R
Robin
Guest
Jonathan Franzens "Die Korrekturen" und Michel Houellebecqs "Elementarteilchen" gehören sicher zu den zwei wichtigsten und (zumindest in den Feuilletons) meistdiskutierten Büchern der letzten Jahre.
Beide erreichen mit ihrem jeweils zweiten Roman den Durchbruch (Houellebecq hat inzwischen mit "platform" nachgelegt) und beides sind Gesellschaftsromane im weitesten Sinn des Wortes.
Dennoch will ich den Vergleich anhand des Gegensatzes psychologisch-soziologisch aufbauen und bin gespannt, ob mir jemand folgen oder widersprechen wird...
Das Raffinierte an Franzens Erzählweise in "Die Korrekturen" liegt im Verdecktbleiben aller inneren Konflikte der Protagonisten. Nicht wie im Sinne einer üblichen Dramaturgie kommt es zu einer Zuspitzung und einem Höhepunkt, wo dann der innere Konflikt sich exemplarisch entzündet, Emotionen und Vorwürfe abgetauscht werden, sondern das Innenleben kommt quasi unerkannt davon, mit Ausnahme beim Leser, der es kennt und sich seinen eigenen Reim darauf macht. Kommt es doch einmal zum Ausbruch wie bei Denise, die vor ihrer Mutter in Weinen ausbricht, weil sie erkennt, vor Jahren die Frühpensionierung ihres Vaters mitverschuldet zu haben, so bleibt es ein Missverständnis - die Mutter verkennt den wahren Grund ihres Verzweiflungsanfalls.
Ein weiteres Mittel, um die komplexe Psychologisierung der Figuren zu entfalten, liegt darin, die Ursachen für deren Probleme im Unbekannten zu lassen oder klein zu halten. Werden in klassischen psychologischen Romanen die Konflikte oft auf Traumata zurückgeführt, die es dann im Fortgang der Handlung zu entschlüsseln gilt, legt Franzen entweder keine oder falsche Fährten. Einmal wird lang und quälend beschrieben, wie Chip als kleiner Junge zwischen die Fronten des Ehekriegs seiner Eltern gerät und er, allein gelassen am Tisch über seinem Essen, das er nicht essen wollte, einschläft. Doch dieser Vorfall ist nicht Auslöser für spätere Dramen beim jüngsten Sohn; wenn überhaupt ist er Ausdruck einer fast schicksalhaften Konstellation, die schon immer da war, in die er mit seinem Wesen hineingeboren wird.
Durch diese zwei methodischen Kniffe bewirkt Franzen, dass der Leser sich einerseits nicht von einer Figur lösen kann, indem er deren Konflikte einem Ausnahmezustand, einem "Trauma" zuschreibt, und andererseits, dass die Hoffnung auf einer Erlösung oder Verurteilung enttäuscht wird. Selbst die wohl unsymphatischste Figur des Romans, der älteste Sohn Gary, kommt ohne Aufdeckung seiner Lügen oder eine "Bestrafung" davon - die Strafe besteht höchstens darin, dass er sein angsterfülltes Leben weiter führen muss - mitsamt den abendlichen Drinks, die mit den Jahren wohl immer stärker werden... Die Normalität ist die Bedrohung dieses Romans, das Wiedererkennen ohne Ablässe.
Im Gegensatz dazu ist Houllebecqs "Elementarteilchen" soziologisch - indem er es genau anders macht als Franzen. Seine Figuren - die Halb-Brüder Bruno und Michel - haben klar definierte Traumata zu Buche stehen. Bruno durch seine lieblose Hippiemutter und die Foltereien im Internat. Michel mit der gleichen Mutter und durch das Scheitern seiner ersten großen Liebe. Und anders als bei Franzen gehen diese Traumata dann als Leitfäden in die Handlung ein. Bruno, mit seinen Komplexen, seiner Sexsucht, die er ausgerechnet dann endlich –zeitweise- auflösen kann, indem er auf eine hippieartige Gemeinschaft trifft, ein Überbleibsel jener verhassten 68er, denen seine Mutter angehörte. Und Michel, indem er seine Kontaktunfähigkeit so weit treibt, dass er sie letztendlich in seinen biotechnischen Forschungen sublimiert.
