Die "Diskursethik", formuliert von Jürgen Habermas, war in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zumindest in Deutschland die beherrschende Denkrichtung. So sehr beherrschend, daß es uns gar nicht auffiel, daß wir jede alltägliche Handlung so gestalten, wie sie bei Habermas formuliert wurde.
Ich zitiere im Folgenden aus Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Band I, Seite 37 bis 40:
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß normenregulierte Handlungen, expressive Selbstdarstellungen und evaluative Äußerungen konstative Sprechhandlungen zu einer kommunikativen Praxis ergänzen, die vor dem Hintergrund einer Lebenswelt auf die Erzielung, Erhaltung und Erneuerung von Konsens angelegt ist, und zwar eines Konsenses, der auf der intersubjektiven Anerkennung kritisierbarer Geltungsansprüche beruht. Die dieser Praxis innewohnende Rationalität zeigt sich darin, daß sich ein kommunikativ erzieltes Einverständnis letztlich auf Gründe stützen muß. Und die Rationalität derer, die an dieser kommunikativen Praxis teilnehmen, bemißt sich daran, ob sie ihre Äußerungen unter geeigneten Umständen begründen könnten. Die der kommunikativen Alltagspraxis innewohnende Rationalität verweist also auf die Argumentationspraxis als die Berufungsinstanz, die es ermöglicht, kommunikatives Handeln mit anderen Mitteln fortzusetzen, wenn ein Dissens durch Alltagsroutinen nicht mehr aufgefangen werden kann und gleichwohl nicht durch den unvermittelten oder strategischen Einsatz von Gewalt entschieden werden soll. Ich meine deshalb, daß der Begriff der kommunikativen Rationalität, der sich auf einen bisher noch ungeklärten systematischen Zusammenhang universaler Geltungsansprüche bezieht, durch eine Theorie der Argumentation angemessen expliziert werden muß.
Argumentation nennen wir den Typus von Rede, in dem die Teil nehmer strittige Geltungsansprüche thematisieren und versuchen, diese mit Argumenten einzulösen oder zu kritisieren. Ein Argument enthält Gründe, die in systematischer Weise mit dem Geltungsanspruch einer problematischen Äußerung verknüpft sind. Die »Stärke« eines Arguments bemißt sich, in einem gegebenen Kontext, an der Triftigkeit der Gründe; diese zeigt sich u. a. daran, ob ein Argument die Teilnehmer eines Diskurses überzeugen, d. h. zur Annahme des jeweiligen Geltungsanspruchs motivieren kann. Vor diesem Hintergrund können wir die Rationalität eines sprach- und handlungsfähigen Subjekts auch danach beurteilen, wie es sich gegebenenfalls als Argumentationsteilnehmer verhält. (…)
In der philosophischen Ethik gilt es keineswegs als ausgemacht, daß die mit Handlungsnormen verknüpften Geltungsansprüche, auf die sich Gebote oder Sollsätze stützen, in Analogie zu Wahrheitsansprüchen diskursiv eingelöst werden können. Aber im Alltag würde sich niemand auf moralische Argumentationen einlassen, der nicht intuitiv von der starken Voraussetzung ausginge, daß im Kreise der Betroffenen grundsätzlich ein begründeter Konsens erzielt werden kann. Das ergibt sich, wie ich meine, konzeptuell notwendig aus dem Sinn normativer Geltungsansprüche. Handlungsnormen treten für ihren Geltungsbereich mit dem Anspruch auf, im Hinblick auf eine jeweils regelungsbedürftige Materie ein allen Betroffenen gemeinsames Interesse auszudrücken und darum allgemeine Anerkennung zu verdienen; deshalb müssen gültige Normen unter Bedingungen, die alle Motive außer dem der kooperativen Wahrheitssuche neutralisieren, grundsätzlich auch rational motivierte Zustimmung aller Betroffenen finden können. Auf dieses intuitive Wissen stützen wir uns immer dann wenn wir moralisch argumentieren; in diesen Präsuppositionen wurzelt der »moral point of view«. Das muß noch nicht bedeuten, daß diese Laienintuition auch tatsächlich rekonstruktiv gerechtfertigt werden kann; allerdings neige ich selbst in dieser ethischen Grundfrage zu einer kognitivistischen Position, derzufolge praktische Fragen grundsätzlich argumentativ entschieden werden können. Aussichtsreich ist diese Position gewiß nur zu verteidigen, wenn wir praktische Diskurse, die durch einen internen Bezug zu interpretierten Bedürfnissen der jeweils Betroffenen charakterisiert sind, nicht vorschnell an theoretische Diskurse mit ihrem Bezug zu interpretierten Erfahrungen eines Beobachters assimilieren.
und ich bin mir sicher, daß niemand von uns den konkreten Handlungsanweisungen widersprechen wird, die Habermas hier formuliert.
Aber:
So wie Habermas im letzten Absatz den Vorrang der Theorie, den Horkheimer/Adorno noch behaupteten, an Lieschen Müller verrät, stellt er seine "Theorie des kommunikativen Handelns" auf den ohnehin vorhandenen "Common Sense" um, der nicht mehr als banale Alltagsweisheit bedeutet.
