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Ist Selbsterkenntnis leicht?

majanna schrieb:
Dass absolute Leere die Voraussetzung sein könnte, sich selbst zu begegnen, erinnert mich allerdings an christliche Mystik.
Ich gelange immer mehr zur Überzeugung, dass Mystik (sei sie nun christlich oder nicht) die einzig (!) annehmbare Weiterführung ist, wenn es um Selbsterkenntnis geht. Mystik kann allerdings erst einsetzen, wenn der Verstand als ungenügendes Mittel zum Zweck erkannt wurde. Jeder um tiefe Selbsterkenntnis bemühte Mensch muss früher oder später, wenn er ehrlich genug gegen sich selbst ist, bei der Mystik landen, weil er einsieht, dass das Denken sich selbst nicht begründen kann. Untersucht man mal ein bisschen die Konzepte und die Funktionsweise des Denkens, so ergibt sich ganz schnell, dass das Denken typischerweise funktioniert wie die Mathematik. Entweder ist es vollständig, benötigt aber ein paar Axiome, welche völlig willkürlich einfach gesetzt werden, oder es ist unvollständig und man führt eine Meta-Ebene ein zur Begründung eines Gedankenkonstrukts.
In beiden Fällen ist das Denken nicht in der Lage sich absolut sondern immer bloss relativ zu begründen. Wer das einmal einsieht, kriegt die Krise, unweigerlich.

Diesen Punkt zu überschreiten ist sehr schwierig (oder er war es zumindest bei mir). Es ist quasi die Transzendenz des Denkens. An dieser Stelle gibt es, nach meiner Meinung, für den Menschen nur zwei Möglichkeiten: Entweder er wird Nihilist (dann wäre Suizid der konsequente Schlussstrich) oder Mystiker.

(Ich habe mich definitiv für's zweite entschieden. Und natürlich heisst das keineswegs, dass ich jetzt einfach blind an irgendwas glaube und nix mehr hinterfrage.)
 
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Gisbert Zalich schrieb:
Selbsterkenntnis ist auch eine psychologische Kategorie. Was soll denn da erkannt werden? Deine Gefühle sollen da erkannt und angenommen werden. Wer an sich leidet, leidet oft an Verdrängung. An verdrängten Schockerlebnissen, die - aus irgend welchen Gründen - nicht aufgearbeitet werden konnten. Selbsterkenntnis arbeitet dein verdrängtes Erlebtes auf - indem sie es durchlebt. Alles, was erlebt wurde, will durchlebt werden. Sonst fühlst du dich leer, in einer kalten Hölle.

Gysi, es geht mir um die Selbsterkenntnis des Denkens! Tiefenpsychologie wollte ich hier nicht bearbeiten, sondern Selbsterkenntnis als Ausgangspunkt für Welt- und Gottverständnis einer Philosophin oder eines Philosophen.

manni
 
majanna schrieb:
nosce te ipsum...wem das je gelänge !!!!!..Setzt sich der Mensch selbst die Ziele seines So- Seins - wie - er - ist?

Das ist die Frage, liebe majanna! Ich behaupte durch Selbsterkenntnis kann man lernen, dass der Mensch sein Sein und sein Sollen nicht nach beliebigen Regeln setzen kann.

Danke für die Ostergrüße! Leider bin ich etwas spät dran!

gruß manni
 
ling-l schrieb:
ich denke jeder mensch verändert sich ständig. wir sind in der nächsten minute ein anderer mensch als in der vorigen. das leben ist ein lernprozess.


Sicher richtig, ling-l, aber mir geht es nicht um die Selbsterkenntnis im umfassenden Sinne, sondern erst einmal um die Selbsterkenntnis des Verstandes, des Denkens. Wie funktioniert unser Denken? Gibt es da Regeln, Gesetzmäßgkeiten, Strukturen?

gruß manni
 
Konfuzi schrieb:
Ich fürchte, Selbsterkenntnis ist ein Gebiet, das sich nicht sonderlich gut zum Philosophieren eignet. Es ist etwas, was jeder für sich selbst tun muss.

Aber ganz hervorragend, konfuzi, ist das sich selbst erkennende Denken des Menschen zum Philosophieren geeignet. Wir wollen wir ja keine Selbsterforschung im Sinne einer tiefenpsychologischen Analyse betreiben, sondern einfach wie es Philosophinnen so an sich haben, das Denken näher betrachten. Macht es Sinn, alles zu denken, was man denken kann, oder sollte man das Denken nicht in den Dienst der grundsätzlichen Selbsterkenntnis des Menschen stellen? Gibt es Gesetzmäßigkeiten, Regeln, nach denen Denken funktioniert? Welches sind die Gründe meines Denkens? Warum urteile ich so und nicht anders?

gruß manni
 
fckw schrieb:
Selbsterkenntnis, das Thema reizt einen.

Was ist Selbsterkenntnis? Damit Selbsterkenntnis einen Sinn macht, ist es doch eigentlich Voraussetzung, dass da irgendwo etwas zu erkennen sei. Selbsterkenntnis ist somit der Vorgang, in welchem sich ein vorher nicht weiter differenziertes Subjekt/Objekt-Ganzes neu plötzlich in ein erkennendes Subjekt und ein erkanntes Objekt teilt. Damit bedeutet Selbsterkenntnis in meinen Augen immer den Vorgang von Ent-Identifizierung, weil sich das Subjekt von einer Identifizierung mit dem Objekt trennt. Indem das Subjekt das Objekt betrachtet, schafft es Distanziertheit und dadurch einen Freiraum, welcher zum erstenmal erlaubt, Freiheit von Anhaftung an das Objekt zu erlangen.

