Teil 1
@ trist
ich habe meine Informationen nicht aus dem Netz. Von daher auch ein
an louiz und binchen für die Verweise.
Ich beziehe eine christliche aber kirchenkritische Zeitung die sich Publik Forum
nennt und auch unter diesem Namen (.de) im Netz zu finden ist - ich habe
aber noch nicht geschaut in wie weit diese online lesbar ist - und durch
Gespräche mit kritischen Theologen und deren Informationsquellen.
@ lacuna
ich sprach nicht von Sekten, sondern das in solchen Fällen es ähnlich von der
Außenwelt ausgeschlossen vollzogen wird wie eben bei Sekten.
@ alle
wer sich mit solchen Krankheitsbildern beschäftigen möchte, sollte bei google
einfach mal MPS ( Multiples Persönlichkeitssyndrom ) oder DIS eingeben.
Da wird er haufenweise Beispiele finden.
Anbei eine solche Geschichte:
Der folgende Artikel von Holde Barbara Ulrich erschien in der Ausagbe N° 13/2000 in der Zeitung ZEIT am 23.03.2000. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin dürfen wir diesen Artikel auf unserer Homepage veröffentlichen.Der Artikel enthält mögliche Auslöser, also bitte gut aufpassen beim lesen.
Diese Geschichte erzählt, wie sich die Seele eines Menschen in höchster Not zu retten versucht. Am Ende stehen 44 Personen, die in einem Körper leben. Wissenschaftler sprechen vom Phänomen der Multiplen Persönlichkeit.
Ihre Mutter setzt sie vom Sofa auf den Boden. Ziemlich unsanft diesmal. Vor ein paar Tagen hat diese Frau sie aus dem Heim geholt und gesagt, daß sie ihre Mutter sei. Giovanna drängt sich an das Knie der Frau und versucht erneut, auf ihren Schoß zu klettern. Die Mutter gibt ihr einen Schubs, daß sie hart auf die Dielen fällt. Großvater Karl blickt erstaunt von seiner Zeitung auf. Das Kind fängt an zu weinen.
»Komm«,sagt die Frau genervt. Sie zerrt die Kleine an einem Arm hoch und zieht sie hinter sich her. Ein paar Steinstufen hinab, über den Hof, zum Kohlenkeller. Stößt sie in die dunkle Höhle, wirft die Tür zu und dreht den Schlüssel rum.
Ein leichtes Scheppern am Schloß. Langsam schiebt sich die Tür wieder auf. Giovanna sieht, wie sich der Mann, der Karl heißt und den sie Opi nennt, vorsichtig durch den hellen Spalt zwängt. Sie schluchzt laut auf vor Erleichterung und klammert sich an ihm fest. Der Mann zieht ihren Kopf an seinem Leib, fängt an zu keuchen. Er hebt sie hoch, zieht ihr die Unterhosen aus, öffnet seinen Gürtel, schiebt seine Kleidung nach unten. Mit einem Arm presst er sie fest an sich, mit dem anderen greift er ihr von hinten zwischen die Beine, stößt mit dem Finger in sie hinein, drückt sie sich auf den Schoß. Ein greller Schmerz. Nur kurz. Bis sie die Besinnung verliert.
Opi hat lange mit ihr zu tun. Ab und an stößt ihr Bewußtsein in das Keuchen und Grabschen zurü,ck, versinkt wieder. Einmal kommt sie vor glibbriger Atemnot zu sich, erbricht sich würgend und hört Opi beschwichtigend murmeln:»Nur stille, stille, Kind«. Irgendwann ist sie wieder bei sich. Verschmiert, ein wundes, zermartertes Tier, und wie ein Tier winselt sie. Über ihr Opis Gesicht. Er drückt ihr die Hand auf den Mund. »Psst, psst !«. Dann legt er sie wieder zurecht. Sie sieht das spitze blutige Messer vor seinem Bauch. Ihr ist eiskalt. Sie kann die Kälte nicht länger ertragen, und von dem Messer würde sie sterben. Sie muß sich verstecken. Irre vor Kälte, rollt sie sich ein. Ganz in sich zurück. Eine winzige, warme Murmel. Schmerz, Angst, Einsamkeit- eingerollt. fest verpackt. Nichts mehr spüren.
