• Willkommen im denk-Forum für Politik, Philosophie und Kunst!
    Hier findest Du alles zum aktuellen Politikgeschehen, Diskussionen über philosophische Fragen und Kunst
    Registriere Dich kostenlos, dann kannst du eigene Themen verfassen und siehst wesentlich weniger Werbung

Humbold am Arsch

Sunnyboy

New Member
Registriert
10. März 2005
Beiträge
542
Hallo zusammen.

Heute streikten in der gesamten Bundesrepublik Schüler, Eltern und Sympathisanten.

Diese Überschrift ist im doppelten Sinne treffend für heute.

Sie beschreibt nicht nur den Zustand einer der renommiertesten Universitäten Deutschlands nach einer äußerst fragwürdigen Erstürmung durch Linksradikale und aufgebrachte (oder gar aufgewiegelte???) Schüler, sondern auch unser marodes Bildungssystem, dem der verehrte Herr von Humboldt dereinst Pate stand.

Seit Jahren ist es bekannt, dass das deutsche Schulsystems vor sich hinfault. Aus dieser Fäule erwuchsen soziale Ungerechtigkeit (aufgrund von Chancenungleichheit), ruinierte Lebensläufe, psychisch zermarterte Schüler und Lehrer, Leistungsmängel. Von dem großen Bildungsmangel mancher Schüler (und späterer Arbeitnehmer) mal ganz zu schweigen.
(Auch von den Unis wollen wir gar nicht erst reden.)

Spätestens seit "Pisa" hätte man handeln müssen. Aber was tat man? Das was man immer tut, wenn in der Bude was fault: Man packt es in eine Ecke, wo es keiner sieht. Dann sieht der Laden doch gleich wieder schöner aus.

Ein Beispiel aus meiner Schulzeit:

Eines der größten Probleme der Schulen in NRW ist der Unterrichtsausfall, da durch ihn wertvolle Lernzeit verloren geht. Also, der Unterrichtsausfall musste reduziert werden. Was tat das Bildungsministerium? Es führte EVA ein.

[Wofür EVA steht, darüber streiten sich die Gelehrten.
Das Ministerium betitelt es mit "Eigenverantwortliches Arbeiten".
Dies wird in Schülerkreisen bestritten. Dort wird die These vertreten, "EVA" hieße "Eiligst Vollzogenes Abhauen". Zumindest bei denen, die davon jemals gehört haben- in den meisten Schulen wurde es gar nicht eingeführt. Aber unser Direktor ist CDU-Mann, sowie unsere Bildungsministerin, die hoch und höchst verehrte Frau Dr. Sommer]


"EVA" wird in der Oberstufe "praktiziert" (HAHA!) und geht folgendermaßen:
Der Kurs erfährt, dass der Lehrer krank ist und ist betrübt, da nun der Lateinunterricht ausfällt. Da aber die Schüler die spannende Auseinandersetzung mit Cäsar und Cicero auf keinen Fall verschieben möchten, bis der Lehrer zurück kommt, rennt der Kurssprecher im Eiltempo- damit möglichst keine Sekunde der wertvollen Unterrichtszeit verloren geht- ins Sekretariat, um dort die Aufgaben abzuholen, die der Lehrer, trotz der 42° Fieber,mit denen er daniederliegt morgens noch vorbeigebracht hat.
Dann bearbeitet der gesamte Lateinkurs mit orgastischer Freude die Reden der Väter unseres humanistischen Abendlandes.

So SOLLTE es sein. Wie es in Wahrheit geht, kann sich jeder vorstellen: Der Kurssprecher wird nie ins Sekretariat rennen (oder laufen, gehen oder schlurfen), wo, wenn er Glück hat die Aufgaben des Lehrers auf ihn warten. Der gesamte Kurs wird geschlossen beim Kaffetrinken beim Bäcker nebenan wiederzufinden sein.

Natürlich werden einige sagen: Es ist doch nicht die Schuld des Ministeriums, wenn die Schüler und Lehrer die Maßnahmen nicht umsetzen.
Aber die Maßnahmen sind verlogen. Was soll "EVA" bringen?
Entweder können die Aufgaben bearbeitet werden, weil die Schüler das nötige Wissen haben,aber dann fragt man sich wozu der Mist? Oder aber, die Schüler haben nicht den blassesten Schimmer, wovon die alten Itaker da faseln, brechen nach ein paar Minuten den Versuch ab und hören Walkman (oder I-Pod.) Schüler haben einen Anspruch darauf, beim Lernprozess fachgemäß betreut zu werden. Alles andere ist doch Verarschung. Davon hat niemand etwas außer Ministerin Dr.Sommer und ihrem Team- die kriegen nämlich geschönte Zahlen in die Statistiken ("Juhu. Null Stunden Unterrichtsausfall pro Tag- nur öfters mal "EVA"!)

