Rezension des jüngsten Buches von Eva Herman
von Carlos A. Gebauer
Pflichtlektüre für Qualitätsjournalisten
Als ich vor gut 25 Jahren Wolf Schneiders Buch über „unsere tägliche Desinformation“ las,
wollte ich glauben, es handele sich um die Kritik an einem Randphänomen in Presse und Rundfunk.
Fehlinformationen, Falschmeldungen und Unrichtigkeiten, so war ich überzeugt,
schlichen sich eben unvermeidlich immer wieder ein und würden dann, sobald entdeckt,
gleich sorgfältig berichtigt.
Dass ein haltloses Gerücht, eine von Beginn an unzutreffende Darstellung und die Behauptung
unrichtiger Zusammenhänge in meiner bundesrepublikanischen Presse auch nur eine Woche würden
überleben können, schien mir schlicht unvorstellbar.
Qualitätsjournalismus in Leitmedien und aus öffentlich-rechtlichen Anstalten, so meinte ich,
garantierten getreue Abbildungen der tatsächlichen Vorgänge, insbesondere im Unterschied
zur Presse der DDR, die Wolf Scheider damals, 1984, kontrastierend thematisierte.
Inzwischen bin ich ein Vierteljahrhundert älter und habe ich viel über Medien gelernt.
Damit einher ging die Erkenntnis, dass der Aktualitätsgott dem Berichtigungsgott
in medialen Welten machthierarchisch übergeordnet ist.
Klatsch & Tratsch von gestern bedürfen in dieser Denkungsart wohl jedenfalls dann
keiner heutigen Richtigstellung, wenn es gilt,
eine andere, morgen hochbrisante Neuigkeit zu jagen.
So weit, so schlecht.
Man mag es hinnehmen, vielleicht im Sinne der Grönemeyerschen Weltsicht:
Der Mensch heißt Mensch, weil er vergisst;
heute schreiben sie dies, morgen das – wen kümmert es?
Dann aber brach der „Fall“ Eva Herman über uns Zeitungsleser und Fernseher herein.
Es hätte wohl kaum weniger Aufregung geherrscht, wäre offenbar geworden,
dass die leibhaftige Enkelin des Satans jahrzehntelang die Tagesschau gelesen hatte.
Kein Wort war mehr zu scharf, kein Vergleich zu heftig, um sie,
die gerade noch Deutschlands beliebteste Moderatorin gewesen war,
zu kritisieren, zu beschimpfen, zu ächten.
Arne Hoffmann nannte es eine Hexenjagd, und wahrscheinlich wäre Eva Herman tatsächlich
auf einem Scheiterhaufen gelandet, hätte nicht der Geist unserer europäischen Aufklärung
dieses mittelalterliche Ritual schon überwunden gehabt.
Doch, an genau diesem Geist der Aufklärung, der uns gelehrt hat, die Welt nüchtern,
rational und mit wissenschaftlichem Anspruch zu betrachten, musste jeder sorgfältige
Mediennutzer zweifeln, wenn er die veröffentlichte Diskussion
um Eva Hermans – wie es stets hieß – „umstrittene Thesen“ sah, las und hörte.
Wer ihre Kernaussagen kannte (oder sich gezielt diese Kenntnis verschaffte,
was durch einfache Blicke in verfügbare Literatur möglich war),
der konnte den Aufschrei schon zügig nicht mehr nachvollziehen.
Wurde da nicht ganz offenkundig ein Phantom gejagt?
Zum Frühlingsanfang 2010 hat Eva Herman nun selbst einen detaillierten Bericht
über die schrecklichen Ereignisse seit ihrer vieldiskutierten Pressekonferenz
vom 6. September 2007 vorgelegt;
jene Pressekonferenz, die sie praktisch ihre gesamten Jobs und beinahe auch
ihre ganze bürgerliche Existenz gekostet hätte.
Mit mustergültiger journalistischer Akribie öffnet sie ihr Tagebuch und zeichnet sie nach,
wann sie wo genau was gesagt und geschrieben hatte, was exakt sie nicht gesagt und wovon
sie sich expressis verbis im Vorhinein bereits mehrfach deutlich distanziert hatte.
Obwohl sie selbst fast durchgängig das subjektiv erzählende Zentrum ihres Buches bleibt,
tritt sie mit ihrem gesellschaftlichen Schicksal für den Leser doch schon bald
in den Hintergrund des eigentlichen Geschehens.
