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In Würde sterben?

Claus

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Registriert
5. August 2005
Beiträge
3.673
Warum läßt man die Menschen nicht in Würde sterben?

Scharon hat große Verdienste. Verständlich, daß (bis auf einige, die ein Fest aus seinem Ableben machen) die Welt um ihn bangt und ihm noch den Triumph eines großen Wahlsieges gönnen will.

Aber nach allem, was man weiß, ist es doch aussichtslos. Er liegt glücklicherweise im Koma und bekommt nicht mehr mit, was mit ihm gemacht wird.
Warum wird versucht, ein großes Leben nicht würdig und friedlich zu ende gehen zu lassen, was bringt es ihm, seinen angehörigen, der welt, wenn er noch einige Monate als lebender Leichnam dahinvegetiert?

Das Problem stellt sich irgendwann für die meisten von uns.
Ich habe eine Patientenverfügung, die verhindern soll, daß ich meine letzten tage in einem würdelosen Zustand zubringen muß. Da es noch eine rechtliche Grauzone ist (in Deutschland. andere Länder sind da schon fortschrittlicher), habe ich auch vorgesorgt für den (hoffnungslosen) Fall, daß ich in einen hilflosen jämmerlichen und qualvollen Todeskampf eintreten muß, und noch rechtzeitig den Freitod wählen kann.

Jeder hat das recht, wenn er in einem hoffnungslosen Zustand ist, sich im Krankenhaus zu Tode quälen zu lassen.
Aber warum nimmt man ihm per Gesetz die Freiheit einer medizinische Sterbehilfe ?

fragt Claus
 
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Hallo Claus,

ein wichtiges Thema, zu dem ich auch später einiges schreiben möchte. Jetzt aus Zeitmangel nur dies:

Aus Israel rief mich gestern ein Bekannter an, er ist Anwalt, und bat mich, ihm ein gängiges Formular für eine Patientenverfügung zuzusenden. Der Trend in Israel geht auch in diese Richtung, es stehen aber keine Informationen zur Verfügung, die eine rechtlich und medizinische einwandfreie Formulierung erlauben würden. Also muss er als Anwalt jedes mal diese Verfügungen selber formulieren, dabei bleibt eine gewisse Unsicherheit, ob diese Entwürfe alles berücksichtigen.
 
Bevor ich mich an den Tod - das einzig Sichere im Leben eines Menschen - "wage", einige - für mich grundsätzliche Überlegungen zum Begriff WÜRDE.



Würde (von althochdeutsch wirdî; mittelhochdeutsch wirde) ist sprachgeschichtlich verwandt mit dem Wort „Wert“ und bezeichnete anfänglich den Rang, die Ehre, den Verdienst oder das Ansehen einer Person. Seit der Aufklärung wurde im Unterschied zur vorherigen konkreten Bedeutung mit „Würde“ verstärkt ein abstrakter sittlicher, moralischer Wert bezeichnet, der letztlich eine Qualität des Handelns oder, noch abstrakter, eine den Menschen allgemein immanente Eigenheit bezeichnet.



Als Skizze hier dargestellt:


http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Wuerde.jpg





Und nun, so kommt mir vor, ob es nicht sinnvoller wäre zu fragen, inwieweit und wo, warum der Wert Würde überhaupt noch Wirkkraft hat.

Als Beispiel für das, was ich meine, eignet sich besonders das Verhältnis eines “ normalen” Staatsbürgers zu Todesstrafe.

Mag der einzelne Mörder in der Regel keinen Anspruch darauf haben, dass wir ihn “ würdigen” - außer in Killerkreisen, wo Todesspezialitäten sicher berufsmäßige Würdigung erfahren -.
Auch ein Mörder ist ein Mensch - und daher hat er Anspruch auf Wahrung seiner Menschenwürde, sowohl im Ermittlungsverfahren als auch im - sicher oft notwendigem lebenslangen Strafvollzug.



Ich würde mit Begriffen wie Würde sehr sehr vorsichtig umgehen, denn oft sind gerade Menschen, die nach Wahrung der Würde von Würdenträgern schreien, nur allzu bereit, sich an den medial aufgeputzten unwürdigen Berichten zu ergötzen.

Ansonsten gilt für mich bei Betrachtung des moralischen Konstrukts Würde, was ich bei allen moralischen Geboten empfinde: Auch dieser Begriff ist heute in unserer pluralistischen Gesellschaft sehr relativiert, schon allein, weil wir uns in den verschiedensten Rollen bewegen: und fast jede Rolle hat ihre “Ehrbegriffe”, derer wir uns als Rolleninhaber “ würdig” erweisen müssen.

Aber: bevor wir auf Kant und den - von gewissen Standpunkten aus auch kritisierbar - Kategorischen Imperativ kommen, schließe ich

Würdevoll natürlich :schnl: :schnl: :schnl:


Marianne
 
mal weniger abstrakt zum "sterben in Würde":

Im Gegensatz zu den heuchlerischen Genesungswünschen aus aller Welt, die in dem bewußtsein ausgesprochen wurden, daß Scharon, wenn überhaupt, dann nur als sabberndes, körperlich und geistiges Wrack überlebt,
wünsche ich ihm, daß er nicht wieder aufwacht und in Frieden zu seinen Göttern fahren kann.