Ich zitiere im Folgenden aus Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Band I, Seite 37 bis 40:
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß normenregulierte Handlungen, expressive Selbstdarstellungen und evaluative Äußerungen konstative Sprechhandlungen zu einer kommunikativen Praxis ergänzen, die vor dem Hintergrund einer Lebenswelt auf die Erzielung, Erhaltung und Erneuerung von Konsens angelegt ist, und zwar eines Konsenses, der auf der intersubjektiven Anerkennung kritisierbarer Geltungsansprüche beruht. Die dieser Praxis innewohnende Rationalität zeigt sich darin, daß sich ein kommunikativ erzieltes Einverständnis letztlich auf Gründe stützen muß. Und die Rationalität derer, die an dieser kommunikativen Praxis teilnehmen, bemißt sich daran, ob sie ihre Äußerungen unter geeigneten Umständen begründen könnten. Die der kommunikativen Alltagspraxis innewohnende Rationalität verweist also auf die Argumentationspraxis als die Berufungsinstanz, die es ermöglicht, kommunikatives Handeln mit anderen Mitteln fortzusetzen, wenn ein Dissens durch Alltagsroutinen nicht mehr aufgefangen werden kann und gleichwohl nicht durch den unvermittelten oder strategischen Einsatz von Gewalt entschieden werden soll. Ich meine deshalb, daß der Begriff der kommunikativen Rationalität, der sich auf einen bisher noch ungeklärten systematischen Zusammenhang universaler Geltungsansprüche bezieht, durch eine Theorie der Argumentation angemessen expliziert werden muß.
Argumentation nennen wir den Typus von Rede, in dem die Teil nehmer strittige Geltungsansprüche thematisieren und versuchen, diese mit Argumenten einzulösen oder zu kritisieren. Ein Argument enthält Gründe, die in systematischer Weise mit dem Geltungsanspruch einer problematischen Äußerung verknüpft sind. Die »Stärke« eines Arguments bemißt sich, in einem gegebenen Kontext, an der Triftigkeit der Gründe; diese zeigt sich u. a. daran, ob ein Argument die Teilnehmer eines Diskurses überzeugen, d. h. zur Annahme des jeweiligen Geltungsanspruchs motivieren kann. Vor diesem Hintergrund können wir die Rationalität eines sprach- und handlungsfähigen Subjekts auch danach beurteilen, wie es sich gegebenenfalls als Argumentationsteilnehmer verhält. (…)
In der philosophischen Ethik gilt es keineswegs als ausgemacht, daß die mit Handlungsnormen verknüpften Geltungsansprüche, auf die sich Gebote oder Sollsätze stützen, in Analogie zu Wahrheitsansprüchen diskursiv eingelöst werden können. Aber im Alltag würde sich niemand auf moralische Argumentationen einlassen, der nicht intuitiv von der starken Voraussetzung ausginge, daß im Kreise der Betroffenen grundsätzlich ein begründeter Konsens erzielt werden kann. Das ergibt sich, wie ich meine, konzeptuell notwendig aus dem Sinn normativer Geltungsansprüche. Handlungsnormen treten für ihren Geltungsbereich mit dem Anspruch auf, im Hinblick auf eine jeweils regelungsbedürftige Materie ein allen Betroffenen gemeinsames Interesse auszudrücken und darum allgemeine Anerkennung zu verdienen; deshalb müssen gültige Normen unter Bedingungen, die alle Motive außer dem der kooperativen Wahrheitssuche neutralisieren, grundsätzlich auch rational motivierte Zustimmung aller Betroffenen finden können. Auf dieses intuitive Wissen stützen wir uns immer dann wenn wir moralisch argumentieren; in diesen Präsuppositionen wurzelt der »moral point of view«. Das muß noch nicht bedeuten, daß diese Laienintuition auch tatsächlich rekonstruktiv gerechtfertigt werden kann; allerdings neige ich selbst in dieser ethischen Grundfrage zu einer kognitivistischen Position, derzufolge praktische Fragen grundsätzlich argumentativ entschieden werden können. Aussichtsreich ist diese Position gewiß nur zu verteidigen, wenn wir praktische Diskurse, die durch einen internen Bezug zu interpretierten Bedürfnissen der jeweils Betroffenen charakterisiert sind, nicht vorschnell an theoretische Diskurse mit ihrem Bezug zu interpretierten Erfahrungen eines Beobachters assimilieren.
und ich bin mir sicher, daß niemand von uns den konkreten Handlungsanweisungen widersprechen wird, die Habermas hier formuliert.
Aber:
So wie Habermas im letzten Absatz den Vorrang der Theorie, den Horkheimer/Adorno noch behaupteten, an Lieschen Müller verrät, stellt er seine "Theorie des kommunikativen Handelns" auf den ohnehin vorhandenen "Common Sense" um, der nicht mehr als banale Alltagsweisheit bedeutet.
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