Ihre Rolle reduziert sich im Verlauf gleichsam auf die eines Thermometers
inmitten des brodelnden Skandals, wenn auch immer wieder sehr persönlich
und wiederholt äußerst anrührend.
Das wahre Thema ihres Buches ist ein ganz anderes:
Es geht um die von Wolf Schneider dereinst auf den Namen „Desinformation“ getaufte
Frage, was wir Mediennutzer von unserer Presse und unserem Rundfunk, von unseren
Qualitätsjournalisten und Leitmedien, aus unseren privaten und öffentlich-rechtlichen
Quellen in Wahrheit zu erwarten haben.
Denn Fehler passieren zwar überall. Das Gegenteil zu erwarten, wäre anmaßend.
Wie aber gehen mediale Profis mit ihren eigenen Fehlleistungen um,
wenn eben nicht nur Marginalien von gestern,
belangloser Klatsch und liederlicher Tratsch in Rede stehen?
Folgen verantwortungsbewusste Journalisten und Redakteure dann herdentriebhaft
dem Gerüchteschwarm? Oder recherchieren sie noch einmal sorgsam, bevor sie
zur millionenfach gedruckten und gesendeten Botschaft schreiten?
Forschen sie nach, oder schreiben sie blind ab von dem, der ihnen Leitmedium scheint?
Stehen sie souverän in der eigenen Redaktion, oder unterwerfen sie sich einem diffus
gefühlten Gruppenzwang?
Ist argumentativer Diskurs ihr Geschäft oder das manipulative Schüren
von tagespolitisch modischen Emotionen?
Eva Herman belegt nicht nur zum wiederholten Male ihre seit jeher ununterbrochene,
unverbrüchliche und tatsächlich stets klare Distanz zu politischen Extremisten.
Sie tritt darüber hinaus jetzt den bemerkenswerten Beweis dafür an, dass ihre zentralen
Gegenspieler jener Jahre sie greifbar gezielt und bewusst haben missverstehen wollen.
Mit anderen, juristischen Worten: Ihre Gegner waren „bösgläubig“.
Denn sie hatten durch die rechtzeitige Zurverfügungstellung allen notwendigen Materials
unausweichlich Kenntnis davon, dass Eva Herman das, was ihr gerüchteweise in den Mund
gelegt worden war, niemals wirklich selbst geäußert hatte.
Selbst wenn sie die ihnen unterbreiteten Fakten aber pflichtwidrig nicht zur Kenntnis
genommen haben sollten, so hätten sie die maßgebenden Tatsachen doch ohne weiteres
kennen müssen.
In einer minutiösen Chronologie schildert Eva Herman also nun, was genau wo und wie geschah.
Wann sie was schrieb und wem sie wann was sagte.
Paradoxerweise erledigt sie damit genau diejenige Arbeit, die – sorgfältige mediale Arbeit
vorausgesetzt – ein jeder publizierender Qualitätsjournalist seinerseits schon vor Jahren
selbst hätte erledigen müssen.
Über die Gründe dieses Unterlassens mag man noch spekulieren;
über seine Auswirkungen ist man auf Hypothesen aber nicht angewiesen.
In den Köpfen vieler Menschen wird Eva Herman seither mit zwei Kernbotschaften
in Verbindung gebracht, die beide definitiv nicht von ihr stammen:
Weder hat sie je erklärt, Mütter gehörten in die Küche,
noch hat sie je faschistische Politik gutgeheißen.
Beides ist nur und ausschließlich eine inhaltlich unrichtige,
fiktive massenmediale Zuschreibung.
Zwar kann niemand ernsthaft erwarten, dass ihre politischen GegenspielerInnen
den hochemotionalisierten, inhaltlichen Streit und die geistige Auseinandersetzung
um die Rolle der Frau in einer Weise führen, wie sie beispielsweise
das Bundesverfassungsgericht versteht, als offenes und der Wahrheit verpflichtetes,
gesellschaftliches Suchen in einer unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung
schlechthin konstituierenden Ehrenhaftigkeit.
Und mögen Streiterinnen wie die von Eva Herman nun detailliert vorgestellten und zitierten
Protagonisten Alice Schwarzer, Thea Dorn oder Barbara Möller auch klassenkämpferische
Grundeinstellungen haben – die Habermas’schen Mahnungen zu einem fairen,
herrschaftsfreien Diskurs scheinen deren Attitüde nicht zu sein.
