• Willkommen im denk-Forum für Politik, Philosophie und Kunst!
    Hier findest Du alles zum aktuellen Politikgeschehen, Diskussionen über philosophische Fragen und Kunst
    Registriere Dich kostenlos, dann kannst du eigene Themen verfassen und siehst wesentlich weniger Werbung

Negatives Bild der Naturwissenschaft

Hallo diethelm!
Es liegt mir fern, jemandem etwas vorzuwerfen. Ich schreibe das, was ich zu einem Beitrag zu sagen habe, was du dabei empfindest, kann ich nicht vorhersehen.

diethelm schrieb:
Aber Du wirst es nicht glauben, die Wirtschaft redet da ein ganz mächtiges Wort mit, dem sich Politiker, Moraltheologen und Ethiker gar nicht sehr entgegenstemmen! Einzig die katholischen und evangelischen Sozialakademien, so sie dabei sind, mucken, allerdings eher wirkungslos, auf. Aber das ist wohl schon wieder zu religiös!

Das glaube ich dir aufs Wort. Aber ich verstehe nicht, warum mir das zu religiös sein sollte? Die Verquickung von Ethik und Religionsgemeinschaften ist doch bei uns in Ö gang und gäbe. Konfessionslosen Menschen wird ja sogar manchmal abgesprochen, dass sie irgendwelche Moralvorstellungen hätten.

Schön, dass auch noch gestaunt wird.

herzlich
lilith
 
Werbung:
louiz30 schrieb:
Muzmuz, deinem Beitrag kann man weitgehend zustimmen. Ich möchte dich jedoch gerne fragen, was du unter Fortschritt verstehst und darunter, wie wir „alle“ davon profitieren?

Die naturwissenschaftlichen Errungenschaften haben auch zur Atombombe geführt, zur Umweltverschmutzung und vor allem zu Waffen, die allesamt nur Leben vernichten. Sicher, das liegt nicht unbedingt an den Ergebnissen der Naturwissenschaften, aber man könnte den Gedanken aufgreifen, dass philosophische, moralische, religiöse und andere Aspekte mehr Anteil am künftigen Überleben der Menschheit haben werden als viele Erfindungen. Denn auch die medizinischen Errungenschaften belassen noch immer die große Mehrheit ohne eine solche Versorgung und Menschen sterben schon deshalb, weil simple Antibiotika nicht zur Verfügung stehen.

hallo louiz,

unter fortschritt meine ich veränderung in eine bestimmte richtung
wie sehr der einzelne profitiert kann sehr unterschiedlich sein
generell kann man aber sagen, dass die gesellschaften den höchsten lebensstandard haben, die am meisten geforscht haben

es ist einseitig zu behaupten, die wissenschaft hätte zur atombombe geführt
die wissenschaft war ein glied in der kette, die dazu geführt hat
wenn du umweltverschmutzung ansprichst:
man hört immer von naturvölkern, die im einklang mit ihrer umwelt mittels brandrodung und weiterziehen überlebt haben
nun, das hat funktioniert, solange es viel land und wenig menschen gibt
wenn heute alle sechseinhalb milliarden menschen diesen lebensstil pflegten, würde in 1 oder 2 jahrzehnten schluss mit der menschheit sein
waffen wurden verfeinert, aber ich glaube nicht, dass die ersten kriege mit keulen weniger brutal waren; wahrscheinlich waren sie noch brutaler
warum ? damals ging es in den kriegen ums nackte überleben
heute eher um freiheit oder sogar nur um besitz, aber nicht mehr primär ums überleben

philosophie, moral, etc....kann man sich nur dann leisten, wenn das überleben gesichert ist
diese basis ist in weiten teilen der welt durch naturwissenschaft und den technischen fortschritt geschafft
auf dieser basis können sich vielleicht die von dir genannten aspekte aufbauen
wobei es dann aber nicht ums überleben der menschheit geht, sondern eher um die art des überlebens

dass die benefits der wissenschaft ungleich verteilt sind ist nicht folge der wissenschaft, sondern der politik
wenn jemand etwas nicht hat, weil er nicht selbst geforscht und entwickelt hat, kann man das nicht der wissenschaft anlasten; weil der mangel ja primär dadurch entstand, weil sie nicht betrieben wurde
wenn jemand etwas hat und es nicht weitergibt, ist das kein wissenschaftlicher zustand, sondern ein gesellschaftpolitischer

lg,
Muzmuz
 
Mein lieber louiz,

es scheint mir, dass Du von der Arbeitsweise der Naturwissenschaftler nur eine blasse Ahnung hast. Jede Annahme, die ein Naturwissenschaftler trifft, muss sich letztlich bewähren, d.h. muss verifiziert werden. Das ist der entscheidende Kontrollmechanismus, der Spinnereien eliminiert. Die Religion kennt leider keinen solchen Mechanismus.

