AW: Ein echt geiles Weltbild
Man kann dem getrost zustimmen: Das wissenschaftliche Weltbild ist ein phantasieloses, oft sehr ödes und zudem borniertes Bild des Daseins. Vom christlich-mittelalterlichen Weltbild unterscheidet es sich lediglich vom Inhalt, weniger aber von der Vehemenz des Primatsanspruchs. Wer an wissenschaftlicher Erkenntnis rüttelt, begibt sich in die Hölle weltlicher Blasphemie. Der Kritiker begeht die Schandtat, den allseits anerkannten Gott zu deinstallieren.
Freilich, im Großen und Ganzen mag die Wahrheit in der Wissenschaftlichkeit liegen. Oder anders: Das was der Mensch für wahr halten könnte, findet sich beinahe nur in der Wissenschaft. Daran mag die Romantik der anderen Weltsicht gar nicht rütteln, zumindest solange nicht, bis sie dogmatisch und quasi-religiös daherkommt. Und an einem läßt uns alle Wissenschaft verzweifeln: Sie erklärt uns Phänomene, läßt uns aber über deren Sinnhaftigkeit im Dunkeln. Doch ist es Teil der conditio humana, hinter allem ein Prinzip oder einen Sinn zu erblicken.
Geprägt von einer langen und tristen Zeit der Entsexualisierung, erntet das Weltbild des Sexuellen natürlich nur Spott. Wenn Schopenhauer hinter allem Seienden den Willen zur Erhaltung des Lebens erblickt, dann nickt man andächtig mit dem Kopf. Spricht der Existenzialist von der Absurdität des Daseins und verbannt damit allen Sinn, so pflichtet man ihm, traurig ob dieser Erkenntnis – aber dennoch -, zu. Taucht aber ein Weltbild auf, welches scheinbar ins Schmuddelige abgleitet, so greifen die Mechanismen, die sich seit der Spätantike ins europäische Geistesleben hineingeschlichen haben.
Zuvor aber, in der Antike, herrschte durchaus ein Weltbild des Zeugens und Kopolierens. Die Götterwelt glich einem edlen Bordell, in welchem sich individuelle Vorzüge zum Geschlechtsverkehr trafen, um ein perfektes Kind entstehen zu lassen. Olympias zeugte angeblich mit einer Schlange Alexander, womit sich die Sexualität als Prinzipium einer Weltsicht offenbarte. Allerlei Fruchtbarkeitsgottheiten mit Legionen von Fruchtbarkeitsriten sprechen ebenso Bände.
Trivialisierung erfährt das Sexuelle unter Freud. Das Sexuelle ist Triebfeder allen Treibens. Der Phallus ist omnipräsent, die Lust verkappt stets knisternd. Freud bietet durchaus ein Weltbild, welches sich der Lust und der damit verbundenen Zeugung hingibt. Man mag von der psychologischen Analyse halten was man will, doch auch hier findet sich das Gelächter des Gutbürgerlichen wieder, gepaart mit einer falschen und verlogenen Schamesröte. Es ist selbst heute nicht selten zu vernehmen, daß es sich bei Freud um Schmuddelkram handelt.
Wie man die Welt zu sehen habe, bleibt Privatsache. Selbst die Wissenschaft mit ihrem – nicht unberechtigten, aber doch langweiligen und nicht selten gefährlichen – Primatsanspruch konnte nicht bewirken, daß sich Menschen in andere Weltbilder flüchteten. Der moderne, demokratische Staat übt sich auch deshalb in einem Neutralismus der Weltanschauung. Artet die subjektive Weltsicht nicht in Fanatismus aus, so ist dies durchaus fruchtbar, um die Gesamtheit des Ganzen von vielen Seiten aus zu betrachten.
Ob also nun weibliche und männliche Geschlechtsteile zum Antrieb allen Seins auf Erden erklärt werden können bleibt Ansichtssache. Die Metaphern von „Mutter Erde“ oder dem „Schoß der Erde“ lassen erkennen, daß es den Menschen gelegentlich daran gelegen war, die Herkunft der Saat, mit dem freudespendenden Körperregionen der Weiblichkeit gleichzusetzen. So lachen also Zeitgenossen, wenn man das Sexuelle in Sphären eines höheren Prinzips rückt, während sie von sich behaupten, sie säßen fest und sicher im „Schoße der Mutter Erde“...
Peinlich allerdings ist nicht der Mut, mit welchem der Propagandist seine Weltsicht erklärt, sondern das Gespött und Gelächter, welches ihm entgegenschlägt. Anachronistisch das buchstäblich ins Gesicht getretene Schamgefühl, das sich latent abzeichnet. Bösartig die Unterstellung, es würde sich um Notgeilheit handeln, mit welcher man die Maxime seines Handelns zu einem hehren Gesetz erhebe. Zu gelten hat aber: Man darf argumentieren, sich an der Sache wetzen - doch in diese Richtung findet sich kaum ein Beitrag.
Es möge mehr Wahrheit und Spannung in einer Welt der Kopolierens stecken, als in einem wissenschaftlichen Weltbild, welches den Menschen zum entscheidungsunfähigen, daher strafunmündigen Neuronenbündel degradiert. Aus der Subjektivität heraus mag sich diese Welt durchaus als eine Welt des Geschlechtakts offenbaren.