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Der Null-Gott-Glaube

AW: Der Null-Gott-Glaube

Frankie,

In einem Glaubenskonzept, das sich um mich dreht, muss ich mir gar nichts erarbeiten.

Es gibt darin mich, alles andere ist Beiwerk, Zierde, Ablenkung, relevant nur im Bezug zu mir.

Daraus eine allgemeingültige Moral, die jedem nützt, zu erarbeiten ist nicht notwendig, sondern ein Luxus, eine Spielerei, mit der ich mich beschäftigen KANN aber nicht MUSS.

Wichtig ist da allein, wie es MIR geht.

Will ich beispielsweise wissen wie es ist, wenn ein Mensch stirbt, dann nehme ich für dieses Experiment nicht mich, sondern einen anderen Menschen.

Gefällt es mir, wenn Blut fließt, lasse ich das Blut anderer fließen - dann gruselts mich so schön.

Mir geht es gut, wenn ich das erleben kann, was ich erleben möchte.

Was andere erleben möchten trifft mich nicht.

Meine Putzfrau putzt für mich, weil ich diese Arbeit langweilig und abstoßend finde. Ich liege lieber in der Sonne oder lese ein gutes Buch.

Ich sehe nicht, wie sich aus einem Null-Gott-Glauben eine Moral ableiten läßt, die mir selber schadet, mich an meiner Selbstverwirklichung hindert.

Ich halte mich in diesem Fall nur an moralische Werte, wenn ich daran Spaß habe, ich das selber will, aus irgend welchen verschrobenen Gründen, eine Art Sport.

Ich als Maß aller Dinge.

Joan

Ich denke doch genau darum geht es auch in der Moral ohne Gott: Dass ich ab und an meine eigenen Wünsche und Vorstellungen denen anderer Menschen (zum Beispiel meiner Freunde und Familienangehörigen) unterordne.
Du hast recht: Die ganz große Moral dort draußen wirst du vermutlich vergebens suchen. Die Gründe sind allseits bekannt: "Was kann ich schon verändern?" "Die großen Konzerne sind Schuld!" usw.!
Und was willst du jetzt tun? Den Kopf in den Sand stecken? Die Menschen für ihre Selbstbezogenheit verabscheuen?
Auch in einem "Glaubenskonzept" dass sich um dich dreht musst du dir etwas erarbeiten. Es geht um die Beziehung zwischen Dir und X. Ich bin bereit mich verändern zu lassen. Von Menschen die ich gern hab und von denen ich weiß dass sie mir in bestimmten Dingen überlegen sind.
Als moralischer Mensch wird man nicht geboren. Und vielleicht hast Du recht und es ist vermessen von "moralischem Verhalten" der Menschen zu sprechen.
Als ich vor einigen Jahren der Ekel las sagte mir mein Vater: "Im Alter von 50Jahren kann ich dir heute sagen dass der Existenzialist nicht sehr moralisch ist. Er ist zu Ichbezogen. Denkt zu viel über sich selbst und zu wenig über andere nach.".
Moral hat doch nicht unbedingt etwas mit Gott zu tun. Erst eimal geht es auch um die Menschen die mir nahe stehen und (das wage ich zu behaupten) es gibt sogar Menschen die in der Lage sind auch unbekannten Menschen gegenüber moralisch zu sein.
Zum Schluß: Irgendwie hat mich deine Aussage ziemlich traurig gemacht. Weil ich spüre dass sie wahr sein könnte. Das NIEMAND MORALISCH ist. Warum sieht die Welt sonst so beschissen aus?
Was soll ich jetzt tun? Die Menschheit hassen? Ich muss an das Gute, das nichtselbstbezogene im Menschen glauben. Sonst gehe ich ein!
 
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AW: Der Null-Gott-Glaube

Für mich sind die ersten drei Gebote noch die "moralischsten".

Die anderen sind alle grenzwertig.