Dass Naturwissenschaftler wie z.B. Einstein Suchende sind, dürfte klar sein. Aber kein ernsthafter Wissenschaftler wird versuchen, seine Erkenntnisse als absolut wahr zu verkaufen.

Nimm das Beispiel „intelligent design“ vs Evolution. Die Wissenschaft kann weder das Entstehen des Universums, noch Zeit und Raum genau erklären und bei der Frage, warum und wie genau erstes Leben entstand, versagt sie total.

"Intelligent Design" liefert überhaupt keine Erklärung für die Entstehung des Universums oder des Lebens. Die Naturwissenschaft ist bescheiden genug, ihren derzeitigen Erkenntnisstand darzulegen. Aus der Tatsache, dass man derzeit noch nicht alles weiss, kann man nicht folgern, dass man es niemals wissen wird. Der Rückblick auf die Erfolge der Naturwissenschaften ermutigt allerdings, dass auch die letzten Rätsel gelüftet werden.


Gruss
Hartmut
 
Hallo!

Ich will zunächst auf Lilith eingehen. Bei Lilith hat mir schon immer gefallen, dass sie Dinge persönlich formuliert - und gerade dadurch zu allgmeiner Wertigkeit erhebt. So kann man sich auseinandersetzen, obwohl man von ganz verschiedenen Seiten kommt.

Darauf weise ich auch in meinen Beiträgen immer wieder hin, wenn ich sage, ich muss in der Betrachtung der Welt von MIR aus gehen, ich muss alles ganz persönlich nehmen.

Also ich muss es einfach von mir aus sagen: Mir haben Wissenschaften sehr viel über das Leben und die existientiellen Fragen mitgeteilt. Mehr als alles andere. Zum Großteil die Sozialwissenschaft, mit der ich mich vornehmlich befasse - aber auch die Naturwissenschaften, von der Biologie bis zur Hirnforschung. Natürlich habe ich nicht selbst geforscht. Doch als Beobachter von wissenschaftlicher Forschung bin ich in höchstem Maße beeindruckt - von der Fähigkeit, Erkenntnisse zu erlangen - und diese dann wieder zu verwerfen - oder zu verfeinern.
Wenn ich also sage: Die Wissenschaft sagt mir etwas über Gott - und über die Liebe - und über den Ursprung. Dann bin ich z.B. mit Lilith konform, obwohl die Aussagen über diese Themen sicher sehr unterschiedlich sind - wenn überhaupt.

Damit komme ich zu diethelm.
Ich sehe die Wissenschaft ebenfalls als ein System an - so wie ich Religion als ein System ansehe - so wie ich Kunst als System ansehe.
Alle drei Systeme sind in gewisser Weise der Wahrheit auf der Spur. Für den einzelnen Menschen mag es starke Präferenzen geben, mit welchem System er der Wahrheit zuleibe rückt. Wenn wir jedoch auf den Einfluss, die Veränderungen sehen, müssen wir wohl zugeben, dass die Wissenschaft den erdrückensten Einfluss ausübt. Sie scheint übermächtig, oft undurchsichtig und beängstigend, wie muzumz sagt. Woher kommt das?
Nun, ich denke, das kommt aus der Tatsache, dass die Wissenschaft im Gegensatz zu Kunst oder Religion, in der Lage ist, die Energie aus sich selbst zu schöpfen. Der Zweifel - bei der Religion der traditionelle Killer - ist bei ihr der Antrieb. Die Erkenntnis ist immer nur Zwischenstation. Sie schafft Erkenntnis, um Erkenntnis zu zerstören, um Erkenntnis zu zerstören. Und sie beeindruckt dadurch, dass man sich gerade deswegen auf sie verlassen kann, weil sie so unstetig ist.
Papst Benedikt hat das Ende des Relativismus verkündet. Es soll wieder nur eine Wahrheit geben. Sein Problem: Er ist von Gott verlassen. Denn die Religion, die die Kraft nicht aus sich selbst schöpfen kann, bräuchte Gott. Der aber zeigt sich nicht. Weder darin, Gutes zu tun, noch Kraft irgendwelcher Wunder. So muss die Religion entkräftet auf längst Vergangenes verweisen
Natürlich wenden sich Leute vom Papst ab und suchen die Kraft der Religion im Privaten. Doch auch dann müssen sie zugestehen: Der Glaube fordert, mindestens ebensoviel, wie er gibt.
Die Wissenschaft dagegen ist selbstlos. Sie gibt, ohne zu verlangen. Sie genügt sich Kraft ihrer Eigendynamik. Wissenschaftler sind wie Mönche. Sie wollen forschen und meist genügt ihnen das. Sind Wissenschaftler denn so eitel wie Künstler? So unlauter wie Politiker? So selbstgerecht wie Gurus? Ich behaupte: Sie sind noch nicht einmal so gewissenlos wie Geschäftsleute.
Ist es nicht oft eine Erholung, wenn ein Wissenschaftler die Stimme erhebt, wenn alle anderen ihrer Aufgeregtheiten zu einem Thema in der Medienwelt abgegeben haben? Ich jedenfalls empfinde es oft so.