Giovanna ist fort im Unbewußten. Ein anderes Wesen nimmt ihren Platz ein- die Steinerne Blume. Schmerzfrei, gefühllos, gefügig. Sie spürt Opis Messer nicht, als es in sie eindringt. das Erlebnis des Schmerzes ist nicht in ihr. Sie läßt sich von Opi besudeln, ersticken, zerreißen und hat keine Angst. »Na, siehst du, mein Schatz«, sagt Opi zufrieden. Er weiß nichts von der Verwandlung. Rein äußerlich ist da noch immer das blond gelockte, süße kleine Mädchen. Als die Mutter endlich kommt, das unartige Kind zu holen, sagt der Großvater:» Kleine Kinder sperrt man nicht so lange in den Kohlenkeller.« Er schließt seinen Gürtel und geht auf den Hof. Als hätte sie alles nur geträumt, erwacht Giovanna. Das flüchtige Bild eines anderen, hilfreichen Kindes ist da. Schwester oder Bruder vielleicht. Schnell vergißt sie es wieder. » Komm jetzt nach oben«, sagt die Mutter versöhnlich. Giovanna faßt ihre Hand, setzt sich an den gedeckten Tisch und ißt ein Stück Kuchen. Heute ist ihr dritter Geburtstag.
Giovanna mag ihren Opi. Er ist der Einzige, der ihr nach dem Spaß, den er mit ihr hat, über den Kopf streicht, ihr ein Stück Schokolade schenkt. Ein nachsichtiger, gutwilliger Mann, der Geschichten vorließt. das Kind liebt die Prinzen, Feen und Zauberer. Wenn die Not groß ist, kommen sie- einzeln, manchmal zu zweit, bei Todesgefahr auch zu dritt. Ihre Fluchthelfer. Sie selbst ist eine Überlebende.
Die Mutter, von Giovanna später nur noch Adoptionsfrau genannt, badet das Kind. Sie bürstet zu hart, die Kleine fängt an zu weinen.»Still!«, sagt die Frau und schrubbt noch eifriger. Giovanna entzieht sich. Die Frau packt das Kind, drückt es mit dem Kopf unter Wasser. Lange. Die Augen scheinen zu platzen, Qual des Erstickens. Als das Kind japsend und hustend auftaucht, wiederholt sie die Prozedur. Wieder und wieder. Das Kind spürt nichts mehr, hat sich eingerollt. Nicht ins Dunkel, wie Giovanna den Tod nennt, nur eine unbestimmte Zeit in den Zwischenraum des Vergessens. Aus dem Wasser steigen nach der Tortur drei neue Personen: die Meerjungfrau, Nixe 1 und Nixe 2. Sie bleiben, bis die Gefahr vorüber ist und Giovanna aus dem Badezimmer tritt. Künftig werden sie immer da sein, wenn das Wasser in die Wanne rauscht.
Die sadistischen Abrichtungen durch die Adoptionsfrau, die sie Erziehungsmaßnahmen nennt, setzen sich fort. »Wo ist rechts, wo ist links ?« Giovanna zuckt mit den Achseln. »Leg deine Hand an den Türpfosten«, verlangt die Frau. »Siehst du, und jetzt kommt ein Sturm.« Sie wirft die Tür ins Schloß. »Da, wo es weh tut, ist links«, sagt die Frau, als sei es ein Spiel. Giovanna versinkt in grellroten Wellen des Schmerzes. Schneeweißchen und Rosenrot tauchen auf- unbeteiligt, tränenlos, schmerzfrei.
Für Opi, der die mittlerweile Fünfjährige Nacht für Nacht in sein Bett holt, und auch für den Adoptivvater, einen Fernfahrer, der nur ab und an seine Gelüste an ihr stillt, hält sich die Steinerne Blume bereit. Rothand wird kurze Zeit später geboren. »Du weißt immer noch nicht, was heiß und kalt ist ?« Die Frau schaltet den Herd auf drei. Als der Kessel pfeift, nimmt sie ihn von der Platte. »Leg deine Hand dorthin«, befiehlt sie dem Mädchen. Giovanna folgt und zieht sich im selben Moment in sich zurück. »Na, siehst du, jetzt weißt du's«, sagt sie. Rothand schaut artig zu ihr auf und nickt.
Die barbarischen Akte hören nicht auf. Giovanna ist immer auf dem Sprung. Stets in Todesangst, hat sie ihre feinen Antennen auf Empfang gerichtet. Sie muß auf der Hut sein, sich einrollen, ehe es zu spät ist. Instinktiv erkennt sie den richtigen Punkt. Ist es die Adoptionsfrau, ihr farbloser Mann oder Karl ? Einer von ihnen kommt auf eine satansiche Idee. Giovanna ist gerade sechs; die Zeit der märchenhaften Innenpersonen geht jäh zu Ende.
