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Wann...war alles besser?

R

Robin

Guest
"Früher war alles besser." Ein Satz, der inzwischen auch Tante Irmchen vonner Ecke misstrauisch macht. Dennoch hört man ihn immer wieder, sei es explizit, sei es implizit zwischen den Zeilen auch bedeutender Philosophen.
Das Leben sei zu etwas geworden, der Mensch habe sich gewandelt und finde das Ursprüngliche nicht mehr...
aber wann fand er es je?
Der Kernbegriff des besseren Früheren ist die Entfremdung, von Marx auf den Produktionsprozess, von späteren Philsophen aufs ganze Leben bezogen. Aber wann war der Mensch sich je 'bekannt'? Wann war er je eins mit sich?
Als er in Afrika ums Überleben kämpfte und mit spätestens 30 ins Steppengras biss? Zur Zeit der Hochkulturen - zwischen Sonnenopfer und grausamen Spiel? Zu griechisch-römischer Hochzeit im Privileg der Adligen und Wohlhabenden? Im finsteren Mittelalter? Unter der Pomade des Barock? Im verlogenen Intrigengeplänkel der Renaissance oder der Prüderie des nachelisabethanischen Zeitalters? In der Verwirrung der Romantik? In den kurzen libertinären Ausbrüchen der 20er und 60er Jahre?

Oder war genau Georg Maier, Schuhmacher, (1871-1938) nicht mit sich entfremdet?

Wann war er je frei von wirren Religionen, ökonomischen Zwängen und sozialer Verlogenheit? Sagt nicht: bei den Navahos oder im brasilianischen Dschungel. Sagt nicht: in buddhistischen Ländern oder in Nepal.
Oder sagt es; aber begründet es gut...
 
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Ich drücks mal gewohnt knapp, aber mit austrierter Note:

Nix is fix
und
fix is Nix!

Zurück tauschen möchte ich nicht mehr.

johko
 
Hallo, Robin:


Auf Deine Frage, bei der Du uns ja schon so viel mögliche Antworten im Vorhinein gegeben hast:
eine kurze Antwort:


Nie war etwas besser.

Es war auch nie schlechter.

Es ist immer alles so, wie es ist.



Und damit müssen sich alle abfinden, selbst Diktatoren der humanen Güte.


Marianne
 
Hallo, Rob


Noch ein paar „intime“ Gedanken zu Deiner Frage.


Natürlich war früher alles besser:

Oh, über die süßen Apfel der Kindheit, die geklauten, die drei mal so gut schmeckten wie heute der teuerste Designerapfel.

Oh, über die aufregenden Erlebnisse beim Kennenlernen von Neuem, noch so wenig Vorgefasstes sein eigen nennend.

Oh , über die ersten Begegnungen mit dem anderen Geschlecht, noch so voll von Sehnsucht nach sich selbst getragen.


Oh, über die Stätten der Kindheit, noch nicht wissend, dass sie Symbol für Glück würden.



Du siehst, ich revidiere meine eigene Aussage von oben nur wenig. Für mich als Ich war früher vieles besser. Für mich als Mitglied der menschlichen Gemeinschaft kann ich nur sagen: Nichts Neues unter der Sonne – obwohl, obwohl sie doch früher viel heißer und öfter schien, heller leuchtete wohl auch: Und das nicht nur wegen des CO2 Ausstoßes.

Marianne
 
Hallo majanna,

Du sprichst aus, was ich dachte und warst zudem zehn Minuten schneller...:p

Früher bezieht meines Erachtens nach fast jeder - wenn auch nur unbewusst- auf die Kindheit, weil Unwissenheit und Unbeschwertheit einfach keinen Platz für Probleme und deren Behandlung lassen- das kehrt sich im Laufe des Lebens bis zu einem bestimmten Punkt wieder um und danach wird´s entweder besser oder noch schlimmer.