Noch nicht recht wurde in diesem Thread zwischen angewandter und theoretischer Wissenschaft unterschieden. Viel zu schnell wird die theoretische Wissenschaft, die sich also mit den Grundlagen der beobachtbaren Realität auseinandersetzt, mit der gesamten Wissenschaft gleichgesetzt. Wenn behauptet wird, es gäbe keinen freien Willen oder die DNA sei spontan in der Ursuppe entstanden, ist die Aufmerksamkeit groß. Aber warum dann gleich auf die ganze Wissenschaft schimpfen? Ist das die Stärke der Wissenschaft, solche Fragen zu klären? Oder sind nicht die meisten großen Fragen quasi als Abfall der täglichen wissenschaftlichen Arbeit entstanden? Jener täglichen Arbeit, die uns all die technischen Wunderdinge beschert, die uns allzu selbtverständlich geworden sind und die wiederum die Selbstlosigkeit der Wissenschaft demonstriert. Sie schenkt, ohne etwas zu wollen. Sie will keinen Glauben, keine Dankbarkeit, keine Macht. Sie will nur - weiterforschen...

Mir ist das sympathisch. Mir ist das - unheimlich. Denn natürlich kann diese Selbstgenügsamkeit zur Blindheit führen und natürlich gibt es auch im System Wissenschaft Missbrauch, Betrug und Eitelkeiten.

Das Entscheidende aber ist: Ich glaube tatsächlich, dass die Wissenschaft noch der Bereich der Gesellschaft ist, wo es tatsächlich Fortschritt geben kann. Selbst die Kunst scheint in eine Sackgasse ihrer Entwicklung gekommen zu sein. Politik, Gesellschaft, Philosophie, Religion - alles ist erstarrt oder verweist zirkulär auf Vergangenes, dass dann als Post-, Spät-, oder Neu-Irgendwas wiederverkauft wird. Die Wissenschaft aber bietet wirklich noch Neuheiten. Und könnte dadurch das einziges System sein, dass noch die Kraft besitzt , Probleme zu lösen. Sollten wir uns nicht schon deshalb mit ihr anfreunden, weil wir sie brauchen, weil wir von ihr abhängig sind, weil wir sie nicht mehr los werden - weil sie die Hoffnung ist...?
 
Lilith51 schrieb:
Es liegt mir fern, jemandem etwas vorzuwerfen. Ich schreibe das, was ich zu einem Beitrag zu sagen habe, was du dabei empfindest, kann ich nicht vorhersehen.
Tut mir leid, dass ich Dich missverstanden habe.

In meinem ersten Beitrag sagte ich: „Wer absolute Gewissheit braucht, ist in den Naturwissenschaften völlig verloren, der muss sich an Religionen wenden.“ Und es war für mich keine Verallgemeinerung. Selbst der relativ agnostische Goethe kommt mit seinem Faust zu diesem Ergebnis. Nach Louis30 mit seinem Kommentar und >Religion gibt aber keine „absolute Gewissheit“<, folgtest Du mit Deiner Wortwahl: „Aber Religion als den Ort der Gewissheit zu bezeichnen …“nach. Das ließ mich eben (zu Unrecht) vermuten, dass Du mit derselben Einstellung mir gegenüber argumentieren wolltest. Das „zu religiös“ stand dann für „zu religionsfeindlich“, so, wie der „Gottseibeiuns“ für den Teufel steht, weil ich noch immer mutmaßte, Du werdest meine Äußerung zu den beiden Sozialakademien für ebenso religionsfeindlich interpretieren.