Zu brisant ist es wohl, eine politische Gegnerin mit 97-prozentigem Bekanntheitsgrad
in der Bevölkerung bezwingen zu sollen.
Je aussichtsloser die Gefechtssituation, desto rücksichtsloser die Methoden?
Was aber bleibt, ist der Blick auf die Nonkombattanten des eigentlichen Disputes:
Was kann einen nach seinem Berufsethos zu Neutralität verpflichteten Journalisten
geritten haben, wenn er wider besseres Wissen, zumindest wider besseres Wissenkönnen,
Eva Herman in politisch fragwürdige Kontexte rückte?
Die mannigfaltigen Zitate bekannter und berühmter Figuren aus der deutschen Medienszene
lassen erschaudern ob deren leichtfüßiger Bereitschaft zur gnadenlosen Niederwalkung
der Verfehmten.
Selbst der immer so freundlich blickende Friedrich Nowottny muss nun von ihr
mit wenig erbaulichen Worten zitiert werden; und er ist beileibe nicht der einzige.
Hanns-Dieter Hüsch würde wohl zu manch‘ bekanntem Gesicht formuliert haben:
Du kommst auch ‘drin vor!
Die bis auf weiteres wohl schlechteste Figur macht aber insbesondere Johannes B. Kerner,
dessen legendäre Sendung vom 9. Oktober 2007 Eva Herman einer geradezu mikroskopischen
Analyse unterzieht, nicht nur im Hinblick auf die personellen Konstellationen in deren
Hintergrund.
Kein Zuschauer konnte an jenem Tage wissen, dass sie bis zur Aufzeichnung von allen übrigen
Talkgästen getrennt empfangen und gehalten worden war. Niemand konnte ahnen, dass der
als Historik-Experte präsentierte Studiogast Wippermann ihr mit blankem Überraschungseffekt
entgegengesetzt wurde; Kerner hatte ihr gegenüber nichts von dessen Gegenwart erwähnt
– bis er ihn plötzlich hervorbat.
Was weder das Studiopublikum, noch auch die Fernsehzuschauer wissen konnten, ja,
was die breitere Öffentlichkeit erst jetzt erfährt, ist zu alledem auch noch dies:
Johannes B. Kerner war von Eva Herman schon vor der Sendung mit einem detaillierten
sprachwissenschaftlichen Gutachten darauf hingewiesen worden,
dass sie selbst niemals – auch nicht anlässlich der wieder und wieder zitierten
Pressekonferenz vom 6. September 2007 – objektiv etwas ansatzweise politisch Unkorrektes
gesagt hatte.
Kerner aber ignorierte dies.
Die linguistische Analyse liegt nun auch für alle Leser vor.
Zusammen mit vielen Auszügen aus anwaltlichen Schriftsätzen und gerichtlichen
Pressemitteilungen lässt sich ein konturenscharfes Bild der in Rede stehenden Ereignisse
zeichnen. Mag die Schilderung der Kerner-Sendung bisweilen auch quälend detailliert
erscheinen, das ganze intellektuelle Elend jenes Tribunals erschließt sich
auf diesem Wege ohne verbleibende Zweifel.
Sie wolle keine Rache und sie habe allen ihren Angreifern inzwischen vergeben,
stellt Eva Herman zu Beginn ihres Buches klar.
Doch ebenso sicher ist, dass sie mit der jetzigen Offenlegung ihrer Tagebuch-Chronologien
wenigstens einen moralischen Anspruch auf endlich rationale Befassung der Medien
mit dem Fall hat.
Denn an der Richtigkeit ihrer Darstellungen lässt sich ernsthaft nicht zweifeln.
Im Gegenteil:
Die aus Schaden klug Gewordene hat jeden einzelnen ihrer Sätze justiziabel formuliert
und ein jeder wird aller seriösen gerichtlichen Überprüfung standhalten.
Immerhin war es – von einer einzigen, gleichwohl umso bemerkenswerteren arbeitsrechtlichen
Ausnahme abgesehen – die funktionierende deutsche Justiz, die Eva Herman inzwischen
vielfach Schutz bot gegen das stattgefundene Medienversagen.