:megaphon:

lg bine
 
Original geschrieben von Robin
"Früher war alles besser." Ein Satz, der inzwischen auch Tante Irmchen vonner Ecke misstrauisch macht. Dennoch hört man ihn immer wieder, sei es explizit, sei es implizit zwischen den Zeilen auch bedeutender Philosophen. (...)
Der Kernbegriff des besseren Früheren ist die Entfremdung, von Marx auf den Produktionsprozess, von späteren Philsophen aufs ganze Leben bezogen.
So doof waren die Philosophen nicht. Marx hatte den kapitalistischen Produktionsprozess zwar kritisiert. Aber ich glaube, er wird schwer mißinterpretiert, wenn daraus die Schlussfolgerung gezogen würde, er meinte, das "früher alles besser" gewesen sei. Immerhin hatte er mit dem Kommunismus eine VISION. Selbst die Existenzialisten, die ohne Vision das menschliche Schicksal beheulten, sagten nicht, dass "früher alles besser" gewesen sei. Für die war und ist alles gleich beschissen.

Gysi
 
Original geschrieben von maja-bine
Hallo majanna,

Du sprichst aus, was ich dachte und warst zudem zehn Minuten schneller...:p

Früher bezieht meines Erachtens nach fast jeder - wenn auch nur unbewusst- auf die Kindheit, weil Unwissenheit und Unbeschwertheit einfach keinen Platz für Probleme und deren Behandlung lassen- das kehrt sich im Laufe des Lebens bis zu einem bestimmten Punkt wieder um und danach wird´s entweder besser oder noch schlimmer.

:megaphon:

lg bine

Liebe Maja Bine!

Bei mir ist es schlimmer geworden. Segen auf die, denen es anders rum ergeht!!

Marianne
 
Original geschrieben von Gisbert Zalich
So doof waren die Philosophen nicht. Marx hatte den kapitalistischen Produktionsprozess zwar kritisiert. Aber ich glaube, er wird schwer mißinterpretiert, wenn daraus die Schlussfolgerung gezogen würde, er meinte, das "früher alles besser" gewesen sei.
Gysi

Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass dieser Satz implizit zwischen den Zeilen auch manches Philosophen anklingt. Damit habe ich nicht Marx gemeint.
Ich will ein Beispiel nennen, weil ich es gerade vor mir liegen habe:
"Das reduzierte und degradierte Wesen sträubt sich zäh gegen seine Verzauberung in Fassade." (Adorno)
Daraus folgt im Umkehrschluss, dass das Wesen ja mal unreduziert und in voller Würde existiert hat. Meine Frage ist nur: Wann gab es Zeiten, in denen Menschen zum Großteil unbeschädigt vor sich hin leben durften? (Oder meint Adorno hier wirklich ein potentielles Wesen, das von Geburt aus alles könnte, aber von Anfang an Steine in die Windeln gelegt bekommt? Aber dann ist die Frage: Woher weiß man das, was dies Wesen alles könnte?)
Es ist verständlich, dass Marx die speziellen Probleme der Industrialisierung aufgegriffen und neu benannt hat. Es ist auch verständlich, dass Adorno vor dem Hintergrund der Konzentrationslager besonders pessimistisch war. Dennoch muss man doch historisch ausgewogen sein.
Irgendwann hat es sich aber wie ein Endlosschleife eingebürgert. Man hört: Die heutige Archtektur sei inhuman und kalt. Ja wäre einem denn die überfüllten Kellerlöcher Ende des 19 Jhd. lieber? Man hört, der Mensch habe aufgehört, aufrichtig und selbstlos zu lieben. Ja, liest man denn keine Literatur aus allen Zeiten, mit all den Bösewichtern, Tratschweibern, Intreganten und relativ wenig "Braven"?

Nun kommt - ihr kennt doch diese Aussagen! Sie kommen auch hier ständig. "Wir leben in einer oberflächlichen Zeit", höre ich oft. Aber wann war sie denn tiefgründig? Bedenkt man denn nicht, dass Bildung erst seit relativ kurzer Zeit fast allen zur Verfügung steht? Gewiss bringen die Medien und der enthemmte Konsum spezielle Probleme mit sich. Aber sind sie wirklich von eigener Dimension? Lösen sie nicht nur andere Unvollkommenheiten ab? Sind wir nur so kurzsichtig, dass wir nicht weiter als bis in die eigene verklärte Kindheit schauen?