Liebe Grüße, diethelm

Ja, und gestaunt wird jede Menge, nur, worüber in den Naturwissenschaften gestaunt wir, ist außerhalb deren oft unverständlich. Also, die Grundgleichung der Thermodymamik oder die Maxwellschen Gleichungen faszinieren mich jedes Mal wieder, ebenso wie jede Reduplikation eines DNA-Moleküls in der Eprouvette. Das geht, und noch dazu so einfach! Die meisten Sachen gehen nur deshalb nicht, weil wir es uns zu kompliziert vorstellen. Na ja, nicht ganz, aber so ähnlich.
 
... es scheint mir, dass Du von der Arbeitsweise der Naturwissenschaftler nur eine blasse Ahnung hast.

Vielen Dank, Hartmut, für die Aufklärung und die Bestätigung meiner These.

Offensichtlich wäre es für manche Naturwissenschaftler ganz ratsam, sich einmal mit Linguistik zu beschäftigen und dann zu versuchen, den Sinn eines Satzes zu begreifen, anstatt sich ein Wort heraus zu nehmen und dann in entgegengesetzter Richtung zu argumentieren. Ich bin es jetzt leid ständig zu erklären, was doch offensichtlich ist und zu rechtfertigen, was nie gesagt wurde.

Die Offenheit für eine interdisziplinäre Betrachtung von Themen ist wohl nicht gegeben.
 
Ich habe vor kurzem ein Streitgespräch zwischen dem Philosophen Lutz Wingert und dem Hirnforscher Wolf Singer gelesen, in dem es ( auch) über das gestörte Verhältnis zwischen Natur - und Geisteswissenschaften geht.

(STW 1596 s. 9 ff)

Das Problem sehen beide Wissenschaftler in dem grundsätzlich anderen Aufgabenspektrum beider Richtungen.
Verlangt /e man bisher von der " reinen" Naturwissenschaften, dass das Falsifikationsteorem Grundvoraussetzung jeder Erkenntnis sei, - ist dessen Anwendung bei den Welterklärungsmodellen der Geisteswissenschaften irrelevant .
Es scheint zwischen Natur und Kultur immer weniger unterscheidbar zu werden, was vorgegeben und was gemacht ist. ( Dolly! Genmanipulationen jeglicher Art usw).

Und da es erst in allerletzter Zeit opportun wird, sich - je nach Fähigkeiten - über die möglichen Anwendungsbereiche der neuen Wissenschaften - Humanbiologie. Gentechnik usw - zu informieren, gibt es hauptsächlich zwei Haltungen: die jubilatorische ( das ist die, die Du, Robin nicht meinst) und die mismacherische.

Beide sind vorfindbar - beide stützen sich auf relativ unkritischen Umgang mit dem Neuen.
Wenn die Jubilierer schon von einem ewigen Leben träumen, zumindest aber - davon träume auch ich - von Verschwinden erbbedingter Nervenkrankheiten (Alzheimer z.B. ), unken die anderen, man pfusche der Evolution in ihre ureigenste Domäne drein.

Diese Herrschaften übersehen aber meiner Meinung nach, dass ja auch das Erstarken dieser neuen Wissenschaften ein Ergebnis der kulturellen Evolution ist.

Wir gehen davon aus, dass die Naturwissenschaften sinnfreie Gegenstände untersucht, die in der Er-Perspektive beschreibbar sind. Da aber der Großteil der Welt in sinnhaften Gebilden gesehen wird ( sie sind der Gegenstand der Geisteswissenschaften ),gerät die Wissenschaftstheorie in gewisse Kalamitäten, wenn sie sich die Hirnforschung ansieht.
Singer konstruiert hier - interessant, denke ich - eine Sprachstruktur, die er Erste Person Perspektive nennt, das sind alle die Erkenntnisse, die auf der Basis durchaus auch empirischer Ich-daten verallgemeinert werden können, ja müssen und durch diese Verallgemeinerung dann Sinn für die Allgemeinheit bekommen.
Wenn nun ein Hirnforscher ganz genau fixieren kann, der oder der neurale Vorgang bewirkt das und das im Menschen, so ist das eine streng naturwissenschaftliche Aussage .