"Du sollst nicht töten" heißt zum Beispiel nirgends, dass man nicht töten soll - sonst gäbe es keine Kriege.

Dazu hat es schon seit der Erstellung dieser Gebote die Todesstrafe gegeben, die "man" auch nur anderen, nie aber sich selbst auferlegt.

"Du sollst nicht stehlen" - ja, von MIR sollst du nichts stehlen, ich von dir schon - und wer dieser DU ist, von dem man moralisch berechtigt stehlen kann, darf und soll, bestimme ICH.
Das kann ein Drittweltland sein, das ich ausbeute, oder ein Arbeiter, an dessen Arbeitskraft ich mich bereichere, mir selber für meine "Denkarbeit" mehr "Lohn" zugestehend als ihm, dem dummen Hackler und Werkzeug meiner Selbstverwirklichung.

Gebote wie "du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau" sind sowieso einseitig sexistisch - die Frau als Gebrauchsartikel.

Was ist denn Moral, noch dazu diese wunderbare "hohe", die man da sich selbst abverlangt?

Heißt das, man bezahlt dem Drittweltproduzenten was ihm eigentlich zustünde? Kauft vom ihm Artikel, die bei uns nur durch staatliche Stützung günstiger sind als von ihm produziert?

Oder heißt es, dass man zusieht, dass Gerechtigkeit herrscht, dass alle Kinder die selbe Ausgangsposition haben, also die eigenen keinen besseren Start haben als die des Nachbarn, eines Ausländers ohne Deutschkenntnisse und Geld, oder Kinder anderer Nationen, die in der Heimat leben?

"Morla" - ist doch alles nur reinste Heuchelei und Selbstbeweihräucherung, ob nun mit oder ohne Gott.

Niemand strebt eine hohe Moral an, sondern nur eine blütenreine Weste, die in der Gesellschaft fein glänzt.


Genau damit setzt sich Platon in seiner politeia auseinander.
Zuerst lässt er Thrasymachos (einen Sophist) eine Rede halten, die deinem beitrag sehr ähnlich ist, worauf Sokrates auftritt und ihm das Wort im Munde umdreht, am Schluss aber selbst nicht von seinen Argumenten überzeugt ist, worauf er versucht die Gerechtigkeit bzw. den echten Gerechten zu ermitteln.

Dabei geht er von folgendem Extrembeispiel aus:
Ein Gerechter aber Machtloser, der überall geächtet wird, obwohl er das Gute (vorausgesetzt man weiß genau was es denn sei) tut wird einem Ungerechten äußerst einflussreichen und mächtigen Menschen, der überall geliebt wird, da er seine Taten gut zu verpacken, und sogar den größten Frevel als allgemeine Wohltat darzustellen weiß, gegenübergestellt.
Darauf die Frage: Wieso sollte der Mensch so wie wir ihn kennen überhaupt die echte Moral, die über jedem eigenen Vorteil stehen muss, anstreben?

Auch die goldene Regel folgt dem Eigennutzprinzip, weil sie zum Ziel hat sich selbst zu schützen, mit dem angenehmen Nebeneffekt, dass auch die anderen geschützt werden, wenn sie allgemeine Anerkennung findet. Habe ich aber keinen Schutz nötig, wie der oben angeführte Ungerechte, habe ich auch keinen Grund ihr zu folgen.

Platon findet für mich keine befriedigende Lösung des Problems.
Am Ende belohnt er den Gerechten doch, indem er ihm eine Art "inneren Frieden" zuschreibt, der dem Ungerechten unerreichbar ist. Er führt diesen Gedanken sogar noch weiter und endet darin, dass der Gerechte dadurch auch beliebter sein muss und am Ende auch materiell reicher... was angesichts der Ausgangsposition geradezu absurd erscheint.
Am Schluss fügt er dem ganzen noch die Bestrafung nach dem Tode hinzu. An dieser Stelle schon überflüssig wie ich finde, aber naja.