Die Frage ist: Sehen wir im Menschen weiterhin und vor allem das unvollständige und defekte Wesen? Das irgendwann mal vollständig war - und es irgendwann einmal wieder wird?
 
Original geschrieben von Robin
"Früher war alles besser." Ein Satz, der inzwischen auch Tante Irmchen vonner Ecke misstrauisch macht. Dennoch hört man ihn immer wieder, sei es explizit, sei es implizit zwischen den Zeilen auch bedeutender Philosophen.

Lieber Robin,

Abgesehen davon, dass 'man' sich über die Bezeichnung 'bedeutender Philosoph' streiten könnte, würde mich dennoch interessieren, auf wen du anspielst...

Könntest du ein paar Stellen rausschreiben bzw. angeben, die dir das Urteil "Früher war alles besser." in von dir bezeichneten Texten implizit oder gar explizit zu offenbaren vermögen?

Natürlich ist der Satz auch per se diskutierbar - unabhängig von markierten Stellen. Denn jedes Urteil baut auf binären Oppositionen, es lebt vom Einschluss und der Ausgrenzung.
Die Sehnsucht nach einem Idealzustand, sei es ein in die Vergangenheit projizierter oder ein antizipierter, enthält ein Moment der versuchten Identitätsbildung im Bereich des Absoluten. Auch negative Bewegungen, die zu diesem Telos führen, haben automatisch 'positive' Wirkung - was nicht bedeutet, dass das Ziel faktisch näher rückt. Der Zustand der Glückseligkeit oder das Sehnen nach dem Einklang mit der originären Schöpfung, die bekanntlich 'gut' war, lässt sich auch in einem Diskurs, der gegen sie argumentiert, feststellen. Indem der besagte Diskurs versucht, den Rahmen dieses dialektischen Gesetzes zu übersteigen. Dieses Transzendieren will aber nicht gelingen, denn es geschieht nichts anderes, als dass eine Antithese aufgestellt wird; - mit einem Telos: den paradiesischen Zustand zu erreichen, in dem nicht mehr über diese mühselige Dialektik gesprochen werden muss, nicht mehr über den paradiesischen Zustand der Glückseligkeit gesprochen werden muss.
Das "Früher war alles besser." kann nicht hinsichtlich eines 'besseren' oder 'guten' Zukünftigen suspendiert werden, da die Argumentationsplattform sich zwar laufend als Vergangenes erweist (das vor sich hingeschoben wird und in jedem Erfassen als statisches Moment bereits wieder einer bestimmten Vergangenheit angehört), aber nicht als idealer Ursprung schlechthin, als das Vergangene, das sich nicht aufschiebt, sondern präsent ist. Dies wäre nämlich die einzige Plattform, die Gegenwart und das Sein schlechthin, von der aus argumentiert werden könnte, dass es "früher" eben nicht "besser" war und später nicht "besser" sein wird. Solange aber Ausblick auf "Besserung" besteht, wird sich im Gegenzug auch nicht feststellen lassen, ob der ideale Zustand des "Früheren" nicht "besser" gewesen ist.
 
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Hallo Florentin,

das war eine elegante Überschneidung :) Ein weiteres Beispiel wäre m.E. das Buch "Die Unwirtlichkeit der Städte" von Mitscherlich. Da wimmelt es von solchen Aussagen nach meiner Erinnerung.
Ein bedeutender Philosoph ist für mich einer, der so genannt wird in erheblicher Frequenz.
Dieses Transzendieren will aber nicht gelingen, denn es geschieht nichts anderes, als dass eine Antithese aufgestellt wird
Auch den weiteren logischen Schlüssen stimme ich zu. Das ist erkenntnistheoretisch also leicht zu desavouieren - dennoch greift dieses Vorsichherschieben, diese Flucht um sich - Oder überschätze ich das?
 
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