Die offenliegenden Fehlleistungen eben jener Qualitätsmedien nötigen
nach dieser minutiösen Klageerwiderung nun jeden Journalisten, der sich des Themas
in den letzten Jahren angenommen hatte, zu einer berufsethisch einwandfreien Revision
seiner eigenen Leistungen.
Nun kann niemand mehr behaupten, er kenne nicht alle Fakten.
Nun ist aller Recherche der Weg bereitet.
Die verurteilt haben, müssen wieder reden, wollen sie seriöse Journalisten sein.
Wer über das Offenliegende schweigt, disqualifiziert sich selbst und entzieht sich
damit den Achtungsanspruch, sorgfältig zu arbeiten; vielleicht am langen Ende sogar
den privilegierten Existenzanspruch, gebührenfinanziert arbeiten und eine norddeutsche
Tagesschau produzieren zu dürfen.
Wer sich berühmt, die „vierte Gewalt“ sein zu wollen, der muss wenigstens
die Standards der dritten erreichen.
Und wer glaubt, noch immer Vorwürfe erheben zu dürfen, der steht nun also
in schwerer Darlegungs- und Beweislast.
Der Ball jedenfalls liegt wieder im Feld.
Die Wahl des Verlages für ihr Buch hat Eva Herman jedenfalls
mit großer strategischer Finesse getroffen.
Jochen Kopp ist nämlich der wohl derzeit erfolgreichste Verleger Deutschlands.
Mag sein unternehmerisches Ziel, Schwächeren und Minderheiten Gehör zu verschaffen,
auch bisweilen belächelt worden sein; der überwältigende Erfolg gibt ihm
auf geradezu basisdemokratische Weise Recht.
Auf die Frage, ob das Buch Eva Hermans wohlmöglich von der erschrocken-betroffenen
Medienszene totgeschwiegen werden könne, lächelt er mild und blickt entspannt
in die Frühlingssonne. In weniger als 24 Stunden, sagt er,
wird mehr als eine halbe Million Menschen in Deutschland das Titelbild des Buches
aus dem eigenen Briefkasten gefischt haben.
Da gibt es journalistischen Erklärungsbedarf.
Wie immer bei vorangegangenen Desinformationen.
Eva Herman: „Die Wahrheit und ihr Preis – Meinung, Macht und Medien“,
Rottenburg, 2010
28. März 2010
von Carlos A. Gebauer
Pflichtlektüre für Qualitätsjournalisten
Als ich vor gut 25 Jahren Wolf Schneiders Buch über „unsere tägliche Desinformation“ las,
wollte ich glauben, es handele sich um die Kritik an einem Randphänomen in Presse und Rundfunk.
Fehlinformationen, Falschmeldungen und Unrichtigkeiten, so war ich überzeugt,
schlichen sich eben unvermeidlich immer wieder ein und würden dann, sobald entdeckt,
gleich sorgfältig berichtigt.
Dass ein haltloses Gerücht, eine von Beginn an unzutreffende Darstellung und die Behauptung
unrichtiger Zusammenhänge in meiner bundesrepublikanischen Presse auch nur eine Woche würden
überleben können, schien mir schlicht unvorstellbar.
Qualitätsjournalismus in Leitmedien und aus öffentlich-rechtlichen Anstalten, so meinte ich,
garantierten getreue Abbildungen der tatsächlichen Vorgänge, insbesondere im Unterschied
zur Presse der DDR, die Wolf Scheider damals, 1984, kontrastierend thematisierte.
Inzwischen bin ich ein Vierteljahrhundert älter und habe ich viel über Medien gelernt.
Damit einher ging die Erkenntnis, dass der Aktualitätsgott dem Berichtigungsgott
in medialen Welten machthierarchisch übergeordnet ist.
Klatsch & Tratsch von gestern bedürfen in dieser Denkungsart wohl jedenfalls dann
keiner heutigen Richtigstellung, wenn es gilt,
eine andere, morgen hochbrisante Neuigkeit zu jagen.
So weit, so schlecht.
Man mag es hinnehmen, vielleicht im Sinne der Grönemeyerschen Weltsicht:
Der Mensch heißt Mensch, weil er vergisst;
heute schreiben sie dies, morgen das – wen kümmert es?
Dann aber brach der „Fall“ Eva Herman über uns Zeitungsleser und Fernseher herein.
Es hätte wohl kaum weniger Aufregung geherrscht, wäre offenbar geworden,
dass die leibhaftige Enkelin des Satans jahrzehntelang die Tagesschau gelesen hatte.