Darum ist Selbsterkenntnis für mich immer verbunden mit dem Wunsch nach Freiheit. Wer frei sein will muss notwendigerweise durch einen Prozess der Selbsterkenntnis erstmal Distanz zu "sich selbst" schaffen.

Fckw, ich finde, das das was bei dieser Reflektion zu beobachten ist, doch ein klein wenig anders aussieht. Fragt mich nämlich jemand, was ich gerade gedacht habe, so antworte ich in der Regel ich denke an dies oder jenes. Wahr ist allerdings, dass man im Moment des Aussprechens dieses Gedankens eigentlich sagen müsste: Ich habe gedacht oder ich dachte A, C, .... Denn dieser Gedanke, über den man berichtet, ist schon vergangen. Worauf ich mich also bei meiner Antwort beziehe, ist daher eine Erinnerung an diesen Gedanken. Ich erinnere mich z.B. gerade A gedacht zu haben. Oder an meine Arbeit, oder an einen Termin... Gleichgültig, was auch immer, es ist ein vergangener Gedanke. Der aber in der Erinnerung meines Bewusstseins so aussieht wie es die Struktur des Satzes zum Ausdruck bringt, nämlich als eine Beziehung zwischen Objekt und meinem Subjekt. Läge, wie du im weiteren schreibst eine Identifikation vor, könnte ich sprachlich wohl schwerlich nach Subjekt und Objekt unterscheiden. Die sprachliche Form weist aber auf etwas hin, das ich ohne Sprache benutzen zu müssen, in mir selbst erkennen kann. Das Bild oder Phänomen der Erinnerung „Ich habe A gedacht.“ Enthält die Unterscheidung zwischen Objekt und Subjekt, verbunden durch die Relation, die Beziehung. Aus diesen drei Teilen Subjekt, Objekt und Relation besteht das Ganze des Bewusstseinsaktes.

Dass ich aber z.B. erkenne, dass ich A gedacht habe, setzt in der Tat eine Distanzierung voraus, die allerdings nicht aus der Teilung des Aktes „Ich denke A.“ entsteht, sondern daraus, dass das Ich seinen Standort verändert, indem es einen neuen Bewusstseinsakt setzt, der zum Ziel hat, den zuvor gefassten Gedanken zu erkennen. Im Grund ist es das Ich, das seine Selbstidentifikation aufgibt, um sich so selbst aus der Gegenwart heraus mit Hilfe der Erinnerung in der Vergangenheit als in Relation zu einem Objekt stehend zu erkennen.

Dieser Akt der Distanzierung ist in der Tat ein Akt der Freiheit. Denn ich muss meiner Vergangenheit nicht verhaftet bleiben, ich kann sie bedenken, analysieren und neu denken, Alternativen entwickeln.

Zum zweiten Teil deiner Gedanken bin ich im Moment etwas zu müde mich zu äußern, doch werde ich das gerne noch nachholen.

gruß manni
 
Hmm, der Einwand hat was. Würde das dann aber nicht doch heissen, dass wir uns sowieso nie selbst-erkennen können? Der Akt der Selbsterkenntnis müsste sich dann ja auf etwas beziehen, welches gerade jetzt stattfindet. Damit wäre eine Distanzierung unmöglich.

(Oder aber: Selbsterkenntnis passiert auf eine gänzlich andere Weise als mittels des dialektischen Denkens. Okok, ich hör ja schon auf *lach*, da spricht wieder der Mystiker aus mir.)
 
mwirthgen schrieb:
Aber ganz hervorragend, konfuzi, ist das sich selbst erkennende Denken des Menschen zum Philosophieren geeignet.
Hallo, Manni!

Selbsterkenntnis entsteht sehr oft in der Meditation, in der ja das bewusste Denken bewusst ausgeschaltet wird. Somit ist in der Praxis das Denken kontraproduktiv.

Durch theoretische Betrachtung wird man kaum zur Selbsterkenntnis kommen, sondern wahrscheinlich Thesen aus 2. Hand aufgreifen und gedanklich mit ihnen spielen. Somit erkennt man nicht sich selbst, sondern höchstens den Urheber dieser Thesen. Wobei ich nzugestehe, dass man auch daraus etwas über sich selbst erfahren kann, welchen Thesen man positiv oder negativ gegenüber steht.

Aber wenn ich recht verstanden habe, geht es dir im Augenblick ja nicht so sehr um die Praxis, oder?

Konfuzi
 
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fckw schrieb:
Würde das dann aber nicht doch heissen, dass wir uns sowieso nie selbst-erkennen können?
Warum?

Sind nicht einige Aspekte von dir dauerhaft? Waren sie nicht vorgestern so wie heute und werden auch morgen noch so sein? Und waren bloß bis jetzt von dir unerkannt?

Aber du hast schon angedeutet, dass Selbsterkenntnis nicht philosophisch, sondern mystisch geschieht. Nicht durch Worte - auch gedachte - erkennst du dich, sondern in "anderen Ebenen". Und hier ist Distanz nicht nur wünschenswert, sondern auch möglich.

Konfuzi
 
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