Die Mutter ist Kellnerin in einer Hamburger Bar. Das Umfeld provoziert Gelüste perversester Art. Es ist ihr ein Leichtes, draus ein Geschäft zu machen. Am ersten der unzähligen Abende, die folgen werden, bringt sie zwei Männer mit nach Haus. Das Kind wird auf den Küchentisch gelegt. Die Männer tun dasselbe mit ihm, was Opi Nacht für Nacht mit der Steinernen Blume macht. Nur daß es zwei sind und das alles auf einmal passiert- zerreißen und ersticken. Die Frau hält dem Kopf fest und sagt »Hab dich nicht so, das ist doch nichts Schlimmes.« Opi fotografiert, der Adoptivvater hält das Ganze mit der Schmalfilmkamera fest. Der Adoptionsfrau fallen immer neu Spiele ein. Der Stundenpreis steigt, die Zahl der Kunden auch. Die Steinerne Blume ist den ständig wechselnden Vergewaltigungen nicht länger gewachsen. Sie rollt sich nicht ein, sondern ruht sich eine lange Zeit aus. Sie dreht sich weg, wie Giovanna sagt. Liebling springt ein. Und für die härtesten Kunden kommt Flittchen ins Spiel.
Die Adoptionsfrau ist kein Unmensch. Sie kauft dem Mädchen hübsche Kleider, putzt es heraus. Sie schenkt ihm ein Akkordion und bezahlt einen teuren Musiklehrer. Giovanna ist eine begabte und fleißige Schülerin. Die Nachbarn hören es und loben sie. Mit elf ist sie das erste Mal schwanger. Die Zeit der Abtreibungen beginnt. Die Rote kommt hinzu und läßt die nach warmen Blut dünstenden Tötungsprozeduren klaglos über sich ergehen. Giovanna fehlt oft im Unterricht. Ihre Leistungen sind ohnehin nur mäßig. Mit 15 bringt sie einen Sohn zur Welt und verläßt die Schule. Ihn abzutreiben war schon zu spät. Zu ihrem groß:en Unglück entscheiden die Eltern, das Baby zur Adoption freizugeben.
Beim ersten Mal, als ich Giovanna begegne, ist sie 45 jahre alt. Rundes Gesicht, weicher Mund, bernsteinfarbene Augen. Wie ein Strahlenkranz um das Gesicht ein grauer, krauser Afroschopf. Ein großes T-Shirt über einer weiten, bunten Hose kaschiert ihre Rundlichkeit. Der Kreis ihrer inneren Helfer umfaßt mittlerweile 44 Personen: Erwachsene, Jugendliche, Kinder - männliche und weibliche. Einige weggedreht oder eingerollt. Nicht alle sind miteinander bekannt. Einige ziehen es vor, sich verborgen zu halten. Es gibt keine Einzelperson. Es gibt nur den sichtbaren Außenkörper, der den Namen Giovanna trät. Um den unauflösbaren, schicksalhaften Zusammenhalt, das Aufeinanderangewiesensein, die Untrennbarkeit des Systems Giovanna zu demonstrieren, spricht sie und sprechen die anderen, sobald sie es wagen, anch vorn zu kommen, von sich in der Mehrzahl. Im Laufe der Therapie, die vor drei Jahren begann, hat sich der Kreis gebildet. Versuch einer beginnenden allgemeinen Verständigung. Es ist ein Anfang, der von Zeit zu Zeit in Protest, Unfrieden, Chaos ausufert. Ich möchte über den Kreis schreiben. Giovanna zögert. »Vielleicht«, sagt sie. Tage später:>>Wir denken, es ist okay. Wir haben nur Angst, daß wir dich mit unserem Leben verletzen. Es ist so unerhört schmutzig.<<
Bei unserem nächsten Treffen ist mir die Person fremd, die vorgibt Giovanna zu sein. Herb, abweisend, distanziert, mit dunkler männlicher Stimme. »Die von uns, die neulich hier war, hat sich weggedreht«, sagt die Person. »Sie hatte uns nicht gefragt, bevor sie dir zugesagt hat. Die meisten von uns sind dagegen. Vergiß das Projekt.« Nach Wochen meldet sich die nette Person unseres Anfangs wieder. Der Kreis habe sich nun doch auf eine Zusammenarbeit mit mir geeinigt. Es gehe ihr gut. Sie könne allerdings nicht garantieren, daß immer die selbe Person mit mir spräche.