Kein Wort war mehr zu scharf, kein Vergleich zu heftig, um sie,
die gerade noch Deutschlands beliebteste Moderatorin gewesen war,
zu kritisieren, zu beschimpfen, zu ächten.
Arne Hoffmann nannte es eine Hexenjagd, und wahrscheinlich wäre Eva Herman tatsächlich
auf einem Scheiterhaufen gelandet, hätte nicht der Geist unserer europäischen Aufklärung
dieses mittelalterliche Ritual schon überwunden gehabt.
Doch, an genau diesem Geist der Aufklärung, der uns gelehrt hat, die Welt nüchtern,
rational und mit wissenschaftlichem Anspruch zu betrachten, musste jeder sorgfältige
Mediennutzer zweifeln, wenn er die veröffentlichte Diskussion
um Eva Hermans – wie es stets hieß – „umstrittene Thesen“ sah, las und hörte.
Wer ihre Kernaussagen kannte (oder sich gezielt diese Kenntnis verschaffte,
was durch einfache Blicke in verfügbare Literatur möglich war),
der konnte den Aufschrei schon zügig nicht mehr nachvollziehen.
Wurde da nicht ganz offenkundig ein Phantom gejagt?
Zum Frühlingsanfang 2010 hat Eva Herman nun selbst einen detaillierten Bericht
über die schrecklichen Ereignisse seit ihrer vieldiskutierten Pressekonferenz
vom 6. September 2007 vorgelegt;
jene Pressekonferenz, die sie praktisch ihre gesamten Jobs und beinahe auch
ihre ganze bürgerliche Existenz gekostet hätte.
Mit mustergültiger journalistischer Akribie öffnet sie ihr Tagebuch und zeichnet sie nach,
wann sie wo genau was gesagt und geschrieben hatte, was exakt sie nicht gesagt und wovon
sie sich expressis verbis im Vorhinein bereits mehrfach deutlich distanziert hatte.
Obwohl sie selbst fast durchgängig das subjektiv erzählende Zentrum ihres Buches bleibt,
tritt sie mit ihrem gesellschaftlichen Schicksal für den Leser doch schon bald
in den Hintergrund des eigentlichen Geschehens.
Ihre Rolle reduziert sich im Verlauf gleichsam auf die eines Thermometers
inmitten des brodelnden Skandals, wenn auch immer wieder sehr persönlich
und wiederholt äußerst anrührend.
Das wahre Thema ihres Buches ist ein ganz anderes:
Es geht um die von Wolf Schneider dereinst auf den Namen „Desinformation“ getaufte
Frage, was wir Mediennutzer von unserer Presse und unserem Rundfunk, von unseren
Qualitätsjournalisten und Leitmedien, aus unseren privaten und öffentlich-rechtlichen
Quellen in Wahrheit zu erwarten haben.
Denn Fehler passieren zwar überall. Das Gegenteil zu erwarten, wäre anmaßend.
Wie aber gehen mediale Profis mit ihren eigenen Fehlleistungen um,
wenn eben nicht nur Marginalien von gestern,
belangloser Klatsch und liederlicher Tratsch in Rede stehen?
Folgen verantwortungsbewusste Journalisten und Redakteure dann herdentriebhaft
dem Gerüchteschwarm? Oder recherchieren sie noch einmal sorgsam, bevor sie
zur millionenfach gedruckten und gesendeten Botschaft schreiten?
Forschen sie nach, oder schreiben sie blind ab von dem, der ihnen Leitmedium scheint?
Stehen sie souverän in der eigenen Redaktion, oder unterwerfen sie sich einem diffus
gefühlten Gruppenzwang?
Ist argumentativer Diskurs ihr Geschäft oder das manipulative Schüren
von tagespolitisch modischen Emotionen?
Eva Herman belegt nicht nur zum wiederholten Male ihre seit jeher ununterbrochene,
unverbrüchliche und tatsächlich stets klare Distanz zu politischen Extremisten.
Sie tritt darüber hinaus jetzt den bemerkenswerten Beweis dafür an, dass ihre zentralen
Gegenspieler jener Jahre sie greifbar gezielt und bewusst haben missverstehen wollen.
Mit anderen, juristischen Worten: Ihre Gegner waren „bösgläubig“.