Wie dann aber der auf die so oder so hervorgerufene Reizung handelnde Mensch in aktuellen Fall handelt, fällt nicht mehr unter die Beobachtungsmechanismen der Naturwissenschaften: hier ist dann Psychologie, Moral - kurz alle die Institutionen gefordert, die das Menschenbild jedes Handelnden geformt haben.


Na ja: Vielleicht habe ich das ja nicht ganz verstande oder zu wenig klar zusammengefasst: kurz, ich glaube mit Wingert und Singer, dass wir in Zukunft immer weniger zwischen diesen beiden Zweigen der Erkenntnisgewinnung werden unterscheiden können: die Interdependenz von Natur- und Geisteswissenschaft wird größer.
Der eine kann zwar sagen, was Auslöser ist, der andere wird aber die Bedingtheit des Handelns im sozialen Feld als verschiedene Realisierungen im Handeln als Folgen der kulturellen Evolution beschreiben müssen.


War wirklich interessant, nach meiner langen Abwesenheit dieses Thema zu finden. Habe von Euch allen gelernt.


Marianne
 
wer Physik (Mathematik) als Zaubermittel versteht,
betreibt keine Wissenschaft,
sondern Magie

die Sozialwissenschaften sind demzufolge keine Geisteswissenschaften,
die Maschinenbauer (Ingenieure) sind keine Naturwissenschaftler

Die Grundlagenforschung folgt der Evolution. Die Geisteswissenschaften erforschen dabei die Materie, die erst durch den Menschen entstanden sind. Die Naturwissenschaften richten ihr Augenmerk auf das Geschehen, wie es sich ohne den Menschen darstellt:

• NW: Urknall, Himmelskörper, Erdaufbau, Kristalle (Moleküle), Minerale (Zellen), Systeme (Organismen)
• GW: Verhalten, Lebensraum, Umweltgeschichte, Technikgeschichte, politische Geschichte, Symbolgeschichte, Kunstgeschichte, Ideengeschichte, Sprache, Sein, Gott

NW und GW verbreiten Theorien,
die experimentell nicht bewiesen werden können

die angewandten Wissenschaften hecken raffinierte Experimente aus,
mit deren Hilfe sie Gesetze finden,
die sich als Zauberspruch benützen lassen

der schlechte Ruf der 'Naturwissenschaften' rührt aus dem Mißbrauch der Ergebnisse der 'Maschinenbauer'
 
Uni Tübingen (via google)

Auszug eines Protokolles vom 8.11.04 – Tutorium Andrea Pabst – Protokollantin Tanja Ebenhöch

Thema: Auguste Comte (1798 – 1857)

... Die Werke Comtes sind als positivistisch zu sehen.

Der Positivismus zeichnet sich durch eine Abkehr vom Metaphysischen (Spekulation) zum auf Gesetzmäßigkeiten (Tatsachen, Beobachtungen) aus.

Positivistisch sind Dingen, wenn sie zum einen beobachtbar und zum andren aufgrund kausaler Gesetze erklärbar sind (Ursache – Wirkung).


Comte hat hierfür zwei Gesetze formuliert; das „Enzyklopädische Gesetz“ und das „Drei-Stadien-Gesetz“.


Das Enzyklopädische Gesetz ist als die Voraussetzung für das Drei-Stadien-Gesetz zu sehen.

Es beschreibt eine Hierarchie in der Wissenschaft, an deren Spitze die Soziologie steht.

Die Hierarchie ergibt sich aus den Methoden, durch welche die einzelnen Wissenschaften zu ihren Ergebnissen kommen (Logik -> Beobachtung -> Experiment -> Klassifikation -> Vergleich -> historische Methode)

Zudem teil Comte die Wissenschaften in zwei Bereiche auf – analytisch und synthetisch.

Analytische Wissenschaften sind solche, die Erscheinungen isoliert untersuchen und so zu Gesetzmäßigkeiten über ihre Gegenstände kommen (Mathematik, Geometrie, Astronomie, Physik, Chemie).

Synthetisch sind solche, die Erscheinungen in Beziehung zu einem Ganzen untersuchen (Biologie, Soziologie).


