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Lieblingsgedichtssammlung

AW: Lieblingsgedichtssammlung

Farbiger Herbst

Ein Brunnen singt. Die Wolken stehn
Im klaren Blau die weißen zarten.
Bedächtig stille Menschen gehn
Am Abend durch den alten Garten.

Der Ahnen Mamor ist ergraut
Ein Vogelzug streift in die Weiten.
Ein Faun mit toten Augen schaut
Nach Schatten, die ins Dunkel gleiten.

Das Laub fällt rot vom alten Baum
Und kreist herein durchs offene Fenster.
Ein Feuerschein glüht auf im Raum
Und malet trübe Angstgespenster.

Opaliger Dunst webt über das Gras
Ein Teppich von verwelkten Düften.
Im Brunnen schimmert wie grünes Glas
Die Mondessichel in frierenden Lüften.

Georg Trakl
 
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AW: Lieblingsgedichtssammlung

Es wird Herbst

Seit die Sonne früher flieht,
Ist uns kälter ums Gemüt,
Jedes wärmere Gefühl
Schwindet, wenn es draußen kühl.
Alle Bänke stehen leer,
Niemand küßt im Freien mehr,
Feucht weht es aus Waldesgrund,
Und es setzt sich selbst der Hund
Nur noch mit gesträubtem Haar
Auf das kühle Trottoir.
Ottos Hals ist roh und rauh,
Minna geht zur Modenschau,
Ludwig hackt das Brennholz klein,
Emma heizt mit Naßbrennstein,
Rattengift wird ausgelegt,
Und der Dichter schenkt bewegt
Sich das sechste Schnapsglas voll,
Was vor Grippe schützen soll.
So verändert alles sich
Äusserlich und innerlich,
Doch der Mensch treibt lebenslang
Heiter immer mittenmang.

Peter Boll


:katze3:
 
AW: Lieblingsgedichtssammlung

Wer kennt das nicht?

SPAZIERGANG NACH EINER ENTTÄUSCHUNG

Da hätte mich also wieder einmal
eine der hausschlachtenen Ohrfeigen ereilt,
die das eigens hierzu gegründete Schicksal
in beliebiger Windstärke und Zahl
an die Umstehenen gratis verteilt.

Na schön. Der Weg des Lebens ist wellig.
Man soll die Steigungen nicht noch steigern.
Es war wieder einmal eine Ohrfeige fällig.
Ich konnte die Annahme schlecht verweigern.

So ein Schlag ins vergnügte Gesicht
klingt für den, der ihn kriegt, natürlich sehr laut,
weil das Schicksal mit Liebe zur Sache zuhaut.
Tödlich sind diese Ohrfeigen hingegen nicht.
Der Mensch ist entsprechend gebaut.

Jedoch, wenn ich den See betrachte
und die schneeweiß gedeckten Berge daneben,
muß ich denken, was ich schon häufig dachte:
Diese Art Ohrfeigen brauchte es nicht zu geben.

Da rennt man nun die Natur entlang
und ist froh, daß man keinem begegnet.
Die Vögel verüben Chorgesang.
Die Sonne scheint im Überschwang.
Aber innen hat's ziemlich geregnet.

Die Glockenblumen nicken verständig.
Eine Biene kratzt sich ernst hinterm Ohr.
Und der Wind und die Wellen spielen vierhändig
die Sonnenscheinsonate vor.

Das Schicksal wird mich noch öfters äffen
und schlagen, wie es mich heute schlug.
Vielleicht wird man wirklich durch Schaden klug?
Mich müssen noch viele Schläge treffen,
bevor mich der Schlag trifft! Und damit genug.

Erich Kästner

:katze:
 
AW: Lieblingsgedichtssammlung

Und am Ende...