Zunächst bleibt alles Geplänkel. Behutsam nähern wir uns. Durch die Außenhaut gehen nennt sie das. Fast jede Berührung in ihrer Kindheit war eine Verletzung. Nun kann sie Nähe schwer ertragen. Nach Monaten lädt sie mich zu sich nach Hause ein. »Die Wohnung ist eigentlich zu eng für uns«, bereitet sie mich vor. Zwei kleine Räume, Flur, Bad, Küche, Balkon. Sie lebt von Sozialhilfe. Erstaunliche Ansammlungen im Wohnraum: Regale voller Kinderbücher und Spielzeug, viel glänzender Flitterkram, traditionell männliches Handwerkszeug, eine Nähmachine, ein Computer. »Jeder von uns hat seinen eigenen Charakter, und jeder kann etwas anderes«, erklärt Giovanna. »Wir brauchen zum Besipiel nie einen Handwerker, und wir reparieren auch unser Auto selbst.« Die Katze Zoe verhält sich eigenartig. Sie faucht und zischt, dann wieder schmeichelt sie um die Beine ihres Frauchens. Gleich darauf zieht sie den Schwanz ein und flüchtet. »Die Kinder sind heute so grob mit ihr«, sagt Giovanna ärgerlich. Besorgt fragt sie: »Stört dich der Krach ?« Mein verdutztes Gesicht erinnert sie daran, daß ihre innere Welt hinter der Außenhaut bleibt- unsichtbar, unhörbar für mich. Nur manchmal kommt jemand von innen nach vorn, bedient sich des Körpers und tritt kurz in die Welt.
Das Telefon klingelt. Giovanna ruft an. Sie wirkt total gestreßt. »Ein einziges Chaos«, klagt sie. Und nach rückwärts gerichtet: »Könnt ihr bitte mal ein paar Minuten ruhig sein ?!« Dann wieder zu mir: »Stell dir vor: zwei von uns sehen fern. Eine hört ihre CDs. Der Kleine tutet mit seiner Feuerwehr durchs Zimmer. Eine trägt ihre Gedichte vor. Und drei streiten sich vor dem Computer, weil der vierte mit seinen Magic Games nicht zu Ende kommt. Keiner nimmt Rücksicht darauf, daß wir mit dir telefonieren.« Lange Zeit ist es nur Giovanna, die zu mir spricht. Aus Neugierde, Wichtigmacherei oder weil sie sich sicher fühlen, kommen auch andere nach vorn. Ich lerne die Unterschiede spüren: Stimmlage, Gestik, Temperament, Alter; ich sehe die Narben wiederholter Selsbtmordversuche, die glatten Flächen der Verbrennungen, die Wülste von Brüchen, kleine Verkrüppelungen. Jennifer kommt mir besonders nahe. Ich verwechsle sie oft mit Giovanna. Darüber sehen beide in großzügiger Nachsicht hinweg. »Du kannst ja nichts dafür«, sagt Giavanna. Jennifer ist erst vor drei Jahren als erwachsene junge Frau in den Kreis gekommen. Sie hatte keine Schmerzbewältigung mehr zu leisten, sondern nur noch die Bitterkeit eines Abschieds auf sich zu nehmen.