„Das Drei-Stadien-Gesetz ist in drei Stadien eingeteilt, an deren Ende das höchste Stadium, das Endstadium (der harmonische Zustand in der Gesellschaft) steht.


Das erste Stadium ist das Theologisch-fiktive Stadium:

In diesem Stadium gibt es keine Wissenschaft im heutigen Sinne, alle natürlichen Erscheinungen werden als Folge übernatürlicher Kräfte und Wesen interpretiert.

Comte beschreibt eine Hierarchie zwischen Fetischismus ( es gibt keine Götter; Gegenstände sind heilig; in bestimmten Phänomenen werden menschliche Wesen gesehen), Polytheismus (es gibt mehrere Götter, die für einzelne Dinge zuständig sind; „Vielgötterei“) und Monotheismus (es gibt nur einen Gott); der Monotheismus steht nach seiner Ansicht auf höchster Stufe.

Die Herrschaftsform in diesem Stadium ist der Absolutismus, sie ist militärisch geprägt, als wichtigste Figuren werden Priester und Krieger gesehen.

Eine Weiterentwicklung innerhalb der Gesellschaft ist nur durch Eroberung möglich.

Die wissenschaftliche Forschung wird nicht anerkannt, da durch sie das Herrschaftsgefüge in Frage gestellt würde; man spricht auch von Herrschaft vs. Produktion.


Das zweite Stadium ist das Metaphysisch – abstrakte Stadium (auch juristisches Stadium):

Hierbei handelt es sich um eine Art Zwischenstadium, da in ihm sowohl Elemente des Theologisch-fiktiven als auch des wissenschaftlich -positiven Stadium vorkommen.

Die ersten positiven Wissenschaften entwickeln sich - es besteht eine Gleichzeitigkeit von positiven und theologischen Wissenschaften.

In diesem Stadium besteht Produktion; zum einen von Wissen ( Wissenschaftler werden anerkannt und dürfen ihr Wissen verbreiten) zum andren von Industrie; zudem bestehen Gesetze und Verträge.

Als wichtige Personen werden Philosophen und Rechtsgelehrte gesehen.


Das dritte und letzte Stadium ist das Wissenschaftlich – positive Stadium (industrielles Stadium):

In diesem Stadium sind alle Wissenschaften positiv geworden, das Wissen ist erklärbar.

Die Religion wird in diesem Stadium als eher störend angesehen.

Die Soziologie entseht als neue Wissenschaft und wird als Krönung der Wissenschaften bezeichnet, da bei ihr neben den Merkmalen der analytischen und synthetischen Wissenschaften (vgl. Enzyklopädisches Gesetz) die historische Methode hinzukommt.

Entwicklung ist in diesem Stadium durch Produktion (sowohl industriell als auch in Form von Wissen) möglich.

Es kommt zu einer Versöhnung von Ordnung und Fortschritt.

Wichtige Personen sind Wissenschaftler und Wirtschaftsführer.

Diese Stadium bezeichnet Comte als höchstes Stadium; als Endstadium. Die Herrschaft in der Gesellschaft haben in diesem Stadium die kleine Gruppe von Industriellen ...
 
Werbung:
Robin schrieb:
Ich sehe die Wissenschaft ebenfalls als ein System an …
Ich möchte noch einmal darauf zurückkommen: "Wissenschaften sind Systeme" das meint, sie gehen systematisch in der Argumentation vor. Unter den Wissenschaften gibt es zwei Gruppen, diejenigen welche axiomatisch argumentieren, eben die Geisteswissenschaften und diejenigen, die experimentell argumentieren, eben die Naturwissenschaften.

Was aber hieße „experimentieren“ und welche „Erkenntnis“ lässt sich aus einem Experiment gewinnen? Das ist nämlich der zentrale Punkt zum Verständnis der Naturwissenschaften dem Ungeheuren sowie dem Ungeheuerlichen, was sie zu leisten vermögen.