Immer ist der Tod unterwegs, der düstere Engel.
Wir kommen aus dem Dunkel, anfangs ist die Welt
noch klein zwischen den fünf Brettern der Wiege.
Aber die Welt wächst mit uns Jahr um Jahr.
Die Macht des Bösen wächst, auch der Mut,
die schöne und törichte Kühnheit der Jugend.
Liebe kommt dazu, dann ist es schon mehr der Freude
und der Qual, Kummer des Herzens, Schuld des Blutes.
Wir treiben umher und kämpfen uns müde,
und am Ende ist die Welt wieder klein
zwischen den fünf Brettern des Sarges.
Ach, Jahr um Jahr, es ist dennoch eine kurze Zeit,
und unser letzter Schrei ist nur ein Widerhall des ersten.

Karl Heinrich Waggerl
 
AW: Lieblingsgedichtssammlung

In diesem Gedicht wird die Eitelkeit (und auch die Modewelt) - zu Recht - kritisch-sarkastisch betrachtet.
Der Autor ist mir leider unbekannt.

Schick

Freudig gesteh' ich's,
mit leuchtendem Blick:
Ja, Madame, Ihr Kostüm ist schick!

Schon der Reiher
im duftenden Haar
ist eine Wonne dem Augenpaar.
Wie er der Freundinnen
Neid entflammt!
Wissen Sie auch, woher er stammt?
Von einem Tier,
das die Kugel durchdrungen,
Just als es fütterte seine Jungen!
Ach, wie weh
tat der sterbende Blick
-Aber, Madame,
Ihr Kostüm ist schick!

Und das Korallenbändchen
am Arm!
Wirklich, es ist unser
aller Schwarm!
Freilich, der arme Taucher ertrank,
Als er getaucht zur Korallenbank,
Und seine Witwe
griff jammernd zum Strick,
-Aber, Madame,
Ihr Kostüm ist schick!

Und das Kostüm an sich erst! Ei! Ei!
Diese Verschwendung
an Stickerei,
Die kaum ihresgleichen noch findet!
Schade: Zwei Mädchen,
sie sind erblindet,
Als sie durch Wochen,
bis morgens spät
Bei einem Öllicht
gestickt und genäht!
Nimmer den zwei'n kehrt
das Licht zurück,
-Aber, Madame,
Ihr Kostüm ist schick!

Ja, und was ich noch fragen wollte:
Ist es denn Wahrheit,
gefeierte Holde,
Daß Ihr Gemahl,
der das Kleidchen spendiert hat,
Neulich betrügerisch
bankrottiert hat?...
Aber, Gnäd'ge,
warum diese Blässe?
Gott, ich frage ja nur aus Int'resse,
Nur, weil bezaubert mein Herz
und mein Blick,
Denn, Madame, Ihr Kostüm ist schick!
 
Zuletzt bearbeitet:
AW: Lieblingsgedichtssammlung

Tagebuch eines Herzkranken
von Erich Kästner

Der erste Doktor sagte:
"Ihr Herz ist nach links erweitert."
Der zweite Doktor klagte:
"Ihr Herz ist nach rechts verbreitert."
Der dritte machte ein ernstes Gesicht
und sprach: "Herzerweiterung haben Sie nicht."
Na ja.

Der vierte Doktor klagte:
"Die Herzklappen sind auf dem Hund."
Der sechste macht die Augen groß
und sprach: " Sie leiden an Herzspitzenstoß."
Na ja.

Der siebte Doktor klagte:
"Die Herzkonfiguration ist mitral."
Der achte Doktor sagte:
"Ihr Röntgenbild ist durchaus normal."
Der neunte Doktor staunte und sprach:
"Ihr Herz geht dreiviertel Stunden nach."
Na ja.