Denn sie hatten durch die rechtzeitige Zurverfügungstellung allen notwendigen Materials
unausweichlich Kenntnis davon, dass Eva Herman das, was ihr gerüchteweise in den Mund
gelegt worden war, niemals wirklich selbst geäußert hatte.
Selbst wenn sie die ihnen unterbreiteten Fakten aber pflichtwidrig nicht zur Kenntnis
genommen haben sollten, so hätten sie die maßgebenden Tatsachen doch ohne weiteres
kennen müssen.
In einer minutiösen Chronologie schildert Eva Herman also nun, was genau wo und wie geschah.
Wann sie was schrieb und wem sie wann was sagte.
Paradoxerweise erledigt sie damit genau diejenige Arbeit, die – sorgfältige mediale Arbeit
vorausgesetzt – ein jeder publizierender Qualitätsjournalist seinerseits schon vor Jahren
selbst hätte erledigen müssen.
Über die Gründe dieses Unterlassens mag man noch spekulieren;
über seine Auswirkungen ist man auf Hypothesen aber nicht angewiesen.
In den Köpfen vieler Menschen wird Eva Herman seither mit zwei Kernbotschaften
in Verbindung gebracht, die beide definitiv nicht von ihr stammen:
Weder hat sie je erklärt, Mütter gehörten in die Küche,
noch hat sie je faschistische Politik gutgeheißen.
Beides ist nur und ausschließlich eine inhaltlich unrichtige,
fiktive massenmediale Zuschreibung.
Zwar kann niemand ernsthaft erwarten, dass ihre politischen GegenspielerInnen
den hochemotionalisierten, inhaltlichen Streit und die geistige Auseinandersetzung
um die Rolle der Frau in einer Weise führen, wie sie beispielsweise
das Bundesverfassungsgericht versteht, als offenes und der Wahrheit verpflichtetes,
gesellschaftliches Suchen in einer unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung
schlechthin konstituierenden Ehrenhaftigkeit.
Und mögen Streiterinnen wie die von Eva Herman nun detailliert vorgestellten und zitierten
Protagonisten Alice Schwarzer, Thea Dorn oder Barbara Möller auch klassenkämpferische
Grundeinstellungen haben – die Habermas’schen Mahnungen zu einem fairen,
herrschaftsfreien Diskurs scheinen deren Attitüde nicht zu sein.
Zu brisant ist es wohl, eine politische Gegnerin mit 97-prozentigem Bekanntheitsgrad
in der Bevölkerung bezwingen zu sollen.
Je aussichtsloser die Gefechtssituation, desto rücksichtsloser die Methoden?
Was aber bleibt, ist der Blick auf die Nonkombattanten des eigentlichen Disputes:
Was kann einen nach seinem Berufsethos zu Neutralität verpflichteten Journalisten
geritten haben, wenn er wider besseres Wissen, zumindest wider besseres Wissenkönnen,
Eva Herman in politisch fragwürdige Kontexte rückte?
Die mannigfaltigen Zitate bekannter und berühmter Figuren aus der deutschen Medienszene
lassen erschaudern ob deren leichtfüßiger Bereitschaft zur gnadenlosen Niederwalkung
der Verfehmten.
Selbst der immer so freundlich blickende Friedrich Nowottny muss nun von ihr
mit wenig erbaulichen Worten zitiert werden; und er ist beileibe nicht der einzige.
Hanns-Dieter Hüsch würde wohl zu manch‘ bekanntem Gesicht formuliert haben:
Du kommst auch ‘drin vor!
Die bis auf weiteres wohl schlechteste Figur macht aber insbesondere Johannes B. Kerner,
dessen legendäre Sendung vom 9. Oktober 2007 Eva Herman einer geradezu mikroskopischen
Analyse unterzieht, nicht nur im Hinblick auf die personellen Konstellationen in deren
Hintergrund.
Kein Zuschauer konnte an jenem Tage wissen, dass sie bis zur Aufzeichnung von allen übrigen
Talkgästen getrennt empfangen und gehalten worden war. Niemand konnte ahnen, dass der
als Historik-Experte präsentierte Studiogast Wippermann ihr mit blankem Überraschungseffekt
entgegengesetzt wurde; Kerner hatte ihr gegenüber nichts von dessen Gegenwart erwähnt
– bis er ihn plötzlich hervorbat.