Zu einem Zeitpunkt,als Giovanna sich ihres Multipelseins mit groß,er Beunruhigung bewußt wurde- kurz nach dem Tod der Adoptionsleute, als hätten die sie endlich freigegeben-, verließ sie ihren Fluchtpunkt Andalusien und ihre beiden Kinder, um eine Therapie in Berlin zu beginnen. Den Abschied verkraftete sie lange nicht. Jennifer kam und nahm ihn ihr ab. Jennifer ist offen und herzlich. Ich denke, daß sie das urwüchsig Weibliche des Kreises verkörpert. Die Lebens- und Liebessehnsüchte der Mädchen und Frauen haben sich in ihr gesammelt. Wenn sie nach vorn kommt, bewegt sie sich straff, sieht hübsch aus, wagt vorsichtige Blicke zu Männern. Jennifer genießt Vertrauen im Kreis. Sie kennt die Schicksale fast aller anderen. Giovanna, die in den schrecklichsten Stunden eingerollt war, weiß von allen am wenigsten. Giovannas Mißhandlungen durch ihre Familie, ihre sexuelle Vermarktung und Ausbeutung setzen sich fort, bis sie Deutschland verlätßt. Erstaunlich ist, daß keinem der Nachbarn irgendwas auffällt. Wenn abends die Kunden kommen heißt es »Ach, die Skatbrüder vom ollen Karl rücken wieder an.« Sie registriert, daß die »Deern von nebenan« wunderschön auf dem Schifferklavier spielt. Wenn sie aber vor Schmerzen schreit, hört es niemand. Mit 18 heiratet sie einen Lehrer und zieht mit ihm in eine nahegelegene Wohnung. Der Kontakt zur Familie bleibt so eng wie zuvor. »Es war unser normales Leben«, erklärt Giovanna, »Wir gehörten zu dieser Familie. In gewisser Weise hingen wir sogar an ihr. Sie verdienten viel Geld mit uns. Das konnten wir ihen nicht so einfach wegnehmen.« Sohn Joris wird geboren und ein Jahr später Tochter Flora. Eine bohrende Angst bewegt Giovanna, die Kinder in Sicherheit zu bringen. Sie überredet den Mann, für ein paar Jahre ins Ausland zu gehen. Andalusien vielleicht. Sie reist mit den Kindern voarn, um das neue Leben vorzubereiten. Der Mann kommt nicht nach. Giovanna bleibt mit den Kindern in Spanien. Den Briefwechsel mit ihrer Familie pflegt sie regelmäßig. Ansonsten ist Deutschland weit.
Giovanna verdingt sich als Landarbeiterin auf der größten Hazienda des Dorfes. Das Gleichmaße der Tage ist heilsam. Mit der Zeit beschwichtigt es ihre Seele. Und dennoch geschieht Befremdliches. Die Innenpersonen rebellieren. Ihr Daseinszweck hat sich aufgebraucht, Schmerz müssen sie nicht emhr bewältigen- nun mischen sie sich in Alltägliches ein. Einzelne Wörter genügen. Töne, Gerüche, Bilder setzen sie in Aktion. Ein Luftballon, ein Fotoapperat, eine Kamera- Schmerzerinnerungen ! Alle Siganle auf Rot ! Höchste Gefahr! Giovanna, ein Leben lang darauf getrimmt, stürzt in ihre dunklen Kammern. Kehrt sie zurück, weiß sie von nichts. Zeitverlußte ! Die für Multiple so irritierenden Blackouts bringen ihr Leben durcheinander. Die Frau ihres Arbeitgebers steht vor ihrer Tür Giovanna ist erstaunt. Sie weiß von keiner Verabredung. Die Frau ist verstimmt und wendet sich ab....Schwer bepackt kommt Giovanna nach Hause; der wöchentliche Einkauf. Die Speisekammer ist aber schon voll...Der Sohn schreit; eine der Innenpersonen hat ihn geschlagen. Giovanna ist ratlos. Wie soll sie ihren Kindern, den Nachbarn erklären, was sie selbst nicht versteht. Sie vertraut sich einem Arzt an. Er stimmt Giovanna vorsichtig auf das Phänomen des Multipelseins ein. Dringend rät er zur Therapie. 1997 reist sie nach Berlin und findet Kontakt zu einer Psychotherapeutin. »Wir haben Sitzungen«, berichtet Renate Sommer, »da ist die Patientin ganz klein. Sie will in den Arm, will liebkost und gestreichelt werden- etwas, das sie als Kind nie erfahren hat. Ein anderes Mal stönht und schreit sie- ein einziges Bündel aus Schmerz und Angst. Dann wieder ist sie abweisend, aggressiv. Je nachdem, wer gerade nach vorn kommt. Ich versuche, die Innenpersonen kennen zu lernen und sowohl die hilfreichen, gutwilligen unter ihnen wie auch die ablehnenden, feindlichen für ein ordnendes Lebenskonzept zu gewinnen. Vor einigen Monaten haben wir es geschafft, den Kreis zu bilden- ein großer Fortschritt.« Frau Sommer liegt es fern, Giovanna ihr vielfaches Dasein schönzureden. das ist nicht nötig, denn es ist von Anfang an ihr selbstverständliches Leben; ein sinnvolleres existiert für sie nicht. Nur eine Vorbedingung braucht ihre Welt, um darin reich und glücklich zu sein. Es müssen sich alle in ihr verstehen. es gibt immer häufiger Tage der innneren Ruhe. Dann scheint Giovanna glücklich zu sein. Ein großes, vielfaches Glück. An solchen Tagen genießt sie es, wie in einer Zeitreise Dimensionen anderer Welten zu erkunden, die sie in sich trägt. Einmal fragt sie mich :»Glaubst du, daß wir verrückt sind ?« Ja, das glaube ich. Sie ist in eine uns unzugängliche, vieldimensionale Welt gerückt, die ihr Denken, Leben und Fühlen mehr als vervirzigfacht. Welcher M&¨hen bedarf es für einen Schauspieler, sich zu verwandeln. Giavanna braucht nur mit dem Finger zu schnipsen, schon ist sie jedermann. Ohne die Not der Drogen kann sie in Himmel und Höllen steigen, dank innerer Helfer ganz unversehrt.