Warum ich das geschrieben habe?
Einfach weil es mich sehr daran erinnert hat.

Der Atheismus, der nicht nur den Gott, so wie er in den Weltreligionen auftritt, verneint, sondern jeden höheren Wert an sich, verträgt sich mit Moral schlechter als der Theismus.

Er braucht z.B. den Humanismus, in dem die Würde des Menschen als höherer Wert angesehen wird, da Gott selbst nicht mehr zur Verfügung steht.

hier ende ich mal,
mfg invain

Edit:
In deinem Beitrag sprichst du ja auch die Verlogenheit der Menschen an, die auf eine Moral pochen, weil angesichts der verwinkelten und komplizierten Realität diese starr abstrakten Regeln versagen müssen und einfach unzureichend sind.
Wenn man die Regeln allerdings nur als Richtlinien sieht, an denen man sich im Chaos des Lebens, wie die früheren Seemänner an den Sternen, orientieren kann, verlieren sie dadurch nicht ihre Berechtigung.
 
Zuletzt bearbeitet:
AW: Der Null-Gott-Glaube

Hi Frankie,

vielleicht irre ich mich ja ihn bezug auf dich und deinem Glauben.

Macht dich dein Glaube glücklich und innerlich zufrieden? Warum?
Welche Rolle spielt die Liebe in deinem Glauben?

neugieriger,
fussel
 
AW: Der Null-Gott-Glaube

@fusselhirn: Danke für die Fragen: also zum einen ist da ein großer Unterschied zwischen dem Null-Gott-Glauben und mir.

Dieser Glaube besteht ja nur aus einem einzigen Satz ("Die Anzahl der Götter ist konstant null"), und den teile ich mit sehr vielen Menschen.

Als eigenständige Person hingegen kann ich ein extrem liebevoller, verantwortungsbewusster, orientierter, sinnerfüllter und glücklicher Mensch sein. Oder auch nicht.

Das kann ich in jedem Glauben sein oder nicht.

Aber mehr als das, was hier in diesem Forum durch meine Beiträge über mich rüberkommt, kann ich auf diesem Weg nicht über mich sagen.

lg Frankie
 
AW: Der Null-Gott-Glaube

Niemand strebt eine hohe Moral an, sondern nur eine blütenreine Weste, die in der Gesellschaft fein glänzt.

Das sehe ich anders. Was jemand aus "seiner eigenen Moral" macht oder auch nicht, ist doch individuell.

"Eine Moral haben" klingt vielleicht altbacken (oder neumodisch, wie man's halt betrachten will), letzten Endes ist es aber nichts, das sich zwangsläufig aus Glauben oder Nichtglauben ableitet.

Ich sehe "Moral" in erster Linie als harte Arbeit. So wie man einer Religion aus purem Phlegma anhängen kann (da muß man nicht weiter nachdenken, sondern das tun, was die Religionsführer vorschreiben und ansonsten möglichst wenig aus der Reihe tanzen) kann man auch dem "Null-Gott-Glauben" aus simpelster Bequemlichkeit frönen, weil das allemal bequemer ist als über Sinn oder Unsinn des eigenen Handelns nachzudenken.

Unter Moral verstehe ich nicht die bigotte weiße Wäsche, die manche sich umhängen und die viele mit der verkniffenen Frömmelei allzu christlich tuender Leute verbinden, deren größtes Bestreben darin liegt, die Handlungen ANDERER zu bewerten. Sondern: die beständige Frage an sich selbst, ob das, was man tut, denkt und plant, mit dem eigenen Gewissen vereinbar ist.

Vielleicht ist Selbstverantwortung der richtigere Begriff, oder vielleicht auch Selbsterkenntnis, keine Ahnung. Es hat jedenfalls nichts damit zu tun, in die Welt zu posaunen "Ich mach doch sowieso nur das, was ICH will" (das tut ohnehin jeder, ganz egal welcher Glaubens- oder Nichtrichtung er/sie/es angehört).
 
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