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Ist Selbsterkenntnis leicht?

mwirthgen

New Member
Registriert
20. Dezember 2002
Beiträge
969
Moderne Philosophie beschäftigt sich heute nur noch selten mit dem Thema Selbsterkenntnis. Man überlässt es bestenfalls den Psychologen. Vielfach bemächtigen sich Schulungen in Betrieben dieses Themas in geschäftstüchtiger Absicht. Auch Astrologie, Kartenlegen u. a. mehr soll der Selbsterkenntnis dienen.

Ich meine, Selbsterkenntnis ist ein zentrales philosophisches Forschungsgebiet, von dem aus sich die Welt, Mensch und Gott in grundlegender Weise erkennen und begründen lassen.


gruß manni
 
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mwirthgen schrieb:
Man überlässt es bestenfalls den Psychologen.
Selbsterkenntnis ist auch eine psychologische Kategorie. Was soll denn da erkannt werden? Deine Gefühle sollen da erkannt und angenommen werden. Wer an sich leidet, leidet oft an Verdrängung. An verdrängten Schockerlebnissen, die - aus irgend welchen Gründen - nicht aufgearbeitet werden konnten. Selbsterkenntnis arbeitet dein verdrängtes Erlebtes auf - indem sie es durchlebt. Alles, was erlebt wurde, will durchlebt werden. Sonst fühlst du dich leer, in einer kalten Hölle.

Gysi
 
Hallo, Manni!

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Wem das je gelänge !!!!!

Wer weiß, wer und was er sein will?
Will er/sie immer gleich sein?
Kann das überhaupt ein Mensch?
Setzt sich der Mensch selbst die Ziele seines So- Seins - wie - er - ist?
Kann er das überhaupt überall und jederzeit?

So viele Fragen, die schon beweisen, wie schwierig Deine erste Bombenfrage ist.
Ich kann sie alle nicht einmal für mich selbst beantworten.

Hilfreich sind da vor allem viele Gedanken der Stoa, die wir ja im Christentum wiederfinden können. Aber sie zeigen nur der Weg zur Selbsterkenntnis - uns kennenlernen müssen wir uns selbst.
Und so komme ich schon zum Schluss:
Schon der/die, der/die wissen will, wer er/sie ist, ist auf dem Wege dorthin.
Und machmal graust es einem ja vor der eigenen Erbärmlichkeit.
Dieses Grausen mag auch ein Anfang des Suchprozesses sein.

Liebe Ostergrüße

Marianne
 
ich denke jeder mensch verändert sich ständig. wir sind in der nächsten minute ein anderer mensch als in der vorigen. das leben ist ein lernprozess. wir entwickeln uns ständig weiter.
deshalb muss sich der mensch täglich wieder die frage nach seinem selbst stellen. nur dadurch merkt er, dass er wächst und dass auch seine ansichten wachsen. man kann nicht zweimal in den gleichen fluss steigen- daran glaube ich!
die fragen die majanna konkret aufgeworfen hat, muss jeder mensch täglich neu für sich selbst beantworten. wer nicht merkt, dass er sich verändert, wird irgendwann auf der stelle bleiben.

alles liebe,
ling-l
 
Hallo, Ling-li,

ist ja richtig schön, eine aus der jungen Garde hier wieder zu lesen.

Übrigens fällt mir auch noch etwas Literarisches ein ( wenn Gysi schon so "angibt" :) )


Herr Keuner traf eines Tages einen alten Bekannten. " Sie haben sich ja gar nicht verändert!" rief dieser. "O," sagte Herr Keuner und erbleichte.

Bert Brecht


Dass Brecht und Du in meinen Aiugen völlig Recht habt, muss ich nicht betonen.

Alles Gute zur Matura, wenn Du schon in der 8. bist - ein stressfreies Zeugnis, falls erst in der 7.


Marianne
 
vielen dank für die herzliche begrüßung, majanna!
finde eure beiden zitate wirklich sehr treffend!
alles liebe,
ling-l

PS: bin erst in der 7., nochmals vielen dank für das herzliche wiedersehen!! :)
 
mwirthgen schrieb:
Ich meine, Selbsterkenntnis ist ein zentrales philosophisches Forschungsgebiet, von dem aus sich die Welt, Mensch und Gott in grundlegender Weise erkennen und begründen lassen.

Hallo, Manni!

Ich fürchte, Selbsterkenntnis ist ein Gebiet, das sich nicht sonderlich gut zum Philosophieren eignet. Es ist etwas, was jeder für sich selbst tun muss. Und natürlich stehen zuerst die mannigfaltigen Meinungen der anderen über mich selbst im Weg; ich muss sie zuerst ausräumen, um zu meinem Kern zu finden. Außerdem liegen Konventionen herum, stolpert man über Bräuche und Sitten und muss die allgemein gültige Meinung überwinden. Es ist schwer, all das auseinander zu halten.

Es ist Schwerarbeit, aber ein lohnendes Gebiet. Und das praktischste daran ist: man hat sein Forschungsprojekt jederzeit zur Hand. ;-)

Konfuzi
 
Selbsterkenntnis, das Thema reizt einen.

Was ist Selbsterkenntnis? Damit Selbsterkenntnis einen Sinn macht, ist es doch eigentlich Voraussetzung, dass da irgendwo etwas zu erkennen sei. Selbsterkenntnis ist somit der Vorgang, in welchem sich ein vorher nicht weiter differenziertes Subjekt/Objekt-Ganzes neu plötzlich in ein erkennendes Subjekt und ein erkanntes Objekt teilt. Damit bedeutet Selbsterkenntnis in meinen Augen immer den Vorgang von Ent-Identifizierung, weil sich das Subjekt von einer Identifizierung mit dem Objekt trennt. Indem das Subjekt das Objekt betrachtet, schafft es Distanziertheit und dadurch einen Freiraum, welcher zum erstenmal erlaubt, Freiheit von Anhaftung an das Objekt zu erlangen.

