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Ist GLÜCK ERLERNBAR ? Kapitel 3

eric_flausen

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17. April 2004
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Das Glückssystem

Die Erde ist eine Scheibe! So ungefähr ist unser Wissenstand, was unsere Emotionen betrifft. Heute lest ihr u.a. etwas über Don Camillo und Peppone, über den Aus-Schalter für die schlechten Gefühle und darüber, wie verhängnisvoll gute Gefühle sein können.

Manche von euch mögen sich fragen, weshalb man sich mit all diesen Dingen beschäftigen soll. Wo soll der konkrete Nutzen sein? Ob man das alles nun weiß oder nicht, was bringt mir das? Doch, es ist schon so: Mithilfe von diesem Wissen kann man tatsächlich glücklicher werden.


Trotzdem bleibt die Frage: Weshalb nicht gleich das Ergebnis darlegen? Weshalb das ganze Gerede vorher? Einfach deshalb, weil man ein Haus auch nicht mit dem Dach anfängt. Einfach deshalb, weil man sonst das Ergebnis nicht richtig verstehen würde. Wenn wir einen Lebenstrainer hätten, müssten wir von all dem nichts wissen. Aber diesen Trainer haben wir nicht. Ganz unabhängig davon, macht es doch auch Spaß, etwas mehr von uns selbst zu erfahren. Oder etwa nicht?


Der große Irrtum
Wenn nun endlich der Richtige/die Richtige gefunden wäre, dann würde sich alles weitere schon finden. Wenn nur das Ungemach, dass uns gerade plagt, beendet wäre, ja dann, dann würde sich das Wohlbefinden so ganz von selbst einstellen.

Es ist die Vorstellung, dass ein Leben ohne Leid automatisch zum Glück führt. Doch das ist ein Irrtum. Man weiß heute, dass das Gehirn selbstständige und unterschiedliche Systeme für positive und negative Gefühle hat. Um sich gut zu fühlen, reicht es daher keineswegs, einfach nur frei von Leid zu sein.


Glück ist nicht das Gegenteil von Unglück
Schlechte Gefühle schließen gute Gefühle nicht aus. Stell Dir vor, dass Du mit einer Gehaltserhöhung von 200 Euro rechnest, aber tatsächlich nur 100 Euro bekommst. Du ärgerst Dich, dass Deine Leistungen nicht richtig anerkannt werden. Gleichzeitig freust Du Dich über die Gehaltserhöhung. Dermaßen doppeldeutig fühlen wir häufig. So verschmilzt der positive Affekt der Freude mit der Wut. Es gibt Angstlust, wenn wir einen Horrorfilm sehen. Es gibt Hassliebe, wenn man gerade mal die vergötterten Kinder zum Teufel wünscht.

Wenn wir ans Essen denken, macht oft diese Ambivalenz den Reiz einer Speise aus: Bittersüße Schokolade, chinesisches „süß-sauer“. Wenn es um unsere komplizierten Gefühle geht, besteht die Lebenskunst darin, das Glück im Unglück und das Unglück im Glück zu erkennen.


Don Camillo und Peppone
Auch wenn es immer wieder behauptet wird, es trifft nicht zu, dass eine Gehirnhälfte für Gefühle und die andere für die Vernunft zuständig ist. Vielmehr beschäftigen sich beide Hirnhälften mit der Verarbeitung von Emotionen: Die rechte Seite für Unangenehmes, die linke Gehirnhälfte ist für die frohen Botschaften zuständig. Positive Gefühle sagen uns, was wir tun, negative Gefühle, was wir lassen sollen.

Mrs. Dodds war nach einem Schlaganfall in der rechten Hirnhälfte halbseitig gelähmt. Von dieser Lähmung wollte sie nicht nur nichts wissen - sie wusste tatsächlich nichts davon. Als der Arzt fragte, ob sie in die Hände klatschen könne, sagte sie: „Selbstverständlich“. Dann schlug Mrs. Dodds mit der intakten Hand in die Luft und behauptete im vollem Ernst, sie klatsche doch. In ihrem Gehirn, war nur noch die linke Hirnhälfte aktiv, die eine überschäumende positive Sicht der Dinge lieferte. Die rechte Hirnhälfte funktionierte nicht mehr, die sie auf den Boden der Tatsachen gebracht hätte.

Dieses Verhalten ist oft bei Schlaganfallpatienten zu beobachten: Menschen, die den Schlag im linken Vorderhirn erhalten haben, versinken häufig in schwere Depressionen. Menschen, die den Schlag im rechten Vorderhirn erhalten haben, verfallen in dauernde Fröhlichkeit. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn dabei nicht auch der Bezug zur Wirklichkeit abhanden kommen würde.

Bei Säuglingen, denen Wissenschaftler Zitronensaft einflößten, reagierten die rechten Hirnhälften, bekamen sie süße Getränke, wurde die linke Gehirnhälfte aktiv. Die gleichen Reaktionen zeigten sich im Gehirn von Erwachsenen, denen man einmal Erfreuliches und einmal Unerfreuliches zeigte.