Der Haudegen Scharon, der 1967 als General die Todfeinde seines volkes und Landes zurückgeworfen hat bis über den Suezkanal, wäre es in seinem Sinne, ihn am Tropf und in windeln noch für ein paar Tage oder Wochen klinisch am Leben zu lassen?

fragt Claus
 
Ich glaube, dass heute die ärztlich-medizinische Versorgung schon so gut ist, dass man schmerzlos sterben kann - und die medizinische Forschung und Entwicklung geht sicher weiter.

Sobald ich aber keine Schmerzen habe, werde ich auch keinen würdelosen Eindruck machen und brauche auch keine zusätzliche Sterbehilfe. Soweit ich informiert bin lagen schon einige Menschen monatelang im Koma und wurden dann wieder völlig hergestellt. Natürlich kann bzw. könnte der Gesetzgeber die Sterbehilfe freigeben, man darf aber auch nicht vergessen - und ich will hier nicht nur den Ärzten Honig ums Maul schmieren - dass es sicher Ärzte gibt, die darunter leiden, zumal sie ja geschworen haben, Leben zu erhalten.

Auf freiwilliger Basis kann man dieses Gesetz natürlich machen, die Frage ist, ob man auch alle Beteiligten verpflichten kann, sodass es ein einklagbares Recht wird.

Für mich persönlich - und das ist ein höchst persönliches Thema - kommt auch noch die moralisch-ethische Komponente hinzu: habe ich das Recht, etwas zu zerstören, dass ich ganz sicher NICHT alleine erschaffen habe ?

Nachdenkliche Grüße

Zeili
 
Claus schrieb:
Im Gegensatz zu den heuchlerischen Genesungswünschen aus aller Welt, die in dem bewußtsein ausgesprochen wurden, daß Scharon, wenn überhaupt, dann nur als sabberndes, körperlich und geistiges Wrack überlebt,
wünsche ich ihm, daß er nicht wieder aufwacht und in Frieden zu seinen Göttern fahren kann.
Sicher ein gut gemeinter Wunsch von Dir,trotzdem möchte ich hier ganz ketzerisch die Frage in den Raum stellen,ob ein Mensch-nun "ein sabberndes ,körperliches Wrack" (ich habe bewußt "geistiges" weggelassen...) nicht auch in diesem Zustand geistig-seelisch unversehrt sein kann- im Sinne von " unsterblicher "Individualität oder " höheres Ich " -,obwohl der äußere Anschein etwas anderes vermuten läßt?
Kann ein Mensch nicht auch in diesem Zustand noch innere Entwicklungen machen,die über unseren Horizont hinaus gehen...?
 
Zitat von Zeilinger:
Ich glaube, dass heute die ärztlich-medizinische Versorgung schon so gut ist, dass man schmerzlos sterben kann - und die medizinische Forschung und Entwicklung geht sicher weiter.

Sobald ich aber keine Schmerzen habe, werde ich auch keinen würdelosen Eindruck machen und brauche auch keine zusätzliche Sterbehilfe.

Wenn man eine gute Sterbeklinik erwischt, kann man unter hohen Morphiumgaben hinüberdämmern.
So ist es auch gut. Wer garantiert mir aber die großen Mengen Morphium gegen unerträgliche Schmerzen? Glaub mir Zeili, es gibt auch Fälle, da hilft selbst Morphium nicht mehr.

Ich hoffe für mich, daß ich in so einem fall mir rechtzeitig noch selbst helfen kann.

Aber im gegensatz dazu ist ein Schlaganfall doch ein recht guter, schmerzfreier Tod.
Pech hat man nur, wenn einem die anderen das nicht gönnen.

Gruß von Claus
 
Zitat von Sibel:
...nicht auch in diesem Zustand geistig-seelisch unversehrt sein kann- im Sinne von " unsterblicher "Individualität oder " höheres Ich " -,obwohl der äußere Anschein etwas anderes vermuten läßt?
Kann ein Mensch nicht auch in diesem Zustand noch innere Entwicklungen machen,die über unseren Horizont hinaus gehen...?

ja. Nach meiner Überzeugung trennt sich beim Sterben die Seele vom Körper.
Deshalb soll man die Seele in einem siechen Körper nicht noch künstlich aufhalten.

Es soll ja jeder über seinen Körper und seine Seele verfügen können. Wer nicht rechtzeitig eine Verfügung getroffen hat und dann mit 77 Jahren in einem hilflosen (*) und hoffnungslosen Zustand ist, hat eben das Pech, daß man ihn heute nach westlichen Moralbegriffen nicht so einfach sterben läßt.

Das wäre nicht weiter schlimm. Schlimm ist aber, daß man ihn auch nicht sterben läßt, wenn er es so wollte und es Glückssache ist, ob seine selbstbestimmte Patientenverfügung anerkannt wird.