Wie bei Franzen bleibt beiden dennoch eine Erlösung verwehrt - bei Houellebecq ist dies aber eher Folge eines Gesellschaftspessimismus’: dem Einzelnen mit seinen - ebenfalls durch die Gesellschaft bewirkten - Deformationen winkt kein Ausweg. Houellebecqs verblüffende These: Die sexuelle Befreiung, die mit der Einführung der Pille einherging, führte nicht zu mehr Freiheit, sondern liefert das Individuum nun auch in seinem Gefühlsleben dem freien Markt aus. Die Gesellschaft des freien Sexes ist sogar noch unbarmherziger, als die auf Familienbindung und Fortpflanzung ausgerichtete Familie. H. ist aber klug genug, dies nicht rein normativ (und konservativ) anzuprangern, oder naive Lösungsvorschläge dagegenzusetzen (seine Hiebe gegen die Esoterikbewegung sind fast noch härter und zum Schreien komisch), sondern als Ende eines unbarmherzigen evolutionären Prozesses zu sehen.
Im Gegensatz dazu wirkt die Gesellschaftskritik Franzens eher sanft - falls man davon überhaupt reden kann. Sicher, Aktien- und Psychowahn werden angeprangert - aber in einer Weise, die es den Akteuren nie erlaubt, sich zurüchzulehnen und zu sagen: die Gesellschaft ist Schuld. Die gesellschaftlichen Bedingungen halten zwar Fallen bereit, in die man tappen kann - Enid mit ihren Psychopharmaka, Gary mit seinem Anpassungsdruck, Chip mit der sexuellen Doppelmoral - aber man kann dem entrinnen und nie verschwindet aus Franzens Welt die Hoffnung auf ein relatives, kleines Glück endgültig.
Franzens scheint zu glauben, dass Menschen stark vorgeprägt sind, Sklaven ihrer biochemischen Prozesse im Gehirn und genetischer Veranlagung (dass er gleichzeitig die Sitte, sich mit Psychopharmaka zu „korrigieren“, anprangert, ändert daran nichts.). Und seine Kunst besteht darin, den stummen Kampf der Menschen mit sich selbst, ihren Dispositionen, ihren Schwächen sensationell genau und mit hohem Wiedererkennngsfaktor zu beschreiben – ohne sie zu diffamieren.
Daraus zu schließen, dass Franzens Roman, weil er subtiler, differenzierter, auch virtuoser konstruiert ist, auch besser sei als Houellebecqs, ist allerdings verfrüht. Für mich persönlich gilt, dass Houellebecq leichter zu lesen war. Nicht, weil einfacher - da schenken sich beide nichts - sondern weil er radikaler, emotionaler, direkter ist, mehr Stellung bezieht und dadurch mehr mitreißt. Die Tiraden gegen die 68er sind verblüffend und erfrischend, die wissenschaftlichen Abschweifungen schwindelerregend und doch klar und die Situationsbeschreibungen des kommunikativen Scheiterns komisch und voll subtilem Mitleid.
Franzen zeigt wenig Mitleid; er lässt uns mit-leiden - und dies manchmal auch über Durststrecken hinweg, wo er einfach nicht ganz überzeugen kann. Sprachlich mag er Geschmackssache sein - hier teilen sich die Meinungen von Genie der Metapher bis hin zu einer manchmal geltungsbedürftigen Maniriertheit. Eine fast objektivierbare Schwäche bei Franzen liegt aber in der Auswahl seiner Protagonisten. Die sind nämlich allesamt so wunderbar schön, so wunderbar intelligent, trotz ihrer Schwächen, dass man den Verdacht bekommt, die Anziehungskraft seiner Akteuere habe Franzen erst die Kraft gegeben, überhaupt 750 Seiten zu füllen. Hier ist Franzen so amerikanisch, als sei ihm beim Schreiben schon eine Verfilmung mit Hollywood-Starbesetzung vorgeschwebt. Hässliche Menschen kommen nur am Rand vor, als könnten solche Menschen keine eigene Geschichte entwickeln. Diese Einseitigkeit ist absurd, als wäre Franzen selber von der Krankheit seiner Figur Gary infiziert, panisch Abstand zum Pöbel halten zu müssen. Fast scheint es, als fehle Franzen dann doch der letzte Mut, ehrlich auf sich und andere zu blicken...
