• Willkommen im denk-Forum für Politik, Philosophie und Kunst!
    Hier findest Du alles zum aktuellen Politikgeschehen, Diskussionen über philosophische Fragen und Kunst
    Registriere Dich kostenlos, dann kannst du eigene Themen verfassen und siehst wesentlich weniger Werbung

Keiji Nishitani

T

_tiLL

Guest
Alle Dinge in der Welt sind in der einen oder anderen Weise miteinander verknüpft. Es gibt kein einziges Ding, das beziehungslos zu allen anderen Dingen entstanden ist. Der wissenschaftliche Verstand sieht hier das Gesetz der notwendigen Kausalität; die schöpferische Einbildungskraft in Mythos und Poesie stellt sich darin eine organische, lebendige Verflechtung vor; die philosophische Vernunft erschaut darin das absolut Eine. In noch wesentlicherer Sicht gilt es hier jedoch, des Systems der "wechselseitigen Durchdringung" gewahr zu werden, in dem, auf dem Feld der Leere, alle Dinge füreinander gleichzeitig Herr und Knecht sind.

Das war ein Ausschnitt aus dem Buch "Was ist Religion?" des japanischen Philosophen Keiji Nishitani. Bei der "wechselseitige Durchdringung" (japanisch: "e-go") handelt es sich um ein Prinzip aus dem Buddhismus, das man auch mit den Worten "alles ist eins" zusammenfassen könnte. An einer anderen Stelle schreibt Keiji Nishitani dazu:

Und dies wiederum meint, dass jedes einzelne, indem es auf seinem eigenen Platz steht, zugleich auf dem eigenen Platz alles Seienden ist, und umgekehrt, dass jedes einzelne bei sich selbst ist in einer Weise, dass es bei allen Dingen zuhause ist.

Ich möchte nun die Tiefe dieses Gedankens ans Tageslicht bringen, indem ich ihn mit eigenen Gedanken in Verbindung setze, eine Brücke schlage von der bildlichen Botschaft zu konkreten Ideen.

Das kausale Universum muss einen Ursprung besitzen. Ich definiere hierbei "Universum" tatsächlich als alles - ganz egal wie dieses Alles, die Welt auch korrekt heißen mag. Ich nenne es kausal, da ich zum besseren Verständnis zunächst nur diesen Teil beleuchten will, um das Modell später auf metaphysisches zu erweitern.
Nach dem Ursprung des Universums lässt sich in einer unendlich langen Warum-Kette fragen. Woher kommt die Erde, woher das Sonnensystem, warum entstand unsere Galaxie, warum gab es den Urknall, warum waren die Vorraussetzungen für den Urknall gegeben... usw.. Man muss eigentlich in die Unendlichkeit fragen.

Setzt man nun irgendwo einen Anfangspunkt, so ist dieser mehr oder weniger willkürlich. Doch man mag sich zur modellhaften Anschauung damit zufrieden geben.
Dieser Anfangspunkt könnte beispielsweise die gesamte Materie sein, die sich ja nach einer Theorie beim Urknall auf einem einzigen Punkt befunden haben soll. Aus diesem Punkt ist nun das gesamte Universum kausal hervorgegangen. D.h. das Universum sieht heute genau so aus, wie es aussieht, weil dieses eine Objekt damals genau so ausgesehen hat, wie es aussah. Man könnte auch sagen, das Universum sei in diesem Objekt bereits "definiert", denn wäre es anders gewesen, wäre auch das gesamte Universum heute anders.
Legt man den Punkt des Ursprungs nun tiefer in der Zeit, ist auch hier wieder das gesamte Universum enthalten. Das interessante ist, dass wenn der spätere (angebliche) Ursprungspunkt anders wäre, der frühere (tatsächliche) Ursprungspunkt auch anders hätte sein müssen, er also auch im späteren "definiert" ist. Die zeitliche Reinfolge spielt also überraschenderweise überhaupt keine Rolle, in beiden Punkten ließe sich das gesamte Universum "ablesen".

Blickt man von außen auf die Zeit, beschaut also alle Zeiten gleichzeitig wie in einem Raum, wird deutlich, dass man jeden Punkt als so einen solchen Ursprungspunkt ansehen kann. Aufgrund der unendlichen Zeit und der unbegreifbaren Komplexität kann man sagen, dass letztendlich jeder einzelne Punkt mit jedem in Zusammenhang steht. Aus jedem Punkt kann man den Rest des Universums ablesen, denn wäre er anders, müsste auch der Rest des Universums anders daraus hervorgehen bzw. anders sein, um ihn hervor gebracht zu haben. Es ist wie bei einem Fraktal, indem man, wenn man einen einzelnen Punkt ändern wollte, das gesamte Fraktal ändern muss.
In dieser ersten Perspektive(1) legt also ein einzelnes, beliebiges Objekt das gesamte Universum durch seine Seinsweise fest. Doch es gibt noch eine zweite Perspektive(2): ein einzelnes Objekt wird durch das gesamte restliche Universum bestimmt - denn wäre das (restliche) Universum anders, würde das einzelne Objekt, das durch es erschaffen wurde, ja anders aussehen. Auch diese Perspektive funktioniert wieder in beide zeitlichen Richtungen: Die Betrachtungsweise, die Zeit als Raum zu sehen, ist sehr wohl möglich.
Zusammenfassend kann man sagen, dass zwei Perspektiven entstehen, weil das Universum kein endgültiges Ursprungsobjekt haben kann.