Was weder das Studiopublikum, noch auch die Fernsehzuschauer wissen konnten, ja,
was die breitere Öffentlichkeit erst jetzt erfährt, ist zu alledem auch noch dies:
Johannes B. Kerner war von Eva Herman schon vor der Sendung mit einem detaillierten
sprachwissenschaftlichen Gutachten darauf hingewiesen worden,
dass sie selbst niemals – auch nicht anlässlich der wieder und wieder zitierten
Pressekonferenz vom 6. September 2007 – objektiv etwas ansatzweise politisch Unkorrektes
gesagt hatte.
Kerner aber ignorierte dies.
Die linguistische Analyse liegt nun auch für alle Leser vor.
Zusammen mit vielen Auszügen aus anwaltlichen Schriftsätzen und gerichtlichen
Pressemitteilungen lässt sich ein konturenscharfes Bild der in Rede stehenden Ereignisse
zeichnen. Mag die Schilderung der Kerner-Sendung bisweilen auch quälend detailliert
erscheinen, das ganze intellektuelle Elend jenes Tribunals erschließt sich
auf diesem Wege ohne verbleibende Zweifel.
Sie wolle keine Rache und sie habe allen ihren Angreifern inzwischen vergeben,
stellt Eva Herman zu Beginn ihres Buches klar.
Doch ebenso sicher ist, dass sie mit der jetzigen Offenlegung ihrer Tagebuch-Chronologien
wenigstens einen moralischen Anspruch auf endlich rationale Befassung der Medien
mit dem Fall hat.
Denn an der Richtigkeit ihrer Darstellungen lässt sich ernsthaft nicht zweifeln.
Im Gegenteil:
Die aus Schaden klug Gewordene hat jeden einzelnen ihrer Sätze justiziabel formuliert
und ein jeder wird aller seriösen gerichtlichen Überprüfung standhalten.
Immerhin war es – von einer einzigen, gleichwohl umso bemerkenswerteren arbeitsrechtlichen
Ausnahme abgesehen – die funktionierende deutsche Justiz, die Eva Herman inzwischen
vielfach Schutz bot gegen das stattgefundene Medienversagen.
Die offenliegenden Fehlleistungen eben jener Qualitätsmedien nötigen
nach dieser minutiösen Klageerwiderung nun jeden Journalisten, der sich des Themas
in den letzten Jahren angenommen hatte, zu einer berufsethisch einwandfreien Revision
seiner eigenen Leistungen.
Nun kann niemand mehr behaupten, er kenne nicht alle Fakten.
Nun ist aller Recherche der Weg bereitet.
Die verurteilt haben, müssen wieder reden, wollen sie seriöse Journalisten sein.
Wer über das Offenliegende schweigt, disqualifiziert sich selbst und entzieht sich
damit den Achtungsanspruch, sorgfältig zu arbeiten; vielleicht am langen Ende sogar
den privilegierten Existenzanspruch, gebührenfinanziert arbeiten und eine norddeutsche
Tagesschau produzieren zu dürfen.
Wer sich berühmt, die „vierte Gewalt“ sein zu wollen, der muss wenigstens
die Standards der dritten erreichen.
Und wer glaubt, noch immer Vorwürfe erheben zu dürfen, der steht nun also
in schwerer Darlegungs- und Beweislast.
Der Ball jedenfalls liegt wieder im Feld.
Die Wahl des Verlages für ihr Buch hat Eva Herman jedenfalls
mit großer strategischer Finesse getroffen.
Jochen Kopp ist nämlich der wohl derzeit erfolgreichste Verleger Deutschlands.
Mag sein unternehmerisches Ziel, Schwächeren und Minderheiten Gehör zu verschaffen,
auch bisweilen belächelt worden sein; der überwältigende Erfolg gibt ihm
auf geradezu basisdemokratische Weise Recht.
Auf die Frage, ob das Buch Eva Hermans wohlmöglich von der erschrocken-betroffenen
Medienszene totgeschwiegen werden könne, lächelt er mild und blickt entspannt
in die Frühlingssonne. In weniger als 24 Stunden, sagt er,
wird mehr als eine halbe Million Menschen in Deutschland das Titelbild des Buches
aus dem eigenen Briefkasten gefischt haben.
Da gibt es journalistischen Erklärungsbedarf.
Wie immer bei vorangegangenen Desinformationen.
Eva Herman: „Die Wahrheit und ihr Preis – Meinung, Macht und Medien“,
Rottenburg, 2010
28. März 2010