Das entwertet ein wenig das Fazit über ein Buch, das ansonsten enorm beeindruckend ist in Konstruktion, Subtilität und Klugheit - und das ich trotzdem wahrscheinlich nicht so lieben werde wie die "Elementarteilchen".
Beide erreichen mit ihrem jeweils zweiten Roman den Durchbruch (Houellebecq hat inzwischen mit "platform" nachgelegt) und beides sind Gesellschaftsromane im weitesten Sinn des Wortes.
Dennoch will ich den Vergleich anhand des Gegensatzes psychologisch-soziologisch aufbauen und bin gespannt, ob mir jemand folgen oder widersprechen wird...
Das Raffinierte an Franzens Erzählweise in "Die Korrekturen" liegt im Verdecktbleiben aller inneren Konflikte der Protagonisten. Nicht wie im Sinne einer üblichen Dramaturgie kommt es zu einer Zuspitzung und einem Höhepunkt, wo dann der innere Konflikt sich exemplarisch entzündet, Emotionen und Vorwürfe abgetauscht werden, sondern das Innenleben kommt quasi unerkannt davon, mit Ausnahme beim Leser, der es kennt und sich seinen eigenen Reim darauf macht. Kommt es doch einmal zum Ausbruch wie bei Denise, die vor ihrer Mutter in Weinen ausbricht, weil sie erkennt, vor Jahren die Frühpensionierung ihres Vaters mitverschuldet zu haben, so bleibt es ein Missverständnis - die Mutter verkennt den wahren Grund ihres Verzweiflungsanfalls.
Ein weiteres Mittel, um die komplexe Psychologisierung der Figuren zu entfalten, liegt darin, die Ursachen für deren Probleme im Unbekannten zu lassen oder klein zu halten. Werden in klassischen psychologischen Romanen die Konflikte oft auf Traumata zurückgeführt, die es dann im Fortgang der Handlung zu entschlüsseln gilt, legt Franzen entweder keine oder falsche Fährten. Einmal wird lang und quälend beschrieben, wie Chip als kleiner Junge zwischen die Fronten des Ehekriegs seiner Eltern gerät und er, allein gelassen am Tisch über seinem Essen, das er nicht essen wollte, einschläft. Doch dieser Vorfall ist nicht Auslöser für spätere Dramen beim jüngsten Sohn; wenn überhaupt ist er Ausdruck einer fast schicksalhaften Konstellation, die schon immer da war, in die er mit seinem Wesen hineingeboren wird.
Durch diese zwei methodischen Kniffe bewirkt Franzen, dass der Leser sich einerseits nicht von einer Figur lösen kann, indem er deren Konflikte einem Ausnahmezustand, einem "Trauma" zuschreibt, und andererseits, dass die Hoffnung auf einer Erlösung oder Verurteilung enttäuscht wird. Selbst die wohl unsymphatischste Figur des Romans, der älteste Sohn Gary, kommt ohne Aufdeckung seiner Lügen oder eine "Bestrafung" davon - die Strafe besteht höchstens darin, dass er sein angsterfülltes Leben weiter führen muss - mitsamt den abendlichen Drinks, die mit den Jahren wohl immer stärker werden... Die Normalität ist die Bedrohung dieses Romans, das Wiedererkennen ohne Ablässe.
Im Gegensatz dazu ist Houllebecqs "Elementarteilchen" soziologisch - indem er es genau anders macht als Franzen. Seine Figuren - die Halb-Brüder Bruno und Michel - haben klar definierte Traumata zu Buche stehen. Bruno durch seine lieblose Hippiemutter und die Foltereien im Internat. Michel mit der gleichen Mutter und durch das Scheitern seiner ersten großen Liebe. Und anders als bei Franzen gehen diese Traumata dann als Leitfäden in die Handlung ein. Bruno, mit seinen Komplexen, seiner Sexsucht, die er ausgerechnet dann endlich –zeitweise- auflösen kann, indem er auf eine hippieartige Gemeinschaft trifft, ein Überbleibsel jener verhassten 68er, denen seine Mutter angehörte. Und Michel, indem er seine Kontaktunfähigkeit so weit treibt, dass er sie letztendlich in seinen biotechnischen Forschungen sublimiert.