Ich könnte auch noch stattdessen erzählen, wie im unseren Politik-Lehrer erst die Schreibtischschublade rausbrach und dann das Fenster beim Aufmachen entgegenkam. Oder dass es eine beliebte Frage von uns Ehemaligen unserer Schule gegenüber Noch-Schülern unserer Schule ist, ob das Loch in der Tür im Chemie-Raum noch da ist. (Antwort JA!- dafür ist immerhin das Loch in der Decke unseres Französisch-Raumes ausgebessert.)

Und das sind die Gymnasien (Also im Idealfall die Bildungselite!) Von den Hauptschulen will ich gar nicht reden- wahrscheinlich auch weil ich mich immer noch unterbewusst weigere die Horrorgeschichten zu glauben, von denen mir mein Verstand sagt, dass sie wohl wahr sein müssen (Rütli!).

Stattdessen werden im bildungspolitischen Bauerndorf NRW ständig neue Säue durch die Straßen gejagt- Zentralabitur (in dem trotz mehrmaliger Prüfung durch Fachlehrer INHALTLICHE Fehler in der Aufgabenstellung vorkamen) und Turbo-Abi (acht Jahre statt neun Jahren, bei gleichem Inhalt, wohlgemerkt, sodass immer mehr Gymnasiasten den Psychiater aufsuchen müssen, weil sie jenseits der Schule kein Leben mehr haben).

Humboldt war Humanist. Sein Haus war lange zerstört, bevor die "Antifa"-Hunnenhorde heute dort einfiel.
Seit es in der Schule nur noch um Statistikzahlen und natürlich GELD und nicht mehr um MENSCHEN geht, wurde auf sein Grab gespuckt.

MfG,
Sunnyboy

PS: Seine Menschlichkeit stellt das nordrhein-westfälische Schulministerium nach dem Streik unter Beweis: Den Schülern, die (bei uns immerhin friedlich) um ihr Recht kämpften, drohen nun Konsequenzen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Werbung:
AW: Humbold am Arsch

PS II:
Das bei "Humboldt" in der Überschrift ein t fehlt hat ausnahmsweise nichts mit dem schlechten Bildungssystem zu tun, sondern mit meiner eigenen Unfähigkeit mit einer Tastatur umzugehen. :)

Mein Gott- was wird dem armen Mann angetan. :haare:
 
AW: Humbold am Arsch

Sunny schrieb:
Mein Gott- was wird dem armen Mann angetan. :haare:

Der Humboldt fährt zum Arsch der Welt
- Ich weiß nicht ob’s ihm dort gefällt –
Denn was ihm dort danach geschah,
Das ging sogar der Nachwelt nah…

Er traf da auf ein Sonnenkind,
Da setzt grad ein der Abendwind -
Der Sonnenknabe bei sich denkt:
"Ein t hätt ich auch gern geschenkt…"

Beim nächsten stärkren Windesstoß
Ward Humboldt seinen t dann los
Und sprach ganz laut: "der Abendwind!"
Da sagt "ja ja" das Sonnenkind…

Sunny gewidmet - weil mir die Sache mit dem "t" so gefallen hat....

Liebe Grüße - und bitte nicht böse sein...

Miriam

 
AW: Humbold am Arsch

Hi Miriam.

Solange in Deutschland noch gedichtet wird, solange gibt es Hoffnung.

Liebe Grüße :blume1:,
Sunnyboy
 
AW: Humbold am Arsch

ach sunny,
was soll ich da noch schreiben...!
außer dass ich dir zustimme.

glücklicherweise hab ich mein kind seit heuer in einem privaten gymnasium untergebracht. das ändert zwar nichts an den grundsätzlichen mängeln unseres unterrichtssystems - doch es hat den nicht zu vermissen wollenden vorteil, dass die professoren dort wenigstens persönlich engagiert sind und die kinder im allgemeinen mögen.

nicht einmal das, war in der öffentlichen hauptschule der fall.....von allem anderen natürlich ganz zu schweigen! :haare:

ich erachte eine komplette reform des bildungs- und schulwesens für unumgänglich, wenn unsere gesellschaften endlich mal aus der "maria-theresianischen-bildungspolitik" (für Ö :D) rauswachsen wollen.

nur: ob sie das auch wollen?
wenn nicht, dann werden sie´s mal müssen.

und: wer - um gottes willen - wird diese reformen umsetzen und WIE ???
davor hab ich regelrecht angst. :haare:

liebe grüße
kathi
 
AW: Humbold am Arsch

Die Konservativen wollen, dass für das "gemeine" Volk alles beim Alten bleibt und nur die, die sichs auch leisten können, ihren Kindern Bildung zukommen lassen. Was glaubst du, warum das schon seit Jahrzehnten ein Thema ist! Und was glaubst du, warum die Privatschulen so gut da stehen? (Deren Lehrer ironischerweise vom Staat bezahlt werden!)


Aber du hast es ja glücklicherweise für dein Kind gut lösen können. Ich wünsch ihm alles Gute!

