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Was ist eine „gerechte Strafe“?

walter schrieb:
Wo habe ich Jesus mit Saddam verglichen? Zeig mir bitte die Stelle in meinem Beitrag.
Ich schrieb "dass so eine Einschätzung nicht nur absolut subjektiv ist sondern auch von den Zeiten abhängig, in denen Du Dich befindest". Für die Römer war Jesus ein Verbrecher, für die Katholiken ein Held.
.

Sorry, Walter, du hast natürlich Recht. Du hast die Beiden nicht miteinander verglichen, aber meine bisherigen Gedanken zu diesem Thema orientierten sich an der Gegenwart und nicht an der Vergangenheit.
Nicht nur die Rechtssprechung, bzw. das Rechtsempfinden hat sich im Laufe der Geschichte verändert, sondern auch das Verständnis von Menschenwürde. Vor 2000 Jahren oder früher waren Todesstrafe, Verstümmeln und Folter die gängigen Strafen. Menschenwürde gestand man nur dem Adel und der höheren Klasse zu. Das gemeine Volk besaß in deren Augen keine Würde.
Daher kann man das, was mit Jesus und all den anderen Aufrührern dieser Zeit und auch später passierte, kaum mit Leuten wie Saddam, Eichmann und all denen, die bisher genannt wurden, in Zusammenhang bringen.

Vor einiger Zeit gab es doch in Deutschland diesen Fall, wo ein Kind entführt wurde, das, so vermutete die Polizei, irgendwo, noch lebend, im Wald vergraben lag. Der vernehmende Beamte drohte dem mutmaßlichen Entführer Prügel an, wenn der nicht das Versteck des Jungen verraten würde. Als man das Kind später fand, war es bereits tot. Der Kripo-Beamte musste sich anschließend wegen Nötigung und "Erzwingen einer Aussage mittels Gewaltandrohung" vor Gericht verantworten und wurde für längere Zeit vom Dienst suspendiert. Soweit ich weiß, ist er inzwischen wieder im Dienst, aber nicht mehr auf dem Posten, den er vorher hatte. Der Entführer und Mörder stellte sich als armes Opfer der Justiz dar und ihm wurde Recht gegeben.
Wer hat jetzt wessen Würde verletzt? Der Beamte, der dem Entführer drohte, oder nicht doch der Entführer, der nicht davor zurückschreckte, einen kleinen Jungen erbärmlich verrecken zu lassen???? Und welche Verletzung der Menschenwürde wiegt nun schwerer??

Rhona

Rhona
 
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Der Kripo-Beamte musste sich anschließend wegen Nötigung und "Erzwingen einer Aussage mittels Gewaltandrohung" vor Gericht verantworten und wurde für längere Zeit vom Dienst suspendiert. Soweit ich weiß, ist er inzwischen wieder im Dienst, aber nicht mehr auf dem Posten, den er vorher hatte. Der Entführer und Mörder stellte sich als armes Opfer der Justiz dar und ihm wurde Recht gegeben.
Wer hat jetzt wessen Würde verletzt? Der Beamte, der dem Entführer drohte, oder nicht doch der Entführer, der nicht davor zurückschreckte, einen kleinen Jungen erbärmlich verrecken zu lassen???? Und welche Verletzung der Menschenwürde wiegt nun schwerer??


Hier ging eindeutig Täterschutz vor Opferschutz.
Ein Schandfleck in der Rechtssprechung!

Die Kripobeamten sind jetzt abgeschreckt, wehe den künftigen Opfern!
 
Zur Erinnerung: Folter und Prügel von Gefangenen geschieht in Unrechtsregimes. Wenn wir das jetzt selbst anwenden sind wir um nichts besser als all die Unrechtsregimes, die wir zu Recht anprangern.
 
Man muß sich den Vorgang mal in Gedanken variieren:

der Beamte hat ja nun nicht geprügelt, hätte er das getan, wäre seine Bestrafung sicher ganz erheblich ausgefallen. Da er nur die gewalt angedroht hat, ist man „gnädig“ mit ihm gewesen, sicher nicht zuletzt deshalb, weil eine ganze Nation empört war über die Justiz.

Man stelle sich vor , das Opfer hätte noch gelebt und der Beamte hätte das Versteck aus dem Täter herausgeprügelt.
Das Kind wäre gerettet worden, der Täter wäre nur wegen Entführung drangewesen.

Der Beamte wäre härter bestraft worden als der Entführer, der ohne die Prügel zum Mörder geworden wäre.

Skandalös, skandalös......
 
Gerechte Strafe: Folter, Todesstrafe... Demokratie

Über Einzeltäter, perverse Täter, prophylaktische Massnahmen u.ä. wurde hier bereits z.T. gut und genug geschrieben.
Ich erlaube mir trotzdem, mich traurig zu wundern, lieber gar nicht über die Sinnlosigkeit meines Schreibens nachzudenken, und versuche diesem Thread, in Zusammenhang mit anderen, eine möglicherweise unerwartete Wendung zu geben.
(Liegt Gewalt in der Natur des Menschen? NS-Vergangenheit - soll sie ruhen?... könnte gewiss noch etliche andere finden.)