Was nun der zehnte Doktor spricht,
das kann ich leider nicht sagen,
denn bei dem zehnten, da war ich noch nicht.
Ich werde ihn nächstens fragen.
Neun Diagnosen sind vielleicht schlecht,
aber die zehnte hat sicher recht.
Na ja.​

:verwirrt1.:katze3:
 
AW: Lieblingsgedichtssammlung - s p e z i e l l

Winters Leid (Peter Boll)
Endlich kam, was man erwartet,
Denn der Winter ist gestartet
Und hat gleichsam über Nacht
Schnee und Eis hervorgebracht;
Damit ist zu unserm Schaden
Auch der Gehsteig dick beladen,
Und nun heißt es: Weg damit,
Denn sonst gibt es Knochensplit
Und der Hauswirt müßte blechen,
Wenn sich Leute Glieder brechen.
Drum riskiere keine Lippe:

Schippe, lieber Hauwirt, schippe!..:schnl:
Ärgerlich auf alle Fälle
ist die neue Kältewelle,
Denn was taute, das gefror,
Und es platzt das Wasserrohr.
Wieder muß der Hauswirt traben
Und das Eis vom Gehsteig schaben,
Zeitung sagt und Polizei,
Daß dies dringend nötig sei,
weil die Leute zum Erschrecken
Auf die Trottoire klecken.
Darum bewähre dich auf's neue:

Streue, lieber Hauswirt, streue!..:schnl:

:katze3::schritt:
 
Zuletzt bearbeitet:
Wintergedichte finden sich

bei http://gutenberg.spiegel.de/

Heute da zu lesen:

Adelbert von Chamisso:

Winter

In den jungen Tagen
Hatt' ich frischen Mut,
In der Sonne Strahlen
War ich stark und gut.

Liebe, Lebenswogen,
Sterne, Blumenlust!
Wie so stark die Sehnen!
Wie so voll die Brust!

Und es ist zerronnen,
Was ein Traum nur war;
Winter ist gekommen,
Bleichend mir das Haar.

Bin so alt geworden,
Alt und schwach und blind,
Ach! verweht das Leben,
Wie ein Nebelwind!
 
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Noch eins:

Georg Trakl:

Im Winter

Der Acker leuchtet weiß und kalt.
Der Himmel ist einsam und ungeheuer.
Dohlen kreisen über dem Weiher
Und Jäger steigen nieder vom Wald.

Ein Schweigen in schwarzen Wipfeln wohnt.
Ein Feuerschein huscht aus den Hütten.
Bisweilen schnellt sehr fern ein Schlitten
Und langsam steigt der graue Mond.

Ein Wild verblutet sanft am Rain
Und Raben plätschern in blutigen Gossen.
Das Rohr bebt gelb und aufgeschossen.
Frost, Rauch, ein Schritt im leeren Hain.
 
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AW: Lieblingsgedichtssammlung

Louise Otto
(1819-1895)

Blumengeister

Nun ist im Sturm mit Schnee und Eis
Der Winter angekommen,
Hat auf tyrannisches Geheiß
Die Blüten all genommen.
Sie sind dahin mit einem mal
Und hängen welk hernieder,
Es weckt kein milder Sonnenstrahl
Die Frostgetroffnen wieder.

Ihr Glanz, ihr Duft, ihr Leben schwand
Und öd' sind Flur und Garten,
Zur weißen Wüste ward das Land,
Die Flüsse selbst erstarrten.

So sinken in die kalte Gruft
Die letzten Blumenleichen,
Und harren bis der Lenz sie ruft
Aus ihrem Grab zu steigen.

Doch kann der Blumengeister Schar
Wohl nächtlich um noch gehen -
In kalter Mondnacht, hell und klar
Sind sie gar oft zu sehen.

Sie kommen aus dem Grab hervor
Wie neckende Gespenster,
Und blühen - ein krystall'ner Flor
An dem gefrornen Fenster.

Und rufen die Erinnrung wach
An alle Sommerstunden,
Wo Menschenhand die Blümlein brach
Und sie zum Kranz gewunden.

Wo Menschenfuß sie gar zertrat,
Nicht achtend auf ihr Flehen.
Es läßt zu rächen solche That,
Die Geisterschar sich sehen.

Und mahnt mit glänzend heller Schrift:
"Dein eignes Thun bewache,
Damit dich nicht im Winter trifft
Der Blumengeister Rache!"
 
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