Was ich hier als Objekt bezeichne, kann beliebig gefasst sein - eine Galaxie oder ein Planet beispielsweise - , also auch aus mehreren Einzelteilen bestehen. Die Perspektive auf die Welt, in der wir die Unerklärlichkeit des Grundes erkennen, das absolute Unwissen über das Prinzip der Welt also eingestehen, in der wir unendlich oft "Warum?" fragen, nennt Nishitani das Feld der Leere. Alles was hier über die Aufteilung in Perspektive eins und zwei steht, muss aus dieser Perspektive betrachtet gelesen werden. Das ist sehr wichtig im Kopf zu behalten, denn es handelt sich nicht um die gewöhnliche Perspektive eines Menschen.
Nehmen wir nun einmal einen Menschen als aus diesen Perspektiven zu betrachtendes Objekt. Es ergeben sich zwei sehr interessante Perspektiven: 1) Der Mensch, als frei handelndes Individuum, wirkt kreativ in der Welt. 2) Der Mensch als Kind des Universums definiert sich durch nichts anderes als seinem Umfeld, wird vollkommen durch es bestimmt - und im Grunde auch durch das gesamte, restliche Universum. Die Lösung dieses Paradoxons muss im Subjektiven, im Geistigen liegen, das sich aber gegen ein rationales verstehen sträubt.

Dass ein Ding nicht es selbst ist, besagt, dass es, ohne aufzuhören es selbst zu sein, auf dem ureigenen Grund aller anderen Dinge ist, bildlich gesprochen, dass seine Wurzeln den Grund aller anderen Dinge erreicht und sich in diesem ausgebreitet haben, dass es immer schon ein Moment ist, das alle anderen Dinge unterstützt, sie sich aufrichten lässt, sie sein lässt, indem es auf ihr "Sein" als Element einwirkt. Dass ein Ding es selbst ist, meint, dass alle anderen Dinge, ohne aufzuhören, bei sich zu sein, im ureigenen Grund dieses Dinges sind. Genau genommen, sind dort, wo ein Ding auf seinem Platz ist, auch alle anderen Dinge anwesend, indem sie ihre Wurzeln in dessen Grund treiben.
(Keiji Nishitani)


Am Ende möchte ich noch das interessante Wortspiel erwähnen, dass sich das japanische Wort "e-go" fast wie das deutsche "Ego" schreibt. Mich hat das auf die Idee gebracht, diese an sich unterschiedlichen Gedanken miteinander in Verbindung zu bringen. Das Prinzip "e-go" weißt einen ja gerade dazu an sein Selbst als naturgegebenes anzuerkennen. Die Vorstellung vom "Ego" hingegen drückt eindeutig aus, dass es einen inneren "Feind" gibt, der besiegt werden muss. Diese Einstellung kommt meines Erachtens deshalb zustande, weil die Individualität im ost-asiatischen Kulturkreis noch nicht so hoch geschätzt wird, wie in Europa. Erst ein so kompliziertes und tiefes System wie das des "e-go" vereint diese Gegensätze.

Wirklich verstehen kann man es aber erst durch das erwähnte, totale Hinterfragen des metaphysischen Grundes - dem Feld der Leere. Das Feld der Leere ist kein Prinzip, dass auf den Nihilismus hinausläuft. Es ist vielmehr ein Prinzip, dem alles Wissen untergeordnet ist. Wenn man sich der totalen Unwissenheit über den Weltengrund bewusst wird, bleibt immer noch das Erleben (und zwar das ganz gewöhnliche!) zurück. Dieses Erleben ist letztendlich die Wahrheit - und es muss natürlich auch der metaphysischen Wahrheit entsprechen.

mfg
tiLL
 
Werbung:
Hallo _tiLL,
du versuchst das Problem, über das Keji Nishitani schreibt, rational-philosophisch aufzuschlüsseln. Hättest du dein erstes Zitat durchgelesen, wäre dir aufgefallen, dass dieser Weg gar nicht zum Erfolg führen kann. Nishitani hingegen spricht von einer „noch wesentlicherer Sicht“ als der philosophischen Herangehensweise.
Das zweite Zitat spricht für sich selbst: „Und dies wiederum meint, dass jedes einzelne, indem es auf seinem eigenen Platz steht, zugleich auf dem eigenen Platz alles Seienden ist, und umgekehrt, dass jedes einzelne bei sich selbst ist in einer Weise, dass es bei allen Dingen zuhause ist.“ Da scheint nicht die materielle Ebene von Ursache und Wirkung gemeint zu sein, von der du in deinem Aufsatz ganz offensichtlich sprichst.
Am Ende versuchst du noch einen Vergleich zum Ego an den Ohren herbei zu ziehen. Das finde ich nicht nur dümmlich, sondern auch frech. Es ist sicher nicht möglich, eine tiefe Idee, wie die des Ego, auf ein relativ oberflächlichen Kulturunterschied zurückzuführen.

Mit freundlichen Grüßen
Jing
 
Zurück
Oben