilfsmittel, um eigenes Handeln zu legitimieren und zu erleichtern. Sie werden nach eigenen Interessen ausgelegt oder gleich missachtet.
Sezession bedeutet Krieg, den niemand haben will, sagen die einen.
Selbstbestimmung und Unabhängigkeit ist ein Völkerrecht, sagen die anderen.

Gruß
Andreas
 
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