Es gibt in den Naturwissenschaften nun mal keine „neutralen“ Beobachter. Der Experimentator greift ein, immer, manchmal weniger stark, meist heftig! Er sieht somit nicht „die Natur“ sondern nur die gemeinsame Wechselwirkung von ihm mit ihr, wenn sie dergestalt aufeinander treffen. Er kann daher aus seinem Experiment nicht die „Natur“ erkennen, sondern nur eine Vorstellung entwickeln, wie die Natur aussehen müsste, damit diese konkrete Wechselwirkung zustande kommt. Die „Vorstellung von etwas“ ist aber nicht dieses „Etwas“ selbst, sondern nur ein „Modell“ davon. Egal, wie radikal man es nimmt, Naturwissenschaft ist immer irgendwie konstruktivistisch. Nun ist aber in den Naturwissenschaften das Modell nicht ihr Selbstzweck. Das Modell ist nur genau so viel wert, wie sein Verhalten die Vorhersagen ermöglicht auf Experimente, die noch nicht durchgeführt wurden, bzw. wie aus einem gegebenen Datensatz sich ein zukünftiger oder ein vergangener noch nicht vermessener vorhersagen lässt.

Das wirklich schönste Beispiel sind dafür die Meteorologen. Wie das Wetter ist, brauch ich nicht vorhersagen. Schön ist hier insofern, als dass hier bereits immer gesagt wird, dass es sich bei der Vorhersage um „Modellrechnungen“ handelt, aber auch, weil jeder immer wieder sehen kann, dass das Modell selbst die Vorgänge nie exakt beschreibt, ja, dass manchmal das Modell Ergebnisse liefert, die sehr weit von der „absoluten Wahrheit“ weg liegen. Je exakter die Vorhersage, desto interessanter wohl für die von der Vorhersage Abhängigen, desto uninteressanter aber für die Meteorologen (außer dem Erfolgsgefühl, es bis hier her geschafft zu haben). Letzterer horcht aber um so mehr auf, je falscher die Vorhersage. Denn hier und nur hier kann er nun das Modell so verfeinern, hier und nur hier kann er am Fortschritt arbeiten, hier und nur hier der „naturwissenschaftlichen Wahrheit“ näher kommen! Darum muss naturwissenschaftliche Wahrheit vorläufig sein. Wer aber meint, dass diese Vorläufigkeit auch nur irgendwie ihre Bedeutung schmälert, der ist genauso irgendwie noch in der Altsteinzeit beheimatet! Geisteswissenschaftliche Wahrheit, wie z.B. der Mathematik, ist vom Experiment unabhängig. Da ist 3 x 3 immer 9, ohne Messfehler ohne irgendwelche Bedingungen, zum Unterschied vom Wetter, da geht das volle Chaos ein.

Innerhalb dieses „Modellbildungsbereiches“ sind Naturwissenschaften völlig unabhängig nicht nur von den Geisteswissenschaften, auch von der Gesellschaft. Natürlich wäre es manchmal schön, vor allem Kräfte sparend, wenn die Philosophie rechtzeitig auf konkrete Denkfehler aufmerksam machen könnte, nur leider haben Philosophen oft nur sehr wenig konkrete Ahnung von der Problemstellung selbst, sodass Naturwissenschaftler oft lange mit Widersprüchen leben müssen. Natürlich wäre es schön, etwas mehr Mittel zur Verfügung zu haben. Nicht nur verwunderlich, sondern richtiggehend pervers finde ich, dass den Naturwissenschaften in der Öffentlichkeit immer mehr die Nähe zu den Industrien vorgeworfen wird. Besonders wo gerade diese selbe Öffentlichkeit immer lauter fordert, dass der Staat sich aus der Finanzierung der naturwissenschaftlichen Forschung zurückziehen solle, mit all der Bedeutung für die konkrete Verantwortlichkeit, die daraus resultiert.

Die Frage nach „Fortschritt“ ist auf naturwissenschaftlicher Ebene eine ganz eigene. Diese hat aber mit der eines „gesellschaftlichen Fortschritts“ überhaupt nichts zu tun, auch wenn sie dieser in einem weiten Ausmaß hilfreich zur Seite stehen könnte. Aber gesellschaftlicher Fortschritt ist nicht auf Naturwissenschaften angewiesen, dessen Fehlen daher auch den Naturwissenschaften anzulasten. Naturwissenschaften sind von ihrem Wesen her nicht in der Lage, irgendwelche Hoffnungen zu begründen, sie helfen nur beim Verwirklichen. Das Problem aber sind die Hoffnungen, Wünsche der Menschen selbst, auch wenn Naturwissenschaftler auch zu diesen Menschen gehören.

Tut mir leid, dass ich unfähig bin, mich kürzer zu fassen,
diethelm
 
Zurück
Oben