Manchmal frage ich mich, ob das, was ich von Giovanna erfahren habe Wirklichkeit ist. Außer Giovannas Ärzten und Helfern gibt es keine lebenden Zeugen. Lange Zeit kam mir das alles unwahrscheinlich vor. Doch inzwischen bin ich davon überzeugt: es ist Giovannas Wirklichkeit; ihre verzwickte, aufregende, lebensbedrohliche Wirklichkeit. Ich glaube das vor allem, weil Veröffentlichungen weltweit anerkannter Psychologen diese Wirklichkeit belegen. Aber auch, weil mir klar geworden ist, daß auch in mir mehrere sind. Abhängig von Eindrücken, Personen oder von Umständen, mit denen ich gerade zu tun habe, empfinde ich mich als jeweils anderen Menschen. Ich verrücke mich unentwegt. Unbewußt. Nicht, weil ich es mag, nein, weil ich es muß. Der renomierte Münchener Wissenschaftler Ernst Pöppel vom Institut für Medizinische Psychologie meint mit deutlicher Distanz zur Diagnose Multiple Persönlichkeit: »Wir alle sind multipel, je nach der inneren und äußeren Situation, in der wir uns gerade befinden. Verschieden ist ledigliuch die Ausprägung des Phänomens.« Giovanna lacht. »Schade, daß wir nur den einen Körper haben. Er ist schon so abgenutzt. Wenn wir mehr davon hätten, wären wir unsterblich.« Renate Sommer hat mehrere multiple Patienten. Hauptsächlich Frauen. Äußerst sensibel, fantasiefähig, kreativ. Bei allen der selbe Krankheitsverlauf, die gleichen traumatischen Ursachen und nahezu identische Symptome: Schwerste sexuelle, körperliche und psychische Mißhandlungen seit frühester Kindheit, keinerlei Hilfe aus dem Familienkreis, Abspaltung von Helferpersonen und später Zeitverlustgefühle, schließlich lebensbedrohendes inneres Chaos bis hin zu Selbstmordversuchen. Es gäbe andere Fluchtvarianten. Etwa Aggressivität, Apathie, Autismus. Warum die Seele manchmal bevorzugt, sich aufzufächern, bleibt im Ungewissen. Möglicherweise bedarf es dazu einer besonderen Feingliedrigkeit des Empfindens. In Deutschland wird die Multiple Persönlichkeitsstörung (MPS) nur von wenigen Psychologen als hochkompliziertes seelisches Phänomen akzeptiert, sagt Renate Sommer. Vielen gelte sie immer noch als exzentrische Modeerscheinung ohne Krankheitswert und Behandlungsbedarf. Oft eine Folge von Unwissenheit.
Vor kurzem war Giovanna schwer verletzt. Angestiftet von einer feindlichen Innenperson hatte sie sich mit einem Messer Schnitte im Schambereich zugefügt. Im inneren Kreis herrschte Chaos. Mit letzter Kraft konnte die Psychotherapeutin alamiert werden. Sie brachte ihre Patientin in die nächst gelegene psychiatrische Klinik. Dort versuchte sie, dem aufnehmenden Arzt die Problematik verständlich zu machen. Eine entnervende Geduldsprobe für beide Seiten. Jemand aus Giovannas Kreis, der die Übersicht wiedergewonnen hatte, begann zu vermitteln. Es endete damit, daß der Arzt die Psychotherapeutin für die verwirrte Patientin hielt und Giovanna nach Hause schickte. Giovanna hatte sich in einer Situation aufflammenden Selbsthasses gefährliche Brandwunden zugefügt. Innenpersonen drängten sich vor, schrien außer Rand und Band. In der Klinik wurde sie ans Bett gefesselt und ruhig gespritzt. Die Panik verschlimmerte sich. Ein teuflischer Kreislauf. Je höher die Dosis, desto größer das Chaos. Freunden gelang es schließlich, sie aus dem Irrenhaus zu befreien.