Wie bei Franzen bleibt beiden dennoch eine Erlösung verwehrt - bei Houellebecq ist dies aber eher Folge eines Gesellschaftspessimismus’: dem Einzelnen mit seinen - ebenfalls durch die Gesellschaft bewirkten - Deformationen winkt kein Ausweg. Houellebecqs verblüffende These: Die sexuelle Befreiung, die mit der Einführung der Pille einherging, führte nicht zu mehr Freiheit, sondern liefert das Individuum nun auch in seinem Gefühlsleben dem freien Markt aus. Die Gesellschaft des freien Sexes ist sogar noch unbarmherziger, als die auf Familienbindung und Fortpflanzung ausgerichtete Familie. H. ist aber klug genug, dies nicht rein normativ (und konservativ) anzuprangern, oder naive Lösungsvorschläge dagegenzusetzen (seine Hiebe gegen die Esoterikbewegung sind fast noch härter und zum Schreien komisch), sondern als Ende eines unbarmherzigen evolutionären Prozesses zu sehen.
Im Gegensatz dazu wirkt die Gesellschaftskritik Franzens eher sanft - falls man davon überhaupt reden kann. Sicher, Aktien- und Psychowahn werden angeprangert - aber in einer Weise, die es den Akteuren nie erlaubt, sich zurüchzulehnen und zu sagen: die Gesellschaft ist Schuld. Die gesellschaftlichen Bedingungen halten zwar Fallen bereit, in die man tappen kann - Enid mit ihren Psychopharmaka, Gary mit seinem Anpassungsdruck, Chip mit der sexuellen Doppelmoral - aber man kann dem entrinnen und nie verschwindet aus Franzens Welt die Hoffnung auf ein relatives, kleines Glück endgültig.
Franzens scheint zu glauben, dass Menschen stark vorgeprägt sind, Sklaven ihrer biochemischen Prozesse im Gehirn und genetischer Veranlagung (dass er gleichzeitig die Sitte, sich mit Psychopharmaka zu „korrigieren“, anprangert, ändert daran nichts.). Und seine Kunst besteht darin, den stummen Kampf der Menschen mit sich selbst, ihren Dispositionen, ihren Schwächen sensationell genau und mit hohem Wiedererkennngsfaktor zu beschreiben – ohne sie zu diffamieren.
Daraus zu schließen, dass Franzens Roman, weil er subtiler, differenzierter, auch virtuoser konstruiert ist, auch besser sei als Houellebecqs, ist allerdings verfrüht. Für mich persönlich gilt, dass Houellebecq leichter zu lesen war. Nicht, weil einfacher - da schenken sich beide nichts - sondern weil er radikaler, emotionaler, direkter ist, mehr Stellung bezieht und dadurch mehr mitreißt. Die Tiraden gegen die 68er sind verblüffend und erfrischend, die wissenschaftlichen Abschweifungen schwindelerregend und doch klar und die Situationsbeschreibungen des kommunikativen Scheiterns komisch und voll subtilem Mitleid.
Franzen zeigt wenig Mitleid; er lässt uns mit-leiden - und dies manchmal auch über Durststrecken hinweg, wo er einfach nicht ganz überzeugen kann. Sprachlich mag er Geschmackssache sein - hier teilen sich die Meinungen von Genie der Metapher bis hin zu einer manchmal geltungsbedürftigen Maniriertheit. Eine fast objektivierbare Schwäche bei Franzen liegt aber in der Auswahl seiner Protagonisten. Die sind nämlich allesamt so wunderbar schön, so wunderbar intelligent, trotz ihrer Schwächen, dass man den Verdacht bekommt, die Anziehungskraft seiner Akteuere habe Franzen erst die Kraft gegeben, überhaupt 750 Seiten zu füllen. Hier ist Franzen so amerikanisch, als sei ihm beim Schreiben schon eine Verfilmung mit Hollywood-Starbesetzung vorgeschwebt. Hässliche Menschen kommen nur am Rand vor, als könnten solche Menschen keine eigene Geschichte entwickeln. Diese Einseitigkeit ist absurd, als wäre Franzen selber von der Krankheit seiner Figur Gary infiziert, panisch Abstand zum Pöbel halten zu müssen. Fast scheint es, als fehle Franzen dann doch der letzte Mut, ehrlich auf sich und andere zu blicken...
Das entwertet ein wenig das Fazit über ein Buch, das ansonsten enorm beeindruckend ist in Konstruktion, Subtilität und Klugheit - und das ich trotzdem wahrscheinlich nicht so lieben werde wie die "Elementarteilchen".