Indem ich beispielsweise versuche genau zu erkennen, wie Wut in mir entsteht, wie sie sich ausdrückt, lerne ich nach und nach zwischen mir und der Wut zu unterscheiden. Das gibt mir mit Sicherheit ein klein wenig mehr Gelassenheit in der nächsten vergleichbaren Situation. Ich weiss dann (und wusste eben zuvor noch nicht), oha, jetzt könnte in mir drin Wut entstehen. Alleine schon dieses Wissen ist enorm hilfreich, wenn es darum geht, frei zu werden von inneren Zwängen.

Darum ist Selbsterkenntnis für mich immer verbunden mit dem Wunsch nach Freiheit. Wer frei sein will muss notwendigerweise durch einen Prozess der Selbsterkenntnis erstmal Distanz zu "sich selbst" schaffen. Dadurch entsteht nach und nach Gelassenheit und eine gewissermassen gleichmütige Haltung.

Das scheint mir übrigens eigentlich das Thema des Buddhismus zu sein, wenn man mal von all den Göttern und deren Verehrung absieht. Buddha behauptet, dass Leiden vor allem durch Unwissenheit entsteht, eine Unwissenheit um die wahre Natur der Dinge. Diese Unwissenheit kann durchbrochen werden durch den Prozess der Selbsterkenntnis. Wer die tiefste und letzte Selbsterkenntnis verwirklicht, hat sich somit gleichzeitig von jeglicher Identifikation gelöst. Er hat alles Erkennbare zu einem Objekt gemacht und übrig bleibt nur noch das "reine Subjekt", das reine "Nicht-Selbst", die reine "Leere" der Dinge.

Ein grosses Problem heutzutage scheint mir aber, dass Selbsterkenntnis viel zu oft "von aussen" betrieben wird. Mit Selbsterkenntis meinen viele Menschen, sie könnten einzig durch das Lesen von Lektüre oder durch Diskussionen wie diese hier sich selbst erkennen. Nun, das ist sicher richtig, aber es genügt bei weitem nicht, denn dies ist immer ein Ansatz über den Verstand, ein Ansatz, welcher im wahrsten Sinne des Wortes versucht zu be-greifen. Unser Verstand kann aber immer nur Dinge dialektisch wahrnehmen, er kann immer nur in Widersprüchen denken. Entweder A oder Nicht-A, was anderes gibt es für ihn nicht.
Die Welt beweist aber dauernd, dass dieses "Verstandesdenken" massiv ungenügend zur echten Selbst-Erkenntnis ist. Der Verstand müsste konsequenterweise sich ja selbst ebenfalls zum Objekt machen um sich zu erkennen. Das ist ein philosophisches Problem des Zirkelschlusses. Der Verstand will sich selbst erkennen, wie soll das gehen?

Die Antwort ist einfach: Entweder gibt es nichts jenseits des Verstandes, dann können wir aber in letzter Konsequenz uns nie wirklich selbst erkennen. Oder es gibt etwas jenseits des Verstandes, mittels welchem der Verstand erkannt werden kann (allerdings nicht im üblichen Sinne), dann ist unser Verstand aber bereits in gewissem Masse disqualifiziert als Instrument zu echter Erkenntnis. Aus beiden Möglichkeiten folgt, dass auf unser Verstand leider kein letzter Verlass ist, wenn es um echte, das heisst um tiefe Selbsterkenntnis geht.
[Allerdings kann hier Kritik angebracht werden: Diese von mir aufgeführte Logik befindet sich auf Ebene des Verstandes. Wenn es tatsächlich jenseits dessen etwas gibt, so ist möglicherweise Logik als Mittel zur Erkenntnis ebenfalls disqualifiziert und daher obige Überlegungen obsolet.]

Das Thema bleibt nicht leicht.
 
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Hallo, fckw!

Du hast völlig Recht: Ein Kleinkind kann sich noch nicht selbst erkennen. Dieser Vorgang kann erst nach der magischen Phase eines Kindes einsetzen.
Erst, wenn ich mich als etwas anders sehen kann als meine Umwelt, kann auch dieser Prozess der " Selbstentfremdung" durch Selbstbeobachtung einsetzen, der zum Ziel hat, sich selbst zu erkennen.Die klassisch-philosophische Subjekt-Objektbeziehung wird intrapersonell erlebt.
Und es wurde ja hier schon darauf hingewiesen, dass Selbstfindung ein Prozess ist, der eng mit der Selbsterkenntnis zusammenhängt.
Auch Deinen Gedanken, dass dieser Prozess mit dem Erlebnis von Freiheit verbunden ist, kann ich nachvollziehen.Ich interpretiere dieses Freiheitsstreben allerdings etwas anders als Du, wenn ich Dich richtig verstanden habe. Ich will ja frei sein von "Störfaktoren", die es mir nicht erlauben, zu mir selbst zu kommen, als da z.B. vor wären (Beichte ist angesagt) Angst, v.a. Versagensangst und vieles mehr.


Von Buddhismus weiß ich eigentlich nichts, werde aber heute Abend über Deine Worte nachdenken.

Dass absolute Leere die Voraussetzung sein könnte, sich selbst zu begegnen, erinnert mich allerdings an christliche Mystik. Absolute Bedürfnislosigkeit ist auch da die Voraussetzung für das Schauen Gottes.
Ich muss darüber nachdenken, wie gesagt; ich spüre aber schon jetzt einen gewissen Widerstand.

Ich freu mich, dass Du zu uns gestoßen bist.

Marianne
 
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