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Haben oder Sein

EccePrometheus

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Registriert
27. Februar 2004
Beiträge
8
Ich les grad das Büchlein "Haben oder Sein" von Erich Fromm und würd gern wissen, ob jemand es gelesen und/oder mir seine Meinung darüber kund tun will!


Hat sich die Gesellschaft in den letzten 20 Jahren seit der Veröffentlichung gewandelt?
 
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Haben und Sein

"Büchlein"... Liest du sonst die 1000-Seiten-Schinken der russischen Romanautoren? :D

Tach erst mal und herzlich willkommen hier im Forum! :winken1:

Die Gesellschaft hat sich schon sehr verändert - sie ist nicht mehr so spießig, ist toleranter - z.B. was sexuelle Vorlieben betrifft... Die Gesellschaft ist lockerer geworden. Das liegt aber nicht so sehr an Erich Fromm, das liegt wohl mehr an der Kulturrevolte der 60er, an der Beat-, Pop-, Rockmusik und der Kultivierung des Dialogs und der Kritik. Fromm ist ein Teil dieser Revolte.
Sind wir nun mehr auf "Sein" als auf "Haben" fixiert? Da würde ich sagen: Im großen Schnitt - nein! Eine entfremdete Arbeitswelt fordert immer noch den Fetisch "Ware" als seinen Tribut... "Entfremdet" ist die Arbeit, weil sie sich an der Kapitalverwertung orientert, aber nicht in erster Linie an der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung.
Die Leute arbeiten lieber für einen Zweitfernseher und Drittwagen. Mit Freizeit wüssten die meisten gar nichts rechtes anzufangen. Oder?

Gysi
 
Hallo, Prometheus!

Zunächst sei hier begrüßt. Fromm gehört zu den Philosophen, die meine Weltsicht entscheidend geprägt haben. Und da vor allem das von Dir erwähnte Werk.

Nun führt es zu weit, wenn wir beide hier im Schnellverfahren uns gegenseitig Erkanntes zitzerlweise mitteilten. Die genaue Lektüre liegt bei mir schon 20 Jahre zurück.

Ich möchte Dir nur sagen: schon dadurch, dass Fromm uns Menschen als grundsätzlich des Habens Bedürftige darstellt ( Kind hat die Mutter, weil es ohne sie buchstäblich nicht leben kann – säugen): dieses Habenmüssen in existenziellen Fragen auch nicht in Frage stellt: Luft zum Atmen – geistig, ja es gleichsam als Vorstufe zum Sein darstellt, ist bei ihm die Existenzstufe Sein als Weiterentwicklung der Habenstufe anzusehen.

Individuell gesehen hält Fromm das Streben nach Glück – Hedonismus – für die legitimste Sinngebung. Und hier setzt er – meiner Erinnerung nach – auch an, die beiden unterschiedlichen Sinnweisen des Menschen – und in der Folge die gesellschaftlichen Modelle, die durch sie verkörpert werden – zu unterscheiden. Die Welt des Habens leitet auch sehr oft in die Welt der Gewalt. Verteidigung des Besitzes!
Ängstliche Menschen, die Orientierung im Gewohnten brauchen, deren äußerer Rahmen Besitz ist, müssen jeden Aufbruch in die Freiheit, ins Unbekannte als Bedrohung empfinden. Sie müssen haben um zu sein .Sie greifen an, um nichts verlieren zu müssen.
Menschen, die in ihrer Individuation gelernt haben, loszulassen ( Besitz/ Beziehungen) erlangen schon so eine größere Beweglichkeit und Aufgeschlossenheit. Sie sind hier und jetzt zu Neuem bereit . Sie suchen Lustgewinn auch im Unbekannten. Daher sind sie, um zu sein.

Habenmenschen haben den Kapitalismus begründet und verteidigen diese ökonomische Form der Existenz.
Seinmenschen sind auch im Besitze von gesellschaftlichen Utopien:
Dazu ein Zitat aus dem Werk:
„Um ein am Sein orientierte Gesellschaft aufzubauen, müssen alle ihre Mitglieder sowohl ihre ökonomischen wie ihre politischen Funktionen aktiv wahrnehmen.Das heißt, dass wir uns aus der Existenzweise des Habens nur befreien können, wenn es gelingt, die industrielle und politische Mitbestimmungsdemokratie voll zu verwirklichen“ Fromm, Haben und Sein, dtv 680 S. 173

Und da bleibt es Dir überlassen, zu entscheiden, ob wir noch keinen Schritt oder einen winzigen in die von Fromm, von mir geteilte , gewünschte Richtung gegangen sind.

Freundliche Grüße
Marianne
 
...

Leider habe ich das Buch noch nicht gelesen, aber auch schon
Gedanken in die Richtung angestrengt.

Die Tatsache das Haben und Sein ihre Verwirklichung nur im Zwischenraum finden, lässt auf den Bedarf der Schöpfung
in beide Richtungen schließen.

Das Haben bildet doch oft den Rückzugshafen von den Stürmen
des blossen Seins, oder? Die Seins-Menschen sind oft Abenteurer die die Monotonie des Alltags verlassen und Neues entdecken wollen. Oft ist das aber äußerst gefährlich. Und die Schöpfung hat
keine Lust ihre "mühevoll kultivierten" Kreationen als Komplett-
verlust abzuschreiben. Nein. Das Sein baut auf dem Haben auf.

Wir können uns nur vom Haben lösen wenn wir keine Beziehungen zur Materie mehr pflegen müssten (Nahrung).
Aber dann sind wir vielleicht schon bereit für unsere eigene
Schöpfungen....es werde Licht!

Naja, etwas heller als vor 350.000 Jahren ist es wohl schon :0)
auch wenn es etwas flackert!
 
Materie

Fromm sagt natürlich, dass ein gewisse Orientierung am Haben notwendig und auch sinnvoll ist, wir brauchen Nahrung, wir müssen gewisse Grundbedürfnisse befriedigen.

Aber ich glaube sehr wenige machen sich in einem sozialen System wie dem unsrigen Gedanken wie sie ihr Essen am nächsten Tag kriegen.
Die, die wirklich die Freiheit erreicht haben nicht mehr im Haben leben zu müssen, für die unsere Vorfahren über Jahrtausende kämpfen mussten, die wollen ihr Haben-Bewusstsein nicht aufgeben.

Man kann auch niemanden dazu zwingen, doch Fromm ist der Ansicht das viele der individuellen und gesellschaftlichen Probleme eben genau darauf zurückzuführen sind, dass Menschen sich über Besitz definieren, ihr Dasein darauf ausrichten zu bewahren, zu sammeln, zu horten und zu mehren.
Das führt auch zu auch zu einem immer paradoxer anmaßenden Utilitarismus.

Neulich hörte ich den Vorschlag, doch im Gymnasium die Schüler sofort in der ersten ihre Spezialisierung wählen zu lassen, dann würden die Leute noch viel besser in den jeweiligen Disziplinen werden. Und auch von meinen Nachhilfeschülern höre ich sehr oft die Frage, wozu werde ich das später je brauchen?
Geht der Wert der Bildung als Formung, als Bereicherung des Selbst, des Seins verloren?

@marianne:
danke für deinen beitrag, ja, ich denke es ist wirklich eine interessante Frage, ob sich die Demokratie in den letzten Jahren wirklich weiterentwickelt hat. Was denkst du, insbesondere in Bezug auf die Jugend, hat das Interesse und das Demokratiebewusstsein zugenommen?

Ist Fromms Hedonismus nicht auch eine Aufforderung sich mit dem zufrieden zu geben, was man hat? Die Zukunft lässt sich nicht erzwingen. Aber entwickelt man sich weiter, wenn man mit sich völlig zufrieden ist? Sollen wir mit dem Zustand der Welt zufrieden sein?
 
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Re: Materie

Original geschrieben von EccePrometheus
Ist Fromms Hedonismus nicht auch eine Aufforderung sich mit dem zufrieden zu geben, was man hat? Die Zukunft lässt sich nicht erzwingen. Aber entwickelt man sich weiter, wenn man mit sich völlig zufrieden ist? Sollen wir mit dem Zustand der Welt zufrieden sein?
Der Mensch hat einen Forschungstrieb. Er ist ein Teil seines Seins. Und dem sollte er sich ergeben, um glücklich zu sein. Der Mensch ist zufrieden, wenn er nach den REALITÄTEN seines Seins lebt. Und eine Realität ist es, auf dem Weg zu sein. Nie am Ziel. Der Mensch braucht auch Instrumente, um seinen Triebanlagen nach zu gehen. Er braucht was zu futtern, zu trinken, anzuziehen, er braucht vier Wände um sich und - heutzutage - (ich jedenfalls :p ) einen Computer mit Internetanschluss. Kostet Geld. Zum Sein gehört auch ein bisschen Haben.
Das mit dem Haben kann man lediglich ein wenig überteiben... Goldkettchen, Armani-Anzüge, Krim-Sekt, Whirl-Pool, 500-Euro-Nutten, 1000 CDs...

Gysi
 
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