Wenn enthüllt wird, dass Geheimdienstagenten der USA des Terrorismus Verdächtige in einer Weise traktiert haben, die rechtsstaatliche Prinzipien verletzen oder gerne solche Leute Ländern wie Ägypten, Jordanien oder Marokko übergaben, deren Geheimdienste mit der CIA zusammenarbeiten und bei Verhören wenig zimperlich sind, schreien wir auf: 'Nur Diktaturen foltern! Die Inquisition der kath. Kirche, Hitlers Gestapo, Stalins NKWD oder die argentinische Obristen folterten, um sich der Opfer zu entledigen.'
Wenn aber ein Leben -oder gar Tausende von Menschenleben gerettet werden können, werden schon Etliche unsicher oder plädieren gar für die Folter und auch die Todesstrafe.
Solche Gedankenspiele beschäftigen seit je die philosophische Ethik und man findet auch Gründe für die Folter.

Demokratien haben die Wahl:

1) Den Sicherheitsbehörden gestatten, in einer Grauzone zu operieren, die ausserhalb der Reichweite des Gesetzes liegt.
2) 'Wir' können, wie schon oft geschehen/geschieht, am geltenden Recht festhalten, aber es nicht anwenden.
3) Die Staaten können gesetzliche Grundlagen dafür schaffen, was erlaubt ist und was nicht.
4) Eine Bombe wird hochgehen, die möglicherweise hätte entschärft werden können.

Ein Wertekonflikt gibt es in jedem Fall.
Was zählt mehr
-die Sicherheit und der Schutz der Bürger
-die Bürger- und die Menschenrechte
-das Prinzip der Demokratie, wonach Entscheide transparent und der Rechenschaft pflichtig sind?​

Die Augen vor diesem Dilemma zu verschliessen, löst es nicht. Auch das Nichtaussprechen des Wortes 'Folter', bzw. die Verniedlichung durch 'Prügel' nicht. Rechtsempfinden gleicht nicht automatisch Rechtsprechung.

So wie hier z.T. die Themen behandelt werden, muss die Frage erlaubt sein: Wieviele Rechtsprechungen sollten unsere Demokratien einführen? Eine nur für Terroristen geltende, eine für Kinderschänder, eine für Blutrache - oder für Muslime generell, eine für die gerechte/uns verständliche Rache, eine nur für Sadisten, eine für den sympathischen Polizisten, der nur die Wahrheit finden will und eine für denjenigen, der 'wehrlose, friedliche' Demonstranten mit Gummigeschossen traktiert, eine für Rassisten -evtl. eine separate für den schwarzen und eine für den weissen Rassismus und dann noch eine für den hochbetagten Nazi, weil sich die Gerechtigkeit nicht mehr 'rechnet'...
Gibt es zwischen den einzelnen Themen einen Zusammenhang nur in meiner Vorstellung?
Reflektiert man die Problematik entsprechend, stellt man fest, dass man sich oft zu sehr vom eigenen Gefühl leiten lässt. Das Strafmass -die Toleranzwerte-liegt gewissermassen im Bereiche der Gefühle des Richters, die Rechtsprechung darf es nicht.

Das Perfideste: Wer für die Todesstrafe plädiert, ist bereit, Töten als normale Arbeit zu akzeptieren.

Man fragt sich hier nicht, wie es einem Henker gelingt, seine Arbeit in sein Lebenskonzept zu integrieren, dabei geschieht aber im Grunde nichts anderes als bei Massenmördern. Es Bedarf nur weniger Einflüsse, um eine Gesellschaft und dann die Individuen zum 'Umschwenken' zu bringen. Unabhängig vom Bildungsgrad, Intelligenz oder hierarchischen Position haben alle Täter den Wunsch, als moralisch Handelnde angesehen zu werden.

Fakt ist, dass nach rein klinischen Kriterien z.B. nicht mal 10% der Täter in der SS als pathologisch gelten. Sadisten wie z.B. Göth waren Ausnahmen. Ein Täter hält sich höchst selten selbst für schlecht, was heisst, es genügt, selbst die übelste Tat in ein 'gutes, sozial-umweltverträgliches' Lebenskonzept zu integrieren. Genau das findet man nämlich unter den bekannten -demzufolge auch unbekannten- Massenmördern der Geschichte - integrierte Persönlichkeiten. Je pathologischer die Gesellschaft, um so einfacher, die Massstäbe von gut und böse durch massive Propaganda zu verrücken (Nazideutschland, Ruanda, Jugoslawien, Vietnam etc.) Wenn wir den gesamten normativen Rahmen nur ein wenig verschieben, wird das Töten zum gesellschaftlich erwarteten, integrierten Handeln. Mir scheint es, als würde man hier die Stabilität sozialer Ordnung überschätzen, nur weil man annimmt, dass Freiheitsgrade des eigenen Handelns objektiv gegeben sind. Es kommt aber eher darauf an, wie sie vom Täter verstanden und integriert werden in seine Interpretation der Situation, in der er sich befindet.
Zum besseren Verständnis: ich denke hier z.B. an die berühmten Gehorsamkeitsexperimente von Milgram. Niemand wurde explizit aufgefordert, jemand anderen um eines höheren Zieles wegen zu töten! Die Versuchspersonen nahmen eine Stufe nach der anderen, ziemlich unbemerkt.
Am Anfang der Vernichtung steht immer das scheinbar Harmlose. Auf der ersten Stufe gibt es meist noch gute Gründe, ES zu tun, weil diese Stufe nie den Charakter des Grauens hat. Das war auch eindeutig die Strategie der Nazis und anderer Regime. (Hier wäre es für Interessierte evtl. sinnvoll, den Thread 'NS-Vergangenheit - soll sie ruhen?' nachzulesen, dort wurde gerade diese Strategie z.T. bestritten.)
Grundsätzlich möchte jeder ein anständiger Mensch sein, aber das bedeutet, sich manchmal etwas vorzumachen. Gewaltverzicht heisst mitnichten, dass das Potential nicht vorhanden wäre. Es braucht oft auch gar nicht so viel, um auf der anderen Seite zu landen.
'Stell Dir vor, Du wärst der Andere!' -frei nach I. Kant. Wörtlich: Der Henker, der Nazi, der Jude, der Verbrecher, das Opfer, der Polizist, der Angehörige etc.

