Gerechte Strafe: Folter, Todesstrafe... Demokratie
Über Einzeltäter, perverse Täter, prophylaktische Massnahmen u.ä. wurde hier bereits z.T. gut und genug geschrieben.
Ich erlaube mir trotzdem, mich traurig zu wundern, lieber gar nicht über die Sinnlosigkeit meines Schreibens nachzudenken, und versuche diesem Thread, in Zusammenhang mit anderen, eine möglicherweise unerwartete Wendung zu geben.
(Liegt Gewalt in der Natur des Menschen? NS-Vergangenheit - soll sie ruhen?... könnte gewiss noch etliche andere finden.)
Wenn enthüllt wird, dass Geheimdienstagenten der USA des Terrorismus Verdächtige in einer Weise traktiert haben, die rechtsstaatliche Prinzipien verletzen oder gerne solche Leute Ländern wie Ägypten, Jordanien oder Marokko übergaben, deren Geheimdienste mit der CIA zusammenarbeiten und bei Verhören wenig zimperlich sind, schreien wir auf: 'Nur Diktaturen foltern! Die Inquisition der kath. Kirche, Hitlers Gestapo, Stalins NKWD oder die argentinische Obristen folterten, um sich der Opfer zu entledigen.'
Wenn aber ein Leben -oder gar Tausende von Menschenleben gerettet werden können, werden schon Etliche unsicher oder plädieren gar für die Folter und auch die Todesstrafe.
Solche Gedankenspiele beschäftigen seit je die philosophische Ethik und man findet auch Gründe für die Folter.
Demokratien haben die Wahl:
1) Den Sicherheitsbehörden gestatten, in einer Grauzone zu operieren, die ausserhalb der Reichweite des Gesetzes liegt.
2) 'Wir' können, wie schon oft geschehen/geschieht, am geltenden Recht festhalten, aber es nicht anwenden.
3) Die Staaten können gesetzliche Grundlagen dafür schaffen, was erlaubt ist und was nicht.
4) Eine Bombe wird hochgehen, die möglicherweise hätte entschärft werden können.
Ein Wertekonflikt gibt es in jedem Fall.
Was zählt mehr
-die Sicherheit und der Schutz der Bürger
-die Bürger- und die Menschenrechte
-das Prinzip der Demokratie, wonach Entscheide transparent und der Rechenschaft pflichtig sind?
Die Augen vor diesem Dilemma zu verschliessen, löst es nicht. Auch das Nichtaussprechen des Wortes 'Folter', bzw. die Verniedlichung durch 'Prügel' nicht. Rechtsempfinden gleicht nicht automatisch Rechtsprechung.
So wie hier z.T. die Themen behandelt werden, muss die Frage erlaubt sein: Wieviele Rechtsprechungen sollten unsere Demokratien einführen? Eine nur für Terroristen geltende, eine für Kinderschänder, eine für Blutrache - oder für Muslime generell, eine für die gerechte/uns verständliche Rache, eine nur für Sadisten, eine für den sympathischen Polizisten, der nur die Wahrheit finden will und eine für denjenigen, der 'wehrlose, friedliche' Demonstranten mit Gummigeschossen traktiert, eine für Rassisten -evtl. eine separate für den schwarzen und eine für den weissen Rassismus und dann noch eine für den hochbetagten Nazi, weil sich die Gerechtigkeit nicht mehr 'rechnet'...
Gibt es zwischen den einzelnen Themen einen Zusammenhang nur in meiner Vorstellung?
Reflektiert man die Problematik entsprechend, stellt man fest, dass man sich oft zu sehr vom eigenen Gefühl leiten lässt. Das Strafmass -die Toleranzwerte-liegt gewissermassen im Bereiche der Gefühle des Richters, die Rechtsprechung darf es nicht.
Das Perfideste:
Wer für die Todesstrafe plädiert, ist bereit, Töten als normale Arbeit zu akzeptieren.