:blume1:
 
AW: Humbold am Arsch

Aus meiner Sicht tut sich das Bildungssystem so besonders schwer, sich zu verändern, weil es aus Lehrern besteht. Die werden ihr Menschenbild (großer Mensch > kleiner Mensch) nicht so einfach aufgeben. Einerseits, weil sich eine autoritätsgläubige Gesellschaft gegen Pädagogen (allg. „Fachleute“) nicht erheben wird (sie sind dazu erzogen „den Fehler immer erst bei sich selbst zu suchen, moderner Weise sich zurechttherapieren zu lasen), andererseits, weil der Pädagoge sein Lebenswerk und sei es eine kranke Wettbewerbs- und Nachmachgesellschaft als Lebensleistung verteidigen wird. Kein Lehrer wird seine Lebensleistung in Frage stellen, nur weil ein paar geistige Hippies Probleme erforschen wollen. Eine ernsthafte Veränderung des Lernsystems könnte als Schuldeingeständnis aufgefasst werden. Möglicherweise führte „belohnen und bestrafen“ ja zu dem, was wir heute haben.

Und die die auf die Lehrer einwirken könnten, scheinen unter „wir müssen mehr für unsere Kinder tun“ zu verstehen „wir müssen mehr in Bildung investieren“ (das Politikermantra) und daraus folgern sie „wir müssen mehr Geld ins System pumpen“.

Die Methode:
Ist die Bankenwelt in der Krise, pumpe Geld hinein.
Ist das Krankensystem in der Krise, pumpe Geld hinein.
Ist die Wirtschaft am Boden, pumpe Geld hinein.

Ist der Schüler doof, sieht keine Zukunft für sich, wirkt überfordert und in seinem eigenen Antrieb erstickt, nur durch sekundäre Anreize (Geld, Anerkennung) angetrieben und vom Zurückbleiben bedroht, ständig mit sich unzufrieden....ja was macht man da, man meint, indem man mehr Geld „reinpumpt“, sei alles nötige getan. Die Schlussfolgerung auf der Elternebene ebenso mit Geld dem Kind "etwas gutes zutun", scheint da eigentlich leider logisch. Eine seltsame Welt.

*leise vor mich hin brumme*
Viele Grüße
Bernd
 
AW: Humbold am Arsch

Solange in Deutschland noch gedichtet wird, solange gibt es Hoffnung.

:lachen: :lachen: Oh, weh!
Ich muss dir voll zustimmen! Auch unser Bildungssystem in Ö ist miserabel! Das zieht sich bis zu den Universitäten hinauf, die sich offenbar das kapitalistische Wirtschaftssystem zum Vorbild gemacht haben.

Pfui! :nudelwalk
 
Werbung:
AW: Humbold am Arsch

Der Sinn der Ausbildung junger Menschen ist doch eindeutig darauf ausgerichtet, dass der Schüler optimal auf den Arbeitsmarkt vorbereitet wird. Er soll schlicht und einfach so gut wie möglich darauf vorbereitet zu werden, verwertet zu werden. Und die Verwertung geschieht unter finanziellen Motiven. Dein Kind ist nichts Wert, wenn es eine Blume im Mund hat und im Gras liegt, es soll arbeiten und konsumieren, dass sich die Balken biegen. Und selbst wenn es dazu nicht in der Lage ist, sollen wenigstens ein paar Betreuer, Heilpädagogen, Pastoren und Verwalter noch an ihm verdienen. Soweit sollte man es zugeben können.

Auch die Familienpolitik, die Kindergeldbezuschussung bezweckt in erster Linie eine größere Produktion von Kindernachschub, und warum? Weil Kinder so süß sind und wir von ihnen lernen wollen? Nein, weil man Sorge hat, dass auch genug Konsumenten von Handys und Mieter für unsere Altersvorsorgeimmobilien nachwachsen. Weil wir einfach neue Arbeiter brauchen, sinkende Zahlen von Arbeitssuchenden würden die Preise (Gehälter) versauen.

Wenn also bereits die Entstehung von Leben, dann das Heranwachsen und später das Erwachsenenleben rein aus ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet wird, und jegliche Gedanken an „eine bessere Versorgung der Kinder“ immer nur unter dem Geldmotiv stattfinden, ja dann fühlt sich so ein junger Mensch doch richtig willkommen, hmm?
Man sollte Kreißsaal gleich in Preissaal umbenennen. Vielleicht gleich darinnen postnatal das Geräusch einer Registrierkasse abspielen.

Dann bleibt für dich viel Arbeit, deinem Kind zu erklären, dass es bedingungslos erwünscht ist, dass es willkommen ist, sich frei entfalten darf und sich einbringen kann und diese Welt seine riesengroße dichterische wie handwerkliche Spielwiese ist.

Ich finde das ganzschön traurig, denn es zeigt wie würdelos wir unser Leben behandeln.

Bernd
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben