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Mein Business in der Lebensberatung

Ich erlaube mir mal, etwas OT zu sein:

Stimmt, aber ich kann mich auch an die 90er erinnern, als man sich verwundert zeigte, dass manche Praktikanten bei Rechnungen, wo sie beispielsweise verschiedene Artikelpreise eines Supermarkteinkaufs addieren und sodann die Gesamtsumme nennen mussten auf eine Zahl von DM 21.782.583.366,19 kamen und dieses Ergebnis nicht hinterfragten. "Das kommt beim Taschenrechner raus!".

Meine Kandidaten hinterfragen ganz andere Dinge nicht.
Einen (damals noch Azubi, aber durchaus mit Jahren an Küchenerfahrung) habe ich angewiesen: Schäl mir bitte 2 kg Kartoffeln. Diese Menge wird ein erfahrener Koch einfach schätzen - etwa der Beutel, den man im Supermarkt kauft, geht dabei ja nicht um 100g hin oder her.
Will man es ganz korrekt machen, dann wiegt man es aus. Es stehen ja auch genug Waagen herum.
Ich musste in einen andere Abteilung, brauchte da länger ... da war er dann noch immer am Schälen. Nur waren es mittlerweile 20 kg.
Und wenn ich nicht Stopp gerufen hätte, dann schälte er noch heute.

Ja, einzelne Praktikanten konnten auch nicht einmal mit dem Faktor 10 Multiplizieren.
"17 mal 10 - wieviel ist das?"
"Kann ich dazu den Taschenrechner nehmen?"

Jakob, mittlerweile Jungkoch, kann nicht einmal einfachste Rechenaufgaben im Kopf lösen: Vor dir stehen 6 Bleche Quiche, für die brauchen wir Royal. Royal besteht zur Hälfte aus (Flüssig-)Eigelb, zur Hälfte aus Sahne. Pro Blech brauchen wir 1 Liter Royal. Wieviel Royal brauchen wir, wieviel Eigelb und Sahne brauchen wir?
So eine Aufgabe kann Jakob nicht lösen. Er rät dann irgend etwas, meistens falsch.

Wir hatten auch früher schon einfach gestrickte Seelen, das ist im Kochberuf so. Aber die hatten dann wenigstens mal eine gewisse Bauernschläue.
Im genannten Fall hatte ich nämlich die Packerl bereits auf dem Tisch stehen. Also, da kann man einfach mal rüberblinzeln, was hat er denn da stehen? Und das als Antwort nennen, hätte ich zwar gemerkt, aber das hätte mir dann auch gereicht.

Aber auf so eine Idee kommt Jakob gar nicht erst. Übrigens auch dann nicht, nachdem ich ihm gesagt habe: Das nächste Mal, wenn ich Dir diese oder eine ähnliche Frage stelle und Du weisst die Antwort nicht: Dann schaust Du halt mal, was ich da bereits auf dem Tisch stehen habe, und nennst mir einfach das. Mehrmals nicht.
Er ist gar nicht in der Lage, solche Bezüge überhaupt herstellen zu können. Für ihn ist das so, als ob da eine Blumenvase stünde, oder ein Bild mit meiner Mutter darauf.

In meiner Branche, meinem Beruf ist das heutzutage so:
Es ist eine anstrengende körperliche Arbeit, die den Menschen ganz fordert: Physisch, psychisch und auch mental. Das war schon immer so (und wird sich so bald auch nicht ändern, eher im Gegenteil).
Deshalb gibt es auch immer weniger Menschen, die sie tun wollen - wenn sie andere Chancen haben. Da alle Branchen Azubis und Nachwuchs suchen, wählen die helleren Köpfchen halt andere Branchen ... von ein paar Enthusiasten mal abgesehen.

Übrig bleiben uns jene, die mit dem Euphemismus "Lernbehinderung" etikettiert werden. Als ich selbst jung war, hätten diese Menschen kaum eine Chance auf eine Ausbildung gehabt. Sie wären als Hilfsarbeiter in der Fabrik gelandet. Heute gibt es die Fabriken in Deutschland nicht mehr, und die Hilfsarbeiter auch nicht. Außerdem ist es der erklärte Wunsch der Gesellschaft, auch diesen Sorgenkindern eine Ausbildung zu geben, meinetwegen auch unter dem Stichwort "Inklusion".

Im Grunde finde ich das auch richtig, nur ist es eben auch reines, naives Wunschdenken zu glauben: Man bringt diese jungen Menschen in die Ausbildung und dann wird das schon.
Die Defizite sind dann einfach zu groß, in der Allgemeinbildung, im Intellekt - selbst für den "kochen kann doch jeder" - Kochberuf..........
Diese Kandidaten schaffen ihre Prüfungen dann meist erst im dritten Anlauf, denn da wird sie ihnen dann großzügigerweise und augenzwinkernd geschenkt.

Nur, was kommt danach?
Jakob hat das Glück gehabt, in einem kommerziellen, großen und letztlich sozialen Betrieb gelandet zu sein. Er hat durchaus auch positive Eigenschaften, menschlich, sozial, er ist loyal, zuverlässig und auch fleissig. In einem großen Betrieb geht das schon irgendwie ... wenn das Verhältnis von professionellen und unprofessionellen Mitarbeitern nicht zu sehr aus dem Ruder läuft, und das passiert in unserer Branche gerade.

Denn es gibt kaum noch Deutsche und kaum noch Gelernte, die es tun. Und die, dies es tun, sind alt, wie ich. Denn die große Mehrheit sind dann angelernte Mitarbeiter ohne Ausbildung, aus Albanien, aus Kurdistan, aus Bulgarien, aus Afrika ... teils mit schlechten Kenntnissen der deutschen Sprache ... ungebildet ...

Dabei ist der Anspruch an diese Arbeit eher noch gestiegen. Zum Einen das heutzutage internationale Publikum bei den großen Banketten, von den Firmen. Die sind dann gern mal der Meinung, wir müssten auch eine ihre 17 Sprachen sprechen und schwallern mich mit ihrem Abbruzen-Italienisch-Dialekt voll (ich selbst spreche 2 Fremdsprachen mehr oder weniger fließend).
Oder es kommen alle mit ihren Hirnfürzen an Nahrungs-Befindlichkeiten daher, Allergien, Gluten, Laktose, vegan ... ich selbst kenne mich damit aus, ich beschäftige mich seit 30 Jahren mit Ernährungswissenschaft (nur wollen sie dann meine Meinung eher nicht hören).
Aber was können sie denn von dem albanischen Küchenhelfer erwarten, den wir hinter das Buffet stellen (müssen)?
Aber dennoch: Sie schuften wenigstens fleissig & zuverlässig, die Albaner. Und deshalb lasse ich auf sie auch nichts kommen.

Ich sehe es so wie beim Klimawandel wie generell in der Menschheitsgeschichte. Der menschliche Intellekt ist darauf ausgerichtet, Probleme zu lösen und nicht, sie zu vermeiden. Daher, wenn die von dir geschilderten Probleme tatsächlich auftreten, wird die Menschheit entsprechend reagieren und Lösungen dafür entwickeln.

Wie ich bereits schrub: Es wird nach wie vor diese Menschen geben, die kreative Lösungen finden.
Nur wie werden diese Lösungen aussehen?

Mich bringen z.B. Geräte auf die Palme, die immer den DAU (dümmster anzunehmender User) zum Standard machen. Ich brauche keine Herdplatte, die das Piepen anfängt, wenn ich den Topf von der Platte ziehe. Das weiß ich auch so. Stattdessen fühle ich mich durch eine solche Technologie bevormundet.
Man kann auch auf ein Küchenmesser einen Aufkleber bappen: "Mit diesem Messer können Sie sich ganz schlimm verletzten!"
Ach was, da wäre ich gar nicht darauf gekommen! Gut, das Du mir das sagst!

Man kann auch seine ganze (Arbeits-)Umgebung mit Hinweisschildern zukleistern: Tu dies nicht, tu jenes nicht. Achtung! Die Verwendung des Programms PowerPoint kann ihr ästhetisches Empfinden schwer beschädigen!
Ich halte von solchen "Lösungen" nichts.
Es handelt sich nur um "ich hab's Dir doch gesagt!" oder "Lizenz zum Anscheissen, da steht es doch!" - Lösungen.

Denn in der Wahrnehmung der Menschen ist auch ein Hinweisschild nach nur einer Woche nicht mehr als ein Bild der Mona Lisa: Es hängt da eben ...
Wenn Du die Menschen verändern willst, dann musst Du ihr Bewusstsein verändern, denn erst dann wird es nachhaltig.
 
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Ich erlaube mir mal, etwas OT zu sein:



Meine Kandidaten hinterfragen ganz andere Dinge nicht.
Einen (damals noch Azubi, aber durchaus mit Jahren an Küchenerfahrung) habe ich angewiesen: Schäl mir bitte 2 kg Kartoffeln. Diese Menge wird ein erfahrener Koch einfach schätzen - etwa der Beutel, den man im Supermarkt kauft, geht dabei ja nicht um 100g hin oder her.
Will man es ganz korrekt machen, dann wiegt man es aus. Es stehen ja auch genug Waagen herum.
Ich musste in einen andere Abteilung, brauchte da länger ... da war er dann noch immer am Schälen. Nur waren es mittlerweile 20 kg.
Und wenn ich nicht Stopp gerufen hätte, dann schälte er noch heute.



Jakob, mittlerweile Jungkoch, kann nicht einmal einfachste Rechenaufgaben im Kopf lösen: Vor dir stehen 6 Bleche Quiche, für die brauchen wir Royal. Royal besteht zur Hälfte aus (Flüssig-)Eigelb, zur Hälfte aus Sahne. Pro Blech brauchen wir 1 Liter Royal. Wieviel Royal brauchen wir, wieviel Eigelb und Sahne brauchen wir?
So eine Aufgabe kann Jakob nicht lösen. Er rät dann irgend etwas, meistens falsch.

Wir hatten auch früher schon einfach gestrickte Seelen, das ist im Kochberuf so. Aber die hatten dann wenigstens mal eine gewisse Bauernschläue.
Im genannten Fall hatte ich nämlich die Packerl bereits auf dem Tisch stehen. Also, da kann man einfach mal rüberblinzeln, was hat er denn da stehen? Und das als Antwort nennen, hätte ich zwar gemerkt, aber das hätte mir dann auch gereicht.

Aber auf so eine Idee kommt Jakob gar nicht erst. Übrigens auch dann nicht, nachdem ich ihm gesagt habe: Das nächste Mal, wenn ich Dir diese oder eine ähnliche Frage stelle und Du weisst die Antwort nicht: Dann schaust Du halt mal, was ich da bereits auf dem Tisch stehen habe, und nennst mir einfach das. Mehrmals nicht.
Er ist gar nicht in der Lage, solche Bezüge überhaupt herstellen zu können. Für ihn ist das so, als ob da eine Blumenvase stünde, oder ein Bild mit meiner Mutter darauf.

In meiner Branche, meinem Beruf ist das heutzutage so:
Es ist eine anstrengende körperliche Arbeit, die den Menschen ganz fordert: Physisch, psychisch und auch mental. Das war schon immer so (und wird sich so bald auch nicht ändern, eher im Gegenteil).
Deshalb gibt es auch immer weniger Menschen, die sie tun wollen - wenn sie andere Chancen haben. Da alle Branchen Azubis und Nachwuchs suchen, wählen die helleren Köpfchen halt andere Branchen ... von ein paar Enthusiasten mal abgesehen.

Übrig bleiben uns jene, die mit dem Euphemismus "Lernbehinderung" etikettiert werden. Als ich selbst jung war, hätten diese Menschen kaum eine Chance auf eine Ausbildung gehabt. Sie wären als Hilfsarbeiter in der Fabrik gelandet. Heute gibt es die Fabriken in Deutschland nicht mehr, und die Hilfsarbeiter auch nicht. Außerdem ist es der erklärte Wunsch der Gesellschaft, auch diesen Sorgenkindern eine Ausbildung zu geben, meinetwegen auch unter dem Stichwort "Inklusion".

Im Grunde finde ich das auch richtig, nur ist es eben auch reines, naives Wunschdenken zu glauben: Man bringt diese jungen Menschen in die Ausbildung und dann wird das schon.
Die Defizite sind dann einfach zu groß, in der Allgemeinbildung, im Intellekt - selbst für den "kochen kann doch jeder" - Kochberuf..........
Diese Kandidaten schaffen ihre Prüfungen dann meist erst im dritten Anlauf, denn da wird sie ihnen dann großzügigerweise und augenzwinkernd geschenkt.

Nur, was kommt danach?
Jakob hat das Glück gehabt, in einem kommerziellen, großen und letztlich sozialen Betrieb gelandet zu sein. Er hat durchaus auch positive Eigenschaften, menschlich, sozial, er ist loyal, zuverlässig und auch fleissig. In einem großen Betrieb geht das schon irgendwie ... wenn das Verhältnis von professionellen und unprofessionellen Mitarbeitern nicht zu sehr aus dem Ruder läuft, und das passiert in unserer Branche gerade.

