Geht es nur um uns als Privatpersonen/unsere Fragen und nicht um wissenschaftliche Fragen, so werden häufig bis vorwiegend die gleichen Fragen gestellt. Neu oder auch konstant bleibend formuliert, eventuell aus einer neuen Perspektive heraus, unter Berücksichtigung neuer Erfahrungen, Erkenntnisse, Gesichtspunkte. Das aber ist auch relativ, denn für den Frager ist die Frage neu, oder er stellt eine alte Frage neuen Befragten, um eventuell durch neue Antworten bereichert zu werden - schlussendlich basieren sogar einige Wissenschaften auf diesem Prinzip.
Für mich war z.B. die 'Raumfrage' neu.
Auch diese 'Fragenfrage' finde ich interessant und würde sie gerne etwas verfremden und weiterführen.
Wahrscheinlich sollte man sich über alle Fragen freuen, weil sie ein Interesse verraten. Es ist u.U. ein Versuch, der Oberflächlichkeit der alltäglichen Kommunikation zu entkommen, aber auch ein Versuch, tief in die 'Geheimnisse' des Gegenübers einzudringen. Je nach dem, wer und welche Fragen er stellt, empfinde ich die Fragen aber u.U. als impertinent, unschicklich. Es liegt hier eine Kollision von Wertvorstellungen vor: zu einem empören mich die zudringlichen Fragen, weil ich die Berechtigung zu solchen Fragen nicht sehe, zum anderen stelle ich möglicherweise unschickliche Fragen selber, weil mir eine im Gewand politischer Korrektheit auftretende Egalisierungsmoral das gegenseitige Transparentmachen und -werden gebietet. Paradox, nicht?
Die Empörung mag man für Relikt einer alten aristokratischen Moral halten, wonach das vornehme Individuum niemandem Rechenschaft schuldig war/ist.
Die Egalisierungsmoral - z.B. bei Jakobinern oder in kommunistischen Systemen vorherrschend - bestimmt die westlichen Demokratien nicht in ihrem Kern, es bleibt noch immer der Gleichheit die liberale Idee des Rechtes auf das Eigene und auf Privatheit vorgeordnet.
Den Exhibitionismus der Talkshows, in denen Seelendramen oder Schandtaten ausgebreitet werden, möchte ich nicht zum dominierenden Aspekt unserer sozialen und politischen Realität stempeln. Auch manche Paparazzi-Exzesse nicht. Aber eine grosse Zahl politisch - und erst recht ökonomisch - relevanter Entscheidungen werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen. Sucht sich deshalb die Egalisierungsmoral Orte jenseits des Politischen?
Kann Egalität zwischen Menschen nur hergestellt werden, wenn der eine Einblick in die Abgründe des anderen erhält?
Es mag jetzt vielleicht etwas unverständlich anmuten, weil dieses Phänomen kaum auf das Forum applikabel und auch nicht dafür typisch ist, denn hier lassen wir uns freiwillig mit Fragen 'überrumpeln', werden also nicht in einen Rechtfertigungszwang manövriert.
Ich versuche es durch reale Beispiele zu veranschaulichen:
In Anwesenheit der jetzigen Frau wird man gefragt, warum man nicht mehr mit X zusammen ist.
Ein flüchtiger Bekannter fragt in Anwesenheit von Geschäftspartnern, wieviel mehr Geld man im neuen Job verdiene.
Ein kinderloses Ehepaar mittleren Alters wird in Gesellschaft gefragt, warum es keine Kinder hat.
Und vielleicht das krasseste Beispiel einer 'ungezwungener' gesellschaftlichen Konversation auf eine belanglos und harmlos geglaubte Bemerkung: 'Mein Vater ist schon lange tot.'
'Woran ist er denn gestorben?'
'Er hat sich das Leben genommen.'
'Warum?'...
Auch wenn die Fragenden faktisch den Befragten nicht gleich sind - nicht so viel verdienen, keine 'neue' Frau haben, dafür einige Kinder, ihre Väter auch noch nicht verstorben sind etc., gleichen sie sich ihnen an, indem sie ihnen ihre 'Geheimnisse entreissen' und sie künftig mit ihnen teilen.
Kann man unter dem Vorwand der Egalisierungsmoral auf diese Ersatzbefriedigung zurückgreifen, nur weil die gesellschaftlich relevanten Entscheidungen nicht unter Kontrolle zu bringen sind?
Ist auch die impertinente Fragerei eine verzweifelte Antwort auf die Erfahrung völliger Intransparenz, Undurchschaubarkeit der Welt, die wir bewohnen? Ein Versuch, Transparenz durch Frechheit zu erzwingen und sich dadurch wenigstens einen kleinen Teil 'der Welt' vertrauter zu machen? Oder ist alles ganz anders?
Viele Fragen zu den Fragen. Dem, wer mag, viel Spass damit und auch Dank.