Man fragt sich hier nicht, wie es einem Henker gelingt, seine Arbeit in sein Lebenskonzept zu integrieren, dabei geschieht aber im Grunde nichts anderes als bei Massenmördern. Es Bedarf nur weniger Einflüsse, um eine Gesellschaft und dann die Individuen zum 'Umschwenken' zu bringen. Unabhängig vom Bildungsgrad, Intelligenz oder hierarchischen Position haben alle Täter den Wunsch, als moralisch Handelnde angesehen zu werden.
Fakt ist, dass nach rein klinischen Kriterien z.B. nicht mal 10% der Täter in der SS als pathologisch gelten. Sadisten wie z.B. Göth waren Ausnahmen. Ein Täter hält sich höchst selten selbst für schlecht, was heisst, es genügt, selbst die übelste Tat in ein 'gutes, sozial-umweltverträgliches' Lebenskonzept zu integrieren. Genau das findet man nämlich unter den bekannten -demzufolge auch unbekannten- Massenmördern der Geschichte - integrierte Persönlichkeiten. Je pathologischer die Gesellschaft, um so einfacher, die Massstäbe von gut und böse durch massive Propaganda zu verrücken (Nazideutschland, Ruanda, Jugoslawien, Vietnam etc.) Wenn wir den gesamten normativen Rahmen nur ein wenig verschieben, wird das Töten zum gesellschaftlich erwarteten, integrierten Handeln. Mir scheint es, als würde man hier die Stabilität sozialer Ordnung überschätzen, nur weil man annimmt, dass Freiheitsgrade des eigenen Handelns objektiv gegeben sind. Es kommt aber eher darauf an, wie sie vom Täter verstanden und integriert werden in seine Interpretation der Situation, in der er sich befindet.
Zum besseren Verständnis: ich denke hier z.B. an die berühmten Gehorsamkeitsexperimente von Milgram. Niemand wurde explizit aufgefordert, jemand anderen um eines höheren Zieles wegen zu töten! Die Versuchspersonen nahmen eine Stufe nach der anderen, ziemlich unbemerkt.
Am Anfang der Vernichtung steht immer das scheinbar Harmlose. Auf der ersten Stufe gibt es meist noch gute Gründe, ES zu tun, weil diese Stufe nie den Charakter des Grauens hat. Das war auch eindeutig die Strategie der Nazis und anderer Regime. (Hier wäre es für Interessierte evtl. sinnvoll, den Thread 'NS-Vergangenheit - soll sie ruhen?' nachzulesen, dort wurde gerade diese Strategie z.T. bestritten.)
Grundsätzlich möchte jeder ein anständiger Mensch sein, aber das bedeutet, sich manchmal etwas vorzumachen. Gewaltverzicht heisst mitnichten, dass das Potential nicht vorhanden wäre. Es braucht oft auch gar nicht so viel, um auf der anderen Seite zu landen.
'Stell Dir vor, Du wärst der Andere!' -frei nach I. Kant. Wörtlich: Der Henker, der Nazi, der Jude, der Verbrecher, das Opfer, der Polizist, der Angehörige etc.
Ein historisches Beispiel sei mir noch zum Thema 'Folter' erlaubt:
1978 wurde in Italien der ehemalige Ministerpräsident Aldo Moro von Terroristen der 'Brigate rosse' entführt. Ein Polizeibeamter legte dem Polizeigeneral Carlo Della Chiesa nahe, ein inhaftiertes Mitglied der Brigate rosse zu foltern, um den Aufenthaltsort des Entführten in Erfahrung zu bringen. Della Chiesa soll geantwortet haben: 'Italien kann den Verlust von Aldo Moro verkraften, aber nicht die Einführung der Folter.' Mag es für die Angehörigen des ermordeten Moro zynisch klingen und mögen möglicherweise die Worte Della Chiesa auch politischen Zwecken gedient haben, Fakt bleibt: legitimieren wir die Folter und auch die Todesstrafe, so legitimieren wir auch Regimes, die aus ganz anderen Gründen foltern und töten. Eine Demokratie, die so viel auf ihre Werte hält, kann es sich nicht leisten, sie explizit zu negieren.