Denn es gibt kaum noch Deutsche und kaum noch Gelernte, die es tun. Und die, dies es tun, sind alt, wie ich. Denn die große Mehrheit sind dann angelernte Mitarbeiter ohne Ausbildung, aus Albanien, aus Kurdistan, aus Bulgarien, aus Afrika ... teils mit schlechten Kenntnissen der deutschen Sprache ... ungebildet ...

Dabei ist der Anspruch an diese Arbeit eher noch gestiegen. Zum Einen das heutzutage internationale Publikum bei den großen Banketten, von den Firmen. Die sind dann gern mal der Meinung, wir müssten auch eine ihre 17 Sprachen sprechen und schwallern mich mit ihrem Abbruzen-Italienisch-Dialekt voll (ich selbst spreche 2 Fremdsprachen mehr oder weniger fließend).
Oder es kommen alle mit ihren Hirnfürzen an Nahrungs-Befindlichkeiten daher, Allergien, Gluten, Laktose, vegan ... ich selbst kenne mich damit aus, ich beschäftige mich seit 30 Jahren mit Ernährungswissenschaft (nur wollen sie dann meine Meinung eher nicht hören).
Aber was können sie denn von dem albanischen Küchenhelfer erwarten, den wir hinter das Buffet stellen (müssen)?
Aber dennoch: Sie schuften wenigstens fleissig & zuverlässig, die Albaner. Und deshalb lasse ich auf sie auch nichts kommen.
Danke für die ausführliche Beschreibung des Problems. Man merkt, dass du da ausreichend Erfahrung machen "durftest".
Wie ich bereits schrub: Es wird nach wie vor diese Menschen geben, die kreative Lösungen finden.
Nur wie werden diese Lösungen aussehen?

Mich bringen z.B. Geräte auf die Palme, die immer den DAU (dümmster anzunehmender User) zum Standard machen. Ich brauche keine Herdplatte, die das Piepen anfängt, wenn ich den Topf von der Platte ziehe. Das weiß ich auch so. Stattdessen fühle ich mich durch eine solche Technologie bevormundet.
Man kann auch auf ein Küchenmesser einen Aufkleber bappen: "Mit diesem Messer können Sie sich ganz schlimm verletzten!"
Ach was, da wäre ich gar nicht darauf gekommen! Gut, das Du mir das sagst!

Man kann auch seine ganze (Arbeits-)Umgebung mit Hinweisschildern zukleistern: Tu dies nicht, tu jenes nicht. Achtung! Die Verwendung des Programms PowerPoint kann ihr ästhetisches Empfinden schwer beschädigen!
Ich halte von solchen "Lösungen" nichts.
Es handelt sich nur um "ich hab's Dir doch gesagt!" oder "Lizenz zum Anscheissen, da steht es doch!" - Lösungen.
Ja, politisch findet die Freistellung von jeglicher Verantwortung für den Einzelnen großen Anklang.
Die, die das ausbaden müssen sind jeweils in der Minderheit - also rechnet sich das für einen Politiker.
Denn in der Wahrnehmung der Menschen ist auch ein Hinweisschild nach nur einer Woche nicht mehr als ein Bild der Mona Lisa: Es hängt da eben ...
Wenn Du die Menschen verändern willst, dann musst Du ihr Bewusstsein verändern, denn erst dann wird es nachhaltig.
Schwirrig, schwirrig!
 
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Danke für die ausführliche Beschreibung des Problems. Man merkt, dass du da ausreichend Erfahrung machen "durftest".

Ich habe rund 1,5 Jahre in einem Inklusionsbetrieb gearbeitet. Etwa 70% der Mitarbeiter (21) waren Menschen mit Behinderung, manche von ihnen schwer. Es handelte sich um ein kommerzielles Unternehmen und nicht etwa eine Behindertenwerkstatt. Ursprünglich wollte man da bei einem maximalen Anteil von 50% der Besonderen, wie wir sie nannten, landen - aber es kam anders.
Wir waren durchaus kommerziell erfolgreich, vor allem mit Caterings.
Die Qualität muss natürlich stimmen, aber die Tatsache, dass wir ein Inklusionsbetrieb waren, hat dann insbesondere für Kunden der Politik, der Öffentlichen Hand oder auch der Gewerkschaften einen gewissen Reiz. Da können sie dann in ihren Reden punkten ...