Die Hirnsysteme für negative und positive Empfindungen sind so miteinander verbunden, daß ein gutes Gefühl schlechte verhindern kann und umgekehrt. Ständig kommt es im Gehirn zu Machtproben zwischen widersprüchlichen Regungen. Die negativen und positiven Emotionen können dabei miteinander, nebeneinander und gegeneinander arbeiten. Ständig geht es zu wie bei Don Camillo und Peppone, Spieler und Gegenspieler. Dieses Prinzip ist sogar in jedem einzelnen Neuron verwirklicht. Wir haben 10 Milliarden dieser winzigen Schaltstellen im Kopf, mehr, als Sterne in der ganzen Milchstraße funkeln.


Ein/Aus-Schalter für Ärger und Wut
Lust und Schmerz sind ewige Rivalen und liegen im ständigen Wettstreit um die Seele. Das Gehirn hat nun einen Schalter, um Ärger einfach abzuschalten. Neuropsychologen vermuten, dass dieser Schalter dazu da ist, dem Körper zu sagen, der Warnruf ist im Bewusstsein angekommen, Körper und Geist können sich daher wieder beruhigen. Das Schöne dabei: Diesen Schalter kann man mit etwas Training willentlich betätigen.

Diese Regelung der Emotionen ist oft eine Sache von Zehntelsekunden. Ist es in dieser kurzen Zeit nicht gelungen, die Emotionen richtig einzuschätzen, können die negativen Empfindungen eine Eigendynamik entwickeln. Man muß seine Gefühle einen Moment lang bewusst wahrnehmen, dann aber beiseite schieben und einfach zur Tagesordnung übergehen. Es mag nach übermenschlichen Herausforderungen klingen, es lässt sich aber trainieren.

Dagegen steht unsere bisherige Auffassung von Emotionen, die aus dem vorletzten Jahrhundert stammt und die inzwischen so überholt ist wie der Glaube, die Erde sei eine Scheibe. Diese falsche Meinung sieht das Gehirn wie einen Dampfkessel, in dem sich negative Gefühle als Druck aufstauen und abgelassen werden müssen. „Wein Dich aus!“ ist so eine wohlmeinender falscher Rat. Natürlich tut es oft gut, seine Erlebnisse auszusprechen und seine Gefühle jemanden anzuvertrauen. Aber es schadet, sich in den Ausbruch negativer Emotionen hineinzusteigern. Keinem Wissenschaftler gelang es jemals, Belege für eine entlastende Wirkung von Wutausbrüchen zu finden. Studien ergaben, dass Wutanfälle die Wut noch steigern und Tränen uns noch tiefer in die Depression hineintreiben können.


Über das sonnige Gemüt
In der Kontrolle der negativen Emotionen liegt eines der Geheimnisse des Glücks. Menschen mit einer starken Dominanz der linken Gehirnhälfte werden nicht nur leichter mit den Unannehmlichkeiten des Lebens fertig, sondern können auch Krankheiten besser abwehren. Sie haben mehr Killerzellen im Blut, ein besseres Immunsystem. Wer seine negativen Gefühle kontrolliert, kann die Aktivität der linken Gehirnhälfte steigern und lebt damit glücklicher und gesünder. Auch bei Erwachsenen kann sich das Gehirn noch wandeln. Mitunter kommt der Anstoß dazu von außen; neue Erfahrungen verändern oft unser Erleben. Aber das Gehirn kann sich sogar selbst umprogrammieren. Bei einer Versuchsperson wurde die stärkste jemals gemessene linke Gehirnaktivität festgestellt – ein Mönch hatte 10.000 Stunden Meditation hinter sich.



Anmerkungen
In Kommentaren zu den vorherigen Artikeln wurde deutlich, wie groß die Ablehnung bei manchen ist, dass Glück erlernbar sein soll. Wieso stellt man sich nicht die Frage, ob an der Theorie etwas daran sein könnte? Ist die Angst vor neuen Erkenntnissen so groß? Weil man auf einmal selbst dafür verantwortlich ist und sogar noch etwas dafür tun müsste? Die Angst vor dem Risiko ist größer, als die Hoffnung auf mehr Glück.

Das war nun Kapitel 3. Selbstverständlich kommen auch noch Themen wie Lust, Sex, Liebe oder die Begegnung mit Gott. Aber zunächst geht es weiter mit „Das formbare Gehirn“. Dabei geht es auch darum, dass es nicht so sehr auf die richtigen Entscheidungen ankommt.


Literatur: „Die Glücksformel“ von Stefan Klein mit den aktuellen Erkenntnissen aus den Wissenschaftslabors dieser Welt. Stefan Klein studierte Physik und Philosophie und promovierte über Biophysik. 1998 erhielt er den Holtzbrinck-Preis für Wissenschaftsjournalismus.
 
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