Claus

(*) mit hilflos meine ich insbesondere, daß er nicht mehr fähig ist, sich selbst von seinem Leiden zu erlösen.
 
In dem Fall stehen mehrere Dinge gegenüber:
- die Familie die Scharon liebt, ob mit oder ohne Schlaganfall und allein schon durch sein dasein erfreut ist, ihn also um keinen Preis verlieren will
- demgegenüber steht das Scharon wohmöglich Qualen erleidet von denen wir nichts erfahren können bzw. selbst nicht als Puppe oder reines betrachtungsobjekt wie die Tiere im Zoo leben will. Es ist glaube ich nicht im Sinne der Familie das Scharon Qualen leidet, wir wissen aber nich ob er leidet oder nicht, zumindest ich nicht.
- Ärzte haben geschworen das menschliche Leben zu schützen und über alles hinweg zu erhalten
- der Gedanke, die Maschinen die einen Menschen am Leben erhalten, und auch wenn es ein dahinvegetieren ist (wobei Pflanzen leben, der Ausdruck gefällt mir nicht...), das abstellen der Maschinen bedeutet den Tod und die Person die die Maschinen abstellt hat den Tod zu verantworten, ist ein Mörder, auch wenn dem Toten mit dem Tot wahrscheinlich besser geholfen ist wie mit dem Leben. Dieser Gedanke könnte viele auch davon abschrecken.
Ich persönlich will, wenn ich in einer solchen Situation bin, nicht mittels Maschinen am Leben erhalten werden wenn die Aussichten auf eine Genesung und ein Leben das ich danach genauso "frei" und bestimmt durch meinen eigenen Willen (soweit wie dieser Wille und sichtbar wird und je nachdem was er überhaupt ist) nicht sehr wahrscheinlich sind. Ich will aber auch keinem Zumuten den Schritt dann zu vollbringen und die Maschinen abzustellen. Das müssten Henker machen ide es gewohnt sind Menschen zu ermorden oder andere Mörder, man findet ja genügend von der Sorte auf dieser Welt. Einem Menschen, im nicht nur biologischen Sinne, will ich diese Aufgabe allerdings nicht zumuten.

Warum Scharon nicht sterben darf?
In den USA haben sie vor fast einem Monat Stanley „Tookie“ Williams ermordet.
Der Mann hatte einen langen Kampf gegen Jugendbanden und Jugendkriminalität geführt. Er war für viele das Symbol dafür, das Menschen aus einer dunklen Vergangenheit heraus sich wenden können und sich für eine friedliche Gesellschaft einsetzen.
Das Symbol ist Tod.
Wer erinnert sich heute noch an ihn?
In einem Jahr, in fünf Jahren, in zehn?
Das Symbol, Stanley „Tookie“ Williams, ist Tod, es kann nicht mehr erinnern an seine Kampf. Der Kampf wird nun schwerer zu führen sein, Williams steht für die Möglichkeit es zu schaffen.
Ein lebender warnt, erinnert und kann wirken, ein Toder wird vergessen und nur von denen die ihn lieben in Erinnerung gehalten.
Aus diesem Grund war es falsch die Nazischergen hinzurichten, ist es falsch Saddam zum Tode zu verurteilen und aus diesem Grund muss Scharon überleben: als Symbol für einen Frieden den Arafat nicht haben konnte, den Scharon nicht haben wird, der aber unbedingt erfolgen muss.

ciao
 
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tut mir leid, tosto , ich kann dir nicht folgen.

also:

Das Symbol, Stanley „Tookie“ Williams, ist Tod, es kann nicht mehr erinnern an seine Kampf. Der Kampf wird nun schwerer zu führen sein, Williams steht für die Möglichkeit es zu schaffen.

das ist richtig.
Es gibt aber zwei Möglichkeiten, die im Fall seiner Begnadigung hätten eintreten können.
die erste, die du im Sinn hast:
die Banden hören auf seine mahnenden worte. (Es ist ja von und über ihn so viel publiziert worden, daß die Banden es kaum überhört haben können, wollen sehen, ob er Erfolg hat)
die zweite aber :
die Banden sehen: wenns schief läuft, kann man immer noch durch Sinneswandlung im Knast vom Schlimmsten gerettet werden, das risiko (eines Verbrechens) lohnt sich vielleicht.

soweit so gut, aber das ist ja ein ganz anderes Thema gewesen. Gehört in den thread „gerechte Strafe“.

hier geht es um Scharon und das Recht auf einen natürlichen Tod in Würde.

Aus diesem Grund war es falsch die Nazischergen hinzurichten, ist es falsch Saddam zum Tode zu verurteilen und aus diesem Grund muss Scharon überleben: als Symbol für einen Frieden den Arafat nicht haben konnte, den Scharon nicht haben wird, der aber unbedingt erfolgen muss

Was haben die hingerichteten Nazischergen und Saddam damit zu tun?
Allenfalls Arafat, den hat man auch nicht sterben lassen wollen.

Claus
 
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