Anfangs wusste ich nicht so recht, wie ich mich gegenüber den Besonderen verhalten sollte, aber das änderte sich schnell.
Es hat meinen Blickwinkel auf Menschen mit Behinderung verändert. Das Konzept der Inklusion ist im Prinzip richtig, wird aber von der Gesellschaft mangelhaft umgesetzt. Firmen, die versuchen dieses Modell umzusetzen, haben die Nachteile des Konzepts zu tragen, werden ansonsten aber völlig auf sich selbst gestellt zurück gelassen.

Auch im Sozialen und Psychischen ist das manchmal schwer. Eine Besondere, nennen wir sie hier einfach mal Petra, hat in meiner Zeit da geistig systematisch immer weiter abgebaut. Damit einher ging eine stetige Verlangsamung auch der Motorik, und wenn dann nur mal einer an ihr vorbeiging, dann war sie bereits wieder für eine Minute oder zwei völlig abgelenkt (starrt dann Löcher in die Luft).
Für so jemanden gibt es dann auch in einer Küche irgendwann keine Arbeiten mehr, die man Petra noch geben kann. Man ließ sie Besteck polieren, und wenn ich mal neben ihr Besteck polierte, dann war ich rund 6x so schnell wie sie. Ein Besteckkorb, für den ich also 10 Minuten brauche, für den brauchte sie dann eine Stunde.

Natürlich gab es Gespräche mit der Familie, aber die waren dann, wie oft in solchen Fällen, beratungsresistent. Man widersprach und redete sich das Problem mit der rosa Brille schön. Ein Mensch wie Petra ist dann im Grunde arbeitsunfähig, wie es auch andere Menschen aus anderen Gründen eben sind.
Spielt aber die Familie da nicht mit, vllt. auch, weil für Petra auch genauso der Mindestlohn gezahlt werden muss ... über den sie wohl kaum frei verfügen konnte ... dann kann es da keine Veränderung geben, wie etwa die Verlegung in eine Behindertenwerkstatt.
Also geht es dann, wie immer, doch wieder nur ums Geld und weniger um die humanitären Ziele, die man sich da auf die Fahnen geschrieben hat.

Ja, politisch findet die Freistellung von jeglicher Verantwortung für den Einzelnen großen Anklang. Die, die das ausbaden müssen sind jeweils in der Minderheit - also rechnet sich das für einen Politiker.

Konstruieren wir doch einmal so einen Fall:
Ein Gastwirt füllt einen jungen Mann mit viel zu viel Schnaps ab, und der junge Mann stirbt daraufhin an einer Alkoholvergiftung. Der Fall gerät in der Saure-Gurken-Zeit in die Presse, und die Republik regt sich darüber auf. Wie konnte das denn passieren?
Wie das Teufelchen aus der Box geschossen kommt, wird irgendein Politiker irgendeiner Partei aufstehen und Wir brauchen da ein neues Gesetz! in den öffentlichen Raum brüllen.

Nein, das brauchen wir nicht, ein neues Gesetz. Denn Gesetze, die so etwas regeln, die gibt es schon lange. Sehr lange, vielleicht sogar noch aus der Kaiserzeit. Außerdem ändert ein Gesetz für sich allein gar nichts. Vielmehr müssen Menschen es befolgen und es muss Beamte geben, die es verfolgen, wenn es nicht befolgt wird.
Aber ein neues Gesetz, das ist für einen Politiker ja immer prima. Da kann er in der Öffentlichkeit punkten, der tut ja was, und vor allem: Es kostet nichts.

Schwirrig, schwirrig!

Oder man muss das Bewusstsein der Menschen für etwas verändern.
Sicher ist das kein einfacher Weg. Aber wie schrub einst bereits der Römer Seneca: Nicht weil es schwer ist, versuchen wir es nicht - sondern weil wir es nicht versuchen, ist es schwer.

Der Versuch, das Bewusstsein der Menschen für etwas zu verändern ist langwierig, erklärungsbedürftig und von Rückschlägen begleitet. Schafft man es aber, dann sind die erwünschten Ziele auch von Dauer. Und nicht reine Maßnahmen der Autorität, die ihre Wirkung verfehlen, sobald man den Beteiligten nur den Rücken zugewandt hat.

Ordnet man immer nur alles an, dann macht man die Menschen zu reinen Befehlsempfängern. Nur kann kein Mensch alles immer erschöpfend anordnen, und wenn sich Menschen als Befehlsempfänger fühlen, dann handeln sie auch wie solche. Sie machen dann nur Dienst nach Vorschrift oder eben auch einfach gar nichts.
 
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