Ein historisches Beispiel sei mir noch zum Thema 'Folter' erlaubt:
1978 wurde in Italien der ehemalige Ministerpräsident Aldo Moro von Terroristen der 'Brigate rosse' entführt. Ein Polizeibeamter legte dem Polizeigeneral Carlo Della Chiesa nahe, ein inhaftiertes Mitglied der Brigate rosse zu foltern, um den Aufenthaltsort des Entführten in Erfahrung zu bringen. Della Chiesa soll geantwortet haben: 'Italien kann den Verlust von Aldo Moro verkraften, aber nicht die Einführung der Folter.' Mag es für die Angehörigen des ermordeten Moro zynisch klingen und mögen möglicherweise die Worte Della Chiesa auch politischen Zwecken gedient haben, Fakt bleibt: legitimieren wir die Folter und auch die Todesstrafe, so legitimieren wir auch Regimes, die aus ganz anderen Gründen foltern und töten. Eine Demokratie, die so viel auf ihre Werte hält, kann es sich nicht leisten, sie explizit zu negieren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Jérôme schrieb:
Della Chiesa soll geantwortet haben: 'Italien kann den Verlust von Aldo Moro verkraften, aber nicht die Einführung der Folter.'

Genau darum ging es mir.
So wertvoll ein einzelnes Opfer-Menschenleben auch ist, nicht nur abstrakt sondern erst recht für die Angehörigen - wenn wir erst anfangen, unsere Prinzipien über Bord zu werfen dann sind wir dem Abgrund näher, als wir glauben.
 
Zitat von Jérôme
Della Chiesa soll geantwortet haben: 'Italien kann den Verlust von Aldo Moro verkraften, aber nicht die Einführung der Folter.' Mag es für die Angehörigen des ermordeten Moro zynisch klingen

Es klingt nicht zynisch, es ist zynisch. Es ist menschenverachtend.

Die Menschenwürde des Täters wird höher bewertet als das Leben des Opfers.
 
Hallo Jérôme!

Es ist schön Dich wieder mal zu lesen!!

Ich bin sehr froh, dass unsere Rechtssprechung die Todesstrafe nicht (mehr) vorsieht.
Eine schwere Aufgabe, zu entscheiden/richten/bestimmen was "lebenswertes" Leben ist und was nicht!
Jérôme schrieb:
Das Perfideste: Wer für die Todesstrafe plädiert, ist bereit, Töten als normale Arbeit zu akzeptieren.
Jérôme schrieb:
Wenn wir den gesamten normativen Rahmen nur ein wenig verschieben, wird das Töten zum gesellschaftlich erwarteten, integrierten Handeln. Mir scheint es, als würde man hier die Stabilität sozialer Ordnung überschätzen, nur weil man annimmt, dass Freiheitsgrade des eigenen Handelns objektiv gegeben sind.

Drastisch ausgedrückt:" Wehe wenn sie losgelassen...!"
Das schon erwähnte "Milgram-Experiment" hat sehr gut verdeutlicht, wozu Menschen fähig sind, wenn sie gehorsam sein wollen und noch dazu ihre Verantwortung abgeben können!

Was unterscheidet einen sogenannten Todesvollstrecker (auf gut deutsch...Henker) von einem Massenmörder? ..Er erfüllt nur seine Pflicht?
 
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Wer für die Todesstrafe plädiert, ist bereit, Töten als normale Arbeit zu akzeptieren.

Eine normale Arbeit war die des Henkers noch nie. Aber es war immer jemand bereit sie auszuführen.
Wenn ich mir vorstelle, daß jemand meine Tochter viehisch mißbraucht und ermordet hat, würde ich mich selbst als Henker zur verfügung stellen.

und denjenigen, der mich dafür verurteilt oder der die Menschenwürde des Täters betont, sehe ich keineswegs als einen edlen Menschen.
 
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